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Parteien und Parteiensystem | bpb.de

Parteien und Parteiensystem

Josef Schmid

Konzeptionelle Grundlagen und Typik von Parteien

Parteien sind in modernen → politischen Systemen allgegenwärtig, und ihre (plurale) Existenz gilt als Merkmal der → Demokratie. Sie nehmen eine „intermediäre“ Stellung zwischen Staat und → Gesellschaft ein, dienen der Regierungsbildung und der Mobilisierung, Aggregation und Vermittlung von Interessen. Sie tragen wesentlich zur Thematisierung und Entscheidung politischer Sachverhalte bei, sorgen für die Umsetzung von Maßnahmen und wirken bei der Rekrutierung von politischem Personal entscheidend mit. Ihre Leistungsfähigkeit trägt dazu bei, politische Stabilität und Integration sowie ökonomische Effizienz zu gewährleisten. In wissenschaftlichen Ansätzen variiert ihre Funktionsweise zwischen „Stimmenmaximierungsapparat“, multifunktionaler „sozialer Organisation“, bürokratisierter „Großpartei“ (bzw. komplementär „Kleinpartei“) oder gar „organisierter Anarchie“ (Andersen 2009; Niedermeier 2013). Maßgeblich ist – trotz divergierenden Definitionen – die Teilnahme an freien oder zumindest halbfreien Wahlen. Diese Minimaldefinition geht auf G. Sartori zurück.

Die Vielfalt an Strukturen und Funktionen, die Parteien kennzeichnet, sind in verschiedenen Typologien gebündelt worden. M. Weber etwa unterscheidet in Bezug auf die Ziele zwischen Patronage-, Klassen-, Weltanschauungs- und Interessenparteien; im Hinblick auf die strukturellen Merkmale differenziert er zwischen (aristokratischen) Gefolgschafts-, (bürgerlichen) Honoratioren- und (sozialistischen) Massenparteien mit bürokratischem Apparat. S. Neumann bzw. O. Kirchheimer heben mit der Massenintegrations- und der Allerweltspartei auf gegensätzliche organisatorische Integrationsmuster und soziale Reichweite ab. Charakterisiert der erste Typ eine enge, totale Einbindung von Mitgliedern („von der Wiege bis zur Bahre“), so spielt im zweiten der Erfolg beim Wähler die zentrale Rolle („catch-all party“). In der BRD hat das dem letzten Typ nahestehende Konzept der Volkspartei einen beachtlichen analytischen und normativen Stellenwert erhalten. Jedoch zeichnet sich eine tendenzielle Entkoppelung der Parteien von ihrer gesellschaftlichen Basis durch das Fernsehen, die Pluralisierung und Individualisierung der →Gesellschaft, aber auch durch die hohe staatliche Finanzierung ab, was zur Bildung neuer Typen geführt hat. So ist inzwischen von der „Kartellpartei“ (Katz/Mair) oder der „Partei der Berufspolitiker“ (Beyme) die Rede. Dieser neue Typus lebt v. a. von staatlichen Ressourcen und Privilegien, ist zentralisiert und wird von Berufspolitikern getragen; ferner haben sich Regierung und → Opposition arrangiert. Parteien sind demnach eher Teil des Staates, als dass sie noch zwischen diesem und der Gesellschaft vermitteln. Zum Teil wird dies kritisch mit dem Wandel zur „Postdemokratie“ (Crouch) verbunden; empirisch stellt sich die Frage, nach dem Unterschied den Parteien (noch) machen.

