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Politische Sprache | bpb.de

Politische Sprache

Heiko Girnth

Politische Sprache bezeichnet den Sprachgebrauch im Kommunikationsbereich Politik. Sie umfasst den Sprachgebrauch politischer Funktionsträger (Politiksprache), den Sprachgebrauch in den Medien (politische Mediensprache) sowie das Sprechen einzelner Bürgerinnen und Bürger und Gruppen wie etwa Interessensverbänden oder Nichtregierungsorganisationen über politisch relevante Sachverhalte (Sprechen über Politik). Damit einher geht ein weiter Politikbegriff, der sich als „staatliches oder auf den Staat bezogenes Handeln“ (Dieckmann 2005, S. 13) bestimmen lässt und zwar unabhängig von Funktion und Status der Akteure. Die politische Sprache weist darüber hinaus ein spezifisches Inventar an Wörtern (politische Lexik im engeren Sinne) und Textsorten bzw. Interaktionsformaten auf, die bevorzugt im Kommunikationsbereich Politik zur Anwendung kommen.

Grundlegend für eine enge Verknüpfung von Sprache und Politik ist die Annahme, dass Sprache das wichtigste Instrument politischen Handelns ist. Mit Hilfe von Sprache werden politische Handlungen vorbereitet, legitimiert und argumentativ ausgehandelt. Für die politischen Akteure geht es darum, strittige Sachverhalte positiv oder negativ darzustellen, die eigenen Positionen argumentativ zu stützen, sich glaubwürdig zu präsentieren und gleichzeitig die gegnerischen Positionen argumentativ anzugreifen. In den Massenmedien werden politische Inhalte vermittelt, kommentiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dies alles geschieht mit und durch Sprache, so dass Sprache „nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit“ (Girnth 20152, S. 1) ist. Politische Sprache besitzt zudem in besonderem Maße einen realitätskonstituierenden Charakter. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird vor allem über Sprache wahrgenommen und weniger durch direkte Erfahrung. Augenfällig wird dies bei der Verwendung konkurrierender Ausdrücke, die zwar auf den gleichen Sachverhalt Bezug nehmen, ihn aber unterschiedlich bewerten (Abschiebung vs. Rückführung, Terrorist vs. Freiheitskämpfer, Abtreibung vs. Schwangerschaftsabbruch). Auch wenn der politischen Sprache in der Politik eine entscheidende Rolle zukommt, darf sie nicht mit Politik gleichgesetzt werden. Zudem muss berücksichtigt werden, dass politische Sprache durch nonverbale Kommunikationsformen wie Bilder oder politische Symbole ersetzt oder ergänzt werden kann.

Ein elementares Merkmal politischer Sprache ist in erster Linie ihre spezifische Zweckgerichtetheit in Gestalt der persuasiven, integrativen, regulativen und poskativen Funktion. Die wichtigste Funktion ist Persuasion, also der Versuch, mit sprachlichen Mitteln Meinungen und Einstellungen der Adressaten zu beeinflussen. Da die persuasive Funktion oft mit der informativen Funktion gekoppelt ist, spricht man auch von der informativ-persuasiven Funktion politischer Sprache (z. B. Wahlreden, Debattenreden). Im Idealfall geht Persuasion dabei den Weg überzeugender Argumentation mit dem Ziel des Konsenses. Die parteiliche und machtbezogene Dimension der politischen Kommunikation lassen sich mit einer solchen idealtypischen Form der Persuasion allerdings nur unvollständig fassen, da der Austausch von Argumenten auch dem alleinigen Zweck der Offenlegung konträrer Positionen dienen kann und somit nicht konsens-, sondern dissensorientiert ist. Eine weitere Funktion ist die integrative Funktion, deren Zweck es ist, dass sich Mitglieder einer Partei/Gruppe/Organisation gemeinsamer kollektiver Überzeugungen versichern (z. B. Parteiprogramme, Gedenkreden). Die regulative Funktion ist auf die administrativ geregelte Kommunikation zwischen staatlichen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern bezogen (z. B. Gesetze, Erlasse), während die poskative Funktion Forderungen von Bürgerinnen und Bürgern/Verbänden etc. an die Regierenden umfasst (z. B. Petitionen, Manifeste).

Die charakteristischen Funktionen politischer Sprache korrespondieren mit so genannten Interaktionsrahmen oder Handlungsfeldern, also spezifischen Sach- und Handlungsbereichen, die den Kommunikationsbereich Politik konstituieren. Für die Bundesrepublik Deutschland lassen sich eine Reihe elementarer Handlungsfelder angeben, die in der Verfassung vorgegeben sind. Dazu zählen die „öffentlich-politische Meinungsbildung“, die „innerparteiliche Willensbildung“, die „politische Werbung“, die „Meinungs- und Willensbildung in Institutionen“ sowie die „Gesetzgebung“. Da die Funktionen politischer Sprache prinzipiell auch in der Alltagssprache, wenn auch mit anderen Gewichtungen, anzutreffen sind, erhalten diese ihren politischen Charakter erst durch die Zuordnung zu bestimmten Handlungsfeldern. So findet etwa die informativ-persuasive Funktion primär im Handlungsfeld „politische Werbung“ Anwendung, die regulative Sprachfunktion dagegen im Handlungsfeld „Gesetzgebungsverfahren“.

