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Migrations- und Integrationspolitik | bpb.de

Migrations- und Integrationspolitik

Holger Kolb

Trotz des prominenten Diktums von Migration und Integration als ‚zwei Seiten derselben Medaille‘ beschreiben Migrations- und Integrationspolitik Politikfelder, die sich zielgruppenspezifisch, strukturell und hinsichtlich der Kompetenzverteilung im politischen Mehrebenensystem deutlich unterscheiden. Während als Migrationspolitik staatlicherseits definierte Zuzugs-, Niederlassungs- und Abweisungsregelungen für Personen ohne die Staatsangehörigkeit des entsprechenden Landes subsumiert werden, beschreibt Integrationspolitik das Bündel staatlicher Maßnahmen, das Personen, denen im Rahmen einer migrationspolitischen Entscheidung Zutritt bzw. das Recht, im Land zu bleiben, gewährt wurde, zur Verbesserung ihrer Eingliederung in wichtige Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens angeboten wird. In Anlehnung an Thym (2017, S. 169–216) lässt sich Integrationspolitik entsprechend als „Migrationsfolgenpolitik“ verstehen. Zwar zeigen sich empirisch immer wieder Verschränkungen und wechselseitige Bezugnahmen dieser beiden Politikbereiche etwa in Form einer über die Nachweispflicht von Integrationsleistungen und i. d. R. Sprachkenntnissen umgesetzten Konditionalisierung von Zuzugsrechten für Familienangehörige. Als heuristische Unterscheidung bleibt eine klare Unterscheidung zwischen Migrations- und Integrationspolitik allerdings hilfreich.

Migrationspolitik

Zentrales Konstruktionsmerkmal der Migrationspolitik zahlreicher Länder ist eine Zweckbasierung, die das Migrationsgeschehen entlang voneinander abgrenzbarer Motive kategorisiert. Das Aufenthaltsgesetz, die entscheidende migrationspolitische Rechtsgrundlage in Deutschland, unterscheidet für Drittstaatsangehörige bspw. klassisch zwischen „Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung“ (Abschn. 3), „Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ (Abschn. 4), „Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“ (Abschn. 5) sowie „Aufenthalt aus familiären Gründen“ (Abschn. 6). Dieser sektorale Ansatz findet sich darüber hinaus auch auf der europäischen Ebene. Quer zu dieser motivbasierten Kategorisierung stehen primärrechtlich abgesicherte innereuropäische Freizügigkeitsrechte, die Unionsbürgerinnen und -bürgern das Recht vermitteln, sich europaweit ohne die Pflicht der Nennung eines spezifischen Migrationsmotivs gegenüber den Behörden der Migrationsverwaltung niederzulassen.

