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Land (Freie Hansestadt) Bremen | bpb.de

Land (Freie Hansestadt) Bremen

Jörn Ketelhut

Historischer Hintergrund

Die „Freie Hansestadt Bremen“ gehört zu den wenigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, die als politisches Gemeinwesen über Jahrhunderte hinweg wachsen konnten. Die Geschichte von HB, die vom Kampf um Eigenständigkeit geprägt ist, reicht bis in karolingische Zeit zurück. 787 ließ Karl der Große im Zuge der Sachsenmissionierung das Bistum Bremen errichten. Seit dem 9. Jahrhundert war es Sitz eines Erzbischofs. Die Missionierung Skandinaviens und des Baltikums fanden hier ihren Ausgang. Die Erzbischöfe waren nicht nur Kirchenfürsten. Sie herrschten auch über ein weltliches Territorium: das Erzstift Bremen, zu dem zunächst auch die Stadt gehörte.

Während des Mittelalters schüttelte HB die Herrschaft der Erzbischöfe allmählich ab. 1186 wurde die Stadt, deren Wohlstand auf Handel und Gewerbe beruhte, durch das „Gelnhauser Privileg“ unter den Schutz des Reichs gestellt. 1260 trat HB der Hanse bei. Das Verhältnis des Rates zum Städtebund war stets von Konflikten geprägt: Austritte und Wiedereintritte, Ausschlüsse und Wiederaufnahmen wechselten sich im Lauf der Jahrhunderte ab. Im 16. Jahrhundert hielt die Reformation Einzug in Bremen. Erzstift und Stadt wurden protestantisch.

Den Dreißigjährigen Krieg überstand HB unbeschadet. 1646 wurden die Freiheitsrechte der Stadt im „Linzer Diplom“ bestätigt. Dennoch musste HB in der Folgezeit immer wieder um seine Eigenständigkeit kämpfen: Die Landesherren im säkularisierten Erzstift – zunächst Schweden, dann Dänemark und schließlich Kurhannover – weigerten sich, die Reichsunmittelbarkeit anzuerkennen. 1741 beendete der Stader Vergleich die Auseinandersetzungen.

HB konnte sich nur kurze Zeit über die Anerkennung seiner Freiheit freuen. 1806 marschierten napoleonische Truppen in die Stadt ein und stellten sie unter Besatzungsherrschaft. 1811 wurde HB als Hauptort des Departements Wesermündung in das Französische Kaiserreich eingegliedert. 1813 endete die napoleonische Herrschaft in HB. Rat und Bürgerschaft konstituierten sich neu. Die französische Kommunalverfassung wurde aufgehoben und das alte Stadtrecht wieder in Kraft gesetzt. Auf dem Wiener Kongress (1814/15) gelang es der bremischen Delegation, die Eigenständigkeit der Stadt zu sichern. 1815 wurde HB als souveräner Staat in den neu gegründeten Deutschen Bund aufgenommen.

Der Rat, der sich nunmehr „Senat“ nannte, setzte seine Anstrengungen daran, die zurückgewonnene Freiheit dauerhaft zu sichern. Das hieß für ihn vor allem, die ökonomischen Grundlagen des Gemeinwesens zu erneuern. Schon vor der „Franzosenzeit“ hatte Wohlstand von HB zu einem beträchtlichen Teil auf dem Überseehandel beruht. Seit 1783 pflegte man Wirtschaftsbeziehungen zu den USA. Daran galt es anzuknüpfen. Die zunehmende Versandung der Weser stellte allerdings ein immer größer werdendes Hindernis für den Schiffsverkehr dar. Um auch weiterhin über einen Zugang zum Meer zu verfügen, erwarb HB 1827 vom Königreich Hannover einen Landstreifen an der Wesermündung und errichtete dort einen Überseehafen – die Keimzelle der späteren Stadt Bremerhaven.

Politische Reformen waren nach Ansicht des Senats für die Sicherung der Eigenständigkeit von HB nicht erforderlich. Selbst moderaten Versuchen, die Freiheits- und Partizipationsrechte zu erweitern, erteilte er eine Absage. Erst das Revolutionsjahr 1848/49 brachte eine Veränderung: Es machte den Weg frei für eine demokratische Verfassung. Der Senat büßte durch sie seine Stellung als ein weitgehend autonom regierendes Gremium ein. Er musste sich die Macht fortan mit der Bürgerschaft, der aus freien Wahlen hervorgegangenen Vertretung des Volkes, teilen.

