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Deutschland und Polen als Nachbarn in der EU

Thomas Jäger

/ 7 Minuten zu lesen

Zwischen den Nachbarn Polen und Deutschland gibt es immer wieder unterschiedliche Positionen. Die Normalisierung des deutsch-polnischen Verhältnisses bleibt auch in der EU eine wichtige Aufgabe. Thomas Jäger über geschichtliche Belastungen, aktuelle Debatten und die Aufgaben der Zukunft.

Die Normalisierung des deutsch-polnischen Verhältnisses bleibt auch in der EU eine wichtige Aufgabe. (© AP)

Als die Teilung Deutschlands und Europas vor zwei Jahrzehnten überwunden wurde, knüpfte man große Erwartungen an die Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Ähnlich der Aussöhnung mit Frankreich sollte Deutschland auch mit Polen zu einer engen Beziehung finden, um den europäischen Motor um einen großen Staat im Osten zu erweitern. Diese Hoffnungen haben sich bisher nicht erfüllt: Deutschland und Polen haben ein schwieriges Verhältnis und Polen wurde nicht zu einem Motor der europäischen Integration. Tiefreichendes Misstrauen und unterschiedliche Interessen der beiden Staaten wurden selbst durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der NATO nicht aufgelöst. Deutschland und Polen verfügen nur in guten Zeiten über normale Beziehungen, die auf gemeinsamen Interessen, Skepsis und Desinteresse gleichermaßen gründen. Die scheinbar normalen und guten Beziehungen werden immer wieder durch aufbrechende Konflikte erschüttert.

Asymmetrien

Zwischen Deutschland und Polen bestehen auf mehreren Feldern Asymmetrien, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen dazu beitragen, dass die Distanz zwischen den Nachbarstaaten so groß ist. Allein durch seine geografische Lage ist Deutschland ein zentraler Staat in der Europäischen Union. Die deutsche Bevölkerung ist mehr als doppelt so groß wie die polnische, die deutsche Wirtschaftskraft ist zehn Mal so groß, die polnischen Rüstungsausgaben erreichen nur zwanzig Prozent der deutschen. Das politische Gewicht der beiden Länder ist sehr unterschiedlich, vor allem in der EU hat Deutschland deutlich mehr Einfluss. Die Asymmetrie besteht auch in den ökonomischen Beziehungen. Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner und belegt bei den ausländischen Direktinvestitionen einen der vorderen Plätze. Polen hingegen ist aus deutscher Sicht wirtschaftlich nur von nachrangiger Bedeutung, weniger als vier Prozent der deutschen Exporte gehen nach Polen und weniger als drei Prozent der Importe stammen von dort.

Das Interesse der polnischen Gesellschaft ist sehr stark auf die beiden großen Nachbarn, Russland und Deutschland gerichtet, ihnen kommt eine hohe Aufmerksamkeit zu, wohingegen die deutsche Gesellschaft eher Desinteresse gegenüber Polen an den Tag legt. Politisch, wirtschaftlich und kulturell bestehen große Asymmetrien, die unterschiedliche Interessen begründen und zu einem unterschiedlichen Selbstverständnis der beiden Regierungen und Gesellschaften im Verhältnis zueinander beitragen.

Geschichtliche Belastung

Vor allem ist das Verhältnis aber geschichtlich belastet. Das wird besonders deutlich, wenn wichtige politische Gruppen auf Kosten des anderen Staates Geschichtspolitik betreiben. Die Regierung Kaczynski hatte vor kurzem erst noch die Vorbehalte, die in Polen gegenüber Deutschland existieren, innenpolitisch zu nutzen versucht und Angst vor Deutschland geschürt. Beiden Seiten ist es nicht gelungen, in einen Dialog zu treten, der über die immer noch prägende Phase des Zweiten Weltkrieges, der brutalen Gewalt der Deutschen in Polen und dadurch ausgelöst der Flucht und Vertreibung hinausführt. Bei tiefreichenden politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen ist diese Erinnerung präsent und lässt Konflikte eskalieren. Das gilt für die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", die "Preußische Treuhand", die Sicherheits- und Energiepolitik sowie die europäische Integration. Es wird dann sehr schnell deutlich, dass beide Staaten und Gesellschaften von Normalisierung weit entfernt sind, viel weiter noch von Verständigung und Versöhnung.

