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Analyse: Das "Intermarium" und die "Drei-Meere-Initiative" als Elemente des euroskeptischen Diskurses in Polen | bpb.de

Analyse: Das "Intermarium" und die "Drei-Meere-Initiative" als Elemente des euroskeptischen Diskurses in Polen

Rafał Riedel Universität Oppeln Rafał Riedel

/ 14 Minuten zu lesen

Das Intermarium-Konzept wird in der polnischen Politik schon lange diskutiert. Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 und der 2016 gegründeten Drei-Meere-Initiative umfasst die Debatte auch euroskeptische Inhalte und Meinungen. Um welche Art von Kritik handelt es sich und inwiefern ließe sich die Initiative als Gegenkonzept zur EU interpretieren?

Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und der polnische Präsident Andrzej Duda geben sich die Hand, nachdem sie am 7. Juli 2017 in Warschau bei einem Gipfeltreffen die ersten Verträge zur Drei-Meere-Initiative unterschrieben haben. (© picture alliance/PAP)

Zusammenfassung

Das Ziel dieser Analyse ist, das erneut an Popularität gewinnende Konzept des "Intermarium" bzw. der "Drei-Meere-Initiative" als Bestandteil des gegenwärtigen politischen Diskurses in Polen vorzustellen. Ein Teil der meinungsbildenden Milieus fasst es als komplementäres Konzept zur Hauptströmung der EU-Integration auf, ein anderer Teil betrachtet es dagegen als eine Art Alternative zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Entgegen der Versicherungen von Regierungsvertretern legen sowohl die verwendete Sprache als auch die Argumentationsart nahe, dass das Intermarium-Konzept als Teil des euroskeptischen Diskurses einzuordnen ist.

Im Zusammenhang mit der Drei-Meere-Initiative (Three Seas Initiative – TSI), ins Leben gerufen in Dubrovnik (Kroatien) im Jahr 2016, ist im aktuellen politischen Diskurs in Polen eine Renaissance der Kategorien "Drei Meere" und "Intermarium" zu beobachten. Obgleich eine Detailanalyse der historischen Quellen eine Unterscheidung zwischen den beiden Konzepten nahe legen würde, werden die beiden Kategorien heute im politischen Diskurs in Polen fast austauschbar angewendet. Da im Folgenden nicht der Nutzen der Konzepte als geopolitische Strategie analysiert wird, sondern als diskursive Kategorie, werden die beiden Bezeichnungen im Folgenden austauschbar verwendet.

Die Etappen des Intermarium-Konzeptes

Das Intermarium-Konzept ist nicht neu und in verschiedenen historischen Phasen lassen sich sein Auf- und Abstieg beobachten, wenn auch nicht seine Realisierung, denn weder in der Zwischenkriegszeit noch heutzutage wurde es tatsächlich umgesetzt. Seine aktuelle Wiederbelebung erfolgte im Jahr 2005, doch darf dies Konzept nicht allein mit dem Beginn der Präsidentschaft Lech Kaczyńskis (2005 bis 2010) in Verbindung gebracht werden, der ein besonderes Gewicht auf die östliche Perspektive und das sogenannte Jagiellonische Konzept der Außenpolitik legte. Das Intermarium-Konzept ist gleichermaßen mit dem Jahr 2004 verbunden, als mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union ein wichtiges politisches Ziel erreicht wurde. Damals verschafften sich neben dem mobilisierenden Effekt des Beitritts auch euroskeptische Stimmen Gehör. Ein Ausdruck dessen war beispielsweise, dass die Partei Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin – LPR) bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004 in Polen den zweiten Platz und zehn Mandate erlangte, weiter kam dies in den Gegennarrationen zur damals dominierenden Losung von der "Rückkehr nach Europa" zum Ausdruck. In diesen Kontext sind die Wiedergeburt der Idee des "Intermarium" und seine Renaissance in Gestalt der Drei-Meere-Initiative im polnischen politischen Diskurs eingebettet.

