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Fraktion | bpb.de

Fraktion

Paul Kevenhörster

Grundlagen

Eine Fraktion stellt den freiwilligen organisatorischen Zusammenschluss einer Gruppe von → Abgeordneten der selben Partei oder von Parteien mit gleicher Grundüberzeugung zur gemeinsamen Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben dar. Die Fraktionen sind ein integrierender Bestandteil der parlamentarischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Sie beruhen auf dem Grundsatz des freien Mandats und sind ein repräsentatives Element der modernen Parteiendemokratie. Fraktionen sind „Teile der Parteien im Parlament“ (Kretschmer 1992) bzw. „mit eigenen Rechten ausgestattete Teile des Bundestages“ (BVerfGE 2, 143).

Stellung

Fraktionen sind ein teilrechtsfähiger Verband des öffentlichen Rechts in der Form eines Kollegialorgans. Als Teile des Parlaments sind die Fraktionen des Deutschen → Bundestages im Verfassungsstreit klagebefugt (Art. 93 I, 1 GG) und können Rechte des Parlaments gegenüber der → Bundesregierung im eigenen Namen geltend machen. Es handelt sich somit um Teile eines Verfassungsorgans (Art. 53a I GG), die die Grundsätze der repräsentativen Demokratie mit denen des freien Mandats und des Parteienstaates verbinden.

Das → Bundesverfassungsgericht hat die politische Bedeutung der Fraktionen in der Parteiendemokratie als „notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens“ und als „maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung“ hervorgehoben, ohne ihren Rechtsstatus genauer zu bezeichnen (BVerfGE 80, 188). Die Fraktionen ermöglichen eine spezialisierte Behandlung politischer Probleme und die Vermittlung entsprechender Informationen und könnten auf dieser Grundlage unterschiedliche politische Positionen zu handlungsfähigen politischen Einheiten zusammenfügen.

Verbindliche Aussagen zu Stellung und Aufgaben (Antrags-, Vorschlags-, Benennungsrechte etc.) der Fraktionen finden sich in den Geschäftsordnungen des Bundestages, der Länderparlamente und der kommunalen Vertretungskörperschaften sowie in der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte.

Über die Fraktionen konstituiert sich das Parlament. Ihre Stärke bildet die Berechnungsgrundlage für die Zusammensetzung der Ausschüsse, die Verteilung der Ausschussvorsitzenden, die Zusammensetzung des Ältestenrates und des Parlamentspräsidiums. Das Management der Fraktionen liegt in den Händen der Fraktionsvorsitzenden, der Fraktionsgeschäftsführer und des Fraktionsvorstandes.

Wird das von § 10 I Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgeschriebene Quorum der Mindeststärke einer Fraktion in Höhe von mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages nicht erreicht, können die Abgeordneten einer solchen Partei den Status einer Gruppe erhalten. Dieser Status berechtigt zur Entsendung eines beratenden Mitgliedes in den Ältestenrat und je eines beratenden Mitgliedes in die Fachausschüsse mit Antrags- und Rederecht, ferner zur Einbringung parlamentarischer Vorlagen (§ 75 I GOBT) und zur Zusicherung einer der relativen Gruppenstärke entsprechenden Redezeit u. a.

Funktion

Die politischen → Parteien wirken über die Fraktionen auf Willensbildung und Entscheidungsfindung von Parlament und Regierung ein. Die Fraktionen ermöglichen Meinungsbildung und Beschlussfassung des Parlaments. Dies geschieht insbesondere durch Vorschläge für die Wahl des → Bundeskanzlers (Art. 63 ff. GG) und die Besetzung der → Ausschüsse. Durch die mit dem Fraktionsstatus verbundenen Rechte (Grundredezeit, Finanzausstattung) können die zu Fraktionen zusammengeschlossenen Abgeordneten ihre parlamentarischen Aufgaben im Plenum wie in den Ausschüssen wirksam wahrnehmen. Dies schließt eine Bindung der einzelnen Abgeordneten an die Meinung der Fraktion bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben ein.