Die Bedeutung der Parteien hängt ferner von den Strukturen des politischen Umfeldes ab; besonders gilt das für das Wahlsystem und die verfassungsmäßige Regelung der Regierungsbildung. Hier unterscheidet sich das deutsche parlamentarische System vom präsidentiellen (etwa der USA), was die Entstehung von einflussreichen Parteien begünstigt und den →Fraktionen eine starke Position im innerparteilichen Machtgefüge zuweist. Vielfach unterschätzt wird die Auswirkung des föderativen Staatsaufbaus auf die Parteien; sie fügen sich in diesen institutionellen Rahmen ein, was (v. a. bei der → CDU) zu einer erheblichen Bedeutung der Landes(regierungs)parteien und zeitweise zu einer „Instrumentalisierung“ des → Bundesrates geführt hat. Für den Aktionsradius der Parteien sind ebenfalls der Zugriff auf die öffentlich-rechtlichen Medien sowie auf die Staatsverwaltung relevant (Andersen 2009; von Alemann et al. 2018; Schmid und Zolleis 2005; Nohlen 2013; Lehmbruch 2000). Hierzulande hat das Berufsbeamtentum sowie ein starkes Verfassungsgericht und eine unabhängige Notenbank trotz aller Kritik an Patronagepraktiken dem Einfluss der Parteien deutlich höhere Grenzen gezogen als das amerikanische „Beute“-System, das eine großzügigere Belohnung der eigenen Parteianhänger mit öffentlichen Ämtern erlaubt.

Parteienstaat und Volksparteien in der Bundesrepublik

Im → politischen System der BRD nehmen Parteien, anders als im Kaiserreich und der Weimarer Republik, eine zentrale Rolle als „verfassungsrechtliche Institution“ ein. Sie wirken gemäß Grundgesetz (Art. 21) und § 1 des Parteiengesetzes an der „Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten“ mit. Hierzu zählen der Einfluss auf die → öffentliche Meinung, die politische Aktivierung der Bürger, die Aufstellung von Kandidaten, die Formulierung von politischen Zielen und Programmen sowie die „lebendige Verbindung“ zwischen Volk und Staatsorganen. Gleichwohl sind sie frei gebildete, im gesellschaftlichen Bereich wurzelnde Vereinigungen von Bürgern. Damit wird ausdrücklich die Gründungs- und Betätigungsfreiheit sowie die Chancengleichheit von Parteien betont. Andererseits stellt die Verfassung auch Anforderungen an die innere Ordnung der Parteien; v. a. das Gebot der Wahrung demokratischer Grundsätze ist hier zu nennen.

Für die politische Wirklichkeit Ds sind die Konzepte „Parteienstaat“ und „Volkspartei“ von besonderer Relevanz. Entgegen der negativen Bedeutung in früheren Epochen („Antiparteienaffekt“) hat nach 1945 der Begriff des Parteienstaates eine durchaus positive Wertung erfahren und ist zur Rechtfertigung eines „Parteienprivilegs“ herangezogen worden. Vor allem durch den verfassungsrechtlichen Einfluss von G. Leibholz ist der „Parteienstaat“ als eine „rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie oder ... ein Surrogat der direkten Demokratie im modernen Flächenstaat“ interpretiert worden. Konkurrierend zum Begriff Parteienstaat wird auch der der Parteiendemokratie (party government) verwendet – je nachdem, ob Parteien Mitwirkende oder (alleinige) Träger der politischen Willensbildung sind.

Volksparteien oder „catch-all partys“ müssen in der in der Lage und willens sein, breite gesellschaftliche Schichten zu bündeln und zu integrieren, ferner sind sie umfassend an der Gestaltung der Politik (multi policy party) beteiligt. Insofern müssen sie zugleich hohe Wähleranteile, viele Mitglieder und eine starke Regierungsbeteiligung aufweisen (Niedermayer 2013; Decker und Neu 2018). V. a. vier Indikatoren werden zur Definition herangezogen:

  1. Eine Schichten- und Klassen übergreifende Sozialstruktur der Mitglieder und Wähler, aber ohne gänzliche Aufgabe eines spezifischen sozialen und politischen Profils;

  2. das Fundament einer Stammwählerschaft von 20–25 Prozent;

  3. auf Dauer ein Wahlerfolg von 35 Prozent der Wähler;

