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Opposition | bpb.de

Opposition

Simon Franzmann

Einleitung

Als die drei großen Meilensteine eines gelungenen Demokratieprozesses gelten das Recht, durch Wahlen Einfluss auf die Regierungspolitik zu nehmen, das Recht auf Repräsentation sowie die Anerkennung einer legitimen Opposition durch die Regierung (Dahl 1966, S. xiii). Erst die Aussicht der oppositionellen Minderheit, bei künftigen Wählerstimmengewinnen zur Mehrheit zu werden, garantiert die volle Funktionsfähigkeit einer Demokratie. Die Regierenden müssen sich dann nämlich ihrer Wählerschaft gegenüber verantwortlich zeigen. Wenn sie die Wünsche ihrer Wählerschaft nicht hinreichend berücksichtigen, können sie bei Wahlen erfolgreich sanktioniert und abgewählt werden. Dann wird die vormalige Opposition anschließend die neue Regierung stellen. Insbesondere in parlamentarischen Demokratien, wie die Bundesrepublik Deutschland eine ist, erfüllt die Opposition vitale Funktionen für ein politisches Gemeinwesen. Die Opposition stellt personell wie inhaltlich eine permanente Alternative zur Regierung dar. Die Opposition umfasst alle Akteure, die nach Einfluss auf politische Entscheidungen streben, aber institutionell keinen direkten Einfluss auf diese haben. Somit können zur Opposition nicht nur Parlamentsparteien, sondern auch außerparlamentarische Parteien sowie gesellschaftliche Gruppen, die sich gegen die Regierungspolitik wenden, gezählt werden.

Kernfunktionen der Opposition

Die parlamentarische Opposition erfüllt idealerweise die Aufgaben der Kontrolle, Kritik und Alternative. Sie kontrolliert Regierungsentscheidungen, kritisiert auf Basis der vorgenommenen Kontrolle die Regierungspolitik und präsentiert schließlich inhaltliche wie personelle Alternativen zur Regierung. Opposition funktioniert allerdings am besten mit Ansprache und Unterstützung der Öffentlichkeit. So ist auch der Gang vor das Verfassungsgericht dann am erfolgreichsten, wenn die Öffentlichkeit das Verfahren aufmerksam verfolgt (Steffani 1979, S. 245). Die konkrete Ausübung der Opposition durch einzelne Oppositionsparteien folgt dabei nicht unbedingt dem Idealbild der Trias Kontrolle, Kritik und Alternative. Häufig wird ohne fundierte Kontrolle kritisiert, oder es wird keine Alternative zur Regierungspolitik angeboten.

Institutionell setzen politische Systeme unterschiedliche Anreize zur Verfolgung der drei Oppositionsfunktionen. Das britische System legt den Schwerpunkt auf die Präsentation einer Alternative, stellt aber der parlamentarischen Opposition kaum Ressourcen zur effektiven Kontrolle zur Verfügung. In den Niederlanden und Belgien kann die Opposition die Regierungspolitik effektiv kontrollieren, hat aber weniger institutionelle Möglichkeiten der Alternativpräsentation. Deutschland weist nach den skandinavischen Ländern die am stärksten ausgeprägten Oppositionsrechte auf (Garritzmann 2017).

Für ein politisches System als Ganzes erfüllt die Opposition die wertvolle Integrations- und Innovationsfunktion (Franzmann 2016). Insbesondere parlamentarische Demokratien können nur dann erfolgreich existieren, wenn Regierung und Opposition ihre Funktionen effektiv ausüben (Steffani 1979, S. 225). In autoritären Regimen, ohne freie Wahlen und Opposition, bleibt zur Änderung der Regierungspolitik nur der Regimewechsel. Durch eine legitime Opposition kann dies in Demokratien über einen Regierungswechsel herbeigeführt werden. Die Unzufriedenheit wird vom politischen System auf die Regierung gelenkt.

Erreichen ehemalige Minderheiten und Oppositionsparteien Regierungsstatus, werden diese mit ihrer Anhängerschaft in ein politisches System integriert und tragen im Idealfall zur Verbreitung und Durchsetzung neuer Politikideen bei. Ein gutes Beispiel stellen in Deutschland die Grünen dar. Diese starteten in den 1980er-Jahren in ihrem Selbstverständnis als Anti-Parteien-Partei (Poguntke 1993). Heute gelten sie als systemtragende Kraft.