Zur Realisierung der Sprachfunktionen bedient sich die politische Sprache bestimmter sprachlicher Mittel, wozu insbesondere die politische Lexik und die politischen Texttypen/Interaktionsformate zählen. Die politische Lexik ist nur schwer von der alltagssprachlichen oder der Lexik anderer Fachsprachen abzugrenzen. Politik kann alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfassen. Wörter wie Klimawandel, Atomkraft oder Stuttgart 21 erhalten politische Brisanz, da die Sachverhalte, auf die sie Bezug nehmen, Gegenstand strittiger Auseinandersetzungen in der öffentlich-politischen Kommunikation sind. Viele Wörter, die im eigentlichen Sinne nicht politisch sind, werden in bestimmten Zusammenhängen semantisch aufgeladen und erhalten dann eine zusätzliche Bedeutung bzw. Wertung. Das Wort Heimat hat eine andere Bedeutung in dem Kontext die Heimat der Elefanten als in dem Kontext die Heimat der Sudetendeutschen, wo es mit zahlreichen Konnotationen überlagert werden kann. Dieser politische Gebrauch von Sprache muss von einer politischen Lexik im engeren Sinne unterschieden werden. Hier lassen sich mindestens drei größere Gruppen unterscheiden (vgl. Klein 1989; Girnth 20152, S. 56 ff.): das Institutionsvokabular, das Ressortvokabular und das Ideologievokabular. Das Institutionsvokabular umfasst Bezeichnungen für die einzelnen Institutionen, ihre Aufgaben und formale Praktiken wie z. B. Parlament, Entwicklungshilfe und Misstrauensvotum. Das Ressortvokabular umfasst Bezeichnungen innerhalb der jeweiligen Sachgebiete wie z. B. Bruttosozialprodukt, Mindestlohn und Umlagefinanzierung. Ein wichtiger Bestandteil des Ressortvokabulars sind semi-fachsprachliche Wörter wie Sparpaket, Fristenlösung oder Umweltprämie, mit deren Hilfe komplexe Sachverhalte prägnant und unter Umständen auch in persuasiver Absicht vermittelt werden sollen.

Für die politische Sprache besonders wichtig ist das Ideologievokabular, das aus den Bezeichnungen für die einer politischen Gruppierung bzw. der Gesellschaft zugrunde liegenden Wertvorstellungen und Denkmuster wie z. B. Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, oder Frieden besteht. Den Kernbestand des Ideologievokabulars bilden die so genannten Schlagwörter, die die Funktion haben, die komplexe Wirklichkeit vereinfachend darzustellen. Schlagwörter werben für die eigene Position und bekämpfen und diffamieren den Gegner. Aufgrund ihrer emotionalen Anziehungskraft besitzen sie ein großes Persuasionspotenzial. Ihnen kommt gruppenübergreifend eine positive oder negative Wertung zu (z. B. Demokratie, Frieden, Terrorismus, Diktatur).

Neben den Schlagwörtern bildet das Abgrenzungsvokabular einen wichtigen Bestandteil des Ideologievokabulars. Das Abgrenzungsvokabular besteht aus Wörtern, die einen parteilichen Standpunkt zum Ausdruck bringen und eine gewisse Brisanz besitzen. Sie können entweder als Fahnenwörter oder als Stigmawörter auftreten. Fahnenwörter haben eine positive Wertung und ihre Funktion besteht darin, die Eigengruppe aufzuwerten. Beispiele für Fahnenwörter sind Sozialismus, Partei der Mitte und soziale Marktwirtschaft. Oft spiegeln sich in Fahnenwörtern die programmatischen Grundlagen einer Partei wider. Stigmawörter dagegen besitzen negative Wertung und dienen dazu, den politischen Gegner bzw. dessen Standpunkte zu diffamieren. Als Beispiele seien hier Gewerkschaftsstaat, Lügenpresse oder Neoliberalismus genannt. Wörter können gleichzeitig als Fahnen- und Stigmawort gebraucht werden, wie das Beispiel Sozialismus zeigt.

Schlagwörter mit positiver Wertung sind oft Gegenstand so genannter semantischer Kämpfe. Dabei geht es darum, die Bedeutungs- und die Verwendungshoheit über ein Schlagwort zu erlangen und es so für die eigene Partei zu vereinnahmen. Ein Beispiel hierfür ist das Schlagwort soziale Gerechtigkeit, das parteiübergreifend eine positive Wertung hat und das sich nahezu jeder an seine Fahne heften will. Was genau unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen ist, was also dieses Schlagwort genau bezeichnet, ist abhängig vom jeweiligen ideologischen Standpunkt. Gemeinsam ist allen Standpunkten, dass mit sozialer Gerechtigkeit eine ungleiche Verteilung von Gütern, Lasten und Rechten thematisiert wird. Der Streit um soziale Gerechtigkeit dreht sich dabei vor allem um die Frage, nach welchen Kriterien die Güterverteilung erfolgen soll. Soziale Gerechtigkeit ist ein Beispiel von Bedeutungskonkurrenz, die typisch für den politischen Wettbewerb ist.