  4. die Fähigkeit, allein oder in Koalition mit anderen Parteien die Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Vor allem die →CDU hat sich seit ihrer Gründung dezidiert als Volkspartei, d. h. als konfessions- und klassenübergreifendes politisches Bündnis, verstanden. Diesem seit den 50er-Jahren äußerst erfolgreichen Modell hat sich die → SPD zunehmend angenähert. Beiden Volksparteien ist es bis in die 70er-Jahre – wenn man vom Sonderfall der CSU absieht – gelungen, sowohl national wie regional andere kleinere Parteien zu absorbieren und so einen bemerkenswerten Konzentrationsprozess des dt. Parteiensystems einzuleiten, was gelegentlich als „Parteienwunder“ bezeichnet worden ist. In der Blütezeit konnten die beiden großen Volksparteien jeweils annähernd eine Million Mitglieder organisieren. Unterstützung finden die Parteien auch in der hohen staatlichen Parteienfinanzierung (v. a. Wahlkampfkostenerstattung und Chancenausgleich sowie indirekt Abgaben der Mandatsträger), was mit einer ausgeprägten Orientierung auf Wahlen einhergeht. Insgesamt liegen die aktuellen Einnahmen von CDU und SPD bei 150–160 Mio. € jährlich, davon sind knapp 50 Mio. € staatliche Mittel. Freilich haben politische Unzufriedenheit, lange Phasen der Großen Koalition und gesellschaftliche Veränderungen zu neuen Parteien bzw. einer Krise der Volksparteien geführt. Auffällig ist v. a. der beachtliche Wähler- und Mitgliederschwund; derzeit sind es bei CDU und SPD jeweils nur noch rund 430.000 Mitglieder und die Wählerschaft hat sich fast halbiert, sodass die CDU an der 30 % Marke bzw. die SPD unter der 20 % Marke stehen. Bei der „Erosion der Volksparteien“ (Oberreuter) spielt die „Fernsehdemokratie“ bzw, die Dominanz der medialen Inszenierung ebenfalls einer Rolle, denn das Medium erzwingt Visualisierung und Personalisierung und eine Kurzlebigkeit der Themen. Ob damit jedoch schon die Ära der „Kartellpartei“ eingesetzt hat, ist fraglich. Ebenso sind Strategien einer Wiederbelebung der Volkspartei denkbar (Anderson 2009; Schmid und Zolleis 2005; Niedermayer 2013; von Alemann et al. 2018).

Funktionen und Klassifikation des Parteiensystems

Der Wirkungszusammenhang von Beziehungen zwischen allen Parteien wird als Parteiensystem bezeichnet. Bei einer engen Definition wird der über → Wahlen vermittelte Wettbewerbsaspekt betont, was eine Abgrenzung gegenüber totalitären bzw. nicht demokratischen Regimen erlaubt. Der Begriff setzt somit voraus, dass eine Mehrzahl von Parteien existiert, die über eine gewisse organisatorische Stabilität verfügen, und dass sie in einem Konkurrenzverhältnis stehen, welches institutionell (d. h. rechtlich und politisch-kulturell) verankert ist.

In modernen demokratischen Systemen übernimmt der Parteienwettbewerb die Mobilisierung der Wählerschaft und verarbeitet gesellschaftliche Konflikte und Interessenunterschiede. Er integriert Bürger so in das →politische System, aggregiert Interessen, beschafft Legitimation für staatliches Handeln und ermöglicht die Aus- und Abwahl von politischen Führungspersonen und Programmen. Das Parteiensystem mit seinen historisch und international variablen Strukturen und Verfahren erbringt daher zwei gegensätzliche Leistungen für das übergreifende politische System: Es sorgt zum einen für Stabilität und ermöglicht zum anderen politischen Wandel. Damit trägt es wesentlich zur Funktionsfähigkeit (i.S. gesellschaftlicher Willensbildung und staatlicher Steuerung) der modernen → Demokratie bei.

