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Finanzpolitik | bpb.de

Finanzpolitik

Dominic Heinz

Definition und Begriff1

Finanzpolitik ist bereits früher definiert worden als „… die institutionellen, prozessualen und inhaltlichen Aspekte des Handelns, das auf verbindliche Regelung von Konflikten über Struktur, Zusammensetzung und Veränderung der Staatsfinanzen gerichtet ist.“ (Schmidt 2004, S. 228). In mehrfacher Hinsicht wird aus dieser (eher breiten und umfassenden) Definition deutlich, dass Finanzpolitik kein Politikfeld wie andere Politikfelder ist, denn die Verfügbarkeit von Finanzen eröffnet oder verschließt Handlungsmöglichkeiten. Daher hat die Finanzpolitik für jedes andere Politikfeld eine besondere Rolle. Weiterhin ist die Finanzpolitik teilweise überlappend und teilweise vorgelagert mit/zu anderen Politikfeldern wie der Haushalts-, der Wirtschafts- oder der Steuerpolitik. Insofern berührt Finanzpolitik gleichzeitig andere Politikfelder und ist dennoch ein eigenständiges Politikfeld. Seine Entsprechung findet dies in der besonderen Rolle der Finanzminister in den Kabinetten nicht nur von Bund und Ländern in Deutschland, sondern in allen demokratischen Systemen. Nicht selten dient die Aussprache in der jährlichen Haushaltsdebatte der Kritik (und dem Lob) der Politik der gesamten Regierung.

Darüber hinaus verfolgt jede politische Entität in Deutschland (Gemeinde, Land, Bund) ihre eigene Finanzpolitik, denn jede Entität ist autonom in ihrer Entscheidung über die Finanzen. Finanzpolitik ist demnach geprägt vom Zusammenwirken aller Politikbereiche und aller territorialen Ebenen, wie sie in theoretischen Arbeiten zur Politikverflechtung eine Rolle spielen. Der Zwang auf Bund, Länder und Gemeinden zu kooperieren steht im Grundgesetz eine spezifische Aufgabenverteilung gegenüber. Während Gemeinden formal zur territorialen Selbstverwaltung gehören, führen Länder Bundessgesetze aus, die vom Bund unter Beteiligung des Bundesrates beschlossen werden. Daher hat auch der Bundesrat bzw. die Regierungen der Länder eine gleichberechtigte Mitsprache bei der Entscheidung über Bundesgesetze. In dem Sinne findet im Bundesrat eine Gewaltenverschränkung statt, da die ausführende Gewalt (Regierungen der Länder) an der Gesetzgebung im Bund teilnehmen und damit gleichzeitig zur gesetzgebenden Gewalt gehört. Weder ist damit der Bund „Kostgänger der Länder“ noch sind die Länder „Pensionäre“ des Bundes wie es früher zunächst im Deutschen Reich oder später in der Weimarer Republik der Fall war (Schmidt 2004, S. 228). Stattdessen sind beide (Bund und Länder) in der Finanzpolitik aufeinander angewiesen und weder der Bund noch die Länder können für die eigenen Einnahmen und Ausgaben, noch für die Einnahmen und Ausgaben des Gesamtstaates eigene Wege gehen. Dieses gegenseitige aufeinander angewiesen sein, nannte unter anderem Fritz Scharpf in der Vergangenheit Zwangsverhandlungssystem (Scharpf 1991, S. 18). In der Vergangenheit gingen Bund und Länder unterschiedlich mit dem Zwang zur Kooperation um, so dass sich seit 1949 eine Entwicklung sehen lässt in der Bund und Länder ohne die jeweils andere Ebene handeln konnten.