Die demokratischen Reformen wurden nach der Niederschlagung der Revolution schrittweise zurückgenommen. 1854 trat eine neue Verfassung in Kraft. Sie suspendierte den Grundsatz der Volkssouveränität und stärkte die Position des Senats. Freilich, ganz zurückdrehen ließen sich die Uhren nicht mehr. Auch die neue Verfassung, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Bestand haben sollte, überantwortete einen Großteil der Staatsaufgaben Bürgerschaft und Senat gemeinsam.

1866 trat HB dem Norddeutschen Bund bei; 1871 wurde die Stadt ein Bundesstaat des neu gegründeten Deutschen Reichs. 1888 erfolgte die Aufnahme in den Deutschen Zollverein. Im gleichen Jahr wurde der Freihafen errichtet. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs schritt die wirtschaftliche Entwicklung von HB zügig voran. Die Häfen und die in ihrem Umfeld angesiedelten Industrien spielten dabei die maßgebliche Rolle.

Im November 1918 begehrte das Volk in HB gegen die Obrigkeit auf. Ein Arbeiter- und Soldatenrat übernahm die Macht. Die alte Ordnung zerbrach. An ihre Stelle sollte eine Räterepublik treten. Die Reichsregierung setzte diesem Unterfangen im Februar 1919 mit Waffengewalt ein Ende. Am 18. Mai 1920 trat eine neue bremische Verfassung in Kraft. Sie errichtete ein parlamentarisches Regierungssystem und führte Instrumente der direkten Demokratie ein. Der Senat verlor seine traditionelle Funktion: Er war nicht mehr länger ein sich selbst ergänzendes Organ der Stadtaristokratie, sondern die von der Bürgerschaft gewählte und von ihrem Vertrauen abhängige Landesregierung.

HB, seit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung ein Land des Deutschen Reichs, konnte in den 20er-Jahren seine Rolle als Zentrum des Überseehandels, der Personenschifffahrt und der Werftindustrie ausbauen. 1933 zerschlugen die nationalsozialistischen Machthaber die föderalen Strukturen des Reichs und beendeten Eigenständigkeit von HB. Die Stadt wurde mit dem Land Oldenburg zu einer Reichsstatthalterschaft vereinigt; Bremerhaven fiel 1939 im Zuge einer Gebietsreform an das preußische Wesermünde.

Während des Zweiten Weltkriegs war Bremen als Hafen- und Industriestadt wiederholt das Ziel von Luftangriffen, die große Teil der Stadt zerstörten und über 4000 Menschen das Leben kosteten. Bei Kriegsende wurde das stadtbremische Gebiet von den Briten besetzt. Diese überstellten es einschließlich der Stadt Wesermünde und angrenzender Landkreise kurze Zeit später der amerikanischen Militärregierung. Dadurch entstand inmitten der britischen Besatzungszone die „Enklave Bremen“. 1947 wurden die politischen Verhältnisse in der Unterweserregion neu geordnet: Aus Bremen und Wesermünde – der Stadt, die künftig den Namen „Bremerhaven“ tragen sollte – entstand das Land HB.

Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft

HB ist das kleinste Land Ds. Seinem traditionsreichen Namen zum Trotze besteht das Land nicht aus einer einzigen, hierarchisch gegliederten Kommune, sondern aus zwei räumlich und politisch voneinander getrennten Stadtgemeinden: Bremen und Bremerhaven. Zwischen den Städten, die eine Entfernung von 65 Kilometern trennt, liegt niedersächsisches Gebiet. Das Land verfügt somit über kein zusammenhängendes Territorium – nur eine unter den vielen bremischen Eigenarten.

Im „Zwei-Städte-Staat“, der eine Fläche von 419,38 Quadratkilometern umfasst, leben insgesamt 682.986 Menschen, 569.352 davon in Bremen, 113.634 in Bremerhaven. Die Bevölkerungsentwicklung des Landes war lange rückläufig. Seit 2011 ist jedoch eine Trendwende zu beobachten. Die Einwohnerzahlen steigen seither – durch Zuzug aus dem In- und Ausland sowie höhere Geburtenraten – wieder an.

