Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Unternehmerverbände | bpb.de

Unternehmerverbände

Wolfgang Schroeder

Zum Organisationstyp

Unternehmerverbände (U.) organisieren kollektives Handeln von wirtschaftlichen Konkurrenten, indem sie gemeinsame Interessen gegenüber dem →politischen System, den →Gewerkschaften und der „Wirtschaft“ artikulieren, repräsentieren und durchzusetzen versuchen. Intendiert ist in vielen Feldern auch eine verbändegetragene, staatsfreie Selbstregulation der Wirtschaft. Die Erscheinungsformen der U. zeichnen sich durch eine große Vielfalt aus. In Bezug auf die verschiedenen Märkte, auf denen Unternehmen agieren, ist es zu einer organisatorischen Ausdifferenzierung in eine güter- und eine arbeitsmarktbezogene Verbändelandschaft gekommen. Weitere Differenzen ergeben sich aus: der Rechtsform (privatrechtlich, öffentlich-rechtlich), der Art der Mitglieder (natürliche Personen, Organisationen), der Anzahl der Ebenen (Mitglieder-Verband, Verbände-Verband, Dachverband) und den Eintrittsmöglichkeiten (freiwillig, zwangsweise). Nach den unterschiedlichen Märkten und Arenen lassen sich folgende Verbände differenzieren: a.) Arbeitgeberverbände (AV): schließen mit den Gewerkschaften bindende Regelungen (Tarifverträge) ab; vertreten die sozialpolitischen Interessen der Mitgliedsfirmen gegenüber staatl. und halbstaatl. Organisationen und beteiligen sich an staatlichen Gremien sowie an der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. b.) Wirtschaftsverbände (WV): vertreten die wirtschaftspolitischen Interessen gegenüber dem politischen System (sog. Lobbyismus) und betreiben auf der Ebene der Branchen eine koordinierende Politik. c.) Industrie- und Handelskammern (IHK): Wirtschaftliche Selbstregulation auf der regionalen Ebene mit partiell staatlichen Funktionen.

Aus Sicht der Unternehmen ist die Verbandsmitgliedschaft, in Abhängigkeit von den branchenspezifischen Marktbedingungen und den zur Verfügung stehenden eigenen Ressourcen, eine von mehreren Optionen zur Interessendurchsetzung: In erster Linie erfolgt diese über den Markt und auf der Basis eigener individueller Ressourcen, manchmal auch über Kartelle, Trusts oder andere informelle Absprachen sowie über direkte persönliche Einflussnahme auf die Entscheidungsträger der Legislative und der Exekutive.

Lange Zeit wurden die U. primär als alleine einflussnehmende „pressure group“ gesehen; dies entspricht dem pluralismustheoretischen Ansatz. Im Zuge der Neokorporatismusforschung und neueren Netzwerkanalysen wurden auch die Wechselbeziehungen zwischen U., Staat und Gesellschaft integriert. Danach üben U. nicht nur Pressure-Funktionen aus, sondern auch staatsentlastende und selbstregulative Funktionen. In den letzten Jahren wurde in der öffentlichen Debatte allerdings wieder verstärkt die einseitige, partikulare zuweilen als demokratiegefährdend betrachtete Dimension unternehmensverbandlichen Lobbyismus diskutiert. Auch wenn dies in Einzelfällen empirisch verifiziert werden kann, ist die Problemlage weitaus komplexer. Denn angesichts eines marktdefinierten Unternehmensinteresses, dem Vorhandensein alternativer Ressourcen und Durchsetzungswege ergeben sich für die U. nicht nur ein theoretisches Handlungsdilemma: Einerseits ist es relativ leicht, U. zu gründen; es ist zugleich allerdings schwierig für die U., die Loyalität der Mitglieder zu erhalten und noch schwieriger, eine Verpflichtungsfähigkeit ihnen gegenüber zu erreichen. Darin besteht auch eines der zentralen Probleme hinsichtlich der Beteiligung von U. in tripartistischen Arrangements.