Als unverzichtbare Instrumente parlamentarischer Arbeitsteilung nehmen die Fraktionen Funktionen der Repräsentation, Integration, Legitimation, Rekrutierung und Kommunikation wahr. Nach innen üben sie eine Servicefunktion für die einzelnen → Abgeordneten aus und sichern zugleich die Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Dadurch wirken sie der Gefahr der Überlastung parlamentarischer Arbeit durch Komplexität sowie der Selbstblockade durch zu große Vielfalt politischer Interessen und Perspektiven entgegen. Ihre Arbeitsgruppen und -kreise ermöglichen als Transmissionsriemen die sorgfältige Vorbereitung der parlamentarischen Ausschussarbeit und verzahnen so die parlamentarische Willensbildung mit den Vorstellungen der Parteien und einzelnen Abgeordneten. Professionalisierung und Hierarchisierung sind bleibende Merkmale der Fraktionsarbeit.

Die tatsächliche Funktionswahrnehmung der Fraktionen wird nicht in erster Linie durch das Gegenüber von Parlament und Regierung, sondern durch die Frontstellung von Regierungsmehrheit und → Opposition geprägt. Entsprechend werden die klassischen Aufgaben des Parlaments von den Fraktionen, der Eigendynamik der funktionalen bzw. zeitlichen → Gewaltenteilung entsprechend, unterschiedlich wahrgenommen. Während sich die Regierungsfraktionen bei der Ausübung der parlamentarischen Wahl-, Artikulations-, Initiativ- und Gesetzgebungsfunktion um die Unterstützung der Regierung bemühen, wenden die Oppositionsfraktionen die Kontroll-, Kritik- und Alternativfunktion gegen die Regierung.

Die Fraktionen der Regierungs- und der Oppositionsparteien kontrollieren die Exekutive auf unterschiedliche Weise: Die öffentlich wirksamen Kontrollkompetenzen des Parlaments werden überwiegend von der Oppositionsfraktion genutzt, durch Auskunftsverlangen gegenüber der Regierungspolitik, durch Anregung politischer Alternativen und durch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Demgegenüber nehmen die Regierungsfraktionen ihre Kontrolle des Regierungshandelns subtiler wahr: durch informelle Wege wechselseitiger Einwirkung und Mitentscheidung auf den verschiedenen Ebenen der Willensbildung und Entscheidungsfindung und durch die Durchsetzung faktischer Restriktionen der Kontrolle für den Regierungsapparat. In der parlamentarischen Praxis machen Fraktionen ihren Einfluss auf die Gesetzgebung vor allem durch Korrekturen und Verhinderungen wahr.

Die Fraktionsdisziplin folgt aus der Fraktionsbindung der Abgeordneten. Beide verleihen der Fraktion Artikulations- und Durchsetzungsstärke. Die Abgeordneten ordnen sich in eine arbeitsteilige Gruppe mit geschlossenem Auftreten ein und ermöglichen dadurch deren Arbeitsfähigkeit. Kollisionen in Überzeugungsfragen sind eher die Ausnahme als die Regel.

Worauf geht die enge Bindung des jeweiligen Abgeordneten an seine Partei zurück, wie sie sich im parlamentarischen Alltag, insbesondere in der Fraktionsdisziplin niederschlägt? Nach der Theorie des „responsible party government“ in den angelsächsischen Demokratien und der Parteienstaatstheorie, begründet von Gerhard Leibholz, entwickelten die Entscheidungen des Wählers für den Repräsentanten einer Partei letztendlich „ein normatives Abhängigkeitsverhältnis des Parlamentariers von seiner Partei“. Dadurch erhalten sowohl die Fraktion als auch die außerparlamentarische Parteiorganisation erhebliches politisches Gewicht.

Durch ihre parlamentarische Arbeit und ihr geschlossenes Auftreten schaffen die Fraktionen wichtige Voraussetzungen für den Wahlerfolg ihrer Partei und weisen so Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit nach. Fraktionen gewährleisten dadurch Repräsentativität und Stabilität parlamentarischer Regierungsweise. Als politische Frühwarnsysteme und Veto-Agenturen der Gesetzgebung sind sie zentrale Machtfaktoren des deutschen Regierungssystems, dessen Stabilität nicht zuletzt auch auf der Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit der Fraktionen beruht (Schwarz 2009).

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Paul Kevenhörster

Fussnoten