Die ethnisch-kulturelle Zusammensetzung der bremischen Gesellschaft ist vielfältig. Ein gutes Drittel (35 Prozent) der im Land lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund. Damit liegt HB deutlich über dem Bundesdurchschnitt von ca. 25 Prozent. Der größte Teil der Zugewanderten hat türkische, syrische und polnische Wurzeln. Konfessionell gebunden sind immer weniger in HB lebende Menschen. Derzeit gehörten 45,3 Prozent der Einwohner des Landes einer der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften an. Auf die Protestanten entfällt dabei traditionell der größere Anteil: Ein Drittel der Bevölkerung (33,2 Prozent) ist in der evangelischen Kirche organisiert. Der römisch-katholische Bevölkerungsanteil beträgt momentan 12,1 Prozent. Die genaue Zahl der in Bremen lebenden Muslime ist unbekannt; sie wird auf derzeit sechs bis zehn Prozent geschätzt. Über 40 Prozent der Bevölkerung besitzen keine Religionszugehörigkeit.

HB ist nach HH der wichtigste Außenhandelsstandort Ds. Im Jahr 2018 wurden hier 74,4 Mio. Tonnen Seegüter umgeschlagen. Das Containerterminal Bremerhaven gehört weltweit zu den größten seiner Art. Besondere Bedeutung haben die Häfen des Landes für den Kaffeeimport. Gut die Hälfte des in Deutschland verarbeiteten Rohkaffees wird über sie eingeführt. Zudem sind die bremischen Häfen der größte Automobilumschlagplatz Europas.

Die Wirtschaft beschränkt sich nicht allein auf den Seehandel: Das Land ist auch ein wichtiger Standort der Nahrungs- und Genussmittelbranche, der Eisen- und Stahlindustrie, des Automobilbaus sowie der Luft- und Raumfahrttechnik. Zudem verfügt HB über eine prosperierende Wissenschaftslandschaft. An den zwei Universitäten (eine davon in privater Trägerschaft) und den fünf (Fach-)Hochschulen (darunter vier staatliche) des Landes sind mehr als 37.000 Studierende eingeschrieben. Über 20 international vernetzt arbeitende Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Fachrichtungen haben ihren Sitz in HB und Bremerhaven.

Die Wirtschaftsleistung ist beachtlich: 2018 lag das BIP pro Kopf bei 50.389 Euro. HB rangiert damit im Ländervergleich auf dem zweiten Platz, vor BY und hinter HH. Dennoch darf man nicht übersehen, dass das Land nach wie vor unter den Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels leidet. Die Werftenkrise und den Niedergang der Schwerindustrie hat HB nie richtig überwunden. Seit den 1980er-Jahren verharrt die Arbeitslosenquote im Land konstant auf hohem Niveau. 2018 lag sie 9,8 Prozent. Auch die erdrückende Schuldenlast macht dem Land zu schaffen. Rechnerisch kamen im Jahr 2018 auf jeden Einwohner 31.770 Euro Schulden. Damit ist HB mit weitem Abstand das Schlusslicht unter den dt. Ländern.

Politisches System

Verfassung und Regierungssystem

Die Verfassung von HB ist älter als das Grundgesetz (GG). Sie wurde am 12. Oktober 1947 durch einen Volksentscheid angenommen. Die Landesverfassung ist vom Geist der sozialen Demokratie durchdrungen. Das macht bereits ihre Präambel deutlich: Sie enthält neben dem Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, zu den universellen Menschenrechten und zum Frieden auch die Verpflichtung, den Einzelnen vor Ausbeutung zu schützen sowie das Ziel, jedem Arbeitswilligen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Vorstaatliche Legitimationsquellen – z. B. einen Gottesbezug oder eine Berufung auf das Naturrecht – kennt die Verfassung nicht.

Der Grundrechtsteil der Landesverfassung, der auch Pflichten benennt, ist umfangreich. Zudem reichen seine normativen Ansprüche weit über die des GG hinaus: Beispielsweise werden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung an die „Gebote der Sittlichkeit und Menschlichkeit“ (Art. 1) gebunden. Weiterhin soll der Mensch über der Technik stehen (Art. 13) und die Teilnahme am öffentlichen Leben für alle Glieder des Gemeinwesens obligatorisch sein (Art. 9). Die Landesverfassung kennt nicht nur das Recht auf Arbeit, sondern sieht in der Arbeit auch eine „sittliche Pflicht“ (Art. 8). Zudem verlangt sie von jedem Einzelnen, in Notfällen Hilfe zu leisten (Art. 10).

Die Landesverfassung beschäftigt sich weiterhin mit der Ordnung des sozialen Lebens. Sie äußert sich in diesem Zusammenhang auch zu ökonomischen Fragen. Hervorzuheben ist, dass die Landesverfassung explizit eine Wirtschaftsordnung vorschreibt, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist (Art. 38). Auch weist sie dem Staat die Rolle zu, aktiv in das Wirtschaftsleben einzugreifen (Art. 39).

