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Deutschland und Polen

Dieter Bingen

/ 8 Minuten zu lesen

In den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine offiziellen Kontakte zwischen der Bundesrepublik und Polen. Die Erblast der kurz zurückliegenden NS-Herrschaft in Europa und das aktuelle politische Konfliktpotenzial schienen lange Zeit als unüberwindliche Hindernisse für eine Annäherung.

Eine historische Geste der Demut: Willy Brandt fällt vor dem jüdischen Heldenmahnmal in Warschau auf die Knie. (© AP)

Neubeginn unter schlechten Sternen (1919-1939)

Nach der Erlangung der Unabhängigkeit erhielt Polen im Versailler Vertrag von 1919 fast das gesamte ehemalige Großherzogtum Posen und weite Teile Westpreußens links der Weichsel zugesprochen. In strittigen Gebieten um Allenstein, Marienwerder und in Oberschlesien wurden Volksabstimmungen abgehalten, als deren Ergebnisse die südlichen Gebiete Ostpreußens und westpreußische Gebiete bei Deutschland blieben und Oberschlesien zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde. Danzig wurde als "Freie Stadt" unter das Protektorat des Völkerbunds gestellt. Die Grenzziehungen belasteten das deutsch-polnische Verhältnis von Anfang an. Die Weimarer Republik verweigerte eine von Piłsudski gewünschte Normalisierung der Beziehungen und forderte eine größere Grenzrevision und militärische Gleichberechtigung. Die zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1922 in Rapallo besiegelte politische Verständigung verursachte in Polen größte Beunruhigung ("Rapallo-Komplex"). Die UdSSR und das nationalsozialistische Deutschland nutzten ihre jeweiligen Nichtangriffsverträge mit Polen (25.7.1932 bzw. 26.1.1934) nur als Atempause auf dem Weg zur Revision der Versailler Friedensordnung.

Der deutsche Diktator Adolf Hitler drängte nach dem "Anschluss" Österreichs und der Zerstückelung der Tschechoslowakei auf eine Regelung der Danzig- und Korridorfrage zugunsten Deutschlands als Ausgangspunkt für eine Politik, die Polen zu einem Vasallenstaat des Reichs degradieren sollte. Die Zurückweisung der Forderungen des nationalsozialistischen Deutschland und die britische Garantieerklärung für die "nationale Integrität" Polens am 31. März 1939 nahm Hitler zum Anlass, im April den Befehl zur Vorbereitung eines Angriffskriegs zu geben und am 28. April den Nichtangriffspakt aufzukündigen. Ein am 23. August unterzeichneter deutsch-sowjetischer Nichtangriffsvertrag ("Hitler-Stalin-Pakt") sah in einem geheimen Zusatzprotokoll die Aufteilung Polens zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion vor. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 löste Hitler den Zweiten Weltkrieg aus.

Polen im 2. Weltkrieg (1939-1945) – deutsche Besatzungspolitik

Nach dem schnellen Vorstoß der deutschen Truppen und dem Einfall der Roten Armee in Ostpolen am 17. September kapitulierten die letzten polnischen Verbände am 5. Oktober. Deutsch-sowjetische Verhandlungen führten am 28. September zu einem Grenz- und Freundschaftsvertrag, der die Demarkationslinie der Invasoren entlang dem Fluss Bug festlegte. Der Westen Polens war seit September 1939 ganz in deutscher Hand. Hitler begann hier ohne Rücksicht mit der Umsetzung der nationalsozialistischen "Lebensraum-Politik" in den mit dem Reich vereinigten westlichen Gebieten ("Eingegliederte Ostgebiete") Polens, während der östliche Teil, d.h. die Mitte Polens, als "Generalgouvernement" ein "Nebenland" des Deutschen Reichs wurde.