Historische Entwicklung des Oppositionsverständnisses in Deutschland

Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition in Deutschland wird international als vergleichsweise konsensorientiert angesehen. Dabei tat sich Deutschland lange schwer mit der Anerkennung der Opposition. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland galten CDU und CSU als Staatsparteien und die SPD immerhin auf Landesebene als Staatspartei und im Bund als akzeptierte Oppositionspartei. Zunächst blieb der SPD jedoch die Anerkennung als vollwertige Regierungsalternative in weiten Teilen des bürgerlichen Lagers versagt Daran änderte auch die erste Große Koalition zwischen CDU, CSU und SPD in den Jahren 1966 bis 1969 wenig. Die knapp zustande gekommene, erste sozial-liberal Regierung 1969–1972 wurde von Teilen der Union auf schärfste bekämpft. Die Union verstand sich weiterhin als genuine Regierungspartei und kritisierte vor allem die neue Ostpolitik der Regierung Brandt (Helms 2002, S. 64–65). Nach der Wiedervereinigung gab es 1998 den ersten vollständigen Austausch einer deutschen Bundesregierung Es war der Wechsel von der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl zur rot-grünen Regierung unter Schröder. Zuvor und danach war und ist bislang jeweils eine Regierungspartei an der Macht geblieben.

Die rot-grüne Regierung traf in Teilen der Union auf erhebliche Vorbehalte, auch wenn die späteren Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Agenda 2010 von CDU/CSU und FDP unterstützt wurden. Vor allem die Konservativen innerhalb der Union waren nach 2009 sehr enttäuscht, als die neue christlich-liberale Regierung in ihrer Amtszeit bis 2013 zahlreiche gesellschaftspolitische Vorhaben der rot-grünen Regierung nicht zurücknahm oder sogar wie beim Atomausstieg wieder einsetzte. Auch aus dieser Enttäuschung heraus speiste sich die Gründung der AfD. Die großen Koalitionen in den Jahren 1966–69, 2005–09 und seit 2013 widersprechen den oben skizzierten Grundgedanken einer parlamentarischen Demokratie mit zwei annähernd starken Blöcken, die sich als Alternative gegenüberstehen. Tatsächlich formte sich jeweils eine starke außerparlamentarische Opposition. Sie brachte das Unbehagen gegenüber der übergroßen Regierungsmehrheit zum Ausdruck. In den 1960er-Jahren etablierte sich die Studentenbewegung als außerparlamentarische Opposition und die NPD steigerte temporär ihren Wählerstimmenanteil. Die 2005 neu gegründete Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) hatte sich ursprünglich aus Protest gegen die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung gegründet, bevor sie 2007 dann mit der Linkspartei.PDS zur Linke fusionierte. In ähnlicher Weise hatte sich die AfD aus Anlass der Eurorettungspolitik der schwarz-gelben Regierung 2013 gebildet. Sie absorbiert seitdem einen Großteil des Protests und Unmut mit dem politischen System als Ganzes. Der außerparlamentarischen Opposition fehlen in der Regel Ressourcen und institutionelle Zugänge zu einer effektiven Kontrolle der Regierungspolitik. Sie konzentriert sich meist auf die Kritik an der Regierungspolitik und der unzureichenden parlamentarischen Opposition. Linke und AfD haben sich mittlerweile im parlamentarischen System der Bundesrepublik etabliert und stehen vor der Frage, inwieweit sie künftig auch Regierungsverantwortung übernehmen wollen oder sich auf Bundesebene als genuine Oppositionsparteien verstehen.

Aktuelle Ausübung der Opposition

Während es in insgesamt zwölf Bundesländern mittlerweile konstitutionelle Oppositionsrechte gibt, findet sich im Grundgesetz der BRD trotz mehrfacher Erwägung keine explizite Erwähnung der Opposition. Ihre Rechte ergeben sich aus den Parlamentsrechten. So ist es Usus, den Vorsitz des Haushaltsausschusses einem Mitglied der größten Oppositionsfraktion zu überlassen. Auf Antrag eines Viertels der Bundestagsabgeordneten kann ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Auch wenn die Beantragung eines Untersuchungsausschusses im Grundgesetz allgemein dem Parlament und nicht der Opposition zugesprochen wird, gilt es als Oppositionsrecht. Als in der Legislaturperiode von 2013 bis 2017 absehbar war, dass die Opposition aus Die Linke und B90/Grüne zusammen nicht auf das benötigte Quorum kommt, wurde es für die Dauer der Legislaturperiode auf 120 der 631 Bundestagsabgeordneten, also auf gut 19 %, heruntergesetzt. Dies wurde besonders begrüßt, da Untersuchungsausschüsse als wichtigstes und schärfstes Schwert der Opposition gelten.