In Deutschland wird der Finanzausgleich notwendig, weil einzelne Länder nicht die ihnen zugewiesenen Aufgaben ausführen können. Eine dieser Aufgaben ist in Artikel 84 des Grundgesetzes (GG) niedergelegte Aufgabe Bundesgesetze als eigene Aufgabe auszuführen. In Artikel 107 des Grundgesetzes (GG) wird festgehalten, dass die Länder über eine ausreichende Finanzkraft verfügen müssen und Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern ausgeglichen werden müssen. In diesem Verständnis schließen die Länder ihre Gemeinden mit ein. Doch das Grundgesetz (GG) schildert nur das Ziel des Ausgleichs der Finanzkraft, aber die dazu gehörenden Einzelheiten regelt das Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (FAG) (Tab. 1).

Stufen des Finanzausgleichs. (Quelle: Schaubild des Bundesfinanzministeriums)

Tab. 1

Stufe 1

Länderfinanzausgleich

(Art. 107 GG und FAG)

Horizontal

Einnahmeorientiert

Stufe 2

Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen

(Art. 107 GG und FAG)

Vertikal

Stufe 3

Sonderlastenbundesergänzungszuweisungen

(Art. 107 GG und FAG)

Bedarfsorientiert

Entwicklung in der Bundesrepublik

Manfred G. Schmidt unterscheidet vier Phasen der Finanzpolitik. Die erste Phase wird mit „Aufbauphase“ überschrieben und von den Jahren von 1949 bis 1965 eingeteilt. In dieser Zeit ging es vor allem um die Bewältigung der Kriegsfolgen bzw. es ging um die Integration von Flüchtlingen und Wohnraum/Wiederaufbau. Die zweite Phase nennt Schmidt „Reformphase“ von den Jahren 1965 bis etwa 1975. Diese Phase war geprägt vom Sputnik Schock und der so genannten Bildungsexpansion. Beide Phänomene ließen so genannten die Finanzpolitik nicht unbeeinflusst. In der dritten Phase von etwa 1975 bis zur Deutschen Einheit 1990 ging es in der Finanzpolitik um eine Konjunkturstimulierung und eine finanzielle Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Die vierte Phase seit der Deutschen Einheit sei geprägt durch (für die damaligen Verhältnisse) neue Herausforderungen wie der Finanzierung der Deutschen Einheit, eine aufwendige Sozialpolitik und hohe Staatsverschuldung (Schmidt 2004, S. 229). Aus heutiger Sicht stellt die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 eine weitere Zäsur da, die durch die Föderalismusreform II in Deutschland auch ihren politischen Niederschlag gefunden hat (vgl. Heinz 2012). Statt einer chronologischen Gliederung der Finanzpolitik, wird im Folgenden eine inhaltliche Aufteilung der Finanzpolitik vorgenommen, die für das politische System Deutschlands deutliche Prägungen hinterlassen hat. Eine dieser Prägungen ist das System aus getrennten und gemeinsamen Steuern von Bund und Ländern, die beide territorial definierten Ebenen einerseits abhängig, aber andererseits zur gleichen Zeit auch unabhängig voneinander machen.

Steueraufteilung

Ein Ausdruck, dass der Bund und die Länder aufeinander angewiesen sind, ist der Umstand, dass der Bundesrat den Steuergesetzen im Bund zustimmen muss. Der Bund kann die Steuergesetze nicht im Alleingang verabschieden, denn solche Bundesgesetze über Steuern, „… deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt …“ (Art. 106 GG), muss auch der Bundesrat zustimmen. Das heißt, der Bund kann seine eigenen Steuern nur mit Zustimmung des Bundesrates ändern, aber gleichzeitig kann der Bund nicht auf die Steuergesetze der Länder Einfluss nehmen. Bund und die Länder sowie Gemeinden müssen sich die vermeintlich großen Steuern (also die ertragsreichsten Steuern) teilen (vgl. Art. 106 GG). Die Körperschaftssteuer teilen sich Bund und Länder hälftig. Darüber hinaus erhalten Bund und Länder je 42,5 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer, so dass Gemeinden und Gemeindeverbände 15 Prozent des Aufkommens der Steuer erhalten. Von der Abgeltungssteuer oder Zinsabschlagsteuer erhalten Bund und Länder je 44 Prozent und 12 Prozent die Gemeinden. Die Umsatzsteuer gehört ebenso zu den gemeinsamen Steuern von Bund, Länder und Gemeinden, ihre Verteilung ist aber nicht im GG geregelt. Die Akteure verhandeln daher um die Anteile der Umsatzsteuer, so dass diese in der Literatur als variables Element bezeichnet wird, das die laufenden Einnahmen mit den notwendigen Ausgaben überein bringen soll. Für die Haushaltspolitik spielt dieses Element eine wichtige Rolle. Allerdings gibt es keine gemeinsame Definition von laufenden Einnahmen und notwendigen Ausgaben.