Die "NS-Lebensraum- und Volkstumspolitik" forderte schon im Herbst 1939 zehn bis zwanzigtausend Menschenleben unter der polnischen Führungsschicht, darunter zahlreiche katholische Geistliche. Es folgten erste Vertreibungs- und Umsiedlungsaktionen. Bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22.6.1941) wurden 365 000 Polen aus den eingegliederten Ostgebieten deportiert, die Versklavungspolitik gegenüber den Polen nahm entsprechend dem Programm der Neuordnung des europäischen Ostens und des antislawischen Rassismus der NS-Ideologie ihren unerbittlichen Lauf. Aus dem Generalgouvernement gingen etwa 1 Mio. Polen, teils um weiterer wirtschaftlicher Verelendung zu entgehen, teils gezwungen, als "Fremdarbeiter" nach Deutschland. Nach der Eroberung der bisher sowjetisch besetzten ostpolnischen Gebiete im Sommer 1941 wurde auch dort (Zamość u.a.) mit einem Vertreibungs- (betr. Polen) und Ansiedlungsprogramm (betr. Volksdeutsche) begonnen, das aber wegen des starken Widerstands der polnischen Landbevölkerung Ende 1943 aufgegeben werden musste.

In den eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement erstrebte das nationalsozialistische Deutschland die vollständige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas. Dies versuchte Hitler durch das System der Konzentrations- und Vernichtungslager, die vor allem im besetzten Polen eingerichtet wurden. Dort wurden ca. 4,5 Mio. Juden aus dem deutschen Machtbereich ermordet. Die brutale deutsche Besatzungspolitik löste eine immer weitere Bevölkerungskreise erfassende Bereitschaft zum Widerstand im Untergrundkampf aus. Dessen bewaffneter Arm, die "Heimatarmee" (Armia Krajowa) wuchs bis Ende 1943 auf 350 000 Mann. Im April 1943 schlug die deutsche Besatzungsmacht den verzweifelten Aufstand im Warschauer Ghetto blutig nieder, der den Abtransport der letzten 60 000 Juden aus Warschau in die Vernichtungslager aufhalten sollte. Die Heimatarmee löste am 1. August 1944 einen Aufstand in Warschau aus, um die sowjetischen Truppen auf dem Weg nach Westen als legitime polnische Macht empfangen zu können. Der Aufstand wurde bis zum 2. Oktober von der deutschen Besatzungsmacht niedergeschlagen, Warschau in Schutt und Asche gelegt. Das am 1. Januar 1945 in "Provisorische Regierung" umbenannte von Kommunisten dominierte "Lubliner Komitee" übernahm nach der Befreiung Polens die Herrschaft und zugleich die Verwaltung im südlichen Ostpreußen, in Danzig, Pommern, im östlichen Brandenburg und in Schlesien. Die Potsdamer Konferenz unterstellte (17.7.-2.8.1945) die deutschen Ostgebiete jenseits der Oder und Lausitzer Neiße sowie das südliche Ostpreußen und Danzig (103 000 qkm) polnischer Verwaltung. Polen musste endgültig auf 180 000 qkm östlich der Curzon-Linie zugunsten der Sowjetunion verzichten. Die Folge der territorialen und politischen Neuordnung waren Flucht, Vertreibung und Umsiedlung von 7 Millionen Deutschen aus den Ostprovinzen östlich von Oder und Lausitzer Neiße und rund 1,5 Mio. Polen aus den sowjetisch gewordenen polnischen Ostgebieten.

In den Fängen der Vergangenheit und der Doktrinen

In den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden keine offiziellen Kontakte zwischen dem westdeutschen Staat und Polen geknüpft. Erst 1972 nahmen Bonn und Warschau diplomatische Beziehungen miteinander auf. Die Erblast der kurz zurückliegenden NS-Herrschaft in Europa und deren Folgen und das aktuelle politische Konfliktpotenzial schienen lange Zeit als unüberwindliche Hindernisse für eine Annäherung. Auf beiden Seiten gab es eine Vielzahl von Gründen für diesen Zustand. Das schwierigste Problem stellte die Grenzfrage dar. Der erste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer, akzeptierte die Festlegung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße nicht, weil sie von einer überwältigenden Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft, nicht nur von den Vertriebenen, in den 1950er Jahren nicht akzeptiert wurde.

