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Staatsgebiet/Grenzen | bpb.de

Staatsgebiet/Grenzen

Wichard Woyke

Definition

Völkerrechtlich zeichnet sich ein Staat durch folgende Attribute aus: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Das Staatsgebiet ist der räumliche Bereich, über den der Souverän Gebiets- oder Territorialhoheit besitzt und allein rechtmäßig Staatsgewalt ausüben kann. Alle im Staatsgebiet anwesenden Personen sowie alle dort befindlichen Sachen und Objekte sind der Staatsgewalt unterworfen. Somit umreißt das Staatsgebiet rechtlich jenen verfassungsrechtlich bestimmten Geltungsbereich, in dem auch ein Volk seine rechtliche und reale Existenz gefunden hat. Zum Staatsgebiet zählen das Landgebiet, eventuelle Exklaven, die inneren Gewässer, die Eigengewässer und das Küstenmeer. Zum 01.01.1995 hat D die Dreimeilenzone zugunsten der Zwölfmeilenzone verändert und damit seine Souveränität in der Nord- und Ostsee ausgedehnt. Insgesamt hat das deutsche Küstenmeer jetzt eine Ausdehnung von rd. 16.900 qkm. Das Staatsgebiet bezieht außerdem den Luftraum senkrecht über der und den Raum unter der Erdoberfläche ein. Das Staatsgebiet wird von Staatsgrenzen umgeben, die völkerrechtlich zwischen den angrenzenden Staaten in Form eines Grenzvertrages oder durch multilaterale Verträge festgesetzt werden.

Staatsgebiet des Vereinten Deutschland

Die BRD und die DDR wurden im Rahmen des Ost-West-Konflikts 1949 gegründet, wobei das Staatsgebiet der BRD aus den drei westlichen Besatzungszonen und die DDR aus der sowjetischen Besatzungszone gebildet wurden. 1957 trat das SL der BRD bei und vergrößerte damit das Staatsgebiet der BRD. Durch die dt. Vereinigung wurden sowohl das Staatsgebiet als auch die Grenzen Ds verändert. D blieb das Land mit den meisten Nachbarn in Europa. D hat zu seinen neun Nachbarn eine gemeinsame Landgrenze von insgesamt 3767 km Länge; die längste gemeinsame Grenze hat es mit Polen (1264 km). Mit drei weiteren Staaten (Großbritannien, Schweden und Norwegen) berühren sich unsere Seegrenzen. Durch die Einigung erfolgte nicht nur eine Vergrößerung des Staatsgebiets um 108.000 qkm, sondern auch eine endgültige Festlegung der Grenzen. Die BRD wie auch die DDR hatten zwar jeweils für ihren Staat die Grenzen in Europa anerkannt, doch gab es noch die Bestimmungen des Londoner Protokolls vom 12.09.1944 über die Besatzungszonen in D sowie des Potsdamer Protokolls („Potsdamer Abkommen“) vom 02.08.1945, in denen das Besatzungsrecht zum Ausdruck gebracht wurde. Eine wichtige Bestimmung ist der Begriff „Deutschland in den Grenzen vom 31. Dez. 1937“. Von diesem Begriff gingen die Besatzungsmächte bei der Aufteilung der zunächst drei Besatzungszonen in D aus. Das Datum des 31.12.1937 wurde gewählt, weil alle Gebietserwerbungen des Deutschen Reiches nach dem 01.01.1938 von den Alliierten als unwirksam angesehen wurden, nämlich der „Anschluss“ Österreichs, die Eingliederung des Sudetenlandes, die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, die Rückführung des Memelgebiets an das Deutsche Reich durch den Vertrag mit Litauen vom 22.03.1939 sowie alle im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg stehenden Gebietseroberungen.

Im Potsdamer Protokoll wurden die dt. Ostgebiete „vorbehaltlich der endgültigen Bestimmungen der territorialen Fragen bei der Friedensregelung“ unter sowjetische (Teile Ostpreußens) sowie unter polnische Verwaltung gestellt. Es wurde nur ein „gebietsmäßiger Kompensationsanspruch“ seitens der drei Mächte anerkannt, aber die endgültige Festlegung der Grenzen sollte einer „Friedensregelung“ vorbehalten bleiben. Die drei Mächte stimmten nur überein, „dass bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früher dt. Gebiete östlich der Linie Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur slowakischen Grenze verläuft, unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als ein Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen“. Während die DDR bereits 1950 im Görlitzer Vertrag die Oder-Neiße-Grenze als Staatsgrenze zwischen der DDR und Polen als endgültig anerkannte, hatte die BRD zunächst die Oder-Neiße-Grenze nicht akzeptiert. Im 1955 in Kraft getretenen Deutschlandvertrag zwischen den drei Westmächten und der BRD stimmten die Vertragspartner überein, dass die „endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland“ vorbehalten bleiben musste. Somit konnte auch die Oder-Neiße-Linie nicht von der BRD als endgültige Westgrenze Polens anerkannt werden. Unter der sozial-liberalen Regierung Brandt wurde eine neue dt. Ostpolitik eingeleitet, die mit den Ost-Verträgen auf die Normalisierung und Entspannung in Europa zielte und dabei von der „in diesem Raum bestehenden wirklichen Lage“ ausging. In den Verträgen werden ein Gewaltverzicht ausgesprochen und die bestehenden Grenzen in Europa als unverletzlich anerkannt. Allerdings hat die BRD mit diesen Verträgen nicht den Friedensvertragsvorbehalt aufgegeben, so dass die völkerrechtliche Entscheidung über die endgültige Abtretung der ehemaligen dt. Ostgebiete erst von einem gesamtdt. Souverän gefasst werden konnte. Wenngleich die völkerrechtliche Anerkennung nicht ausgesprochen werden konnte, so gingen fast alle politischen Akteure – mit Ausnahme der Vertriebenenverbände – davon aus, dass ein späterer gesamtdt. Souverän die 1970 ausgesprochene politische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bestätigen würde.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, der dt. Vereinigung und dem Entstehen einer neuen europäischen Ordnung wurde auch die endgültige völkerrechtliche Regelung der dt. Ostgrenze vorgenommen. In dem von den beiden dt. Außenministern sowie den Außenministern der vier Siegermächte ausgehandelten „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990“ (2+4-Vertrag) wurde das Staatsgebiet Ds endgültig festgelegt. In Art 1.1 dieses Vertrages heißt es: „Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und Berlins umfassen. Seine Außengrenzen werden die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sein und werden am Tage des Inkrafttretens dieses Vertrages endgültig sein“. Im dt.-polnischen Grenzvertrag vom 14.11.1990 bestätigten das vereinte D und die Republik Polen die zwischen ihnen bestehende Grenze. Die Bedeutung dieser Grenze hat sich allerdings mit dem Beitritt Polens zur NATO im Frühjahr 1999 und erst recht zur EU im Mai 2004 deutlich reduziert und ist durch Polens Beitritt zum Schengen-Vertrag für den Bürger im Alltag faktisch nicht spürbar. Innerhalb der EU hat die Bedeutung der inneren Grenzen sukzessive abgenommen; die Grenzen haben ihren trennenden Charakter verloren. Allerdings gewinnen die EU-Außengrenzen immer größere Bedeutung, da der Migrationsdruck in Richtung EU aus Afrika und Asien erheblich angestiegen ist und auch in Zukunft weiter bedeutsam bleiben wird.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wichard Woyke

Fussnoten