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Kann Leichte Sprache/ Leichte Bilder Politik erklären? | bpb.de

Kann Leichte Sprache/ Leichte Bilder Politik erklären? Konsequent inkonsequent? Leichte Sprache in der Politik

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In der Denkwerkstatt zur Leichten Sprache tauschten sich die Teilnehmenden zunächst intensiv über eigene Meinungen und Erfahrungen zum Thema aus. Anschließend analysierten sie unter Anleitung von Bettina Bock – sie ist im Forschungsprojekt "Leichte Sprache im Arbeitsleben" vom Institut für Germanistik der Universität Leipzig tätig – Wahlprogramme von Parteien in Leichter Sprache. Einen kritischen Blick auf die Leichte Sprache warf abschließend Prof. Dr. Bettina Zurstrassen von der Universität Bielefeld.

Gleich zu Beginn der Diskussion erklärte eine Teilnehmerin der Werkstattrunde, dass sie sich durch den Begriff Leichte Sprache diskriminiert fühle. Besser wäre der Begriff Verständliche Sprache. Unter Leichte Sprache wüsste aber jeder was gemeint sei, entgegnete eine andere Teilnehmerin, die als Übersetzerin arbeitet. Man könne sich darauf verlassen, dass ein Text in Leichter Sprache bestimmten Richtlinien eines festgelegten Regelwerks folge. "Die bewusste, kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff sei dennoch wichtig," ergänzte daraufhin ein anderer Teilnehmer. Auch sein Sprachbüro hätte anfangs auf dem Begriff "leicht verständliche Sprache" bestanden, doch hätte sich die Bezeichnung Leichte Sprache bereits durchgesetzt. "Meine Kollegen und ich sehen nun davon ab, weiter normativ etwas durchsetzen zu wollen, was von der Mehrheit nicht gewollt ist", erklärte er. Der Begriff werde schließlich auch von Interessengruppen wie dem Netzwerk Leichte Sprache verwendet. Der Einwand der Teilnehmerin sei aber absolut berechtigt, sagte er.

Diskutiert wurde anschließend, dass die Verwendung von Siegeln der Leichten Sprache suggeriere, dass es bestimmte Standards in der Verwendung gebe – dass dies aber keinesfalls der Fall sei. Im Gegenteil: Viel zu oft seien Texte in Leichter Sprache mit gleichem Siegel unterschiedlich in ihrer Qualität. Es wäre gut, so einige Teilnehmende, wenn sich das ändern würde.

Leichte Sprache für alle – eine Utopie?

Kann es eine Leichte Sprache für alle geben? Bezieht Leichte Sprache schon heute alle Menschen mit Lernschwierigkeiten ein? "Nein, es wird definitiv nicht eine Leichte Sprache geben, die alle mitnimmt", sagte ein Teilnehmer. "Was ist dann mit meiner Tochter?", unterbrach eine Teilnehmerin, "die ist 18, hat Lernschwierigkeiten und versteht viele Texte in Leichter Sprache nicht. Wo bleibt dann die politische Bildung?" Jemand anders warf ein: "Mir ist wichtig, dass ich nicht gezwungen werde, Leichte Sprache zu lesen. Manchmal lese ich Texte in Leichter, manchmal in Einfacher und manchmal in Schwerer Sprache gerne. Doch ab und zu wurde schon von mir erwartet, dass ich Texte in Leichter Sprache lese, obwohl ich das nicht wollte – nur weil ich eine Behinderung habe. Das fand ich nicht gut." Jeder sollte selbstbestimmt entscheiden dürfen, ob und welchen Text er in Leichter Sprache lesen möchte, darin waren sich alle Teilnehmenden letztlich einig.

Auf großes Interesse stieß der Wortbeitrag einer pädagogischen Fachkraft, die für eine Lerngruppe für Deutschanfänger Texte in Leichter Sprache angeboten hatte: "Die haben schnell gemerkt, dass in den Texten doch ein anderes kognitives Niveau angesprochen wird und haben mich gefragt, ob ich denke, sie seien behindert." Ob die Gruppe denn das Konzept von Leichter Sprache gekannt habe, fragte die Wissenschaftlerin Bettina Bock von der Universität Leipzig nach. "Nein, das kannten sie nicht. Die haben das wohl so zwischen den Zeilen gelesen."

Viel Kritik an Wahlprogrammen in Leichter Sprache

Nach der Diskussion verglichen die Teilnehmenden unter Anleitung von Bettina Bock Auszüge aus Wahlprogrammen der Bundestagswahl 2013 in Leichter und Schwerer Sprache miteinander. Schnell wurde deutlich, dass die Wahlprogramme in Leichter Sprache für viele trotzdem nicht leicht verständlich waren. Ohne Vorkenntnisse würden auch Menschen ohne Lernschwierigkeiten viele Passagen in ihrer vollen Bedeutung nicht erfassen können.

Empört beklagte sich ein Teilnehmer darüber, dass in den Wahlprogrammen in Leichter Sprache ein Mindestlohn für alle versprochen werde. Jedoch seien die meisten Menschen mit Lernschwierigkeiten vom ersten Arbeitsmarkt, für den der Mindestlohn gedacht war, ausgeschlossen. Für Beschäftigte in Werkstätten gelte der Mindestlohn nicht. "Was soll das überhaupt bedeuten: 'Gute Arbeit für alle'? oder 'alle sollen gut leben können?'", empörte man sich in einer Arbeitsgruppe. "Das sind leere Floskeln und Pauschalisierungen."

Aufgefallen war den Teilnehmenden auch, dass die meisten Parteien identische Formulierungen in ihren Wahlprogrammen in Leichter Sprache benutzten, obwohl sie unterschiedliche Forderungen in jenen Programmen in Schwerer Sprache stellten. Hauptpunkte des eigentlichen Wahlprogramms würden in Leichter Sprache zu Nebensächlichkeiten und umgekehrt. Das führe zu einer Verzerrung. Die Teilnehmenden forderten, dass die Übersetzung der Wahlprogramme in der Verantwortung eines einzigen Dienstleisters liegen sollte, damit sie vergleichbar würden. Auch sollte man darin eine gleiche Bildsprache für gleiche Bedeutungen verwenden.

Kritische Worte zur Leichten Sprache

Prof. Dr. Bettina Zurstrassen von der Universität Bielefeld trug am Ende der Veranstaltungen eine Reihe von Argumenten vor, welche die Leichte Sprache kritisch beleuchteten. Sie kritisierte zum Beispiel, dass schwierige Wörter oft einfach weggelassen würden, anstatt sie zu erklären. Das führe dazu, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten die Chance genommen würde, Begriffe zu lernen, die für die Orientierung in der und für das Verständnis von Politik wichtig seien. Auf einem Thesenpapier hatte sie ihre Kritik für die Teilnehmer in Einfacher Sprache zusammengefasst. Genau nachzulesen sind ihre Thesen in der Publikation Interner Link: Didaktik der inklusiven politischen Bildung, welche über die bpb bezogen werden kann.

Von Simone Hermes

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