Bilaterale Beziehungen

Die bilateralen Beziehungen beider Staaten wurden 1991 mit dem Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage gestellt. Seither werden regelmäßig bilaterale Konsultationen der Regierungen organisiert. Zumindest symbolisch steht das deutsch-polnische Verhältnis somit auf einem festen Fundament. Seit 2006 ergänzt die Oder-Partnerschaft, die polnische Wojewodschaften und deutsche Bundesländer entlang der Grenze verbindet, die bilaterale Zusammenarbeit, um das Grenzgebiet ökonomisch zu entwickeln und infrastrukturell zu vernetzen. Die Erwartungen an die bilateralen Beziehungen sind sehr unterschiedlich: Polen hofft von der Kooperation mit Deutschland wirtschaftlich zu profitieren, in Deutschland wurde vor allem befürchtet, dass polnische Handwerker preiswerter auf dem deutschen Markt ihre Leistungen anbieten könnten.

Weimarer Dreieck

Das Weimarer Dreieck wird als Beweis für einen gelungenen Aussöhnungsprozess zwischen Deutschland, Frankreich und Polen bezeichnet. Es wurde 1991 von den Außenministern der drei Länder initiiert, die sich seither jährlich treffen. Seit 1998 finden auch unregelmäßig Konsultationen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs statt. Allerdings ist die politische Wirkung der Treffen mittlerweile wohl eher als gering einzuschätzen. Das war früher anders: Bis 2004, als Polen am 1. Mai der Europäischen Union beitrat, erfüllte dieses Forum eine wichtige Funktion. Es stellte die deutsche und französische Unterstützung für die Osterweiterung und die Heranführung Polens an die EU sicher. Damit hatte es seinen eigentlichen Auftrag erfüllt und spielt seither keine bedeutende Rolle mehr. Politisch ist das Weimarer Dreieck überholt, ebenso wie die deutsch-polnische "Interessengemeinschaft", die mit dem EU-Beitritt Polens ebenfalls ihre Bedeutung einbüßte.

Sicherheitspolitik

Im Bereich der Sicherheit ist es die Spannung aus Ähnlichkeit und Unterschieden, die zu den Konflikten in den bilateralen Beziehungen beitrug. Deutschland verfolgte während der Zeit des Ost-West-Konflikts eine Politik, die den Beziehungen zu den USA in sicherheitspolitischen Fragen Vorrang einräumte: USA first war das Motto der deutschen Sicherheitspolitik. Dafür wurden Konflikte mit dem engsten europäischen Verbündeten Frankreich in Kauf genommen. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts nahm die Bedeutung der sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA für die deutsche Sicherheitspolitik in Europa ab. Für Polen wurden die USA zu diesem Zeitpunkt der Garant der nationalen Sicherheit.

Polen, das sich anders als Deutschland durch Russland bedroht sieht, fokussierte seine Sicherheitspolitik auf die USA. Das führte zum Konflikt mit Deutschland, beispielsweise im Irakkrieg, an dem Polen teilnahm, während sich die Bundesregierung vehement widersetzte. Oder beim amerikanischen Raketenabwehrsystem, für das Polen Abwehrraketen aufstellen will, während die deutsche Politik Provokationen gegenüber Russland vermeiden möchte. Die unterschiedliche Haltung zu Russland eskalierte mit dem russisch-georgischen Krieg. Polen versuchte, in diametralem Gegensatz zur deutschen Politik, eine konfrontative Reaktion auf das russische Vorgehen zu organisieren.