U. in der historischen Entwicklung

Bereits in der mittelalterlichen →Gesellschaft bestanden Zusammenschlüsse von wirtschaftlichen Konkurrenten, bspw. den Gilden und Zünften. Historischer Ausgangspunkt für U. in der Industrialisierung waren Standesvereinigungen sowie lose Zusammenschlüsse einzelner Unternehmen. Die ältesten Organisationen der Wirtschaft sind die IHKn, die sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jh.s nach französischem Vorbild entwickelten. 1861 wurde der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) als Dachorganisation aller Kammern gegründet. Die Entstehung von WV war eng mit der Entstehung des Nationalstaates verbunden. Verkehrs- und Zollverbände machten den Anfang. Als erster groβer industrieller Spitzenverband wurde 1876 der Centralverband Deutscher Industrieller (CDI) als Kampfverband gegen die Freihandelspolitik gegründet, dem 1895 mit dem Bund der Industriellen (BdI) eine handfeste Konkurrenz erwuchs. 1919 kam es zur Vereinigung der beiden sich zuvor heftig bekämpfenden Gruppen im Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI).

In der Frühphase des deutschen Kapitalismus stand der antigewerkschaftliche Charakter der Verbände im Vordergrund. Anfangs bildeten sich AV insbesondere während oder nach einem Streik. Als spontan gegründeten Anti-Streikvereinen war ihnen jedoch meist nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Da das Antistreik-Motiv für eine dauerhaftere Institutionenbildung unzureichend war, bedurfte es weiterer Motive und Einflüsse. Dazu gehörten die Sozialversicherungen, das Arbeitsrecht sowie Versuche, staatliche Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die bereit waren, Tarifverträge abzuschließen.

Es wäre zu kurz gegriffen, würde man die Bildung von U. nur auf die Abwehr staatlicher oder gewerkschaftlicher Politik zurückführen. Denn mit der Verbandsgründung legten sie die Grundlage für eine über- und zwischenbetriebliche Kommunikation und Koordination, die die Selbstorganisationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft förderte. Die Bildung des Verbandes deutscher Metallindustrieller (1890) war ein wichtiger Markstein für industrielle Branchendachverbände. Ein entscheidender Anstoß für die flächendeckende Etablierung von AV ging vom Streik der Textilarbeiter im sächsischen Crimmitschau (1904) aus. Zwar konnte die Spaltung in Befürworter und Gegner von Tarifverträgen im Arbeitgeberlager damit nicht aufgehoben werden, aber das Prinzip eigener sozialpolitischer Verbände war damit irreversibel verankert. In der 1904 gegründeten Hauptstelle der deutschen Arbeitgeberverbände, die eher dem großbetrieblich ausgerichteten CDI nahestand, versammelten sich die Gegner von Tarifvertragen (vor allem: Stahlindustrie). Im gleichen Jahr gründeten die dem BdI nahestehenden Kräfte den Verein deutscher Arbeitgeberverbände (VdA), worin sich primär die aus der Fertigungsindustrie kommenden Tarifvertragsbefürworter engagierten. 1913 wurde mit der Bildung der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) diese Spaltung auf der Dachverbandsebene aufgehoben.

Durch die Übertragung quasi staatlicher Hoheitskompetenzen im Ersten Weltkrieg (Hilfsdienstgesetz 1916), durch eine tripartistische Verhandlungsstruktur (Zentralarbeitsgemeinschaft: 1918–1924) und durch das kollektive Arbeitsrecht wurden die AV gegenüber den einzelnen Unternehmen aufgewertet. Zwischen 1870 und 1933 schufen die U. ein Verbandsnetzwerk, das sowohl auf ehrenamtlicher wie auch auf professionell-bürokratischer Grundlage beruhte. Kennzeichnend für diese Mischung ist die formale Trennung zwischen ehrenamtlichen Repräsentanten, die in der Regel Eigentümerunternehmer waren sowie einer mehrheitlich aus akademisch ausgebildeten Juristen und Volkswirten bestehenden Geschäftsleitung, die die laufenden Kontakte zu den Mitgliedern wahrnahm. Als 1933 Gewerkschaften und AV durch die NSDAP aufgelöst wurden, blieben die wirtschaftlichen U., die vielfach bloβ organisatorische und nominelle Umstellungen bei ihrer Integration in das neue institutionelle Netzwerk des NS-Staates hinnehmen mussten, in modifizierter Form bestehen. Die Kammern wurden in Gauwirtschaftskammern umbenannt und RDI sowie VDA in der „Reichsgruppe Industrie“ zwangsvereinigt.