Historische Inspirationen für die Idee des Intermarium lassen sich zum einen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg finden, als in Ostmitteleuropa auf den Ruinen der untergegangenen Imperien Nationalstaaten entstanden bzw. wiederentstanden. Dazu gehörte auch Polen, das versuchte, sowohl seine wiedererlangte Unabhängigkeit zu sichern als auch größtmöglichen Einfluss auf die Lage in der Region zu gewinnen, denn die polnischen Diplomaten waren sich dessen bewusst, dass das gemeinsame Problem der Bewohner dieses Teils Europas die geopolitische Lage zwischen Berlin und Moskau war. Zum anderen weisen viele Wissenschaftler auf noch tiefer liegende historische Bezugspunkte hin, die bis in das Ostmitteleuropa des Mittelalters reichen, als im 15. und 16. Jahrhundert bedeutende Gebiete desselben unter jagiellonischer Herrschaft standen. Die Bezugnahme auf die ferne Historie, als Polen eine Territorialmacht war, lässt sich als Mythos des "goldenen Zeitalters" verstehen, das heißt einer imaginierten Zeitspanne, in der es den Menschen scheinbar besser ging. Diese Vorstellung hatte mit der Realität nicht viel gemein, allerdings rief ihre Beschwörung nostalgische Gefühle in Bezug auf das Verlorene hervor sowie das Gefühl des Stolzes auf die damalige Stärke, was sich in dem Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit mit den Staaten auf dem betreffenden Territorium ausdrückte und eines der Argumente für die Wiederaufnahme des einstigen Konzeptes war, um das geopolitische Problem zu lösen.

Allerdings hatten die Anstrengungen der Jagiellonen, die zu einer groß angelegten dynastischen Politik führten, letztlich nicht ausgereicht, um ein geopolitisches Subjekt von Dauer zu erschaffen, das über die Zukunft der Region hätte entscheiden können. Die folgenden Jahrhunderte brachten Polen viele innere Probleme und äußere Bedrohungen und mündeten schließlich in die Teilungen der Adelsrepublik durch Russland, Preußen und Österreich. Trotz des Verlustes der eigenen Staatlichkeit tauchten im 19. Jahrhundert wieder Ideen auf, die Völker Ostmitteleuropas zu vereinigen. Ein Beispiel ist die Tätigkeit des Fürsten Adam Czatoryski, der sich bemühte, eine Außenpolitik (ohne einen eigenen Staat!) zu betreiben, die sich an der Wiedergeburt der slawischen Nationen sowie Ungarns orientierte, die derzeit Österreich, Russland und der Türkei unterstanden. In enger Zusammenarbeit sollten sie eine starke Föderation, angelehnt an das Bündnis mit Frankreich und der Türkei, bilden. Diese Föderation sollte ein Bollwerk gegenüber Russland sein sowie ein Gegengewicht zur Politik Preußens.

Die Anfänge der heutigen Gestalt des Inter­marium-Konzeptes liegen in der polnischen Diplomatie und Publizistik der Jahre 1919 bis 1923. Die Aktivitäten zugunsten der Umsetzung dieses Projektes sowie seine theoretische Entwicklung lagen vor allem bei den Anhängern des Marschalls Józef Piłsudski. Ihr Hauptziel in der Außenpolitik war die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Polens, was von der Ausrichtung der Sicherheitspolitik des Staates abhing. Diese war durch Deutschland und Russland bedroht, die zwar infolge des jüngsten Krieges und vieler innerer Probleme geschwächt, aber immer noch gefährlich waren. Piłsudski betrachtete Russland als Hauptgefahr, weshalb er eine Föderation mit den östlichen Nationen der Litauer, Ukrainer und Belarussen schaffen wollte, die eine Barriere zwischen Polen und Russland bilden sollten. Der nächste Schritt zur Stärkung der Republik Polen sollte der Ausbau von Militärbündnissen und die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten in der Region sein. Dieses Konzept wurde in der damaligen Publizistik als "Intermarium" bezeichnet. Aufgenommen werden sollten auch Estland, Jugoslawien, Lettland, Rumänien und Ungarn, in manchen Varianten auch Finnland. Das Bündnis sollte die Staaten der Region einander annähern, so dass sie eine effektive Außenpolitik, gestützt auf ein großes militärisches und wirtschaftliches Potential, hätten verfolgen können. Polen sollte einen besonderen Platz in diesem Bündnis einnehmen und den Ton in dessen Politik angeben. Das Intermarium-Konzept wurde 1920 entwickelt, und bis 1923 versuchte die polnische Diplomatie, es umzusetzen. Aufgrund einer Reihe von Misserfolgen und des Rückzugs des Piłsudski-Lagers vom Außenministerium wurde das Konzept nicht weiterverfolgt.

