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Terrorismus | bpb.de

Terrorismus

Eckhard Jesse

Definition

Der Terrorismus (T.), nach dem lateinischen Begriff „terror“ = „Schrecken“, ist eine Form des politischen Extremismus. Er kam das erste Mal im Zuge der Französischen Revolution durch die als „terreur“ charakterisierte Schreckensherrschaft der Jakobiner auf. Mittels systematischer Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des „Systems“, aber auch auf andere „Feinde“ soll die „herrschende Schicht“ bzw. eine spezifische Gruppe verunsichert und die „unterdrückte Klasse“ mobilisiert werden – z. B. durch staatliche Reaktionen mit übertriebenen Abwehrmechanismen. In einem demokratischen Verfassungsstaat wie D jedoch solidarisierte sich die Bevölkerung in den 1970er-Jahren aufgrund der Gewaltakte mit der politischen Führung, nicht mit ihren militanten Gegnern. Der T. ist faktisch ein Ausdruck der politischen Isolation von Minderheiten, die allerdings glauben, sie handelten im Interesse vieler. Ihm wohnt wesentlich eine kommunikative Dimension inne. Die Grenzen zu anderen politischen Gewalttaten, die nicht auf den Sturz des „Systems“ zielen sind fließend.

Obwohl Rechts- und Linksterrorismus sowie fundamentalistischer T. unterschiedliche Ziele anstreben, nimmt der Terrorakt eine derart dominierende Rolle ein, dass die politischen Vorgaben irrelevant sind. Im Gegensatz zu manchen anderen Staaten wurzelt(e) der T. in D nicht in sozialen Defiziten. Bezeichnenderweise kommt der überwiegende Teil der Terroristen aus einem gehobenen sozialen Milieu, zumal auf der linken Seite. Beim Rechtsterrorismus gilt das weniger. Spielten sezessionistische und „vigilantistische“ („Selbstjustiz“ zur Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“) Formen des T. ebenso keine Rolle wie der Ökoterrorismus, so hat die Bedrohungslage in D durch den internationalen islamistischen T. zugenommen. Die Wissenschaft stimmt ungeachtet aller Differenzen darin überein, dass monokausale Erklärungsversuche bei einem hochkomplexen Phänomen wie dem T. nicht verfangen. Eine besondere Bedeutung dürfte der biografischen Methode als einer Art Integrationskonzept zuzumessen sein. Viele Terroristen weisen pathologische Züge auf.

Die Geschichte des Links-T. in Deutschland

Die Wurzeln des T. in D liegen in der Studentenbewegung der zweiten Hälfte der 60er-Jahre. Diese hat die Gesellschaft in markanter Weise beeinflusst. Dazu gehört auch die Herausbildung einer terroristischen Subkultur. Die vielfältigen internationalen Verflechtungen, etwa mit palästinensischen Organisationen, liegen zum Teil immer noch im Dunklen.

Im Jahre 1970 begann der Aufbau einer „Roten Armee Fraktion“ (RAF) (Aust 2017). Die führenden Köpfe der „ersten Terroristengeneration“ (u. a. Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und Ulrike Meinhof) wurden jedoch bald gefasst. Die „zweite Terroristengeneration“ (u. a. Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt), darauf fixiert, die Mitglieder der „ersten Generation“ freizupressen, erhielt Zulauf von Personen, die der Legende von der „Isolationsfolter“ Glauben schenkten. Der Höhepunkt des T. lag im Jahre 1977 mit den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, an dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Jürgen Ponto, sowie an dem Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und seinen Begleitern (vgl. Wunschik 1997), Nach dem mythenumwobenen „deutschen Herbst“ 1977 – Baader, Ensslin und Raspe begingen in Stammheim als Reaktion auf die Unnachgiebigkeit des Staates Selbstmord, dabei einen Mord vortäuschend – flauten spektakuläre Aktionen etwas ab, wenngleich in den 1980er-Jahren Morde an politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten des „Systems“ durch eine „dritte Terroristengeneration“ nicht ausgeblieben sind, so etwa am Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen 1989. Das letzte Attentat der RAF traf den Präsidenten der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder am 01.04.1991. 1993 wurde der Neubau der Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt in die Luft gesprengt (Sachschaden: weit über 100 Mio. DM). Über die „dritte Terroristengeneration“ weiß die wissenschaft aufgrund geringer Fahndungserfolge nur wenig. Der spektakulärste gelang 1993 in Bad Kleinen: Eine Terroristin wurde festgenommen, ein Terrorist beging Selbstmord. Der T. in der BRD war lange weitgehend ein Linksterrorismus geblieben. 34 Personen sind Opfer der RAF geworden, mehr als 500 Personen erhielten Freiheitsstrafen wegen der Mitgliedschaft.