Weitere kleinere Steuern folgen dem Trennprinzip je nach territorialer Entität. Entsprechend des Aufkommens der Steuerquellen fallen etwa 70 Prozent den Gemeinschaftssteuern zu und dem entsprechend gehören etwa 30 Prozent des Steueraufkommens dem getrennten Steueraufkommen.

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Innerhalb des Trennprinzips gehören zu den Bundessteuern:

Die Länder verfügen über folgende Steuereinkünfte:

Gemeindesteuern:

• Energiesteuer

• Grunderwerbsteuer

• Grundsteuer

• Tabaksteuer

• Schenkungssteuer

• Vergnügungssteuer

• Versicherungssteuer

• Rennwettsteuer

• Schankerlaubnissteuer

• Stromsteuer

• Biersteuer

• Jagdsteuer

• Branntweinsteuer

• Lotteriesteuer

• Fischereisteuer

• Schaumweinsteuer

• Spielbankabgabe

• Hundesteuer

• Alkopopsteuer

• Erbschaftssteuer

• Getränkesteuer

• Solidaritätszuschlag

• Lotteriesteuer

• Kaffeesteuer

• Kraftfahrzeugsteuer. Dabei muss erwähnt werden, dass der Ertrag der Kraftfahrzeugsteuer ganz auf den Bund über gegangen ist und die Länder dafür einen Festbetrag als Kompensation erhalten.

• Auch die Gewerbesteuer fällt den Gemeinden zu, allerdings werden auch Bund und Länder durch eine Umlage an dem Aufkommen der Gewerbesteuer beteiligt.

Tabellenbeschreibung

(Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Bundesfinanzministeriums)

Finanzausgleich

Ungeachtet der Ergiebigkeit der Steuerverteilung, ist die Finanzkraft im Territorium Deutschland ungleich verteilt. Doch Bürgerinnen und Bürger haben im ganzen Bundesgebiet die gleichen Ansprüche an den deutschen Staat (in der Verfassung festgelegte Ziele gleichwertiger bzw. einheitlicher Lebensverhältnisse bei der Ausführung von Bundesgesetzen in allen Regionen Deutschlands zu erreichen). Die Unterschiede zwischen Ansprüche der Bevölkerung und der Finanzkraft der Bevölkerung macht einen Ausgleich der Finanzkraft zwischen Bund und den Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander notwendig. Diesem Ziel widmet sich der Finanzausgleich. Er findet über verschiedene Instrumente zwischen Bund und Länder vertikal und zwischen den Ländern horizontal statt. Die Instrumente im vertikalen Finanzausgleich sind die so genannten Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen und die so genannten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen. Bisher werden Sonderbedarfe zugesprochen bei den Kosten politischer Führung, dem Abbau teilungsbedingter Sonderlasten, Übergangsbundesergänzungszuweisungen und Hilfestellungen in Haushaltsnotlagen. Falls nach diesen Sonderbedarfen der Länder noch nicht gedeckte Lücken verbleiben, decken diese die Fehlbetragsergänzungszuweisungen. Der horizontale Länderfinanzausgleich, also der Ausgleich zwischen den Ländern stellt den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne dar. Um zu ermitteln, ob (und wenn ja wie hoch) ein Land einen Ausgleich erhält (oder zahlen muss) wird eine Finanzkraftmesszahl mit einer Ausgleichsmesszahl gegenübergestellt. In die Errechnung der Finanzkraftmesszahl eines Landes werden die Gemeinden zur Hälfte mit einbezogen. In diesen Messzahlen werden die Besonderheiten der Länder (z. B. Stadtstaaten, Hafenlasten, etc.) abgebildet. All diese Berechnungen sind politisch umstritten und Veränderungen in der Berechnungsmethode führen zu mehr oder weniger Umverteilung zwischen den Ländern.