U. in der Bundesrepublik

Zwischen 1945 und 1949 wurde die bis heute bestehende arbeitsteilige Struktur von AV und WV sowie IHK in den meisten Branchen wiederaufgebaut. Im Idealfall vertreten die WV primär die wirtschaftspolitischen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem politischen System und die AV bestellen mit den Gewerkschaften das Feld der Tarif- und Sozialpolitik. Doch diese Arbeitsteilung ist längst nicht in allen Branchen anzutreffen. Dort, wo ein Verband sowohl Arbeitgeber- als auch Tariffunktionen unter einem Dach vereint, spricht man auch von einem integrierten Verband; dort wo eine Trennung vorliegt, von sogenannten reinen Arbeitgeberverbänden. Mit einiger Verzögerung, die durch die Lizenzierungspolitik der Dachverbände bedingt war, kam es 1949 zur offiziellen Wiedergründung der Dachverbände unter neuem Namen: Als Dachorganisation der WV wirkt nun der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der sich am 19.10.1949 gründete; als Spitzenorganisation der AV gründete sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) am 28.01.1949. Der DIHT wurde ebenfalls 1949 gegründet und heißt heute Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Hinzu kommen noch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), die öffentlichen AV und eine Vielzahl von Branchen, die nicht in der BDA oder dem BDI vertreten sind.

Die zerklüftete deutsche Verbändelandschaft im Bereich der U. ist kaum überschaubar. Auch wenn sich die etablierten Verbände durch ein überaus großes Maß an Kontinuität auszeichnen, kann analog zu den Mitglieder-, Markt- und Branchenveränderungen ein permanenter Wandlungsprozess festgestellt werden. Auf der binnenorganisatorischen Ebene bezieht sich dieser auf Differenzierungs- und Reorganisationsprozesse; extern auf das Entstehen neuer Verbände. Den Spitzenverbänden ist eigen, dass sie alle Betriebsgrößen gleichermaßen zu ihren Mitgliedern zählen und funktional (Branchen) und regional (Landesverbände) differenzierte Mitgliedschaften haben.

Der größte und einflussreichste U. ist der BDI, der als Spitzenverband der Dachverbände (Verband 3. Ordnung) keine Mitgliedschaft einzelner Unternehmen kennt. Direktmitglieder sind neben den 15 Landesverbänden die 35 nationalen Branchenspitzenverbände. Obwohl mit dem 1999 neu gegründeten „Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien“ (Bitkom) die Integration dieser Zukunftsfelder in den BDI gelang, besteht nach wie vor eine „industrielastige“ Struktur, sodass durch die Mitgliedsverbände nur ca. ein Drittel der nationalen Bruttowertschöpfung und etwa 8 Mio. Beschäftigte repräsentiert werden.

Im Zentrum der BDI-Arbeit steht seine Funktion als Lobbyist und Dolmetscher zwischen wirtschaftlichem und politischem System. Geht es um allgemeine Fragen der Steuer-, Außenhandels- und Wirtschaftspolitik, dann wirkt der BDI als Sprachrohr und Vermittlungsinstanz, geht es direkt um die Belange einzelner Branchen, dann sind in der Regel die dortigen Verbände gefordert. Unter den Branchenverbänden sind ans Satzende der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI). Die Branchenverbände sind wiederum in Fachverbände oder Fachgruppen untergliedert, um homogene Domänen zu bilden, die eine besonders effiziente Interessenpolitik erlauben. Der VDMA besitzt bspw. 38 Fachverbände und 22 Arbeitsgemeinschaften und Foren. Domänenüberlappung ist durch die hochkomplexe Organisationslandschaft nicht auszuschließen, da bspw. die VeränderungEN technischeR Grundlagen, wie die Verzahnung von Informationswirtschaft und industrieller Automatisierung, zu Überschneidungen führten, die in den 1990er-Jahren zu intensiven Fusionsgesprächen zwischen dem ZVEI und dem VDMA beitrugen, die letztlich jedoch scheiterten.