Migrationspolitische Kompetenzen im Mehrebenensystem

Der Vertrag von Amsterdam (1997) markiert den Beginn eines bis heute anhaltenden Prozesses einer Verlagerung gesetzgeberischer Kompetenzen im Bereich der Migrationspolitik von der mitgliedsstaatlichen auf die europäische Ebene. Am weitesten vorangeschritten ist dabei der Bereich der Asylpolitik. 2013 wurde auf europäischer Ebene schließlich ein umfangreiches Bündel an Verordnungen und Richtlinien verabschiedet mit der Folge, dass seitdem von einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) gesprochen werden kann. Angesichts spätestens 2015 offensichtlich gewordener Funktionsdefizite des GEAS finden derzeit auf europäischer Ebene Verhandlungen zu dessen Weiterentwicklung statt. Im Zentrum dabei stehen die Stärkung der in diesem Politikfeld aktiven EU-Institutionen, ein Instrumentenwechsel im Sekundärrecht, in dessen Rahmen Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen, durch unmittelbar rechtswirksame Verordnungen ersetzt werden sollen, sowie die Reform der Dublin-Verordnung, die als asylpolitisches Zuständigkeitsprinzip festlegt, dass grundsätzlich der Staat der Ersteinreise für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Während Einigkeit erzielt werden konnte, die im Bereich der Asylpolitik relevanten EU-Institutionen, das Europäische Asylunterstützungsbüro (EASO) sowie die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten (Frontex), deutlich aufzuwerten und diese als Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) bzw. Europäische Asylagentur (EUAA) fungieren werden, sind die Verhandlungen im Bereich der Umwandlung von Richtlinien in Verordnungen sowie zu einer Reform der Dublin-Verordnung bislang gescheitert. Ebenfalls als weitreichend einzustufen sind die europarechtlichen und menschenrechtlichen Vorgaben im Bereich des Familiennachzugs. In diesem Bereich ist bereits 2003 mit der Familiennachzugsrichtlinie ein verbindlicher europarechtlicher Rahmen etabliert worden. Am geringsten ausgeprägt ist die europarechtliche Überformung der Migrationspolitik hingegen im Bereich der Erwerbs- und der Ausbildungsbildungsmigration. Bis zur Verabschiedung der als ‚Blue Card‘ bekannten Hochqualifiziertenrichtlinie 2009 blieb dieses Segment sogar vollständig europarechtsfrei. Seitdem ist allerdings mit 5 verabschiedeten Richtlinien auch in diesem Segment ein europarechtlicher Rahmen definiert worden, den die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Ausarbeitung migrationsspezifischer Normen berücksichtigen müssen. Im Vergleich zu den stark europäisierten Bereichen Flucht und Asyl sowie Familie sind mitgliedsstaatliche Handlungsspielräume allerdings an dieser Stelle noch stärker vorhanden. Dies erklärt auch, dass Ende 2017 sowie Anfang 2018 in den deutschen Bundestag eingebrachte Entwürfe für ein Einwanderungsgesetz sich nahezu ausschließlich dem Bereich der Erwerbsmigration widmeten (SVR 2018, S. 36).

Jenseits in der Vergangenheit im Zuge der voranschreitenden Europäisierung beobachtbarer Kompetenztransfers auf die supranationale Ebene herrscht im Bereich der Migrationspolitik eine klare Zuständigkeit des Bundes. Im Grundgesetz (GG) ist die Kompetenz für die „Freizügigkeit, das Passwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung“ im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes verortet. Der Bereich des „Aufenthalts- und Niederlassungsrechts der Ausländer“ fällt zwar in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Allerdings hat der Bund an dieser Stelle die im GG festgelegte Möglichkeit genutzt, bundesgesetzliche Regelungen zu erlassen, von denen die Länder nicht durch eigene Regelungen abweichen können. Ein migrationspolitisch unmittelbar relevanter Handlungsspielraum für die Bundesländer besteht damit in Deutschland (jenseits ihrer Vollzugskompetenzen und -pflichten im Bereich des Ausländerrechts) nicht.