Die polnische Gesellschaft, nicht nur die regierenden Kommunisten, war dagegen der Auffassung, dass diese Frage während der Potsdamer Konferenz endgültig geregelt worden sei. Das Beharren auf den Potsdamer Beschlüssen vom August 1945 war für Polen nicht nur eine Sache der Staatsräson oder Entschädigung für die Kriegsverluste durch die deutsche Besatzungsherrschaft. Diese Frage hatte vielmehr eine existentielle Bedeutung für den polnischen Staat, nachdem die Sowjetunion die polnischen Gebiete jenseits des Bugs 1939 besetzt hatte. Vom polnischen Vorkriegsterritorium fand sich nurmehr die Hälfte in den neuen Grenzen wieder. Die aus dem Osten zwangsumgesiedelten Polen wurden in den so genannten "wiedergewonnenen Gebieten" angesiedelt, deren deutsche Bevölkerung zuvor zum größten Teil ebenfalls vertrieben worden war. Auch die polnischen Vertriebenen hatten das Gefühl, das ihnen Unrecht widerfahren war, auch sie hatten ihre Heimat verloren und sie mussten – ähnlich wie die deutschen Vertriebenen – ihr Leben neu aufbauen.

Politik der vorläufigen Normalisierung

Die Unterzeichnung des "Vertrags über die Grundlagen der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen" war erst 25 Jahre nach Weltkriegsende möglich. Anlässlich der Unterzeichnung dieses Vertrags am 7. Dezember 1970 hielt sich der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau auf und kniete vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstands im April 1943 nieder. Diese mutige Tat wurde als ein symbolischer Akt der Reue für die deutschen Verbrechen auch an den nicht jüdischen Polen empfunden. Die Folge der Vertragsunterzeichnung war die Belebung der kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontakte. Zehntausende Deutsche aus der Bundesrepublik besuchten erstmals Polen. Und die Einführung des visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und Polen am Anfang der 1970er Jahre eröffnete auch für eine gewisse Zeit – bis zu einer erneuten Einschränkung der Reisemöglichkeiten – die Möglichkeiten für zehntausende Begegnungen aus beiden Staaten.

Von einer wirklichen Wende in den westdeutsch-polnischen Beziehungen kann man jedoch erst in den 1980er Jahren sprechen. Diese Dekade begann mit der Geburt der Gewerkschaft "Solidarność" in Polen. Nach deren Zerschlagung durch die Kommunisten wurden die politischen Emigranten aus Polen auch in der Bundesrepublik großzügig und gastfreundlich aufgenommen. Sie konnten dort ihre politische Tätigkeit fortsetzen und ihre Schriften veröffentlichen. Diese Gastfreundschaft erinnerte an die Zeit der sogenannten Polenbegeisterung in Deutschland in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, in der die liberalen Gruppen den Unabhängigkeitskampf der Polen lebhaft unterstützten.

Die karitative deutsche Hilfe (Polen-Pakete) in den 1980er Jahren spielte für Polen eine sehr große psychologische Rolle, vor allem für die Kriegsgeneration der Polen. Als Erfolg wurde von der Warschauer Regierung die Unterzeichnung des Vertrags mit der DDR im Juli 1950 empfunden, der die Oder-Neiße-Grenze als deutsch-polnische Friedensgrenze anerkannte und den die SED-Führung auf Druck Moskaus abschloss.

Vom Umbruch zum Durchbruch

Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems schuf neue Voraussetzungen für einen grundsätzlichen politischen Ausgleich zwischen Deutschland und Polen sowie für eine gesellschaftliche Verständigung. Im Herbst 1989 verkündete die neue demokratische Regierung Polens einen Umbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen. Premier Mazowiecki plädierte in seiner Regierungserklärung für "eine echte Aussöhnung, die dem Rang der zwischen Deutschen und Franzosen bereits herbeigeführten entspräche". Zum Symbol des Neuanfangs in den deutsch-polnischen Beziehungen wurde die Versöhnungsmesse auf Gut Kreisau in Schlesien, an der Polens Premierminister Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl während seines offiziellen Polenbesuchs am 12. November 1989 teilnahmen. Zur selben Zeit gingen die Ostberliner auf die Straßen und begannen, die Berliner Mauer zu durchlöchern. Mit dem sechs Wochen nach der Wiedervereinigung abgeschlossenen deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 wurde das Ende der Nachkriegszeit im deutsch-polnischen Verhältnis völkerrechtlich endgültig besiegelt. Das Fundament für eine deutsch-polnische Nachbarschaft und Partnerschaft in einem sich neu integrierenden Europa war geschaffen. Der nächste Schritt war die Unterzeichnung des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991, der den Rahmen für die Zusammenarbeit in den nachfolgenden Jahren bestimmte und bis heute bestimmt. Er regelte auch das Problem der Rechte der deutschen Minderheit, belebte den Austausch auf allen Feldern und schuf die Grundvoraussetzungen für die aktive Unterstützung der europäischen Hoffnungen Polens durch Deutschland.