Die zweite Säule der U. sind die AV. Ihr Spitzenverband BDA (Verband 3. Ordnung) umfasst nicht nur die AV der Industrie (einschließlich Bergbau), sondern auch die zahlreicher anderer Wirtschaftszweige: U. a. das verarbeitende Gewerbe, Handwerk, die Landwirtschaft, den Groß- und Außen- sowie den Einzelhandel, das private Bankgewerbe, die privaten Versicherungsunternehmen und das Verkehrsgewerbe. Die BDA organisiert 48 Bundesfachverbände und 14 Landesvereinigungen. Unternehmen können keine Direktmitglieder sein, sondern lediglich die Fachverbände innerhalb der Sektoren und die Landesvereinigungen. Traditionell ist Gesamtmetall, der Dachverband der Metall- und Elektroindustrie (Verband 2. Ordnung), tonangebend, stellt meistens den Präsidenten (z. Z. Ingo Kramer; vorher Präsident des AV Nordmetall sowie Schatzmeister von Gesamtmetall) und ist zugleich wichtigster Finanzier. Da die Kompetenz der Tarifpolitik bei den regionalen AV (Verbände 1. Ordnung: Firmendirektmitgliedschaft) liegt, sind auf der Ebene des Dachverbandes vor allem folgende Aufgabenfelder relevant: Mitgestaltung der Arbeits- und Sozialpolitik, Vertretung der unternehmerischen Sozial- und Gesellschaftspolitik gegenüber dem politischen System, den Gewerkschaften und der Öffentlichkeit, Informations- und Beratungsarbeit und schließlich die Koordination der Lohn- und Tarifpolitik. Da branchenübergreifende, einheitliche Tarifverträge abgelehnt werden, beinhaltet die Koordinationsfunktion die Schaffung eines einheitlichen Meinungsbildes sowie die Sanktionierung eines sogenannten „Tabukataloges“, womit Themen und Niveaus gemeint sind, die auf keinen Fall tarifvertraglich fixiert werden dürfen. Die Trennung in WV und AV auf der Landesebene bildet die Ausnahme: Lediglich in BW besteht keine integrierte Landesvertretung.

Die dritte Säule unternehmerischer Interessenvertretung sind die 79 IHKn, die öffentlich-rechtliche Körperschaften sind. Die IHKn sind zwar eigenverantwortliche öffentlich-rechtliche Körperschaften, aber dennoch keine Behörden, sondern Interessenvertreter der gewerbetreibenden Unternehmen gegenüber den Kommunen, Landesregierungen und den regionalen staatlichen Einrichtungen. Der DIHK vertritt die Unternehmen gegenüber der Bundesebene und der Europäischen Kommission. In der IHK müssen alle inländischen Unternehmen mit Ausnahme der freien Berufe, der Handwerks- und landwirtschaftlichen Betriebe Mitglieder sein. Über diese Zwangsmitgliedschaft findet seit einigen Jahren ein zuweilen heftiger Streit statt, der vom →Bundesverfassungsgericht so entschieden wurde, dass es auch zukünftig keine freiwillige Mitgliedschaft in der IHK geben kann, weil die IHKn öffentliche Aufgaben wahrnehmen (berufliches Prüfungswesen, Bestellung von Sachverständigen, Öko-Standorte registrieren, gutachterliche Tätigkeiten für die staatlichen Verwaltungen und für die Gerichte durchführen, Handelsregistereintragungen etc.), die auf dem Wege der freien Mitgliedschaft nicht so effektiv erfüllt werden können.

Der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft, 1950 als nicht weisungsgebundenes Koordinierungsgremium gegründet, umfasst mittlerweile 15 U. und zwei Gastverbände, die sich in den wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Angelegenheiten abstimmen. Neben BDA, BDI, DIHK und ZDH sind auch vertreten: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Bundesverband deutscher Banken (BdB), Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH), Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV), Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Handelsverband Deutschland (HDE), Verband Deutscher Reeder (VDR), Der Mittelstandsverbund (ZGV) und als Gastverbände der Deutsche Bauernverband (DBV) sowie der Bundesverband der Freien Berufe (BfB).

Neben Verbänden, in denen Branchenverbände und Unternehmen Mitglieder sind, gibt es auch U., in denen Personen Mitglieder sind: Dazu gehören mittelständische, konfessionelle und geschlechtsspezifische Organisationen. DIE FAMILIENUNTERNEHMER – ASU (ehemals Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer) versteht sich als Sprachrohr der Kleinen gegen die Großen. Phasenweise gelingt es dieser Plattform sogar, eine hohe publizistische Aufmerksamkeit für seine Positionen zu erreichen (vor allem in der Frage der Tarifpolitik). Ein Beispiel für eine konfessionelle Standesorganisation ist der Bund Katholischer Unternehmer (BKU), der vor allem für die Interessen der Unternehmen innerhalb des Katholizismus wirbt. Aus seinen Reihen ist 1957 das Konzept der bruttolohnbezogenen Rente entwickelt worden (Schreiber Plan). Der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) ist ein Bsp. für einen geschlechtsspezifischen Verband.