Zur Geschichte der Migrationspolitik in der Bundesrepublik Deutschland

Die erste bedeutende migrationspolitische und für die Integrationspolitik bis heute außerordentlich folgenreiche Entscheidung der Bundesregierung nach dem zweiten Weltkrieg war die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer aus verschiedenen südeuropäischen (v. a. Italien, Türkei, ehem. Jugoslawien) und nordafrikanischen Ländern. Zwischen 1955 und 1973, dem Jahr des Anwerbestopps, kamen auf der Grundlage bilateraler Abkommen zwischen den jeweiligen Arbeitsverwaltungen auf diesem Weg mehr als 2,5 Millionen Arbeitnehmer nach Deutschland (dazu ausführlich Herbert 2001, S. 202–230). Als migrationspolitisch bedeutsam erwies sich des Weiteren der Beginn der 1990er-Jahre. Weitgehend parallel zum mit dem Zusammenbruch des Ostblocks eintretenden sprunghaften Anstieg von als Teil der „nationalen Schicksalsgemeinschaft“ definierten und rechtlich als Statusdeutsche gemäß Art. 116 Abs. 1 GG behandelten Aussiedlern erhöhte sich der Zuzug von Flüchtlingen v. a. aus dem in einem Bürgerkrieg versunkenen Jugoslawien. Folge war ein in der öffentlichen Wahrnehmung verkürzt als ‚Asylkompromiss‘ wahrgenommener Migrationskompromiss zwischen Unionsparteien und SPD (Bade 1994, S. 123). Zum einen wurde dabei das deutsche Asylrecht, das bis dahin weit über die Erfordernisse des Völkerrechts hinausging und einen subjektiv-öffentlichen Rechtsanspruch auf politisches Asyl beinhaltete, an die Entwicklungen in und Standards anderer Mitgliedsstaaten der EU angepasst. Zugleich wurde damit die Grundlage geschaffen, an den damals gerade verhandelten europäischen Assoziierungsabkommen von Dublin und Schengen teilnehmen zu können. Zum anderen kam es zu deutlichen Änderungen im Bereich der Zugangsoptionen für aufgrund ihres Status als deutsche Volkszugehörige besonderen Regelungen unterworfenen Aussiedler. Mit dem 1992 verabschiedeten Kriegsfolgenbereinigungsgesetz wurde eine Nachweispflicht des vorher automatisch als gegeben angenommenen „Vertreibungsdrucks“ für alle Personen außerhalb der Nachfolgestaaten der Sowjetunion ebenso eingeführt wie die Beschränkung der Zuzugsmöglichkeit auf vor dem 01.01.1993 geborene Personen. Dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz folgten in späteren Jahren weitere Regulierungen (z. B. Nachweispflicht einfacher Deutschkenntnisse im Herkunftsland), in deren Folge die Zahlen zuziehender Aussiedler drastisch sanken (Joppke 2005, S. 170–188). Nach dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung 1998 kam es neben einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, in dessen Rahmen erstmals das Territorialprinzip bei der Staatsbürgerschaftsvergabe Eingang in das deutsche Recht fand, auch zu Vorbereitungen, das seit 1991 gültige Ausländergesetz grundlegend zu ersetzen. Nach langen parteipolitisch geprägten Auseinandersetzungen kam es 2005 schließlich zur Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes (ZuwG), eines Artikelgesetzes, das u. a. das Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die aktuell gültige zentrale Rechtsgrundlage im Bereich der Migrationspolitik, etablierte. Im AufenthG wurden zum einen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die Grundsätze für die staatliche Integrationspolitik definiert, zum anderen damit begonnen, die deutsche Migrationspolitik stärker utilitaristisch auszurichten und das Land für international umworbene hochqualifizierte Personen attraktiv zu machen. An die in der Erstfassung des ZuwG noch sehr zaghaften Öffnungsversuche schlossen bald weitere Liberalisierungen der Erwerbsmigrationspolitik an, die schließlich im Rahmen der Umsetzung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie 2012 und der Verabschiedung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2019 ihren Höhepunkt fanden. Deutschland gehört damit ausweislich der Einschätzung verschiedener Organisationen wie bspw. der OECD in diesem Bereich zu den liberalsten Einwanderungsländern weltweit. Die ab 2015 stark in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückte Flüchtlingskrise hat schließlich zu zahlreichen rechtlichen Änderungen im Bereich der Asylpolitik geführt. Im Zentrum standen dabei allerdings bis auf wenig ertragreiche Versuche, an der deutschen Grenze einseitige Zurückweisungen von in anderen Ländern bereits registrierten Asylbewerbern durchzuführen, weniger Versuche der Migrationssteuerung i. e. S., sondern vielmehr Bemühungen der Beschleunigung von Asylverfahren, der Verbesserung der Integration von als schutzberechtigt anerkannten Personen sowie der Rückführung von Personen mit negativem Ausgang des Asylverfahrens.