Parteiensysteme lassen sich nach zwei Unterscheidungsmerkmalen einteilen: a) strukturell, d. h. nach der Zahl der Parteien (Ein-, Zwei-, Mehr- und Vielparteiensysteme) und b) nach Verhaltensmustern, v. a. Konfliktstrategien und ideologischen Distanzen. Entsprechende Typologien sind dann

  • Einparteiensystem mit nur einer legalen Partei

  • Hegemoniales Parteiensystem, bei dem zwar weitere Parteien existieren, die faktisch aber irrelevant sind und wo es keinen Wettbewerb um die politische Herrschaft gibt

  • Prädominantes Parteiensystem, bei dem eine Partei mehr als 50 % der Stimmen erreicht

  • Zweiparteiensystem, in dem die beiden Hauptparteien ca. 80 % der Stimmen erreichen und eine Partei jeweils alleine die Regierung bilden kann

  • Moderates Mehrparteiensystem, bei dem keine der großen Parteien über 50 % der Stimmen erreicht, Parteien bilden Koalitionen, Regierungswechsel v. a. durch Wechsel der Koalition

  • Polarisiertes Mehrparteiensystem mit hoher zentripetaler Dynamik und intensivem Wettbewerb

  • Bipolares Parteiensystem mit zwei großen Lagern, die abwechselnd die Regierung bilden (Decker und Neu 2018; Niedermayer 2013).

Ergänzend zur Bildung von Typen werden Parteiensysteme nach Dimensionen bzw. Merkmalen untersucht. Das heißt nach Fragmentierung, Asymmetrie, Volatilität, Polarisierung und Segmentierung. Fragmentierung, d. h. der Grad der Zersplitterung bzw. der Konzentration begrenzt sich nicht auf die reine Zahl der existierenden Parteien, sondern es werden ihre unterschiedlichen Gewichte berücksichtigt. Für die Berechnung dieser sog. „effektiven Parteienanzahl“ können verschiedene Indices herangezogen werden (etwa der von Rae oder der von Laakso/Taagepere). Asymmetrie beschreibt die Stimmendifferenz der beiden größten Parteien. Diese sind in der Regel auch die Hauptkonkurrenten um die Stellung der Regierungsmehrheit. Polarisierung bezieht sich auf die ideologische Distanz meist entlang einer Rechts-Links-Skala. Ggf. wird der Stimmenanteil der Anti-Systemparteien verwendet. Volatilität erfasst die Stärke der Veränderungen der Stimmenanteile bei zwei aufeinander folgenden Wahlen. Die Segmentierung des Parteiensystems beschreibt das Ausmaß der Abschottung der Parteien untereinander bezüglich möglicher Koalitionsbildungen. Dabei werden der Anteil der politisch nicht möglichen Koalitionen gegen die theoretisch vorhandenen Möglichkeiten gerechnet.

Die unterschiedlichen Ausprägungen von Parteiensystemen in historischer und international vergleichender Sicht lassen sich v. a. durch zwei Faktorenbündel erklären. Zum einen wirken politisch-institutionelle Rahmenbedingungen wie die Art des Regierungssystems (parlamentarisch vs. präsidentiell, föderativ vs. unitarisch) und das → Wahlrecht. Das Mehrheitswahlrecht soll eine Konzentration der Wählerstimmen auf zwei Parteien begünstigen, während umgekehrt das Verhältniswahlrecht eine Vielzahl von Parteien unterstützt. Diese Wirkungsmechanik ist nicht unumstritten und hängt von weiteren Faktoren ab (Nohlen 2013; Andersen 2009; Niedermayer 2013). Zum anderen dient die historische Entwicklung und die sozialstrukturelle Basis als Erklärung. In den gegenwärtig existierenden Parteien haben sich nach diesem Ansatz die Auseinandersetzungen und soziopolitischen Konfliktlinien um die Bildung moderner Staaten niedergeschlagen und erhalten. Je nachdem, welche Rolle die Spaltung zwischen Kapital und Arbeit, die Spannungen zwischen industriellem und agrarischem Sektor sowie die religiösen und ethnischen Konflikte spielten, haben sich auch unterschiedliche Parteiensysteme und soziale Milieus entwickelt. Für die die Gegenwart werden in D. besonders zwei Konfliktlinien hervorgehoben, nämlich

  • Markt versus Staat

  • Libertäre versus autoritäre Vorstellungen.