Die "goldenen" 1990er Jahre

Erstmals ergab sich die Chance einer politischen Allianz zwischen einem vereinigten demokratischen Deutschland und einem außenpolitisch souveränen und demokratischen Polen. Tatsächlich entwickelte sich das deutsch-polnische Verhältnis in den 1990er Jahren so vielfältig und intensiv wie nie zuvor in der neuzeitlichen politischen Beziehungsgeschichte zwischen den beiden Nationen. Auf den Partnerschaftsvertrag folgte eine größere Anzahl von bilateralen Abkommen. Der Besuchsaustausch zwischen Deutschland und Polen auf Regierungs- und Parlamentarierebene vom Bund bis zu den Kommunen war seit Anfang der 1990er Jahre bemerkenswert intensiv. 1991 wurde die trilaterale Kooperation ("Weimarer Dreieck") zwischen Deutschland, Frankreich und Polen aufgenommen. Besonders intensiv entwickelte sich die Zusammenarbeit im wirtschaftlichen, aber auch im militärischen Bereich. Schließlich fand Polen in Deutschland den stärksten europäischen Fürsprecher eines polnischen NATO-Beitritts. Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 wurden zu einem Gegenstand intensiver Forschung – vor allem in Polen – und zu einem gemeinsamen lieu de mémoire von Deutschen und Polen. Der Schüler- und Jugendaustausch, vor allem auch über das seit 1991 tätige Deutsch-Polnische Jugendwerk, entwickelte sich schon bald zu einer Erfolgsgeschichte. Nach dem NATO-Beitritt Polens und dem Beitritt zur Europäischen Union am 1.5.2004 entstanden neue Herausforderungen, wie mit der "deutsch-polnischen Interessengemeinschaft in Europa" (Außenminister Krzysztof Skubiszewski im Februar 1990) umzugehen sei.

Neue Herausforderungen in diesem Jahrzehnt

In der medialen Öffentlichkeit wurden die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen in den letzten Jahren ganz besonders stark durch folgende Themenkomplexe fokussiert: den Irak-Konflikt, in dem Berlin und Warschau unterschiedliche Positionen vertraten; die europäische Verfassungsdebatte und die Auseinandersetzungen um die Stimmengewichtung in der EU; die Debatte um ein "Zentrum gegen Vertreibungen" und das deutsch-russische Ostseepipeline-Projekt. Ungeachtet der zwischenzeitlichen Erkaltung der politischen Beziehungen in der Zeit der rechts-konservativen PiS-Regierung (2005-2007) haben sich die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen auf der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Ebene kontinuierlich weiter entwickelt, wobei der Nachholbedarf bei der Wahrnehmung des östlichen Nachbarn in Deutschland weiterhin groß ist. Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren stabilisierend ausgewirkt, dass sich die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen zunehmend zu einem zivilgesellschaftlichen Projekt entwickelt hat, das sogar korrigierend auf Politik einwirken kann. Die Niederlage der konservativ-katholischen PiS im Herbst 2007 war nicht zuletzt auf die Unbeliebtheit der konfrontativen Politik des Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski gegenüber Deutschland zurückzuführen.

Fussnoten

Prof. Dr. Dieter Bingen ist Direktor des Deutschen Polen Instituts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Polnische Zeitgeschichte und Politik, Politisches System Polens, Politische Systeme und Systemtransformation in Ostmittel- und Südosteuropa, Deutsch-polnische Beziehungen sowie Integrationspolitik in Europa.