Während des Zweiten Weltkrieges lässt sich die Idee des Intermarium in der Politik der polnischen Exilregierung wiederfinden. Hier versuchte Ministerpräsident General Władysław Sikorski, eine polnisch-tschechoslowakische Konföderation aufzubauen. Die Absicht war, das Projekt nach dem von den Alliierten gewonnenen Krieg zu realisieren. Das Konzept verfiel 1942 infolge der gegensätzlichen Vorstellungen über die zukünftige Grenzlinie zwischen Polen und der Tschechoslowakei sowie – was noch wesentlicher war – infolge der unterschiedlichen Haltung gegenüber der Sowjetunion.

Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich ganz Ostmitteleuropa in der Einflusszone der Sowjetunion. Dies machte es jenen Staaten unmöglich, eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Das Intermarium-Konzept geriet auf ein totes Gleis der offiziellen polnischen Politik. Weiter entwickelt wurde es von polnischen Intellektuellen in der Emigration wie Jerzy Giedroyc (Paris) und Juliusz Mieroszewski (London) sowie in der Volksrepublik von oppositionellen Gruppierungen im Untergrund, die für die Unabhängigkeit Polens eintraten, insbesondere von der Konföderation für ein Unabhängiges Polen (Konfederacja Polski Niepodległej – KPN). Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1989 verbreitete die KPN mit ihrem Parteichef Leszek Moczulski das Intermarium-Konzept weiter, das als ein Schritt Polens auf dem Weg in die Europäische Union verstanden wurde. Die Idee der KPN war, dass das Intermarium-Konzept für die Staaten zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer ein wirksamer Schutz vor der kulturellen Expansion Deutschlands und der territorialen Expansion Russlands sei. Außerdem sollte es eine Möglichkeit sein, die Wirtschaft der ostmitteleuropäischen Staaten vor dem Beitritt zur Europäischen Union zu koordinieren. Nach Moczulskis Einschätzungen waren die Staaten zu schwach, um dem wirtschaftlichen Druck Westeuropas standzuhalten, und würden sich ohne vorangehende Stärkung und Vereinigung den westeuropäischen Forderungen unterordnen müssen. In den 1990er Jahren führte die KPN einige Konferenzen mit Parteien aus den ostmitteleuropäischen Staaten durch, die mit dem Intermarium-Konzept sympathisierten, allerdings erloschen die Bemühungen der KPN in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre endgültig, da sie auf der politischen Bühne Polens an Bedeutung verlor.

Die Gründung der Visegrád-Gruppe im Jahr 1991 lässt sich ebenfalls als eine Spur des Intermarium-Konzeptes interpretieren. Wenn die beteiligten Staaten – Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn – auch nicht von einem Meer zum anderen reichen, stellt die Visegrád-Gruppe doch ein Forum der vertieften Zusammenarbeit eines Teils der Staaten Ostmitteleuropas dar. Die Visegrád-Gruppe spielte außerdem eine große Rolle bei der Integration dieser Region mit Westeuropa, sowohl im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU als auch zur NATO.

Anfang des 21. Jahrhunderts konzentrierte sich die polnische Außenpolitik der damals von der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) geführten Regierung auf den Beitritt Polens zur EU, der 2004 erfolgte. Ein Jahr später wurde Lech Kaczyński Präsident und nahm diplomatische Aktivitäten auf, die sich auf den Aufbau guter Beziehungen zur Ukraine, Georgien, Armenien und den baltischen Staaten richteten. Dies war insofern vergleichbar mit dem Intermarium-Konzept, als das Hauptziel darin bestand, ein Gegengewicht zur russischen Dominanz im Osten aufzubauen sowie das Bild Polens als eines Mediators zwischen der EU und den Staaten der Schwarzmeerregion zu schaffen. Auch wenn die Politik Kaczyńskis eher als symbolische Unterstützung der östlichen Staaten einzuordnen ist, hatte sie mit ihrem Schwerpunkt auf Fragen der Energiesicherheit doch auch eine reale Dimension.

