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Untersuchungsausschüsse | bpb.de

Untersuchungsausschüsse

Wilhelm Knelangen

Begriff und Aufgaben von Untersuchungsausschüssen

In der klassischen Gewaltenteilungslehre gilt der Untersuchungsausschuss als das schärfste Instrument, mit dem das Parlament die Regierung kontrollieren kann. Unter den Bedingungen eines parlamentarischen Regierungssystems wird es allerdings in erster Linie von der Opposition genutzt. Trotz ihres gemeinsamen begrifflichen Hintergrundes sind Untersuchungsausschüsse von Enquete-Kommissionen zu unterscheiden. Während letztere dazu dienen sollen, die Legislative mit grundlegenden Informationen für spätere Entscheidungen zu versorgen, zielen Untersuchungsausschüsse darauf, üblicherweise bereits abgeschlossene, mutmaßlich problematische Sachverhalte aus den Bereichen von Regierung, Verwaltung oder Parlament zu untersuchen. Ihre Arbeit befindet sich regelmäßig in einem Spannungsverhältnis zwischen der politischen Aufklärung ausgewählter Sachbereiche und dem Versuch der Opposition, der Regierungsmehrheit durch die Aufdeckung von exekutivem Fehlverhalten Nachteile in der Wählerzustimmung hinzuzufügen. Die Möglichkeit, einen solchen Ausschuss einzurichten, findet sich in den Verfassungen sowohl des Bundes als auch der Bundesländer. Der Untersuchungsauftrag muss sich auf einen Bereich beziehen, für den das jeweilige Parlament die Zuständigkeit besitzt.

Untersuchungsausschüsse des Bundestages

Art. 44 GG sieht das Recht des Bundestages und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor. Es handelt sich in Deutschland mithin um ein Minderheitenrecht. Einzelheiten werden im Untersuchungsausschussgesetz geregelt. Da die Stärke der beiden Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke in der 18. Wahlperiode (2013–2017) unterhalb der Viertelgrenze blieb, wurde die Schwelle für die Antragsberechtigung in der Bundestagsgeschäftsordnung auf 120 von 631 Mitglieder gesenkt. Seitdem gilt wieder das alte Quorum. Für das Gebiet der Verteidigung gelten besondere Regeln, denn nach Art. 45a GG besitzt der Verteidigungsausschuss selbst die Rechte eines Untersuchungsausschusses, wenn ein Viertel seiner Mitglieder beantragt, eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen.

Der Antrag auf Einsetzung bestimmt einen konkret beschriebenen Untersuchungsgegenstand, der nur mit Zustimmung der Antragsteller verändert werden darf. Seit 1949 wurden bislang (Stand: 01.02.2020) 46 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. In gut drei Viertel der Fälle ging die Einsetzung auf einen Antrag von Oppositionsfraktionen zurück. Zu den Ausnahmen, in denen die Anträge von Mehrheit und Opposition gemeinsam eingebracht wurden, zählen in jüngerer Zeit die Ausschüsse zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund und zum US-amerikanischen Geheimdienst NSA. Mit dem Einsetzungsantrag reagieren die Abgeordneten in der Regel auf eine bereits virulente öffentliche Debatte. Zudem geht ihm die Nutzung anderer Mechanismen der parlamentarischen Kontrolle (Fragen, Anfragen, Parlamentsdebatten) voraus.

Untersuchungsausschüsse haben den Auftrag der Beweiserhebung. Dafür stehen ihnen besondere Kompetenzen zur Verfügung. Sie können Zeugen und Sachverständige vernehmen; sie haben das Recht, deren Erscheinen und Aussagen zu erzwingen; sie dürfen Akten und Schriftstücke anfordern; Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. Wie weit diese Rechte gehen, war im konkreten Fall immer wieder umstritten. Das betrifft beispielsweise die Geheimhaltung von angeforderten Akten, mögliche Einschränkungen des Aussagerechts von Befragten, die Auskunftspflicht von Geheimdiensten oder die Reichweite des „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“, der der parlamentarischen Kontrolle grundsätzlich verschlossen bleibt.

Die Arbeit eines Untersuchungsausschusses darf nicht mit einem gerichtlichen Verfahren verwechselt werden. Die Logik des Parteienwettstreits und der Dualismus von Regierungsmehrheit und Opposition werden nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil: Die Planung der Ausschussarbeit, die Auswahl und Befragung von Personen und insbesondere die abschließende Beurteilung des zur Debatte stehenden Sachverhalts folgen wesentlich politischen Kriterien.

Dem Untersuchungsausschuss gehören ausschließlich Abgeordnete an, die die Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis benennen. Der Vorsitz, der ebenfalls nach Fraktionsstärke besetzt wird, leitet die Arbeit des Ausschusses. Der Ausschuss kann mit einer Zweidrittelmehrheit einen Ermittlungsbeauftragten bestimmen, der Vorarbeiten erledigt. Die Beweiserhebung erfolgt grundsätzlich in öffentlicher Sitzung, Beratung und Beschlussfassung hingegen nicht. Die Arbeit endet mit einem Abschlussbericht an den Bundestag, über den der Ausschuss mit Mehrheit abstimmt. Abweichende Sichtweisen können in Sondervoten dokumentiert werden. Die Arbeit des Ausschusses ist an die Wahlperiode gebunden.

Wirkungsweise von Untersuchungsausschüssen

In der Forschung haben Untersuchungsausschüsse bislang nur ein begrenztes Interesse gefunden. Ihre Wirkungsweise wird unterschiedlich eingeschätzt. In vielen Fällen ist es den Ausschüssen gelungen, problematische Entwicklungen aufzuklären und Vorschläge für die Verbesserung der Situation vorzulegen. Dabei ging die Initiative meistens von der Opposition aus. Daneben gibt es auch Beispiele für ein fraktionsübergreifendes Interesse an der gemeinsamen Untersuchung von Missständen. Untersuchungsausschüsse widmen sich niemals der Wahrheitsfindung allein, sie sind auch ein Mittel des politischen Kampfes. Deshalb sind sie vor dem Hintergrund der strategischen Kalküle der Fraktionen bzw. Parteien zu betrachten. Je näher der untersuchte Missstand mit dem Verhalten von (zumal aktuellen) Regierungsmitgliedern in Verbindung gebracht werden kann, desto eher ist deshalb zu erwarten, dass die Beweiserhebung von Regierung und Opposition eigenen Absichten folgt und die Schlussfolgerungen differieren. Wie erfolgreich Untersuchungsausschüsse sein können, hängt wesentlich von der Aufmerksamkeit ab, mit der die Öffentlichkeit und die Massenmedien ihre Arbeit verfolgen. Je komplexer sich der Sachverhalt darstellt, desto umfangreicher kann die Belastung ihrer Mitglieder werden. Jeder Einrichtung wird deshalb eine Abwägung vorausgehen, ob der zu erwartende politische Nutzen den erheblichen Ressourcenaufwand eines Ausschusses rechtfertigt. Die Ergebnisse der Arbeit werden häufig zu einem Zeitpunkt vorgelegt, an dem das öffentliche Interesse seinen Höhepunkt bereits hinter sich hat.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wilhelm Knelangen

Fussnoten