Neben der RAF gab es die „Bewegung 2. Juni“ (der Name bezog sich auf die Tötung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten am 2. Juni 1967), die vor allem in Berlin Gewaltakte verübte, darunter auch Morde. Die bekannteste Aktion: Peter Lorenz, der Spitzenkandidat der CDU, wurde im Frühjahr 1975 entführt und später freigelassen, weil der Staat bereit war, fünf Terroristen in den Südjemen ausfliegen zu lassen. Die Gruppe um Michael („Bommi“) Baumann und Till Meyer löste sich 1980 auf. Einige Mitglieder wie Inge Viett schlossen sich der RAF an. Die „Revolutionären Zellen“, die dritte terroristische Gruppe, begingen ebenfalls Gewalttaten, allerdings weniger Morde. Das Kennzeichnende: Die dezentral agierenden Mitglieder tauchten nicht in den Untergrund ab – daher bürgerte sich für sie der saloppe Ausdruck „Feierabendterroristen“ ein. Sie erschossen 1981 den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry. In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre kamen die Taten zum Erliegen. Zu den bekanntesten Mitgliedern, die zum Teil mit Palästinensern zusammenwirkten, gehörten Hans-Joachim Klein, Brigitte Kuhlmann und Johannes Weinrich.

Der nahezu weltweite Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ bedeutete auch für den T. in D einen Einschnitt. Es wurde 1990 bekannt, dass in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre acht Terroristen Unterschlupf in der DDR erhalten hatten. Die meisten dieser Ex-Terroristen der „zweiten Generation“ fanden sich zu umfangreichen Aussagen bereit. Die im Untergrund lebende Kommandoebene der RAF sprach nicht zuletzt aufgrund der weltpolitischen Situation von einer „Zäsur“ und kündigte mehrfach (1992/94) eine Aussetzung des „bewaffneten Kampfes“ an, räumte damit indirekt ihre Schwäche, sogar ihr Scheitern ein. Im April 1998 gab die RAF in einem Schreiben ihre Auflösung bekannt. Sie zog diese Konsequenz aus der Isolation der Terrorgruppe selbst im linksextremistischen Milieu. Die Geschichte der RAF war die Geschichte ihres Scheiterns. Heute sitzt kein Terrorist aus ihren Reihen mehr in den Strafanstalten. Immer wieder gibt es selbst nach dem Ende des linken T. öffentliche Kontroversen. Das Thema übte eine eigentümliche Faszinationskraft aus. Davon zeugen zahlreiche Bücher, Filme und Theaterstücke (Kraushaar 2006).

Die „militante gruppe“, die vom Jahre 2001 an rund 25 Brandanschläge vornehmlich im Berliner Raum (mit Selbstbezichtigungsschreiben) begangen hatte, etwa gegen Gerichtsgebäude und Fahrzeuge der Polizei, löste sich 2009 auf. „Revolutionäre Aktionszellen“ setzten die Gewalttaten der „militanten gruppe“ fort, freilich auf einem niedrigeren Niveau.

Die Geschichte des Rechts-T. in Deutschland

Der Rechts-T. fristete in D. lange ein Schattendasein. Aber bereits in den frühen 1980er-Jahren sorgte eine Reihe rechtsterroristischer Taten für Aufmerksamkeit: Die „Deutschen Aktionsgruppen“ um Manfred Roeder hatten 1980 fünf Sprengstoff- und zwei Brandanschläge begangen, u. a. auf die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Zirndorf. Zwei Vietnamesen mussten dies mit ihrem Leben bezahlen. Die Hepp-Kexel-Gruppe, die sich als nationalrevolutionär verstand und ein Manifest verabschiedet hatte („Abschied vom Hitlerismus“), war verantwortlich für Banküberfalle und für das Abfackeln von Autos amerikanischer Soldaten. Diese Taten führten zwar nicht zu Toten, aber zu Schwerverletzten. Die Gruppe wurde bereits zu Anfang des Jahres 1983 gefasst. Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen nicht nur in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre, die zu mehreren Toten geführt hatten, können im strengen Sinn schwerlich als T. klassifiziert werden; ihnen fehlt(e) es an Planungsintensität und Systematik.

Diese waren jedoch in einem anderen Fall gegeben: Anfang Nov. 2011 wurden zehn Morde einer rechtsextremistischen Kleingruppe („Nationalsozialistischer Untergrund“) um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bekannt, die diese zwischen 2000 und 2007 begangen hatte, vornehmlich an Menschen mit Migrationshintergrund. Auf das Konto der Gruppe gehen weiterhin drei Sprengstoffschläge zahlreiche Banküberfälle. Da keine Selbstbezichtigungsschreiben kursierten, war den Sicherheitsbehörden die Motivation der Täter schleierhaft. Der Schock in der Öffentlichkeit fiel groß aus. Diese Verbrechen, begünstigt durch gravierende Fehler der Polizei und des Verfassungsschutzes, wie von zahlreichen Untersuchungsausschüssen ermittelt, stellten eine neue Dimension im Bereich des Rechtsterrorismus dar Aust und Laabs 2014. Gleichwohl ist das griffige Wort von der „Braunen Armee Fraktion“, das eine Parallele zur RAF suggeriert, nicht angebracht. Auch wenn nach wie vor manche Unklarheiten bestehen, entpuppten sich Hinweise auf staatliche Einflussnahmen als Mythen. Der NSU-Prozess, ein Mammutprozess, der vom 6. Mai 2013 bis 11. Juni 2018 dauerte, endete mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe für Zschäpe sowie mit Freiheitsstrafen für Helfer der Gruppe. Böhnhardt und Mundlos begingen Selbstmord, als die Polizei ihr Wohnmobil aufgespürt hatte.