Im parlamentarischen Alltagsgeschäft sind die so genannten interpellativen Verfahren von zentraler Bedeutung. Das sind Verfahren, in denen Abgeordnete direkt oder indirekt die Regierung befragen, wie z. B. die Aktuelle Stunde, Regierungsbefragungen, sowie Große und Kleine Anfragen. Die Regierungsbefragung findet immer zu Beginn einer jeden Sitzungswoche statt und wurde in den vergangenen Jahren verschiedentlich aufgewertet. So muss seit 2014 immer ein Bundesminister anwesend sein und die Bundeskanzlerin dreimal im Jahr persönlich Rede und Antwort stehen. Von diesen Änderungen wird eine Revitalisierung der parlamentarischen Auseinandersetzung erhofft. Die übrigen interpellativen Verfahren können in der Regel von jeweils 5 % der Abgeordneten, also der Mindestfraktionsstärke, beantragt werden. Das am häufigsten eingesetzte Instrument sind so genannte Kleine Anfragen, auf die die Regierung schriftlich antworten muss. In der 18. Legislaturperiode von 2013 bis 2017 reichten B90/Grüne 1723 kleinen Anfragen ein, die Linke 2184. Zur Beeinflussung der politischen Agenda und somit zur Präsentation inhaltlicher Alternativen und öffentlicher Kritik an der Regierung dienen Große Anfragen. Große Anfragen müssen im Plenum besprochen werden. Ursprünglich galten sie daher als eines der zentralen Instrumente der Opposition (Ismayr 2012; Helms 2002, S. 44). In der vergangenen 18. Legislaturperiode wurde dieses Instrument allerdings lediglich 15-mal genutzt. In der 17. Legislaturperiode von 2009 bis 2013 gab es alleine von der SPD 24 oppositionelle Anfragen, 15 von der „Linke“ und 13 von B90/Grüne sowie eine gemeinsame von Linke und Grünen. Die für die parlamentarische Oppositionsausübung unglückliche Konstellation einer Großen Koalition wurde durch das wenig oppositionelle Verhalten der Linken und der Grünen verstärkt. Seit 2018 zeigt sich allerdings eine Trendumkehr. Alle Oppositionsfraktionen greifen nun wieder verstärkt auf interpellative Verfahren zurück.

Die Nutzung der im bundesdeutschen System verankerten institutionellen Vetopunkte – vor allem Verfassungsgericht und Bundesrat – gilt ebenfalls als Domäne der Opposition. So können ein Viertel der Bundestagsabgeordneten das Bundesverfassungsgericht anrufen. Theoretisch kann schon vor Inkrafttreten im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes überprüft werden. Genutzt wurde dieses Instrument in der Vergangenheit selten, dann aber bei hochkonfliktiven Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Kriegsdienstverweigerung oder dem Länderfinanzausgleich. Der Bundesrat, der eigentlich die Vertretung der Länderregierungen auf Bundesebene ist, kann zum Instrument der Opposition werden, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder den Oppositionsparteien angehört. Tatsächlich kam es in der Vergangenheit bei gegenläufigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu einer erhöhten Nutzung so genannter Vermittlungsverfahren bei Zustimmungsgesetzen. Solche Blockaden der Regierungspolitik über den Bundesrat waren in den vergangenen Legislaturperioden aber praktisch inexistent. Schon im Bundestag selbst wurden in der 17. Legislaturperiode mehr als 50 % der Entscheidungen mit Unterstützung der Opposition beschlossen. Lediglich in Fragen der Verteidigungs- und Außenpolitik stimmte insbesondere die Fraktion der Linken gegen die Regierungsentwürfe (Stecker 2018, S. 43–48). Insofern könnte tatsächlich von einem „Verschwinden der Opposition“ zu Zeiten der großen Koalition gesprochen werden. Hierzu gibt es allerdings zahlreiche Gegenbewegungen, sogar von den Regierungsparteien selbst. Die Absenkung des Quorums für Untersuchungsausschüsse sowie die Aufwertung der Regierungsbefragung zeigen, dass die aktuelle Große Koalition um eine Revitalisierung der Opposition bemüht ist. Auch die in vielen Länderverfassungen explizite Erwähnung der Opposition belegt, dass im klassisch konsensorientierten Deutschland der Wert der Opposition erkannt worden ist. Die zunehmende Zersplitterung des Parteiensystems erschwert allerdings die Bildung einer schlagkräftigen Opposition als permanente Alternative zur Regierung.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Simon Franzmann

Fussnoten