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Kommentar: Der deutsch-polnische Vertrag – das Erbe lebt weiter | bpb.de

Kommentar: Der deutsch-polnische Vertrag – das Erbe lebt weiter

Dr. Tomáš Strážay

/ 3 Minuten zu lesen

Der Vertrag und wie er implementiert wurde kann heute noch als Inspiration dienen. Zum Beispiel für die Beziehungen zwischen der Slowakei und Ungarn, die immer noch problematisch sind. (© picture-alliance, Winfried Rothermel | Winfried Rothermel)

Aus Anlass des 30. Jahrestages des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages hat die Redaktion der Polen-Analysen um einen Kommentar zu den deutsch-polnischen Beziehungen aus slowakischer Sicht gebeten.

Als die Repräsentanten Polens und Deutschlands den deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit (1991) unterzeichneten, machten sie einen großen Schritt in Richtung freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Zusätzlich gaben sie anderen Ländern in der weit gefassten Region Mitteleuropa ein Beispiel. Von Verträgen dieser Art wird immer erwartet, dass sie das Fundament für die Entwicklung gegenseitiger Beziehungen zwischen Nachbarn legen und die Annäherung zwischen den Menschen und Nationen unterstützen, die auf beiden Seiten der Grenze leben. Indessen braucht es weitere Initiativen, denn die Annäherung besteht nicht in dem einen Akt, sondern ist als Prozess zu verstehen, welcher der fortlaufenden Aufmerksamkeit beider Seiten bedarf.

Aus historischer Perspektive gehörten die deutsch-polnischen Beziehungen zweifellos zu den konfliktreichsten in Europa. Durch die Vertragsunterzeichnung zeigten die politisch Verantwortlichen von Deutschland und Polen deutlich, dass sie lieber in die Zukunft blicken, als die bitteren Kapitel der Vergangenheit wieder zu öffnen. Das hatte bedeutende Auswirkungen auf die Region Mitteleuropa, die stabil blieb und in der keine offenen Konflikte zutage traten. Gleichzeitig war der Anfang der 1990er Jahre in den Nachbarregionen Ost- und Südosteuropa nicht nur von der Euphorie der (wieder-)erlangten Freiheit geprägt, sondern auch von Tendenzen der Desintegration und Gewaltausbrüchen im ehemaligen Jugoslawien sowie der Sowjetunion.

Der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen war auch für die damalige Tschechoslowakei von wesentlicher Bedeutung. Der deutsch-polnische Vertrag ging dem Vertrag voraus, der zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1992 geschlossen wurde. In gewisser Weise waren die Entwicklungen zwischen Deutschland und Polen eine Inspiration für die Tschechoslowakei und später die Slowakei.

Die Trennung der tschechoslowakischen Föderation führte zu der Situation, dass die unabhängig gewordene Slowakei keine direkte Grenze mit Deutschland hat. Trotzdem fasste die Slowakei Deutschland weiter als ihr Nachbarland auf. Natürlich waren Deutschland und Polen auch an der Entwicklung der slowakisch-ungarischen Beziehungen interessiert, da diese von Spannungen und Vorbehalten gekennzeichnet waren. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass die slowakisch-ungarischen Beziehungen zu den problematischsten in Mitteleuropa zählen. Der Grundlagenvertrag, den die Slowakei und Ungarn 1995 unterzeichneten, zwei Jahre nach Gründung der Slowakischen Republik, sollte einen neuen Anfang in den bilateralen Beziehungen herbeiführen. Jedoch war nicht einmal die Unterzeichnung selbst sicher. Hier spielte die Vermittlung des Ministerpräsidenten von Frankreich, Edouard Balladur, eine wichtige und konstruktive Rolle. Auch die Implementierung des Grundlagenvertrages gestaltete sich problematisch – einige seiner Teile sind bis heute nicht umgesetzt. Diese Situation ist also kaum mit dem deutsch-polnischen Fall vergleichbar.

Der deutsch-polnische Vertrag eröffnete Möglichkeiten, gemeinsame Institutionen zu gründen, deren Ziel die Annäherung zwischen den beiden Ländern und ihren Gesellschaften ist. Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit oder das Deutsch-Polnische Jugendwerk sind hier Beispiele. Vielfältige Projekte und Austauschinitiativen, insbesondere für die junge Generation, haben deutlich zu einem besseren Verständnis des Nachbarn auf der anderen Seite der Oder und Neiße beigetragen. Gewiss gibt es immer noch Themen, welche die Beziehung zwischen Deutschland und Polen überschatten, was sich insbesondere in den Äußerungen mancher Politiker widerspiegelt. Aber die positive Entwicklung auf der gesellschaftlichen Ebene überwiegt die Probleme, nicht zuletzt dank der Arbeit der genannten Institutionen.

Es ist bedauerlich, dass ähnliche Initiativen im slowakisch-ungarischen Fall immer noch fehlen. Das führt dazu, dass die Mehrheitsgesellschaften beiderseits der Donau eher nebeneinander als miteinander leben, ungeachtet der offenen Grenzen. Die ungarische Minderheit in der Slowakei wird immer noch als ein desintegrierender und nicht als ein integrierender Akteur betrachtet. Das gemeinsame Geschichtsbuch bleibt unvollendet und daher unveröffentlicht. Verschiedene offene bilaterale Themen werden nicht im Dialog diskutiert, sondern unilateral geregelt oder einfach unter den Teppich gekehrt. Programme, die gemeinsame langfristige Projekte und Austausch unterstützen würden, fehlen entweder vollständig oder erfahren keine systematische Unterstützung von Seiten der Regierung…

Das Vermächtnis des deutsch-polnischen Vertrages lebt auch in Mitteleuropa noch weiter. Der Vertrag selbst und insbesondere die Art und Weise, wie er implementiert wurde, können immer noch als Inspiration für die Slowakei und Ungarn dienen – die beiden Länder, die sich darauf berufen, sehr enge Beziehungen sowohl mit Polen als auch mit Deutschland zu haben.

Übersetzung aus dem Englischen: Silke Plate

Fussnoten

Dr. Tomáš Strážay ist Direktor der Slovak Foreign Policy Association (SFPA), Bratislava (Slowakei).