Die Landesverfassung ist aber nicht nur durch den Geist der sozialen Demokratie geprägt. In ihrem organisationsrechtlichen Teil lässt sich deutlich das institutionelle Erbe der alten Stadtrepublik erkennen. Im Zentrum des bremischen Systems der Parlamentsregierung, das durch Instrumente der direkten Demokratie (Volksbegehren und Volksentscheid) ergänzt wird, stehen die traditionsreichen Institutionen Bürgerschaft und Senat. Der Bürgerschaft ist die legislative, dem Senat die exekutive Gewalt überantwortet. Die richterliche Kontrolle des politischen Handelns obliegt einem Staatsgerichtshof.

Die Legislaturperiode der Bürgerschaft beträgt vier Jahre; sie kann vorzeitig durch Parlamentsbeschluss oder Volksentscheid beendet werden. Die Mitglieder der Landesregierung, des Senats, werden einzeln von der Bürgerschaft gewählt: zunächst der Regierungschef, der „Präsident des Senats“, der zusätzlich die Amtsbezeichnung „Bürgermeister“ führt, dann die übrigen Senatoren. Alle Senatsmitglieder verfügen damit über die gleiche unmittelbare parlamentarische Legitimierung. Eine Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat ist in Bremen ausgeschlossen. Sämtliche Mitglieder der Landesregierung können von der Bürgerschaft durch ein konstruktives Misstrauensvotum politisch abberufen werden. Bürgerschaft und Senat erfüllen eine Doppelfunktion: Sie sind nicht nur Organe des Landes, sondern auch der Stadtgemeinde Bremen, die – anders als Bremerhaven, wo es eine Stadtverordnetenversammlung und einen Magistrat gibt – über keine eigenständigen Verwaltungsstrukturen verfügt.

Typisch für das Regieren im kleinsten Bundesland ist das Zusammenwirken von Bürgerschaft und Senat in den Deputationen. Bei ihnen handelt es sich um spezielle Verwaltungsausschüsse, die entweder „staatliche“ oder „städtische“ Befugnisse wahrnehmen. Deputationen sind seit dem 19. Jahrhundert fester Bestandteil des bremischen Regierungssystems. Sie setzen sich aus Vertretern der Bürgerschaft und dem für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Senatsmitglied zusammen. Ihre Aufgabe ist es, über die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Verwaltungsaufgaben zu beraten und das behördliche Handeln einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Im Gegensatz zu Parlamentsausschüssen kann die Bürgerschaft auch Personen in die Deputationen berufen, die über kein Abgeordnetenmandat verfügen.

Parteien, Wahlen, Wahlverhalten

Die Bürgerschaft wird in HB alle vier Jahre neu gewählt. Aktiv wahlberechtigt sind seit 2011 auch 16- und 17-Jährige. Zur Anwendung kommt ein Verhältniswahlsystem mit offenen Listen; Stimmen können panaschiert und kumuliert werden. Das Wahlgebiet ist in zwei Bereiche unterteilt, für die jeweils separate Listenwahlvorschläge von Parteien und Wählervereinigungen aufzustellen sind. Jeder Wahlbereich verfügt über ein gesetzlich festgelegtes Sitzkontingent. Derzeit können im Bereich Bremen 69 und im Bereich Bremerhaven 15 Mandate errungen werden. Bezugsgröße für die Anwendung der Sperrklausel ist der Wahlbereich und nicht das Land. Es reicht für Parteien und Wählervereinigungen also aus, in einer der Stadtgemeinden die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, um in die Bürgerschaft einzuziehen.

Das Parteiensystem hat sich mehrfach umgestaltet. Zum charakteristischen und konstanten Element des politischen Wettbewerbs im Land gehört die Vormachtstellung der SPD. In HB ist noch nie eine Regierung ohne, geschweige denn gegen die SPD gebildet worden. Die Partei stellt seit 1947 in unterbrochener Folge die Präsidenten des Senats. Von 1955 bis 1967 und zwischen 1971 und 1991 besaß die SPD die absolute Mehrheit der Mandate; 1959, 1963, 1983 und 1987 gelang es ihr sogar, die absolute Mehrheit der Stimmen zu erringen. An diese Erfolge konnte die Bremer SPD seit 1991 nicht mehr anknüpfen. Es gelang ihr aber bis zur Bürgerschaftswahl im Jahr 2019, stärkste politische Kraft im Land zu bleiben.