Organisation und Mikropolitik

Zwischen Unternehmen und Verbandsführungen kann eine strukturelle Misstrauenssituation unterstellt werden. Um diese zu minimieren, und Mitgliederlogik und Einflusslogik auszubalancieren, haben die U. einen Dualismus zwischen politisch verantwortlichen ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern und weisungsgebundenen hauptamtlichen Geschäftsführern eingeführt. Die Geschäftsleitung soll von einer nichtparteiischen Persönlichkeit (meist Juristen), die von den konkurrierenden Mitgliedern akzeptiert wird, ausgeübt werden. Die strenge Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer soll sicherstellen, dass sich nicht private Karriereinteressen, sondern der politisch rückgebundene Mitgliederwille durchsetzt. Die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder, die einem verbandspolitischen Proporz (Betriebsgrößenklassen, regionale Herkunft etc.) entsprechen sollen, müssen die getroffenen Entscheidungen selbst in ihren Betrieben umsetzen bzw. akzeptieren. Durch das dualisierte Vertretungskonzept soll ein hohes Maβ an Deckungsgleichheit mit den Interessen der Mitglieder erreicht werden. Faktisch kann sich insbesondere aus der unterschiedlichen Präsenz von haupt- und ehrenamtlichen Repräsentanten eine latente bis manifeste Konfliktkonstellation entwickeln, wenn die Geschäftsführer ihre größere Präsenz und Steuerungsmöglichkeiten für eigene machtpolitische Ambitionen nutzen.

Während die Dach- (Mitglieder: Verbände) und Spitzenverbände (Mitglieder: Dachverbände) nur Verbände 2. oder 3. Ordnung sind, bestehen bei den regionalen U. und den IHKn betriebsbezogene Direktmitgliedschaften, womit sie Verbände 1. Ordnung sind. Der formal-demokratische Aufbau der Verbände kennt in der Regel die Gremien: Mitgliederversammlung, Vorstand, Präsidium, Ausschüsse und Geschäftsführung. Die Mitgliederversammlungen von BDI/BDA (IHKn ein Unternehmen eine Stimme), als demokratische Legitimationsinstanz, setzen sich nach der gewichteten Unternehmens- bzw. Verbandsgröße zusammen, sie haben aber letztlich keinen großen Einfluss, da die dort zu fällenden Entscheidungen bereits im Vorfeld zwischen den wichtigsten Einflussakteuren geregelt sind. Bei den zu treffenden Personalentscheidungen gibt es in aller Regel keine Gegenkandidaten. In den meisten Verbänden dominieren die Großunternehmen, die die Majorität der finanziellen und personellen Mittel aufbringen, sich aber in der öffentlichen Kommunikation der Verbandsführung häufig im Hintergrund halten. Die Vorsitzenden der deutschen U. kommen in aller Regel aus dem Mittelstand und sind meist fungierende Eigentümerunternehmer. Seit einigen Jahren lässt sich allerdings beobachten, dass die Verbände Probleme haben, ehrenamtliches Personal zu rekrutieren.

Wandel und Transformation der Verbände

Ökonomischer und technologischer Wandel aber auch politische Veränderungen und nicht zuletzt der Individualisierungstrend verlangen von den Verbänden neue Anpassungsleistungen. Unter den Bedingungen einer exportorientierten, großbetrieblich, industriell dominierten Wirtschaftsstruktur, deren Wachstum auch durch nationale Regulation beeinflussbar war, entwickelten sich die U. zu stabilen und dynamischen Akteuren. Indem sich die Branchenstrukturen, die Märkte und Unternehmen durch Outsourcing, Börsenkapitalisierung, Profitcenter und Fusionen neuen Bedingungen anpassten, wurde auch die Fortführung bestehender Verbandsmitgliedschaften problematischer. Eine neue Generation von Managern stellte das Verhältnis zu den Verbänden, viel stärker als ihre Vorgänger, unter kurzfristige Kosten-Nutzen-Gesichtspunkte. Gerade der Übergang von Familienunternehmen in professionelle Managerunternehmen, die oft zu Zweigniederlassungen großer Unternehmen geworden sind, hat die Bereitschaft für eine verantwortliche Mitarbeit in den Verbänden stark sinken lassen. Die Auswirkungen der neuen ökonomischen und sozialen Konstellation werden von den verschiedenen Verbänden sehr unterschiedlich bewältigt. In den 1990er-Jahren kamen im Schatten der deutschen Einheit, des Maastricht-Prozesses und der tiefsten Krise der deutschen Industrie seit 1945, die zwischen 1992 und 1996 die Szenerie beherrschte, viele bereits seit längerem virulente Konflikte zum Ausbruch. Dazu zählen nicht nur die Interessensunterschiede zwischen kleinen und großen Unternehmen oder zwischen Zulieferfirmen und Endherstellern.