Im Zuge der verstärkten Migration seit dem Jahre 2015 nahmen Gewalttaten zu. Der erste rechtsextremistisch motivierte Mord in Deutschland an einem Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg, dem Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, bildet ebenso eine Zäsur für die politische Kultur wie die Mordserie des NSU. Der Politiker wurde im Juni 2019 durch Stephan Ernst von Angesicht zu Angesicht getötet. Lübcke hatte im Herbst 2015 auf dem Höhepunkt des Zuzugs von Migranten bei einer Bürgerversammlung eine Flüchtlingsunterkunft verteidigt. Für Ernst, der früher an rassistisch motivierten Straftaten beteiligt war, dann aber die Szene verlassen hatte, soll dies nach eigener Aussage ein Tatmotiv gewesen.

Im Oktober 2019 wollte der Rechtsextremist Stephan Balliet, offenbar ein Herostrat, in die Synagoge von Halle eindringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Da dies misslang, feuerte er mit selbstgebauten Waffen auf Passanten, von denen zwei starben. Balliet, nach Aussagen seines Vaters ein frustrierter Internetabhängiger und sozial Isolierter, übertrug seinen Anschlag mit einer Helmkamera auf eine Streaming-Plattform. Er ist ein Einzeltäter, und er ist es doch nicht. Ein Einzeltäter deshalb, weil er sein Verbrechen alleine, ohne Helfershelfer, ohne Hintermänner, ohne Mitwisser begangen hat; kein Einzeltäter, weil er, u. a. vom antimuslimischen Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch im März 2019 inspiriert, als „einsamer Wolf“ andere offenbar zu ähnlichen Gewalttätigkeiten ermuntern wollte.

Die Geschichte des islamistischen T.

Der islamistische T. stellt seit einigen Jahren eine besondere Herausforderung dar, auch wenn D weithin eher als Rückzugsraum gilt, weniger als Operationsgebiet (Neumann 2016). Der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11.09.2001 durch die islamistische Al-Qaida – eine Reihe der Beteiligten wie Mohammed Atta hatte die Tat in Deutschland geplant – änderte auch die Sicherheitslage in D. Das Reservoir für terroristische Netzwerke speist sich aus eingewanderten Personen wie aus Konvertiten. Eine besondere Gefahr bildet in D das radikalislamische Netzwerk der Salafisten, die einen „Gottesstaat“ anstreben. D hat eine Vielzahl an Strategien der Bekämpfung gegenüber dieser Form des T. entwickelt (vgl. Urban 2006).

Ungeachtet dessen erfolgte am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Weihnachtsmarkt nahe der Gedächtniskirche ein Anschlag, bei dem elf Menschen ihr Leben verloren. Der aus Tunesien stammende Gewalttäter Anis Amri, der mit 14 Identitäten unterwegs war, ermordete wohl im Auftrag der Terrormiliz des Islamischen Staates zunächst den polnischen Fahrer eines Sattelzuges und raste mit diesem in den belebten Weihnachtsmarkt. Amri, der in dem Chaos flüchten konnte, wurde wenige Tage in Italien bei einer Personenkontrolle durch einen Polizisten erschossen. Er war im Juli 2015 von Italien über die Schweiz illegal nach D gelangt. Dieser islamistische Terroranschlag, der heftige Kritik an den unkoordinierten Aktionen der Sicherheitsbehörden hervorrief, war in D der stärkste, aber nicht der einzige. Selbstmordanschläge sind oft charakteristisch für den islamistischen T.

Ursachen

Im Zuge der Ausbreitung des gewalttätigen Dschihadismus ist insbesondere nach den folgenschweren Ereignissen vom 11. September 2001 eine interdisziplinäre Forschung entstanden, die den Ursachen für Radikalisierung hin zum Terrorismus nachspürt. Meistens ist ein Zusammenspiel sozialer, politischer und persönlicher Faktoren für den Prozess der Radikalisierung verantwortlich. Für den deutsch-britischen Terrorismusforscher Peter R. Neumann münden fünf Gründe der Radikalisierung in den Terrorismus: Frustration macht junge Leute für Terrorismus anfällig; das Bedürfnis nach Identität und Gemeinschaft trägt ebenso dazu bei; Ideologien üben eine faszinierende Wirkung aus; die Beeinflussung durch andere Menschen ist ein wichtiger Faktor; Gewalt, etwa staatliche Repression, ruft schließlich Gegengewalt hervor.

Solche Risikofaktoren können in den Terrorismus führen, müssen es aber nicht. Da die Lebensläufe von Terroristen höchst unterschiedlich sind, ist die Gewichtung der Faktoren von Fall zu Fall verschieden. Wenn die Wissenschaft stärker die Ursachen für Extremismus analysiert, so hat sie indirekt zugleich die für den Terrorismus gefunden. Denn fast jeder Form des Terrorismus geht Extremismus voraus.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Eckhard Jesse

Fussnoten