Bund und Länder erzielen durch die unterschiedlichen Steuern Einnahmen, denen unterschiedliche Ausgaben gegenüberstehen. Das Zusammenspiel zwischen Einnahmen und Ausgaben der politischen Entitäten, wie Bund, Länder und Gemeinden, wird als der Finanzausgleich im weiteren Sinne bezeichnet. Die Einnahmen in diesem Kontext werden auch der aktive Finanzausgleich genannt und die Ausgaben werden als passiver Teil des Finanzausgleichs im weiten Sinne bezeichnet. Dabei ist es eine offene Frage, ob die Ausgaben den Einnahmen folgen sollen oder umgekehrt. In der Konsequenz könnten dort, wo es viele Einnahmen gibt, auch viele Ausgaben getätigt werden. Umgekehrt könnten die Entitäten, die geringe Einnahmen verzeichnen auch nur geringe Ausgaben tätigen. Erst wenn in Entitäten die Ausgaben höher sind als die Einnahmen werden Zuweisungen von anderen Entitäten (Ländern, Gemeinden, Mitgliedsstaaten oder der Bund) nötig. Mit anderen Worten werden dann Zuweisungen nötig, die als Finanzausgleich im engeren Sinne verstanden werden. Naturgemäß sind Fragen, wer wieviel abgibt und wer wieviel bekommt in hohem Maße politisch und diese Fragen sind durch Streit und dem zu Folge auch durch Gerichtsurteile gekennzeichnet. In dem Bereich Finanzausgleich handelt es sich um ein klassisches Verteilungsproblem, bei dem alles, was verteilt wird, vorher einer anderen Entität weggenommen werden muss.

Haushaltspolitik

Haushaltspolitik besteht in der Aufstellung von Einnahmen und Ausgaben in öffentlichen Haushalten. Ob Veränderungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 auf internationaler Ebene wie dem „Financial Stability Board (FSB)“ zur Haushaltspolitik gehören soll an dieser Stelle offen bleiben. Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 blieben nicht nur auf die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern beschränkt. Haushalte in Bund und Ländern wurden nach einem älteren Verständnis von Haushaltspolitik einfach ausgeführt. Zwar hat das Land Preußen den Zweiten Weltkrieg und den Politikwechsel von Deutschland als autoritären Staat zu einer Demokratie nicht überlebt, aber diese Praxis der Haushaltspolitik (also die simple Ausführung des Haushaltsplans) überlebte im Gegensatz dazu den angesprochenen Politikwechsel hin zur Demokratie. Das bedeutete, dass die Planung des Haushalts ein ebenso technischer Akt war, wie die Ausführung der Pläne für die öffentlichen Haushalte. Dieses technische Verständnis von Haushaltspolitik erscheint allerdings nicht mehr angemessen für moderne Staaten in modernen Ökonomien. Darüber hinaus ging es der Politik in Deutschland nicht mehr nur um den Wiederaufbau aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern immer mehr auch um den Erhalt des einmal erreichten Wohlstandes, so dass Wirtschaftswachstum dafür als notwendige Vorbedingung gesehen wurde. Eine technische Exekution des Haushaltsplans von Bund und Ländern passte nicht mehr in diese Konzeption. Vielmehr musste auch die Haushaltspolitik der (wie damals geglaubt wurde) zyklischen Entwicklung des Wirtschaftswachstums Rechnung tragen. Dabei sah vor allem der Keynesianismus in der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage den Schlüssel für gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung. Eine moderne Haushaltspolitik für diese Zeit stellte sich in den Dienst der Nachfragesteuerung. Entsprechend galt die Nachfrage als Schlüssel für Wachstum.

