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Der Körper im Krieg | Das gesamte Bild - Ukraine | bpb.de

Debatte Das gesamte Bild - Ukraine

Luba Jakymchuk

Der Körper im Krieg

Luba Jakymchuk

/ 2 Minuten zu lesen

Ukrainische Landschaft mit Strommast (© Yuriy Barabash)

Die Hitze stand im Sommer 2014 in den ostukrainischen Städten, Panzer und Schützenpanzerwagen standen, Kämpfer aus Russland patrouillierten mit Maschinengewehren durch die Supermärkte. Ich rief meinen Vater im besetzten Perwomajsk an. Ich war froh, dass ich ihn endlich erreicht hatte, denn lange Zeit war die Verbindung unterbrochen gewesen. Er antwortete mir unterkühlt. Oder einfach nur gelassen.

„Mutter und Anja sind im Keller. Hast du das gehört?“

„Nein, was ist das?“

Gemächlich zog er an seiner Zigarette.

„Da schlägt was ein.“

„Warum gehst du dann nicht in den Keller?“, fragte ich alarmiert.

„Das nervt. Ich will nicht.“

Wie man mitten in einem Angriff dasitzen und einfach in den Himmel schauen konnte, war mir unklar. Was war denn das für ein selbstmörderisches Verhalten?

Nach dem Großangriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine schlugen auch in Kyjiw Geschosse ein. Ich schaute aus dem Fenster: da drüben geht die Sonne auf, hier kommt eine Rakete geflogen, die Flugabwehr holt sie runter, sie lodert. Ich schnappe mir das Kind, wir stürzen in den Flur und legen uns auf den Boden. Zwischen zwei tragenden Wänden ist es sicher. Dort haben wir in der Nacht geschlafen.

Zehn Tage später – mein Kind war inzwischen in einer anderen Stadt in Sicherheit, mein Mann unterwegs mit einem Hilfsgütertransport nach Charkiw – habe ich aufgehört, mich vor den Geschossen zu verstecken. Ich habe mich zum Schlafen in mein großes bequemes Bett gelegt. Ich konnte nichts kontrollieren, konnte mein Leben nicht planen, konnte nicht mit meinen Liebsten zusammen sein, aber wenigstens meinen Körper wollte ich zurück haben. Wollte den russländischen Geschossen und der Armee, die in den Tagen Kyjiw angriffen, die Macht über meinen Körper entziehen. Wollte, dass mein Körper da liegt, wo ich es möchte, dass er schläft, wo es mir gefällt, dass ihm nur das widerfährt, was ich zulasse oder will.

In meinem Schlafzimmer ging es mir gut. Oben drüber hat irgendwas gekracht, aber ich habe nicht mehr aus dem Fenster geschaut. Ich musste an meinen Vater denken, der mit mir gesprochen hatte, während er eine Zigarette rauchte.

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe

Luba Jakymchuk

Die Dichterin, Drehbuchautorin und Journalistin Luba Jackymchuk wurde in Pervomaysk geboren. Ihre mehrfach ausgezeichneten Werke, insbesondere die Gedichte, wurden mittlerweile unter andere, ins Englische, Schwedische, Deutsche, Französische, Polnische, Hebräische Serbische übersetzt. Luba Jakymchuk lebt momentan in Kyjiw, aufgewachsen ist sie im Donbas, von dort musste sie nach der Invasion 2014 mit ihrer Familie fliehen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Die Dichterin, Drehbuchautorin und Journalistin Luba Jackymchuk wurde in Pervomaysk geboren. Ihre mehrfach ausgezeichneten Werke, insbesondere die Gedichte, wurden mittlerweile unter andere, ins Englische, Schwedische, Deutsche, Französische, Polnische, Hebräische Serbische übersetzt. Luba Jakymchuk lebt momentan in Kyjiw, aufgewachsen ist sie im Donbas, von dort musste sie nach der Invasion 2014 mit ihrer Familie fliehen.