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Editorial | Bevölkerungsentwicklung | bpb.de

Inhalt Editorial Entwicklung der Weltbevölkerung Ergebnisse international vergleichender Forschung Zur aktuellen Lage der Weltbevölkerung Geschichte der Bevölkerungswissenschaft Soziale Auswirkungen der demografischen Entwicklung Internationale Bevölkerungspolitik Chancen und Perspektiven Glossar: Demografische Begriffe Literaturhinweise und Internetadressen Autor, Impressum und Anforderungen

Editorial

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Christine Hesse

Am 31. Oktober 2011 lebten nach offizieller Verlautbarung der Vereinten Nationen (United Nations Population Fund – UNFPA) sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Innerhalb der vergangenen 50 Jahre hat sich die Erdbevölkerung mehr als verdoppelt, nach Prognosen wird sie bis 2050 auf rund 9,3 Milliarden, bis zum Ende des Jahrhunderts auf zehn Milliarden ansteigen, wobei das größte Wachstum auf die Länder des Südens entfallen wird.

In den wohlhabenden Industrieländern verläuft der Trend dagegen schon seit Jahrzehnten in die Gegenrichtung: Nachdem auch hier zunächst Verbesserungen des Gesundheitswesens und effektivere Methoden zur Nahrungsmittelerzeugung und Rohstoffverwertung speziell die Säuglingssterblichkeit reduziert und die allgemeine Lebenserwartung verlängert hatten, schrumpft inzwischen die Bevölkerung. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung wird in den nächsten 40 Jahren voraussichtlich um 25 Prozent abnehmen. Vorreiter dieser Entwicklung ist Deutschland. Es nimmt vorweg, was trotz bislang fortdauernden Wachstums auch im Erdmaßstab ab der kommenden Jahrhundertwende prognostiziert wird: einen Bevölkerungsrückgang, vor allem durch besser ausgebildete Frauen, die weniger Kinder bekommen oder kinderlos bleiben, und eine Zunahme des Anteils älterer Menschen dank stetig steigender Lebenserwartung. Diese verlängerte sich in Deutschland im 20. Jahrhundert um 30 Jahre, 2060 wird jeder dritte Bundesbürger über 60 Jahre alt sein.

Beide Entwicklungen, das Bevölkerungswachstum in den Ländern des Südens und der Bevölkerungsrückgang in den Industrieländern, haben Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen. Das Bevölkerungswachstum wirft Fragen nach der Verfügbarkeit von Nahrung, Wasser und anderen Ressourcen auf, die für das Überleben notwendig sind. Der Klimawandel verstärkt den bedrohlichen Charakter dieser sich zuspitzenden Probleme. Der Bevölkerungsrückgang wiederum bedeutet für ein staatliches System wie das der Bundesrepublik Deutschland neue Herausforderungen für die Systeme der sozialen Sicherung, für die Alters- und Gesundheitsfürsorge, für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Produktion, den Kapital- und Immobilienmarkt. Er tangiert sowohl den allgemeinen Lebensstandard wie die Regionalstrukturen.

Vor sieben Jahren, als dieses Heft erstmals erschien, rückten die demografisch bedingten Herausforderungen in Deutschland erstmals ins öffentliche Bewusstsein. Inzwischen ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen, doch Anpassungsmaßnahmen lassen vielerorts immer noch auf sich warten. Das ist nachvollziehbar, berühren sie doch empfindliche Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenhalts und bedürfen demokratischer Legitimation.

Dieses Heft wurde durch den Autor, Herwig Birg, vollständig auf Basis der neuesten Erkenntnisse und Berechnungen aktualisiert. Es zeigt internationale Trends der Bevölkerungsentwicklung genauso auf wie die europäischen und deutschen Besonderheiten und gibt Einblick in die wissenschaftlichen Berechnungsmethoden, mit denen diese Trends ermittelt werden. Der kurze Abriss über die Geschichte der Bevölkerungswissenschaft nennt wesentliche Positionen, die noch heute kontrovers diskutiert werden. Die Irrwege einer biologistisch-rassistischen Sicht auf Bevölkerungsfragen, die im NS-System staatlich umgesetzt wurden, hatten zwischenzeitlich zur Folge, dass im Nachkriegsdeutschland lange Zeit in der Öffentlichkeit wie in der Politik Scheu herrschte, demografisch bedingte Probleme anzugehen.

Inzwischen ist die Öffentlichkeit sensibilisiert, und neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden hinzugezogen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Auf globaler Ebene liegt der Schlüssel sicherlich im Bemühen um nachhaltige Entwicklungsstrategien, die einen schonenden Umgang mit der Umwelt sowie Anstrengungen für eine möglichst gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Ressourcen vorsehen. Mit besonderem Nachdruck müssen Maßnahmen verfolgt werden, die eine bessere Ausbildung der Mädchen und Frauen zum Ziel haben.

In den Industrieländern gilt es, die bestehenden Systeme zukunftsfähig zu machen. Auf dem Prüfstand stehen gesellschaftliche Vorgaben, Werthaltungen, staatliche Lenkungsmaßnahmen und individuelle Verhaltensmuster.

Auf der Basis prognostizierter und berechenbarer Entwicklungen werden Zukunftsszenarien vorgestellt, Konfliktpotenziale analysiert und kreative Lösungen angesprochen. So bietet das Heft die Grundlage für eine Diskussion, der wir eine breite Beteiligung wünschen.

Christine Hesse