Die Ideologie von Keynes hatte in der Großen Koalition der Jahre 1966 bis 1969 mit der Errichtung des Finanzplanungsrates ihren Ausdruck gefunden. Vor dem Hintergrund der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern erforderte keynsianische Haushaltspolitik eine Koordination von Bund und Ländern in der Haushaltspolitik. In der Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit stimmten sich die Haushaltspolitiken von Bund und Ländern im Gremium des so genannten Finanzplanungsrates zwischen pro- und antizyklischen Maßnahmen ab. Prozyklische Maßnahmen der einen, territorialen Ebene und antizyklische Maßnahmen der anderen, territorialen Ebene hätte die Effektivität von Haushalts- und Finanzpolitik beeinträchtigt. Weitere Maßnahmen für eine frühzeitige Glättung der Konjunktur, um Depressionen und Rezessionen zu vermeiden waren der Konjunkturrat und die Konzertierte Aktion. Alle drei Maßnahmen wurden im „Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum“ festgehalten. In der Realität fand eine Koordination der Haushaltspolitik allerdings kaum statt, da der Finanzplanungsrat nur Empfehlungen aussprechen konnte, die nicht bindend für Bund und Länder waren (Gurgsdies 2005, S. 4–5).

Eine Koordination der Einnahmen in der Haushaltspolitik von Bund und Ländern erfolgte genauso wenig wie die Koordination der Ausgaben. Ein zentraler Punkt für die Haushaltspolitik von Bund und Ländern sind neben den Steuereinnahmen, und dem Finanzausgleich auch die so genannten Deckungsquoten und deren Ausgleich (Art. 106 des Grundgesetzes). Deckungsquoten sind die Prozentzahlen der Ausgaben von Bund und Ländern, die ohne Kreditaufnahme finanziert werden. Doch für diesen Ausgleich gab es keine einheitliche Methodik, weil diese zwischen Bund und Ländern umstritten war. Es war dabei insbesondere fraglich, welche Ausgaben aus Staatsschulden und welche Ausgaben aus den Anteilen der Umsatzsteuer finanziert werden sollte. Unabhängig von den Quoten, wie viel ihrer Ausgaben jede Ebene über Staatsschulden bzw. Umsatzsteuereinnahmen finanziert, war es für die Länder von hoher Bedeutung gegenüber dem Bund als geschlossene Einheit aufzutreten (Gurgsdies 2005, S. 1–3).

Gegenstand der Beratungen des früheren Finanzplanungsrates war die „richtige“ Finanzpolitik. Gleichzeitig war der so genannte Finanzplanungsrat als Beratungsgremium auf einen möglichst breiten Konsens ausgelegt. In den Jahren 1997 und 2002 gelang es dem Finanzplanungsrat aus wahltaktischen Gründen nicht Empfehlungen über die richtige Finanzpolitik auszusprechen (Gurgsdies 2005, S. 6). Unabhängig vom wahltaktischen Kalkül verfolgte der Finanzplanungsrat seit 1995 eine konstante Linie der Ausgabenbeschränkung. Dies erlangte Bedeutung in den Haushaltsberatungen der Länder, weil sich die Haushälter bei Wünschen der Fachpolitiker hinter diese Ausgabenempfehlungen des Finanzplanungsrates zurückziehen, und die Wünsche nach zusätzlichen Ausgaben abwehren konnten. 1995 betrug die empfohlene Ausgabensteigerung 3 %, 1996 reduzierte der Finanzplanungsrat die Empfehlung der Ausgabensteigerung auf 2 % und ab 2002 mit dem Vertrag von Maastricht erfolgte eine Reduktion der Ausgabensteigerung auf 1 % (Gurgsdies 2005, S. 6).