Die neueste Ausprägung des Konzeptes ist die Drei-Meere-Initiative, die im Jahr 2015 vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda und der Präsidentin Kroatiens, Kolinda Grabar-Kitarović, gegründet wurde. Der erste Gipfel der Drei-Meere-Initiative fand am 25. und 26. August 2016 in Dubrovnik (Kroatien) mit Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, aber ohne die Ukraine statt. Die Teilnahme Österreichs sollte dem möglichen Vorwurf vorbauen, dass hier ein Graben zwischen dem sogenannten alten und dem neuen Europa ausgehoben würde. Nach Aussage des österreichischen Botschafters in Polen, Thomas Buchsbaum, in einem Interview sei die "Drei-Meere-Initiative" kein politisches, sondern ein Infrastrukturprojekt, das insbesondere die Nord-Süd-Korridore der Energie-, speziell der Gasversorgung, betreffe sowie auch andere Kommunikationswege. "Ihr Ziel ist die wirtschaftliche Belebung und die daraus erfolgende Verbesserung der sozialen Bedingungen in der Region." Der nächste Gipfel fand am 6. Juli 2017 in Warschau statt. An diesem nahm auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump teil, was den diplomatischen Rang des Ereignisses erhöhte und ihm eine transatlantische Perspektive gab. Das dritte Treffen wurde am 17. und 18. September 2018 in Bukarest (Rumänien) abgehalten und ein weiteres fand am 5. und 6. Juni 2019 in Ljubljana (Slowenien) statt.

Intermarium als Ausdruck euroskeptischer Haltungen

Welche Rolle spielt nun das Intermarium-Konzept in Polen im politischen, insbesondere im euroskeptischen, Diskurs? In einem sehr allgemeinen Verständnis bezieht sich Euroskeptizismus auf negative Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber dem europäischen Integrationsprozess als solchem, insbesondere in Gestalt der Europäischen Union. Den so verstandenen Euroskeptizismus gibt es mindestens so lange, wie es den europäischen Integrationsprozess gibt. Die wissenschaftlichen Definitionen und Typologien des Euroskeptizismus bieten indessen ein deutlich differenzierteres Bild. Paul Taggart und Aleks Szczerbiak, die Klassiker der Literatur zum Euroskeptizismus verfasst haben, bestimmen die negative Einstellung gegenüber der EU, der Idee der Integration als Ganzer und der EU-Mitgliedschaft als "harten" Euroskeptizismus, während die negative Haltung gegenüber einer der EU-Politiken (bei der Akzeptanz der EU als Ganzer) ein Kriterium des "weichen" Euroskeptizismus ist.

Mit Blick auf diese Kategorien ist zunächst festzustellen, dass die gegenwärtige Debatte über das Intermarium-Konzept in Polen an vielen Stellen Merkmale eines euroskeptischen Diskurses aufweist. Wichtige Politiker des konservativen Regierungslagers benutzen die Formel Intermarium, um Inhalte zu kommunizieren, die als euroskeptisch klassifiziert werden können. Dies ist auch insofern interessant, als im Allgemeinen eine deutliche Unterstützung der polnischen Gesellschaft für die Mitgliedschaft des Landes in der EU zu beobachten ist. Im gesellschaftlich-politischen Bereich trat das Phänomen des Euroskeptizismus erst im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Polens deutlich zutage, und im Grunde erst in der Phase vor dem Beitrittsreferendum im Jahr 2003. Die Einstellung ging mit dem Verhandlungsprozess über die Beitrittsbedingungen einher, als – wenn auch nur vorübergehend – offen euroskeptische Parteien auf der politischen Bühne auftraten, wie zum Beispiel die Liga der Polnischen Familien, sowie gemäßigt euroskeptische (die sich selbst als eurorealistische bezeichneten) wie beispielsweise Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS). Diese wiederum waren eine natürliche Folge der sinkenden Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft ab Mitte der 1990er Jahre bis zum Ende der Beitrittsverhandlungen im Dezember 2002. Eine positive Veränderung brachte erst die Intensivierung des Regierungsprogramms zur Informierung der Gesellschaft (Program Informowania Społeczeństwa – PIS), das ursprünglich eine reine Informations- und Aufklärungskampagne war. Angesichts der sinkenden Umfragewerte zur Mitgliedschaft Polens in der EU wandelte sie sich eindeutig in eine Werbekampagne und der Trend wendete sich. Seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 wuchs dann die Unterstützung für die Mitgliedschaft deutlich.