Mit der Klassifikation nach Zwei- und Vielparteiensystemen sind ferner Vorstellungen verbunden, wonach Erstere etwa nach dem englischen Westminster-Modell der Demokratie stabile Regierungen und häufige Regierungswechsel hervorbringen würden. Dementsprechend bestehen ein intensiver, konflikthaltiger Wettbewerb und ein scharfes ideologisches und soziales Profil zwischen der „linken“ und der „rechten“ Partei. Umgekehrt ist dem Vielparteiensystem ein heilsamer Zwang zu Kooperation und Kompromiss zugeschrieben worden. Politische Systeme wie die Niederlande, Schweiz und Österreich sind geradezu durch Konkordanz gekennzeichnet; hier wird Politik nicht nach Mehrheits-, sondern nach Einstimmigkeitsregeln entschieden.

Die Bewertungen der Strukturen und Leistungen von Parteiensystemen sind jedoch nicht unproblematisch. So hängt die Zahl der Parteien bei einer näheren Betrachtung des britischen, aber auch des dt. Falles vom gewählten Relevanzkriterium ab: Teilnahme an (nationalen) Wahlen, Vertretung im Parlament oder sogar in der Regierung sind hier jeweils möglich und sinnvoll. z. B. hat es in der BRD 130 Parteien gegeben, die (meist erfolglos) bei Bundes- und Landtagswahlen angetreten sind; zudem existieren eine Reihe regionaler Abweichungen. Auch bilden eine Reihe von Parteien eher politische Koalitionen oder lose verkoppelte Sonderorganisationen, denen eine gemeinsame programmatische Basis weitgehend fehlt. Sie eint das bloße Streben nach Macht. Ferner werden vielfach die schlechten Erfahrungen mit der Weimarer Republik oder dem aktuellen Fall Italien vorschnell verallgemeinert, ohne die gegenteiligen Beispiele funktionierender Vielparteiensysteme in den skandinavischen Ländern zu bedenken. Offensichtlich ist Stabilität weniger ein numerisch-mechanisches Phänomen, sondern ein politisches.

Aus systemkritischer wie auch aus vergleichender Sicht lässt sich zudem nach den eigentümlichen Selektivitätsmustern und Schließungsprozessen von Parteiensystemen fragen. Die entsprechenden Vorwürfe lauten: massive Defizite in der Berücksichtigung von Werten und Interessen, Folgenlosigkeit des Parteienwettbewerbs und Erhalt des Status quo (d. h. des Kapitalismus) durch die Struktur des Parteiensystems. Die Kritik ist alt und reicht von J. Agnolis Vorwurf an die Parteiendemokratie in D. als „plurale Fassung einer Einheitspartei“ bis hin zur aktuellen Debatte um die „Postdemokratie“ (C. Crouch).

Ausprägungen in Deutschland

Seit der Mitte des 19. Jhs. haben sich in D als Ausdruck spezifischer politischer Konstellationen und sozialer Interessen vier große Parteienfamilien und politische Lager gebildet: Liberale, Konservative, Zentrum und Sozialdemokraten. Konservative und Liberale (v. a. der rechte Flügel bzw. die nationalliberale Partei) bildeten die politischen Stützen des Kaiserreichs, während das katholische Zentrum und v. a. die Sozialdemokraten in → Opposition standen und starken Verfolgungen und Benachteiligungen ausgesetzt waren.

In der Weimarer Republik erfolgte eine verfassungsrechtliche Besserstellung, die auch die Bildung von „Parteiregierungen“ beinhaltete. Auf Grund der internationalen wie innenpolitischen Schwierigkeiten und später der Weltwirtschaftskrise kam es zu folgenreichen Parteispaltungen. Besonders der Bruch der Arbeiterbewegung in sozialdemokratische und kommunistische Organisationen und die zunehmende Zersplitterung des bürgerlichen Lagers trugen zur parteipolitischen Radikalisierung sowie zum Aufstieg der NSDAP bei. Nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ (1933) wurde das Führerprinzip in Staat und Bewegung eingeführt, was dem Parteienwettbewerb und damit der Republik ein Ende setzte (s. etwa von Alemann et al. 2018).