Integrationspolitik

Unter Integrationspolitik allgemein zu verstehen sind mit dem Ziel erlassene staatliche Maßnahmen, Eingliederungsprozesse von Personen, die selbst zugwandert sind, sowie von deren Nachkommen in zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu erleichtern. Zur Präzisierung der im Rahmen von Integrationspolitik möglichen staatlichen Handlungsspielräumen ist grundsätzlich eine doppelte Unterscheidung hilfreich: so bietet sich einerseits eine Unterscheidung zwischen Spezialmaßnahmen im Sinne von exklusiv Personen mit Migrationshintergrund zur Verfügung gestellten Programmen und eines an den spezifischen Belangen der Gruppe ausgerichteten Umbaus der politischen Regelstrukturen an. Verschiedene Untersuchungen haben dabei – ohne die Berechtigung der Bereitstellung von migrantenexklusiv angebotenen Spezialmaßnahmen generell in Frage zu stellen – einen integrationspolitischen Bedeutungsgewinn einer (oft nicht als Integrationspolitik markierten) Anpassung der Regelstrukturen herausgestellt. Darüber hinaus lässt sich Integrationspolitik vor dem Hintergrund des jeweils gewählten politischen Steuerungsansatzes analysieren. Dabei idealtypisch unterschieden werden kann zwischen regulativ, distributiv und persuasiv angelegter Integrationspolitik (dazu ausführlich Blätte 2017). Erstere umschreiben dabei Maßnahmen zur Normierung des Verhaltens individueller Akteure, als klassisches Beispiel in diesem Bereich kann die auch in Deutschland praktizierte sanktionsbewährte Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs gelten. Eine lange Tradition in der Integrationspolitik haben distributive Maßnahmen bspw. in Form des Aufbaus und der Aufrechterhaltung spezifischer Dienstleistungs- und Beratungsangebote. Schließlich gehören zum staatlichen Portfolio von Integrationspolitik auch persuasive Maßnahmen, die symbolisch, ohne Verpflichtung und ohne den umfassenden Einsatz finanzieller Ressourcen versuchen, gesellschaftliche Teilhabe von Zuwanderern zu fördern. Klassische Beispiele persuasiver Integrationspolitik sind die Ausrichtung sog. Integrationsgipfel, in dessen Rahmen sich die politischen Akteure, Medien, die Sozialpartner sowie Migrantenverbände über verschiedene Aspekte von Integrationspolitik austauschen.

Integrationspolitische Kompetenzen im Mehrebenensystem

Vom Feld der Migrationspolitik unterscheidet sich die Integrationspolitik nicht zuletzt hinsichtlich der Verortung politischer Zuständigkeiten und Kompetenzen. Während im Bereich der Migrationspolitik sektorenübergreifend eine Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene zu beobachten ist, bestehen für die EU im Bereich der Integrationspolitik lediglich koordinierende Kompetenzen. Dazu gehört auch die in vielen Feldern eingesetzte Offene Methode der Koordination (OMK), über die als empfehlungswürdig angesehene Programme identifiziert und zur Adaption beworben werden. Von dieser Form eines Soft Law-Arrangements abgesehen verbleibt die Kompetenz im Bereich der Integrationspolitik auf der nationalstaatlichen Ebene. Eine Verortung integrationspolitischer Kompetenzen im deutschen Föderalismus ist angesichts der beschriebenen doppelten Unterscheidung in allgemeine und zielgruppenspezifische Maßnahmen einerseits sowie unterschiedliche Formen der politischen Steuerung andererseits komplex. Vor allem die im deutschen politischen System klar auf die Ebene der Bundesländer verlagerte Kompetenz für das Schulwesen bzw. das Bildungssystem und die offensichtliche Bedeutung von Bildungserfolg für individuelle Integrationsprozesse gibt allerdings Anlass, den Ländern eine herausgehobene Rolle im Bereich der Integrationspolitik zuzuschreiben. Daneben gehört in vielen Fällen die Finanzierung landesspezifischer Integrations- und Förderprogrammen zum ihrem Portfolio. Schließlich wurden in einigen Ländern in den letzten Jahren spezifische Integrationsgesetze verabschiedet. Ihr Wert liegt neben einer Selbstverpflichtung zur interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung und zu einer regelmäßigen Berichterstattung zu den Fortschritten im Bereich der Integration vor allem darin, Integrationspolitik als Aufgabenbereich symbolisch-kommunikativ herauszustellen und aufzuwerten. Hauptinstrument einer spezifischen Integrationspolitik des Bundes ist das mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 eingeführte System verpflichtender Integrationskurse, die sich strukturell an dem über die sozialpolitische Großreform der ‚Agenda 2010‘ etablierten sozialpolitischen Leitprinzip eines ‚Förderns und Forderns‘ ausrichten. Als wichtige Maßnahme der Integrationspolitik auf Bundesebene zu nennen ist auch das 2012 mit dem Ziel verabschiedete Anerkennungsgesetz des Bundes, im Ausland erworbene berufliche Qualifikationen schneller hinsichtlich einer möglichen Gleichwertigkeit zu deutschen Standards zu bewerten. Relevant als integrationspolitischer Akteur ist der Bund aber auch über allgemeine Maßnahmen wie bspw. die finanzielle Förderung des Ausbaus von Kinderbetreuungseinrichtungen, da der Besuch einer solchen Einrichtung nachgewiesenermaßen den Bildungserfolg von Kindern, deren Eltern kein Deutsch sprechen, befördert. Eine integrationspolitische Relevanz weisen darüber hinaus auch die Kommunen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung und dabei besonders im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben auf. Die Erfüllung solcher Aufgaben kann von den Ländern finanziell gefördert werden.