Eine Form des euroskeptischen Diskurses in der politischen Debatte in Polen kommt heute im Zusammenhang mit dem Intermarium-Konzept bzw. der Drei-Meere-Initiative zum Ausdruck. Da das Projekt "Präsidentenstatus" hat und die Hauptaktivitäten in diesem Bereich vom Präsidenten selbst bzw. eng mit ihm verbundenen Politikern initiiert wurden, werden im Folgenden Aussagen aus diesem Kreis angeführt. Präsident Andrzej Duda, der sich entschieden hat, die Drei-Meere-Initiative zu einer der Prioritäten seiner Präsidentschaft zu machen, konzentrierte sich – zumindest bei offiziellen Auftritten – auf technische Fragen und unterstrich gleichzeitig den pro-europäischen Charakter des Projektes: 2018 äußerte er sich in einem Zeitungsartikel: "Das Ziel der Drei-Meere-Initiative ist klar definiert, und zwar die infrastrukturellen Verzögerungen der Länder Mitteleuropas aufzuholen, die zwischen der Ostsee, der Adria und dem Schwarzen Meer liegen. Ich denke, dieses Ziel zu erreichen, wird die europäische Einheit stärken und nicht schwächen. Die Drei-Meere-Initiative ist also eine Idee zugunsten der europäischen Integration." Ähnlich äußerte sich Präsidentenberater Andrzej Zybertowicz, ebenfalls 2018 in der Presse: "Die Drei-Meere-Initiative ist kein Projekt gegen die EU. Eher ein Rettungsring, falls sich zeigen sollte, dass das Flaggschiff Europa mit einem Eisberg zusammenstoßen sollte. […] gegenwärtig kann das Drei-Meere-Projekt ein Plan B werden." Hier ist bereits die hypothetische Annahme enthalten, dass das europäische Projekt in einen Misserfolg münden könnte oder gar in eine Katastrophe und dass die Drei-Meere-Initiative dann für die betreffenden Länder eine Art Heilmittel und integrative Notfalllösung darstellen könnte. Das wäre nichts Schlechtes, doch wenn man weitere Aussagen des Präsidentenberaters zu diesem Thema berücksichtigt, lässt sich feststellen, dass sie mit einer fundamentalen Kritik an ausgewählten europäischen Politikbereichen wie der Geld- oder der Migrationspolitik verknüpft sind. Bereits 2017 äußerte sich Zybertowicz im Fernsehen: "Warum sollten wir uns nicht vorstellen, dass unter der Last der nicht durchdachten Migrationspolitik oder der Politik gegenüber dem Euro der westliche Teil der Europäischen Union zusammenbrechen wird und der östliche Teil, die Visegrád-Gruppe, befreundete Länder, weiter als gemeinsames Projekt bestehen bleiben. Wir sollten keine Angst haben, auch solche Szenarien zu entwerfen."

Bei der negativen Meinung über ausgewählte EU-Politikbereiche haben wir es also mit dem "weichen" Euroskeptizismus zu tun, die "harte" Ausprägung ist dagegen in einigen katastrophischen Entwürfen für die Zukunft des EU-Integrationsprojektes zu sehen. Typisch ist außerdem für den euroskeptischen Diskurs des Präsidenten und seines Umfelds, dass die Äußerungen eine sichtbar negative Haltung gegenüber anderen EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere Deutschland, beinhalten; diese werden im rechtskonservativen Diskurs vor allem in negativen Kategorien dargestellt. Im europäischen Kontext, und sogar da, wo sich der Diskurs auf technische Sachverhalte bezieht, wird der Begriff der Hegemonialmacht verwendet. "Es fehlt die Straßen- und Schieneninfrastruktur, die Energieinfrastruktur, letztlich die intellektuelle Infrastruktur, die den Norden mit dem Süden verbindet. Alle Schlüsselprojekte wurden horizontal entwickelt, von Ost nach West, derart, dass es erleichtert wird, die hegemoniale Position Deutschlands aufrecht zu erhalten und bis zu einem gewissen Grade auch die Frankreichs. Vertikale Verbindungen, die von oben nach unten verlaufen, fehlen in dieser Region", so abermals Zybertowicz 2018 in der Presse. Einen ähnlichen Ton schlägt Präsident Duda (2017) an: "Notwendig ist die Ausdifferenzierung des Beziehungssystems zwischen dem "Zentrum" und den von ihm bestimmten "Peripherien", dessen Wesen der einseitige Transfer politischer, ökonomischer und kultureller Lösungen ist. Das System abstrahiert sehr häufig von der nationalen Sensibilität und dem lokalen Kontext, der von der eigenen Geschichte und Tradition bedingt ist." Insbesondere die letzte Aussage unterstreicht die bedeutende Andersartigkeit der östlichen Peripherien der Europäischen Union, was für den Diskurs über die ausdifferenzierte Integration in Europa von Gewicht ist. Hier handelt es sich um die Kritik am Zentrum-Peripherie-System in der Europäischen Union, um die Kritik an verschiedenen Politikbereichen, die Vorhersage des Zusammenbruchs der EU. Das Intermarium-Konzept dagegen sei eine Art Antwort auf die vielen Defizite des Integrationsprojektes in Europa (als da wären die Hegemonie Deutschlands, die Abhängigkeitsverhältnisse, die "undurchdachten" Politiken Brüssels).