Neben der Bedeutungskonkurrenz spielt auch Bezeichnungskonkurrenz eine wichtige Rolle. Bei der Bezeichnungskonkurrenz stehen verschiedene Wörter zur Bezugnahme auf ein und denselben Sachverhalt zur Verfügung. Diese Wörter stellen jeweils unterschiedliche Sichtweisen auf den Sachverhalt heraus und bewerten diesen zumeist auch unterschiedlich. So kann man von genverändertem oder genmanipuliertem Mais sprechen, von Atomkraft oder von Kernenergie, von Freiheitskämpfern oder Terroristen und statt von Krieg von Mission, Friedens- oder Stabilisierungseinsatz. Zu persuasiven Zwecken besonders geeignet sind Wortzusammensetzungen (Komposita) und Metaphern. Mit Wortzusammensetzungen bietet sich den politischen Akteuren die Möglichkeit, bestimmte Eigenschaften des thematisierten Sachverhaltes besonders hervorzuheben. Sie enthalten oft bereits verkürzte Urteile, die nur bestimmte, im gruppenzifischen Interesse liegende Merkmale hervorheben, wie Solidaritätsabgabe, Öko-Steuer, Umweltprämie oder Energiewende. Auch Namen für Gesetze können auf diese Weise persuasiv genutzt werden, wie die Beispiele Gute-Kita-Gesetz oder Starke-Familien-Gesetz zeigen. Metaphern, die auch in Gestalt von Wortzusammensetzungen auftreten können, sind in der politischen Kommunikation unentbehrliche Mittel, um komplexe politische Sachverhalte zu vereinfachen, zu interpretieren und zu bewerten. Als Beispiele seien hier soziales Netz, Aufschwung, Sparpaket, Asylpaket II, Rettungsschirm, Schuldenbremse oder die im Zusammenhang mit dem Migrationsdiskurs verwendete Überschwemmungs- und Eindämmungsmetaphorik in Form von Ausdrücken wie z. B. Flut, Schwemme, Strom und Damm genannt. Durch den Gebrauch von Metaphern erscheinen politische Sachverhalte in einem neuen Licht und können vor dem Hintergrund bereits vertrauter Erfahrungen leichter vermittelt werden.

Der Kommunikationsbereich Politik verfügt über eine Vielzahl von Texttypen und Interaktionsformaten. Diese sind ebenso wie die Lexik Teil der Sprachhandlungskompetenz der politischen Akteure und müssen situationsangemessen verwendet werden. Texttypen sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen, wobei sowohl schriftliche als auch mündliche Texte in Frage kommen (z. B. Regierungserklärung, Parteiprogramm, politische Rede). Hinzu kommen sogenannte Interaktionsformate, die gesprächsorientiert sind und alle Formen mündlicher Interaktion innerhalb des Kommunikationsbereichs Politik umfassen (z. B. Interview, politische Talkshow, Pressekonferenz). Um die Menge an Texttypen und Interaktionsformaten zu ordnen, können diese nach bestimmten Kriterien klassifiziert werden. Für politische Texttypen bietet sich eine erste Grobklassifizierung nach den jeweiligen Textproduzenten an (vgl. hierzu Klein 2000). Als Produzenten von politischen Texttypen kommen in Frage:

Parlamente und parlamentsähnliche Versammlungen (z. B. Verfassung, Gesetz, Geschäftsordnung), Regierungen (z. B. Staatsvertrag, Regierungsbericht), Parteien (z. B. Wahlplakat, Parteiprogramm, Koalitionsvertrag), Politiker (z. B. Rücktrittserklärung, Zwischenruf, Wahlrede, Gedenkrede), Bürger/innen, Medien, Verbände (z. B. Pressekommentar, Volksbegehren, Memorandum). Die mündlichen Interaktionsformate lassen sich im Wesentlichen in drei größere Sprechhandlungsmuster einteilen (vgl. hierzu Klein 2001): Diskussion- und Debattenformate (z. B. Plenardebatte, politische Talkshow), Verhandlungsformate (z. B. Konferenz, Koalitionsverhandlung), Frage-Antwort-Formate (Parlamentarische Befragung, Anhörung).

In einer Gesellschaft, in der die Sprache in den Medien und die Wirkung der Medien auf die Kommunikation und auf die Konstruktion von Realität immer mehr an Relevanz gewinnt, werden für die politische Sprache das Internet mit seinen Online-Textsorten und die sozialen Netzwerke mit ihren spezifischen Kommunikationsformen wie Tweets, Facebook-Posts und Kommentare in Foren zunehmend wichtiger.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Heiko Girnth

Fussnoten