Der Vertrag von Maastricht brachte die Bundesregierung in die unglückliche Lage das gesamtstaatliche Defizit von Deutschland zu verantworten, obwohl die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Länderhaushalte und die Haushalte der Gemeinden hat. Als Ausweg aus dem Dilemma verpflichtete die Bundesregierung die Länder im Zuge der Verhandlungen zum Solidarpakt II die Neuverschuldung zurück zu führen und das Ziel der ausgeglichenen Haushalte anzustreben. Doch schon Anfang der 1990er-Jahre war umstritten, ob der Finanzplanungsrat einzelnen Ländern Empfehlungen für dieses Ziel der Rückführung der Neuverschuldung vorgeben darf oder nicht. So errichtete die Bundesregierung kein Überwachungsmechanismus, obwohl die Verfehlung der Maastricht Kriterien 2002 absehbar waren. Stattdessen erreichte die Bundesregierung eine Aufteilung der Sanktionszahlungen der EU zwischen Bund und Ländern in einem Beschluss des Finanzplanungsrates aus dem Jahr 2002 (Gurgsdies 2005, S. 7). Der Inhalt des Beschlusses vom Finanzplanungsrat bzw. die Aufteilung der möglichen Strafzahlungen durch die Europäische Kommission wurde später in das Grundgesetz in Artikel 109 Absatz 5 übernommen.

Schon unmittelbar nach der Einheit Deutschlands gerieten die Haushalte einiger Länder nach eigener Auffassung in eine Notlage, so dass die betreffenden Länder (Saarland, Berlin und Bremen) Zahlungen der Bundesregierung für notwendig erachteten. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Sichtweise der betroffenen Länder in dem Urteil aus dem Jahr 1992 (BVerfG 1992, S. 259). Im Jahr 2004 liefen die Konsolidierungshilfen aus dieser ersten Klage auf eine Haushaltsnotlage der Länder Saarland und Bremen (vom Jahr 1992) aus, so dass die Länder weitere Klagen auf Haushaltsnotlagen vorbereiteten. In der Zeit von 1992 bis 2005 erhielt Bremen 8,6 Mrd. und das Saarland 6,6 Mrd. Euro vom Bund (Färber 2006, S. 1), ohne dass dadurch die Haushaltsnotlage abgewendet wurde. Zudem klagte Berlin erneut vor dem Bundesverfassungsgericht, weil es sich (wie das Saarland und Bremen) auch in einer Haushaltsnotlage sah und nach finanzieller Hilfe von der Bundesregierung suchte. In einem weiteren Urteil des BVerfG im Jahr 2006 erkannte das Gericht in Berlin keine Haushaltsnotlage. Seit dem Urteil gilt der Grundsatz, dass eine Haushaltsnotlage erst dann besteht, wenn dadurch eine Gefährdungssituation für den Bund gegeben ist. Darüber hinaus wiederholte das Gericht seine Kritik an der bestehenden Haushaltspolitik und mahnte den Bundesgesetzgeber an ein System zur Abwehr von Haushaltsnotlagen zu etablieren (BVerfG 2006).

Das BVerfG urteilte kurz vor der Konstituierung der Föderalismuskommission II von Bund Ländern. Das Timing bescherte der Großen Koalition aus Union und SPD ein geeignetes Thema für die Kommission. Denn die FDP machte eine weitere Föderalismuskommission von Bund und Ländern über deren Finanzen zur Bedingung für die Zustimmung zur Föderalismusreform I. Sie war das erste große politische Projekt der Großen Koalition und wichtig, um zu zeigen dass die Große Koalition nicht für Stillstand und Blockade stand. Dies galt besonders für die zweite Große Koalition im Bund, weil Union und SPD nach der Bundestagswahl 2005 weniger Zweitstimmen als bei der Bundestagswahl 2002 errungen hatten.