Einer einflussreichen Typisierung G. Sartoris folgend, kann die BRD als „gemäßigter → Pluralismus“ charakterisiert werden, was in einer skeptischen Version auch als „Verfall der Opposition“ (O. Kirchheimer) interpretiert wird. Das heißt, es existieren drei bis fünf relevante Parteien, die in einem maßvollen Wettbewerb und einer relativ geringen ideologischen Distanz zueinander stehen und die eine „bipolare Koalitions-Konfiguration“ sowie keine Antisystemhaltung aufweisen.

Die Entwicklung des bundesrepublikanischen Parteiensystems lässt sich grob in folgende Phasen einteilen.

  • 1945–1949: die Gründungs- und Aufbauphase (in den Ländern)

  • 1949–1966: Vormachtstellung und Führung von bürgerlichen Regierungen durch die CDU/CSU

  • 1966–1969: Große Koalition aus CDU/CSU und SPD

  • 1969–1982: Sozialliberale Koalition und Erneuerung der CDU in der Opposition (und in den Ländern)

  • 1982–1990: Vormachtstellung der Union, konservativ-liberale Koalition und Aufkommen der Grünen

  • 1990–1998: Vereinigung, bürgerliche Bundesregierung (bei starker Opposition in den Ländern), wachsende Parteienverdrossenheit

  • 1998–2005: rot-grüne Koalition im Bund bei bröckelnden Mehrheiten auf Landesebene und Aufkommen einer Linkspartei

  • 2005–2009: Große Koalition im Bund bei einem 5-Parteiensystem; variierende Konstellationen auf Landesebene

  • 2013 bis heute: Nach einem bürgerlichen Intermezzo Große Koalition im Bund bei einem stärker polarisierten und segmentierten 6-Parteiensystem; weiterhin variierende Konstellationen auf Landesebene und anhaltender Krise der Volksparteien.

Insgesamt betrachtet hat das Parteiensystem seine Typik lange erhalten, was sowohl für die CDU-Lastigkeit, die mittlere Polarisierung als auch das Regieren durch Koalieren gilt. Im Zuge der →deutschen Einheit ist das westliche Parteiensystem weitgehend transferiert und in Ostdeutschland angenommen worden. Allerdings sind inzwischen die Grünen (→ Bündnis 90/Die Grünen) und die PDS bzw. die Linkspartei (→ Die Linke) als neue Akteure hinzugekommen, wobei besonders Erstere erfolgreich in das System integriert worden ist. Für die Linkspartei gilt dies auf Bundesebene – im Unterschied zu den ostdeutschen Ländern – nicht; ebenso für die AfD. Damit hat sich das deutsche Parteiensystem der europäischen Landschaft angepasst, denn überall sind inzwischen rechtspopulistische Parteien entstanden.

Der Erfolg beider Parteien signalisiert sowohl eine stärkere ideologische Polarisierung des Parteiensystems, wie eine deutliche Segmentierung und wachsende Fragmentierung. Ein gewisses „Auftauen“ des „eingefrorenen“ Parteiensystems ist daher schon zu konstatieren, was sich etwa in den Wahlergebnissen ablesen lässt. Demnach sind „große“ Koalitionen gerade noch für die Mehrheitsfindung ausreichend (von Alemann et al. 2018; Andersen 2009). Ob sich damit jedoch eine weitreichende Veränderung der gesellschaftlichen Spaltungslinien verbindet, lässt sich nicht endgültig beantworten. Nimmt man etwa die programmatischen Aussagen der Parteien als Basis, so zeigt sich ein äußerst differenziertes Bild von Annäherung und Polarisierung bzw. von Kontinuität und Wandel. Vor allem das Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik weist – im Unterschied zur → Außenpolitik – bemerkenswerte Positionsveränderungen und eine Zunahme des Konfliktpotentials auf. Insgesamt ist aber ein Abschwächen der Hochburgen und ein Stimmen- und Mitgliederverlust der beiden großen Volksparteien CDU und SPD zu konstatieren. Dabei bleibt einzig die Union über der für Volksparteien kritischen 30 Prozent Marke und bleibt mit einem Abstand von 12,4 Punkten gegenüber der SPD dominant.