Energiepolitik

In Fragen der Energiepolitik verfolgen Polen und Deutschland unterschiedliche Interessen. Polen strebt eine Energie-NATO an, die die Sicherung der Energieversorgung multilateral regulieren soll. Deutschland hingegen verfolgt das Projekt der Ostseepipeline, das russische Energielieferungen über die Ostsee nach Deutschland bringen soll. Polnisches Territorium wird dabei umgangen. In Polen wird diese Entwicklung mit großem Misstrauen verfolgt, weil sich hier die beiden großen Nachbarstaaten sektoral verbünden und Polen dabei ausgeschlossen ist. Polen achtet in Fragen der nationalen Sicherheit sehr auf die eigene Souveränität und hat den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Mitspracherecht in Fragen des Raketenabwehrschirms verweigert. In der Energiepolitik sieht es seine Souveränität jedoch stärker im multilateralen Verbund gewährleistet. So ist auch kein polnisches Institut oder Unternehmen am Bau der Pipeline beteiligt.

Nachbarschaftspolitik: Östliche Partnerschaft

Die deutsche Gesellschaft ist nach Westen orientiert und auch zwanzig Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist sie dem Westen stärker verbunden als dem Osten. Nachdem Deutschland 2004 nicht mehr die Grenzregion nach Osten stellte, sondern diese Rolle nun Polen und den baltischen Staaten zukommt, verlor die deutsche Außenpolitik ihr Interesse an einer Erweiterung der EU nach Osten. Gleiches gilt für die NATO. Der Krieg zwischen Russland und Georgien und die unterschiedlichen Reaktionen der EU-Staaten verdeutlichten dies. In Polen löste er Bedrohungsängste aus, in Deutschland nicht. Als die EU, angetrieben durch den französischen Präsidenten Sarkozy und nach anfänglichem Widerstand mit Unterstützung der Bundesregierung, 2008 mit den Anrainerstaaten die Mittelmeerunion gründete, initiierte Polen zusammen mit Schweden und Tschechien die Östliche Partnerschaft, um die West- und Südorientierung der EU auszugleichen. Sie soll im April 2009 umgesetzt werden.

Normalisierung als Aufgabe

Das deutsch-polnische Verhältnis ist durch die Gewalttaten des Zweiten Weltkrieges belastet und von einer Normalisierung noch weit entfernt. Dieser Prozess, der von beiden Seiten gewünscht, wenn auch nicht mit Priorität verfolgt wird, wird dadurch verkompliziert, dass mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die unterschiedlichen Interessen nicht aufgehoben waren, sondern sich anders entfalteten. Deutschland und Polen stehen sich nicht mehr in feindlichen Blöcken gegenüber (das taten sie aufgrund der deutschen Teilung zuvor nur halb) und doch stehen sie in vielen wichtigen politischen Fragen nicht auf einer Seite. In der Sicherheits- und Energiepolitik, der USA- und Russlandpolitik verfolgen die beiden Staaten unterschiedliche Interessen. So haben sie auch bei der Erweiterung der NATO und der Nachbarschaftspolitik der EU unterschiedliche Präferenzen.

In der Finanzkrise standen die deutsche und polnische Regierung hingegen auf einer Seite, als es um die Frage ging, wie die finanziell gefährdeten Staaten unterstützt werden sollten. Polen war dabei gezwungen, sich um der eigenen finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität willen von anderen osteuropäischen Staaten zu distanzieren. Unterschiedliche Positionen nehmen die polnische und deutsche Regierung jedoch bei der Frage ein, wann und unter welchen Bedingungen Polen den Euro einführen kann. Für Polen, dessen Währung in den letzten Monaten gegenüber dem Euro ein Viertel ihres Wertes eingebüßt hat, wäre der Beitritt zur Eurozone ein Stabilitätsgewinn. Aus deutscher Sicht wird befürchtet, dies könne die europäische Währung schwächen. Unterschiedliche Positionen in Grundsatzfragen und das gegenseitige Misstrauen bestehen fort. Die Normalisierung des deutsch-polnischen Verhältnisses bleibt auch in der Europäischen Union eine wichtige Aufgabe.

Literatur:

Thomas Jäger/Daria Dylla (Hrsg.): Deutschland und Polen. Die europäische und die internationale Politik, Wiesbaden 2008.

Den Externer Link: Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit finden Sie beim Auswärtigem Amt.

ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u.a die Themen internationale Politik, Außenpolitik sowie Transatlantische Beziehungen.