Zur regulären Sitzung der Föderalismuskommission II kam es nicht mehr, weil zu der Zeit die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 in Deutschland einsetzte. Da ein erstes Konjunkturprogramm zur Rettung von Banken (der so genannte „Bankenrettungsschirm“) die politischen Kapazitäten und Ressourcen von allen Akteuren verschliss, vertagte die Föderalismuskommission II nach der Sommerpause die Oktober 2008 Sitzung. Besonders diese Krise zeige, dass Haushalts- und Finanzpolitik über mehr Handlungsspielraum verfügen müsse und es daher keiner zusätzlichen, verfassungsmäßigen Restriktionen bedürfe. Als die Bundesregierung im Januar 2009 ein zweites Konjunkturprogramm (das so genannte „Konjunkturpaket II“) auflegte, um der Wirtschaft einen singulären Wachstumsimpuls zu geben, sorgte dies für die höchste jährliche Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit dem durch die Krise verursachte Rückgang des Wirtschaftswachstums stiegen die Staatsschulden durch die Konjunkturprogramme auf über 80 % des BIP. Dabei beabsichtigte die Bundesregierung, die das zu verantworten hatte, die Neuverschuldung einzudämmen und nicht zu erhöhen. Jedoch erwiesen sich die Konjunkturprogramme als letztes verbliebenes Mittel der Politik zur Konjunktursteuerung, da die Geldpolitik mit einem Zins der Zentralbank(-en) von nahe null Prozent bereits kaum mehr Wirkung erzielten konnte. Die Bundesregierung handelte mit dem Konjunkturpaket II auf Grund von externen Umständen in extremer Weise gegen ihre eigentlichen parteipolitischen Präferenzen. Um die ursprünglichen Präferenzen der Rückführung der jährlichen Neuverschuldung zu bekräftigen, drängte vor allem die Unionsfraktion im Bundestag auf die Einführung von Mechanismen für eine stabile Haushalts- und Finanzpolitik in der Föderalismuskommission II. Neben der Überführung des Finanzplanungsrates in den Stabilitätsrat beinhaltete die Föderalismuskommission II sowohl für den Bund, als auch für die Länder die Vorgabe, dass der Bund ab dem Jahr 2016 und die Länder ab 2020 ohne neue strukturelle Staatsverschuldung auskommen müssen. Zwar erlaubte die Föderalismuskommission II die konjunkturelle Staatsverschuldung, aber die dazu erlaubten Staatsschulden sollten auf einem Kontrollkonto vermerkt werden. Erst in der Praxis entwickelten sich später nach der Föderalismuskommission unterschiedliche Praktiken wie zwischen struktureller und konjunktureller Staatsverschuldung zu unterscheiden ist. Ebenso wurde das Kontrollkonto auch auf null zurückgesetzt, weil Staatsschulden seit dem Höhepunkt des Jahres 2010 zurückgeführt wurde.

Zu dem Zweck der Rückführung von Staatsschulden sollte der frühere Finanzplanungsrat in ein neues Gremium, den Stabilitätsrat, überführt werden. Dieses neue Gremium wurde von Bund und Ländern in der Föderalismuskommission II anstatt des Finanzplanungsrates installiert. Der Finanzplanungsrat entsprach dem damaligen Zeitgeist. Der Stabilitätsrat dient heute zur Koordinierung der Haushalte (§ 51 Haushaltsgrundsätzegesetz) und erkennt Haushaltsnotlagen und schlägt Maßnahmen zur Abwehr von Haushaltsnotlangen vor (Artikel 109a GG). Neben der Koordination der Haushaltspolitik überwacht der Stabilitätsrat den Ausgabenpfad der Konsolidierungshilfenländer (§ 2 Absatz 2 Konsolidierungshilfengesetz) und nimmt die Berichte zum Aufbau Ost entgegen (§ 11 Absatz 3 Finanzausgleichsgesetz). Mitglieder des Stabilitätsrates sind die Finanzminister von Bund und Länder sowie ein persönlich benannter Stellvertreter. Der Bundeswirtschaftsminister wird als Mitglied des Stabilitätsrates faktisch immer durch den Finanzminister vertreten. Seit dem 05. Dezember 2013 besteht im Stabilitätsrat ebenfalls ein unabhängiger Beirat. Die nationale Umsetzung des europäischen Stabilitätspaktes erforderte eine deutliche Untermauerung der Neutralität des Stabilitätsrates. Diesem Zweck widmet sich seit dem Dezember 2013 der unabhängige Beirat. Er besteht aus insgesamt neun Personen. Der Beirat spricht dem Stabilitätsrat Empfehlungen aus. Allerdings ist es unklar wie der Stabilitätsrat mit den Empfehlungen umgeht. Der Stabilitätsrat dient also der deutschen und der europäischen Haushalts- und Finanzpolitik durch die Umsetzung der Haushalts- und Finanzregeln.