Zur Geschichte der (spezifischen) Integrationspolitik in der Bundesrepublik Deutschland

Trotz erheblicher Zuzugszahlen verstand sich Deutschland über viele Jahre nicht als Einwanderungsland mit der Folge, dass Integrationspolitik als staatliches Aufgabenfeld lange Jahre im Verborgenen blieb. Als integrationspolitisch relevante Akteure der 1970er- und 1980er-Jahre erwiesen sich v. a. die Unternehmen und Gewerkschaften, über die die soziale und wirtschaftliche Integration der angeworbenen ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefördert wurde. Dazu beigetragen hat bspw. auch die Gleichstellung ausländischer Arbeitskräfte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und die darüber begründete Einbindung in allgemeine betriebliche Arrangements und Aushandlungssysteme. Vorreiter auf der staatlichen Ebene waren einige Kommunen, die bereits in den 1970er- und 1980er-Jahre begannen, lokal begrenzt und vor allem mittels eines Ausbaus der Strukturen der sozialen Arbeit integrationspolitisch zu wirken. Die Länder entfalteten spezifische integrationspolitische Aktivitäten ab der Jahrtausendwende, als – inspiriert von Maßnahmen auf der kommunalen Ebene – länderspezifische Konzepte und Aktionspläne erarbeitet wurden. Pioniere waren dabei Hessen und Bremen. Seit 2010 ist zudem ein Trend, integrationspolitische Zielsetzungen der Länder stärker gesetzlich zu normieren, zu erkennen. Dem Beispiel Berlins, ein Partizipations- und Integrationsgesetz zu verabschieden (2010), sind mittlerweile Nordrhein-Westfalen (2012), Baden-Württemberg (2015) und Bayern (2016) gefolgt. Integrationspolitisch aktiv wurde der Bund v. a. über das Zuwanderungsgesetz und die darüber eingeführten Integrationskurse. Diese bestehen aus zwei Elementen, zum einen aus einem Sprachkurs, der in der Regel 600 Stunden umfasst und zum anderen aus einem 100-stündigen Orientierungskurs, in dessen Rahmen Alltagswissen sowie Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands vermittelt werden sollen. Begleitet wurde diese Form einer regulativen Integrationspolitik durch freiwillige Angebote wie die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE), die Jugendmigrationsdienste (JMD) und Kurse zur berufsbezogenen Sprachförderung. Durch eine ausdifferenzierte Projektförderung werden darüber hinaus zahlreiche Angebote für einzelne Zielgruppen gefördert (distributive Integrationspolitik). Zu persuasiven Formen von Integrationspolitik zählen vor allem die Integrationsgipfel sowie die Deutsche Islamkonferenz und Kampagnen zur interkulturellen Öffnung der Bundesverwaltung. Das 2016 schließlich auf Bundesebene verabschiedete Integrationsgesetz hingegen ist inhaltlich eher ein Spezialgesetz, das darauf abzielt, eine spezielle Gruppe von Zuwanderern, in diesem Fall neu eingereiste Asylbewerberinnen und -bewerber, schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dafür werden die bestehenden Instrumente der Arbeitsförderung auch für Asylbewerberinnen und -bewerber, die ihr Verfahren noch nicht final durchlaufen haben, geöffnet. Zudem ermächtigt das Gesetz die Länder, über eine Wohnsitzauflage die Wohnortwahl anerkannter Flüchtlinge zu beschränken.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Holger Kolb

Fussnoten