Der Wandel der Rahmenbedingungen führte dazu, dass sich Verbände spalteten, wie dies 1993 beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) der Fall war. Oder es werden neue Verbände gegründet, wie bei Bitkom oder bei den AV der industrienahen Dienstleistungen. Mehr oder weniger umfangreiche Reorganisationsprozesse, die mit Kosteneinsparungen, Personalabbau, neuer Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Fusionen und neuen zwischenverbandlichen Kooperationen reichen, sind allgegenwärtig. Während die Fusionen von BDA und BDI sowie von VDMA und ZVEI scheiterten, kam es zu einer Vielzahl von Fusionen auf Landesebene. Bei den WV geht es unter dem Druck der Mitgliederkritik darum, dass sie ihre Kostenstruktur, Service- und Lobbyarbeit verbessern. Dagegen sehen sich die AV durch einen starken Mitgliederrückgang herausgefordert, der ihre Funktionsfähigkeit als Tarifträgerpartei in Frage stellen kann.

Das Leistungsprofil der U. ist aufgrund des Trittbrettfahrerproblems, das mit den kollektiven Gütern (bspw. politisches Lobbying gegenüber der Regierung) gegeben ist, so ausgerichtet, dass auch selektive (Serviceleistungen wie Rechtsberatung), solidarische (Geselligkeit, Partizipation) und autoritative Güter (Tarifverträge) angeboten werden. Die Spitzenverbände bieten in der Regel Kollektivgüter an; andere Güter dominieren in den Verbänden, wo die Firmen Direktmitglieder sind. Ein besonderes Problem besteht mit den autoritativen Gütern, wie dem Tarifvertrag, der die Mitglieder zu einer verbindlichen Normenimplementierung anhält, womit die AV in den letzten Jahren besonders herausgefordert sind.

Seit Ende des 20. Jh.s gewinnt Verbandsabstinenz bei den AV an Bedeutung. So ist der Mitgliederorganisationsgrad der westdeutschen AV seit etwa zwei Jahrzehnten rückläufig. In der westdeutschen Gesellschaft und ab der Wiedervereinigung für Gesamtdeutschland hat sich der Organisationsgrad der Metall- und Elektroindustrie wie folgt verändert: 1964 bei etwa 65 %, 1984 bei 56 %, 1994 bei 40 %, 2014 bei 28,6 % und 2016 bei 28,8 %. Auch der Beschäftigtenorganisationsgrad verringert sich, wenngleich deutlich langsamer. Im Jahre 1984 erreichte er in der Metall- und Elektroindustrie ca. 77 %, zehn Jahre später lag er bei 66 %, 2014 bei 60 % und 2016 bei 59,6 %.

Mehrheitlich sind es kleinere Unternehmen, die sich den AV fernhalten. Dagegen sind Traditionsunternehmen mit einer entsprechenden Belegschaftsgröße, starker gewerkschaftlicher Präsenz und Betriebsrat nach wie vor in hohem Maße verbandlich organisiert. Die drei wichtigsten Faktoren für eine Verbandsbindung waren bisher: gewerkschaftlicher Organisationsgrad im Betrieb, Betriebsgröße und Alter der Firma. Umgekehrt bedeutet dies: Dort, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering ist, die Firma relativ klein und ihr Alter vergleichsweise jung, ist die Wahrscheinlichkeit einer Verbandsmitgliedschaft gering.

Neu gegründete Unternehmen werden immer seltener Verbandsmitglieder. Das ist ein wichtiger Punkt, der die schwach ausgeprägte Organisationsneigung der ostdeutschen Betriebe mit erklärt, wo es sich nicht nur mehrheitlich um kleine, sondern auch um neugegründete Firmen handelt. Bei den großen Betrieben mit über 500 Beschäftigten liegen die Organisationsgrade in Ost- und Westdeutschland nicht weit auseinander. Der entscheidende Unterschied liegt bei der Organisationsneigung der kleinen Betriebe. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind auf zwei zentrale Merkmale zurückzuführen: Erstens auf die geringe Zahl der größeren Betriebe und zweitens auf eine fehlende verbandspolitische Tradition der ostdeutschen Betriebe.