Die Bremer SPD hat in unterschiedlichen Konstellationen regiert: Von 1947 bis 1971 befand sie sich in einem Bündnis mit der FDP – zwischen 1951 und 1959 sogar unter Einschluss der CDU. Der Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Bürgerlichen lag die Idee zugrunde, dass die politischen Kräfte der Arbeiterschaft und der hanseatischen Kaufleute den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau Bremens gemeinsam schultern sollten. Zwischen 1971 und 1991 führte die SPD die Regierungsgeschäfte allein. In Anbetracht der sich verschlechternden wirtschaftlichen und finanziellen Lage verlor die SPD in den späten 1980er-Jahren an Zuspruch. Die nachlassende Bindungsfähigkeit der Volksparteien tat ihr Übriges. Bei der Bürgerschaftswahl 1991 musste die SPD erhebliche Stimmenverluste hinnehmen. Eine Fortführung der Alleinregierung war ausgeschlossen. SPD, FDP und Grüne, denen es 1979 erstmals gelungen war, in das Landesparlament einzuziehen, bildeten eine „Ampelkoalition“, die allerdings 1995 an unüberbrückbaren Interessengegensätzen der Partner zerbrach. Es kam zu vorzeitigen Neuwahlen. Die SPD verlor abermals an Stimmen; nur knapp konnte sie sich gegenüber der CDU als stärkste politische Kraft durchsetzen. Nach der Wahl einigten sich SPD und CDU darauf, eine Große Koalition zu bilden. Sie hatte über drei Legislaturperioden Bestand (1995–2007). Der SPD gelang es während dieser Zeit, Profil als kompetente Sanierungspartei zu gewinnen. Die Wählerschaft belohnte dies 1999 und 2003 mit Wahlergebnissen von über 42 Prozent. Die CDU hingegen konnte aus der Großen Koalition dauerhaft keine Vorteile ziehen. Zwar erzielte sie im Jahr 1999 mit 37,1 Prozent ihr bislang bestes Wahlergebnis, doch schon vier Jahre später brachen ihre Stimmanteile wieder ein. 2007 setzten die Sozialdemokraten der Zusammenarbeit mit der CDU ein Ende. Sie bildeten nach der Bürgerschaftswahl eine Koalition mit den Grünen, die die Regierungsgeschäfte im kleinsten Bundesland bis 2019 führte.

Ob man in HB auch weiterhin von einer Vormachtstellung der SPD sprechen kann, ist angesichts jüngster Ereignisse fraglich: Bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2019 erzielte die Bremer SPD ihr bislang schlechtestes Ergebnis. Nur ein knappes Viertel der Stimmen (24,9 Prozent) entfiel auf sie. Erstmals gelang es der CDU, stärkste politische Kraft im Land zu werden. Mit 26,7 Prozent der Stimmen zog sie an den Sozialdemokraten vorbei. Trotz des Erfolges konnte sie ihr Ziel, eine Landesregierung anzuführen, nicht umsetzen. SPD, Grüne und Linke einigten sich auf die Bildung einer Koalition. Der neue Senat hat seine Geschäfte unter Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) am 15. August 2019 aufgenommen.

Politische Rolle in Deutschland

HB ist das kleinste Land der Bundesrepublik. Dennoch erfüllt es wichtige Aufgaben im gesamtstaatlichen Gefüge: Seine Häfen sind ein international bedeutender Güter- und Rohstoffumschlagplatz. Für die Weser-Ems-Region ist HB das wichtigste wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum. Das größte Problem, vor dem HB derzeit steht, ist seine prekäre Haushaltslage. Auch die gute Konjunktur und die florierende Hafenwirtschaft haben daran wenig ändern können. Zwar gehen in HB die Schulden der öffentlichen Hand seit jüngster Zeit leicht zurück, dennoch muss das Land strenge Haushaltsdisziplin wahren. Dem politischen Handlungsspielraum sind dadurch enge Grenzen gesetzt. Ohne die finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder ist Bremen nicht überlebensfähig. Dieser Umstand lässt die Frage nach der Eigenständigkeit des Landes laut werden. HB muss einmal mehr für seine Autonomie kämpfen. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass man an der Weser recht erfolgreich damit war, die Freiheit zu verteidigen. Ob dies auch weiterhin gelingt, wird die Zukunft zeigen.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Jörn Ketelhut

Fussnoten