Der Ordnung halber sowie zur Kontrastierung sollen auch einige skeptische Aussagen gegenüber dem Intermarium-Konzept angeführt werden, die von Akteuren außerhalb des Regierungslagers getätigt wurden. Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates und vorher Ministerpräsident Polens, äußerte sich 2018 in einem Zeitungsartikel folgendermaßen: "Manche entwerfen ambitionierte Vorhaben in der Art der Drei-Meere-Initiative, die so lange attraktiv zu sein scheinen, wie sie keine klar umrissene Alternative zur EU als Ganzer sind."

Die Rolle des Präsidenten des Europäischen Rates gab Donald Tusk vor, den Zusammenhalt der Europäischen Union zu unterstreichen sowie auch die Gefahren in Form von illusorischen Alternativen zur Integrationshauptströmung. In ähnlichem Ton äußerte sich Jakub Majmurek 2017 im Magazin Nowa Europa Wschodnia (zu Deutsch: Neues Osteuropa): "Die Phantasievorstellungen eines Intermarium vergessen vollständig, dass niemand in der Region an einem solchen Bündnis und an der Führung Polens interessiert ist. […] Trotz innerer, populistischer und nationalistischer Rhetorik sind sie [die anderen Staaten, Anm. d. Übers.] wirtschaftlich mit Brüssel und vor allem mit Berlin verbunden – und nicht mit Warschau. Es gibt keine bedeutenden gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Kräfte, die lebhaft an einer lokalen Reorientierung der Politiken und Wirtschaften interessiert wären."

Sogar Vertreter der Staaten, die zur Drei-Meere-Initiative gehören, äußerten sich kritisch über sie, so wurde beispielsweise ein tschechischer Diplomat 2017 in der Presse zitiert: "Für uns ist die Idee der Drei-Meere-Initiative nicht zu akzeptieren. Das ist ein Konzept des 20. Jahrhunderts, ein Großmachtprojekt Piłsudskis. […] Prag schließt sich der Initiative Warschaus nicht an, das gemeinsam mit den Ländern Ostmitteleuropas eine Koalition gegen Deutschland und Frankreich aufbauen will."

Fazit

Das Ziel dieser Analyse war, das an Popularität gewinnende Intermarium-Konzept – und in seiner gegenwärtigen Reinkarnation das Konzept der Drei-Meere-Initiative – mit Blick auf die euroskeptische Narration des aktuellen politischen Diskurses in Polen darzustellen. Sowohl die Sprache als auch die Argumente, die für das Intermarium-Konzept eingesetzt werden, erlauben es, diesen Bereich des politischen Denkens sowohl dem "weichen" als auch dem "harten" Euroskeptizismus zuzuordnen. Die Analyse von Politikeraussagen des Regierungslagers, die hier beispielhaft angeführt wurden, zeigt, dass das Intermarium-Konzept als Interpretationsrahmen verwendet wird, um euroskeptische Inhalte zu transportieren. Es handelt sich dabei um Kritik am Zentrum-Peripherie-System der Europäischen Union, Kritik an verschiedenen Politikbereichen, die auf übernationaler Ebene umgesetzt werden, oder auch um die Vorhersage des Zusammenbruchs der EU. Dagegen fungiert das Intermarium-Konzept als Antwort auf die vielen Defizite des Integrationsprojektes in Europa (die Hegemonie Deutschlands, die Abhängigkeitsverhältnisse, die "undurchdachten" Politiken Brüssels). Obwohl das Intermarium-Konzept nie als eine Spielart geopolitischer Strategie umgesetzt wurde (und nichts darauf hinweist, dass dies gegenwärtig der Fall sein wird), lässt sich doch sein bedeutendes diskursives Potential in der polnischen politischen Debatte feststellen. Es verknüpft die attraktive Verbindung zum historischen "Goldenen Zeitalter" des jagiellonischen Polen mit der Antwort auf Herausforderungen der Zukunft, die sich aus äußeren Bedrohungen ergeben können (sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten). Damit gibt das Intermarium-Konzept auch eine Antwort auf die Frage nach der Rolle und dem Platz Polens in Ostmitteleuropa.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Dr. habil. Rafał Riedel ist Professor am Institut für Politologie der Universität Oppeln (Uniwersytet Opolski) und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen (Schweiz).