Der Stabilitätsrat ist in Art. 109a in der Verfassung verankert, gründet sich unterhalb der Verfassungsebene mit dem Stabilitätsratsgesetz auf eine eigene Rechtsgrundlage und dient nicht der Beratung von Gesetzesentwürfen. Damit unterscheidet sich der Stabilitätsrat von den Konferenzen der Fachminister oder der Ministerpräsidentenkonferenz, die die Verfassung gar nicht erwähnt. Vielmehr geht es dem Stabilitätsrat um eigene Entscheidungen über die Haushalte der einzelnen Länder bzw. den Haushalts des Bundes. Erstmals geht es damit nicht um territoriale Ebenen wie früher im Finanzplanungsrat, sondern um jeden einzelnen Haushalt. Das Timing der Entscheidung im Stabilitätsrat spielt eine wichtige Rolle, weil der Stabilitätsrat über die Haushalte in Bund und Länder genau zu dem Zeitpunkt diskutiert an dem die Entwürfe der Haushalte für das folgende Jahr beraten werden. Es bleibt eine offene Frage, ob die neue Institution des Stabilitätsrates für eine Rückführung der Schuldenquote sorgte oder nicht andere Faktoren wie eine gute wirtschaftliche Entwicklung oder ein gesellschaftlicher Konsens zu Gunsten ausgeglichener Haushalte. Jedenfalls ist die Schuldenquote Deutschlands (sowohl gemessen in absoluten Werten wie in Euro oder in relativen Werten wie als Prozent zum Bruttoinlandsprodukt) seit dem Jahr 2010 (also nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009) zurück gegangen auf unter 2 Billionen Euro, so dass Deutschland das Maastricht Kriterium von maximal 60 Prozent Staatsverschuldung am Wirtschaftswachstum einhält.

Bezüge zum Europäischen Mehrebenensystem

Bezüge der deutschen Finanzpolitik zum Europäischen Mehrebenensystem bzw. der Europäischen Union (EU) bestehen vor allem im so genannten Europäischen Semester und der gegenseitigen Überwachung der Ausgaben. In der Steuerpolitik nennt die EU zwar Anteile an ertragreichen Gemeinschaftssteuern sowie Zölle und Abgaben ihre Eigenmittel, jedoch verbleibt eine Vergemeinschaftung der Steuerpolitik immer noch ein Ziel für die Zukunft. Das Gleiche gilt für einen EU weiten Ausgleichsmechanismus vergleichbar mit dem Länderfinanzausgleich. Egal ob dieser Ausgleichsmechanismus horizontal oder vertikal gemeint ist, verbleibt diese Aufgabe ein Projekt für die Zukunft. Bisher jedenfalls gibt es Ausgleichmechanismen in Deutschland und in der EU wird allenfalls über die Ausgaben der nationalen Haushalte berichtet. Das gilt trotz der gemeinsamen Währung im Euroraum. In der Finanzpolitik zeigt sich damit eine Gleichzeitigkeit von europäischer Zusammenarbeit (bei der gemeinsamen Währung und der Überwachung der Ausgaben) mit dem Ungleichzeitigen dem nationalen Vorbehalt bei allen Fragen zu Finanzausgleich und Steuerverteilung. Um beide Aspekte der Gleichzeitigkeit und der Ungleichzeitigkeit zu fassen ist der Begriff des Europäischen Mehrebenensystems angebrachter, als der Begriff der EU.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Dominic Heinz

Fussnoten