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Geschichten von Frauen | bpb.de

Geschichten von Frauen

Rabih El-Khoury

/ 4 Minuten zu lesen

Neben den bereits erwähnten Filmschaffenden gibt es in der Region auch eine starke neue Generation von Filmemacherinnen, die sich mit den Schwierigkeiten von Frauen in der arabischen Welt von heute auseinandersetzen: Individuelle Stimmen, die ihre eigenen Geschichten aus einzigartigen Blickwinkeln erzählen.

Relevante Themen sind dabei Mutterschaft oder Kinderlosigkeit. In Ägypten stehen Frauen unter einem enormen gesellschaftlichen Druck, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden. Wenn eine Frau keine Kinder bekommen kann, zieht sie den Zorn ihres Umfelds auf sich. Eine dieser Frauen ist Hanan, die in ihrem Dorf wegen ihrer Unfruchtbarkeit auch "Um Ghayeb", Mutter des ungeborenen Kindes, genannt wird. In ihrem Dokumentarfilm Mother of the Unborn (2014) zeigt Regisseurin Nadine Salib den Kampf von Hanan, die ihren in immer weitere Ferne rückenden Traum von einem Kind nicht aufgeben will und sich gleichzeitig auf die Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft begibt. In Marokko gelten uneheliche Kinder als unrechtmäßig. Sie müssen erst von ihren Vätern anerkannt werden, um einen rechtmäßigen Status zu erhalten. Die Filmemacherinnen Maryam Ben’Mbarek and Maryam Touzani haben ihre Spielfilme Sofia (2018) und Adam (2019) dieser grausamen Realität gewidmet, die alljährlich unzählige Frauen ins gesellschaftliche Abseits treibt.

Der soziale Druck in vielen konservativen arabischen Gesellschaften hat auch Folgen für den Übergang junger Frauen vom Jugend- ins Erwachsenalter. Leyla Bouzids erster Langfilm As I Open My Eyes (2015) spielt am Vorabend der tunesischen Proteste und vor dem Sturz des Regimes von Ben Ali. Wenn es nach ihrer Familie ginge, soll die Musterschülerin Farah Medizin studieren. Doch Fahrahs Interesse gilt allein der Musik. So muss sie einerseits dem familiären Druck standhalten. Anderseits sitzt ihr aber auch das politische Regime im Nacken, das sie wegen der Songtexte ihrer Band auf Schritt und Tritt verfolgt. In Kaouther Ben Hanias Spielfilm Beauty and the Dogs (2016) entwickelt sich das Leben der Hauptfigur Mariam zum Alptraum, als sie auf dem Heimweg von einer Party vergewaltigt wird. Um ihre Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen, muss sie eine qualvolle Odyssee zwischen Krankenhaus und Polizeistation über sich ergehen lassen. Die Regisseurin zeigt unverblümt die vielen Regeln, die in dieser patriarchalischen Gesellschaft vor allem beim Umgang mit Recht und Gesetz herrschen.

Auch in dem Dokumentarfilm Nearby Sky (2014) steht die patriarchalische Gesellschaft im Mittelpunkt. Regisseurin Nujoom Alghanem portraitiert darin Fatima Alhameli, die als erste Frau in den Vereinigten Arabischen Emiraten Kamele besitzt. Als sie es schafft, eines ihrer Tiere für einen Kamelwettbewerb anzumelden, sieht sie sich dem erbitterten Widerstand der männlichen dominierten Konkurrenz, aber auch ihrer eigenen Gemeinschaft ausgesetzt.

Frauen im Filmgeschäft setzen sich jedoch nicht nur mit reinen Frauenthemen auseinander. Einige von ihnen stellen sich den dunklen Schatten der kollektiven Vergangenheit, um der Gegenwart einen Sinn zu geben. In ihrem Dokumentarfilm Sleepless Nights (2012) konfrontiert die libanesische Regisseurin Eliane Raheb einen ehemaligen Geheimdienstoffizier, der grausame Kriegsverbrechen begangen hat, mit der Mutter eines Mannes, der in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs verschwunden ist. Sofia Djamas The Blessed (2016) widmet sich einer anderen Form der Konfrontation. In ihrem ersten Spielfilm portraitiert die algerische Filmemacherin zwei Generationen: Die erste hat das Schwarze Jahrzehnt miterlebt , die zweite blickt nach dieser Zeit in eine ungewisse Zukunft.

Filmemacherinnen werden darüber hinaus zunehmend als treibende Kräfte der Branche anerkannt. Ihre Filme erfreuen sich sowohl auf Festivals als auch im Publikum großer Beliebtheit. Nadine Labakis dritter Spielfilm Capernaum (2018) entwickelte sich zum umsatzstärksten Film in der Geschichte des arabischsprachigen Kinos. Er erzielte ein weltweites Einspielergebnis von 64 Millionen Dollar , nachdem er sich zuvor den Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes und eine Oscar-Nominierung sichern konnte. Die palästinensische Regisseurin Annemarie Jacir dreht schon seit zwanzig Jahren Filme, in denen der Nahostkonflikt eine zentrale Rolle einnimmt. Jeder ihrer drei Spielfilme wurde auf großen Festivals uraufgeführt (Salt of this Sea, 2008, in der Sektion Certain Regard der Filmfestspiele von Cannes, When I Saw You, 2013, auf dem Forum der Berlinale und Wajib, 2017, im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno), bevor er eine ausgedehnte Reise durch die Kinos dieser Welt antrat. Ihr viel beachteter Film Like Twenty Impossibles (2003) lief als erster arabischer Kurzfilm in der offiziellen Auswahl der Filmfestspiele von Cannes. Im Wettbewerb der Berlinale 2020 war sie unlängst Mitglied der Internationalen Jury.

Rabih El-Khoury ist als Diversity Manager im Team des DFF - Deutsches Filmmuseum & Filminstitut in Frankfurt am Main tätig. Darüber hinaus arbeitet er als Geschäftsführer am Metropolis Art Cinema sowie als Generalkoordinator des arabischen Filmfestivals The Beirut Cinema Days. Er hat über 20 arabische Filmwochen in der arabischen Welt und Europa organisiert. Seit 2014 ist er Programm-Manager von Talents Beirut und Mitglied des Verwaltungsrats der Metropolis Association. Er war außerdem Kurator des Filmpreises der Robert Bosch Stiftung.