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Ämterpatronage | bpb.de

Ämterpatronage

Stefan Machura

Ämterpatronage (Äp.) ist ein Begriff der politischen Umgangssprache, meist moralisch abwertend benutzt, und auch der politischen Soziologie. Er bezeichnet die Vergabe von beruflichen und politischen Positionen durch Entscheidungsträger an ihnen genehme Personen. Äp. ist ein zentrales und in der Öffentlichkeit umstrittenes Herrschaftsinstrument. Zwei mögliche Funktionen der Äp. lassen sich unterscheiden (Machura 1993, S. 227–230).

Zum einen soll durch die Äp. Organisationsverhalten dauerhaft gesteuert werden. Nur auf permanente Anweisung und Überwachung, auf Dankbarkeit oder Sanktionen zu setzen, ist eine kaum verlässliche Strategie. Hingegen erleichtern Personen, die aus eigenem Antrieb in gewünschter Weise handeln, die Ausübung von Herrschaft (Mayntz 1985, S. 196). Solche Personen werden typischerweise im Kreis der persönlich Bekannten, der Vereins- oder Parteifreunde, unter den Absolventen bestimmter, Vertrauen genießender, Ausbildungsgänge und in „befreundeten“ Organisationen gesucht.

Eine zweite, häufig zu beobachtende Funktion der Äp. besteht im Ausbau bzw. im Erhalt von Herrschaft in weiteren sozialen Bezügen. Sie dient z. B. dem Zusammenhalt des Lagers des Patrons. Dieser sieht sich fallweise einem großen Erwartungsdruck des sozialen Umfelds auf Versorgung gegenüber. So werden Partei- und Verbandsmitgliedschaften wegen beruflicher Vorteile eingegangen. Man spricht auch von „Wohltätigkeitspatronage“ (T. Eschenburg), gemeint ist die Belohnung der Parteifreunde meist mit kleineren Posten. Sehr häufig werden bestimmte Verwaltungsbereiche von Flügeln oder Gliederungen der → Parteien personell „bewirtschaftet“, z. B. das Arbeitsministerium vom Arbeitnehmerflügel oder das Wirtschaftsministerium vom Wirtschaftsflügel. Ein „beliebtes“ Feld der Ämterpatronage bilden auch die verselbstständigten Verwaltungseinheiten: z. B. Staatslotterien, Rundfunkanstalten, kommunale Betriebe.

Mit der weitgehenden Privatisierung öffentlicher Betriebe und infolge von Stellenstreichungen im Zuge öffentlicher Sparmaßnahmen ist das Feld, auf dem Äp. ausgeübt werden kann, geschrumpft. Zusätzlich sind Anforderungen an die Fachqualifikation von Stellenbewerbern gestiegen, und auch das verringert Spielräume für Patronage. Davon betroffen ist insbesondere die „Wohltätigkeitspatronage“, wohingegen die funktionale Notwendigkeit zur Besetzung von Schüsselstellen für die politische Steuerung mit Personen des Vertrauens erhalten bleibt (John und Poguntke 2012).

Äp. zielt nicht nur auf die der eigenen Partei angehörenden oder nahestehenden Personen. Fachliche Eignung und persönliche Loyalität sind oft entscheidendere Kriterien bei der Ausübung von Patronage (John und Poguntke 2012, S. 138). Schließlich geht es meist auch wesentlich um die Effektivität, die aus Sicht der Auswählenden erreicht werden soll. Daraus folgt, dass je nach dem Stellenprofil und dem Aufgabenbereich andere Aspekte zum Tragen kommen können. Gelegentlich werden sogar Bewerber aus anderen Parteien zum Zuge kommen, sofern sich damit Machtoptionen erschließen können, oder wenn mehrere Stellen gleichzeitig zu besetzen sind (John und Poguntke 2012, S. 134–135, 137). Äp. kann auch im Kontext eines umfassenden politischen Netzwerkes ausgeübt werden und sich auf „befreundete“ Organisationen und deren Stellen erstrecken. Es braucht dazu die Kooperation von Entscheidungsträgern in diesen Organisationen, die sich aus gegenseitigen Verpflichtungen ergeben kann.

Aus politisch wertender Sicht verkehrt sich der Vorteil der Bewerber mit dem richtigen „Stallgeruch“ im öffentlichen Bereich zur Korruption, wenn fachlich ungeeignete oder im Vergleich zu Mitbewerbern offensichtlich weniger qualifizierte Aspiranten den Vorzug erhalten. Ebensowenig wäre hinnehmbar, dass systematisch (auch bei gleicher Eignung) „nahestehende“ Personen bevorzugt und andere benachteiligt werden. Solche Patronage verstößt gegen den in Artikel 33,2 des → Grundgesetzes verankerten gleichen Zugang jedes Deutschen „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung“ zu jedem öffentlichen Amt. Besondere Regelungen gibt es für einige Positionen in der → Ministerialbürokratie.

Aus organisationstheoretischer Sicht führt eine zu enge Beziehung und zu große Ähnlichkeit von Aussuchenden und Ausgesuchten zur Gefahr einer Abschottung gegenüber der Umwelt. Entfremdung von gesellschaftlichen Entwicklungen kann die fatale Folge sein. Wechselt der Patronageherr, was in → Demokratien nicht ausgeschlossen ist, stellt sich das Problem, inwieweit der neue mit den personalpolitischen Arrangements des alten Herren weiterarbeiten kann. Für die öffentliche Verwaltung erscheint es daher erforderlich, dass ein Mindestanteil an Amtsträgern vorhanden ist, die der Opposition oder keiner Partei verbunden sind.

Die → DDR war ein krasses Negativbeispiel für die Selektion des gesamten Verwaltungsapparates unter parteipolitischen Gesichtspunkten. Bewerber für den → öffentlichen Dienst in der erweiterten BRD mussten alle ein Überprüfungsverfahren durchlaufen, in dem ihre Rolle in der DDR-Zeit untersucht wurde. Besonders im Hochschulbereich wurden viele Wissenschaftler „abgewickelt“, die eine zu konforme Haltung gegenüber dem SED-Regime eingenommen hatten.

Äp. bildet ein Argument der traditionellen Parteienkritik (etwa Scheuch und Scheuch 1993). Alternative Mechanismen der Personalauswahl sind jedoch manchmal noch anfälliger für Missstände und unter Demokratiegesichtspunkten eventuell problematischer. Dazu zwei Beispiele: „Unabhängige“ Kommunalpolitik kann ohne innerparteiliche Disziplinierungsmöglichkeiten und Willensbildung zur intransparenten und korrupten Notabelnherrschaft entarten. Die direkte Volkswahl von Amtsinhabern kann im Zeitalter kostspieliger Medienwahlkämpfe durch finanzstarke Interessengruppen instrumentalisiert werden.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Stefan Machura

Fussnoten