Darüber hinaus ist es auf der Ebene der Bundesländer zu leicht abweichenden Konstellationen und Mustern der Koalitionsbildung gekommen. Am deutlichsten ist der Fall → Bad.-W., wo die →Grünen in einer Koalition mit der CDU den Ministerpräsidenten stellen. Eine „föderative Dynamik“ im Sinne einer Bereitstellung innovativer Politiken und Führungspersonen wie in den 70er-Jahren v. a. bei der CDU ist derzeit aber nicht festzustellen. Weitere Impulse für einen Wandel des Parteiensystems gehen von der Kritik an den Volksparteien bzw. deren Schwächung aus; freilich sind die Hemmschwellen für die erfolgreiche Gründung neuer Parteien und deren Einzug ins Parlament auch im Fernseh- und Internet-Zeitalter immer noch relativ hoch. Zudem werden Reformen der Altparteien und neue Formen der Mitglieder- und Bürgerbeteiligung diskutiert – freilich mit begrenzten Erfolgen. Die inhaltlichen Modernisierungsstrategien von CDU/CSU und SPD (etwa Hartz Reformen der SPD oder die sog. Sozialdemokratisierung der CDU) haben sogar eher negativ auf Wähler und Mitglieder gewirkt und heimatlose Anhänger zu den Parteien am Rande geführt. Bislang existiert jedoch keine Alternative, die die vielfältigen Funktionen des Parteiensystems voll übernehmen könnte (Jun et al. 2007; Andersen 2009; von Alemann et al. 2018; Niedermayer 2013).

Parteienwettbewerb und konkurrierende Formen der Interessenvermittlung und Politiksteuerung

Obwohl die BRD als „Parteienstaat“ eingestuft wird, bildet das Parteiensystem nicht den einzigen „Kanal“ der Interessenvermittlung und Politiksteuerung. Der → Bundesstaat setzt z. B. dem Parteienwettbewerb Grenzen, v. a. dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse in Bund und Ländern auseinanderfallen. Hieraus hat Lehmbruch (1976/2000) die These eines „Strukturbruchs“ im politischen System der BRD abgeleitet, was dann leicht zu Politikblockaden führen kann. Freilich ermöglicht die Existenz einer relativ autonomen Landesebene ebenfalls die Fortsetzung des Wettbewerbs zwischen und in den (föderativ verflochtenen) Parteien, was v. a. bei der CDU sichtbar wird.

Das Parteiensystem gilt ferner als kaum in der Lage, komplexe Probleme zu verarbeiten, weil es im Vergleich zu neokorporatistischen (→ Neokorporatismus) Arrangements über einen kürzeren Zeithorizont und eine geringere Informationsverarbeitungskapazität verfügt. Auch gegenüber den → Neuen Sozialen Bewegungen sind die Parteien im Nachteil, da diese schneller auf individuelle Empörungen und Probleme („Frühwarnfunktion“) reagieren können. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob nicht gerade das Zusammenwirken unterschiedlicher Formen der Interessenvermittlung eine hohe Leistungsfähigkeit des Systems bewirkt, und ob den Parteien in einer „Verhandlungsdemokratie“ auch weniger die Rolle der Führung als der Moderation und Vernetzung von Politik zukommt. In diesem Sinne verfügen sie immer noch über eine zentrale – freilich nicht hierarchische – Position im politischen System. Empirische Überprüfungen solcher Zusammenhänge und der Effekte unterschiedlicher „Subsysteme“ der Politik auf staatliche Maßnahmen sind bislang selten erfolgt. Die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass es insgesamt nur wenig systematische Beziehungen zwischen den Strukturen des Parteiensystems und materiellen Politikergebnissen gibt. Zumindest ist die Vorstellung, dass Vielparteiensysteme schlechtere Politik machen etwa mit Blick auf die skandinavischen Länder nicht überzeugend. Freilich, ganz ohne Unterschiede sind die Zahl und die Dominanz von Parteien nicht, doch hängt deren Wirksamkeit v. a. von langfristigen gesellschaftlichen Machtstrukturen und historischen Entwicklungspfaden und weniger von strukturellen Feinheiten oder einzelnen Wahlergebnissen ab.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Josef Schmid

Fussnoten