Die AV verfolgen seit Anfang der 1990er-Jahre eine Doppelstrategie: Einerseits versuchen sie den Flächentarifvertrag grundlegend zu verändern, um eine Dezentralisierung, Differenzierung und Flexibilisierung der tariflichen Regelungsmuster zu erreichen. Andererseits setzen sie auf eine Flexibilisierung der Verbandsmitgliedschaft. Mit der Errichtung von sogenannten Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT) wird einerseits erfolgreich versucht, die Mitgliederzahl und damit die verbandliche Einnahmesituation zu stabilisieren, andererseits ist dies eine Strategie, um den tarifpolitischen Druck auf die Gewerkschaften zu erhöhen. Verbände, die sowohl tarifgebundene Mitglieder wie auch solche ohne Tarifbindung haben, können also gewissermaßen eine menüartige Auswahl zwischen verschiedenen Formen der Verbandsmitgliedschaft und ihren Leistungsangeboten anbieten. Zugleich gibt es in einigen Regionen/Branchen auch selbstständige OT-Verbände, die nur noch sozial- und tarifpolitische Beratungsarbeit anbieten: In einzelnen Regionen sind die OT-Mitglieder in den Verbänden höher als die tarifgebundenen Mitglieder. In einzelnen Regionen ist die Anzahl der OT-Mitglieder in den Verbänden höher als die Anzahl tarifgebundener Mitglieder. Mit dieser Entwicklung kann mittelfristig eine Neudefinition der deutschen Verbände- und Tariflandschaft einhergehen, die auch dazu führen kann, die tarifpolitische Selbstregulation, also die Tarifautonomie, zu untergraben und perspektivisch aufzulösen.

Die europäische Herausforderung

Die deutschen U. sind Mitglieder in den europäischen Verbandsföderationen (BDI und BDA in BUSINESSEUROPE (ehemals UNICE), der DIHK in EUROCHAMBRES, Gesamtmetall in CEEMET etc.). Zugleich haben viele von ihnen auch direkte Vertretungen in Brüssel. Mit der seit den 1980er-Jahren forcierten Binnenmarktintegration und der damit einhergehenden Kompetenzzunahme der europäischen Regulierungsebene droht der Einfluss der deutschen U. zurückzugehen. Darauf reagieren sie im Konzert mit den wichtigsten Firmen: Erstens indem sie ihre europapolitische Kompetenz auf nationaler Ebene ausbauen, zweitens, indem sie ihren Einfluss in den EU-Verbänden verstärken; drittens durch Koordination und Kooperation zwischen den Verbänden und viertens durch ein effektiveres Euro-Lobbying.

Politische Bedeutung Neokorporatistische Einbindung

U. gelten im Vergleich mit anderen Interessengruppen als besonders einflussreich. Zugleich gibt es die direkte Einflussnahme der Firmen oder durch von ihnen beauftragte „public affairs“. Die durch die Geschichte der BRD schleichende Angst vor der „Herrschaft der Verbände?“ fokussiert sich besonders auf die U. Die Frage nach dem Einfluss der Verbände lässt sich jedoch nicht generalisierend beantworten. Ein Beispiel dafür, dass es den U. gelungen ist, eine eigene Interessenlage direkt in Regierungspolitik umzusetzen, ist die Einführung der „Green Card“ aber auch das „Tarifeinheitsgesetz“. U. üben Pressure-Funktionen aus, sie praktizieren jedoch auch staatsentlastende und selbstregulative Funktionen. Es ist ihnen jedoch nur unter besonderen Bedingungen möglich, die Mitglieder auf ein übergeordnetes gesamtwirtschaftliches oder gar politisches Ziel zu verpflichten. Dies hat auch zur Folge, dass die U. im Rahmen von korporatistischen Arrangements nur über geringe Handlungsspielräume verfügen. Häufig sind es gar nicht die U., sondern mächtige Unternehmen, oder Unternehmergruppen, die ihren direkten und gezielten Einfluss geltend machen und durchsetzen.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wolfgang Schroeder

Fussnoten