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Die Bedeutung der Kulturvermittlung und –Rezeption | Deutsch-polnische Beziehungen | bpb.de

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Die Bedeutung der Kulturvermittlung und –Rezeption bei der Annäherung zwischen Deutschland und Polen

Joachim Rogall

/ 11 Minuten zu lesen

Welche Rolle spielt Kultur bei den deutsch-polnischen Beziehungen? Wie sieht die Zusammenarbeit aus und wie haben sich die Kulturbeziehungen entwickelt? Ist Annäherung möglich und welche Rolle spielt die Politik dabei? Antworten von Joachim Rogall.

Günter Grass mit dem Führer der verbotenen Gewerkschaft "Solidarität", Lech Walesa 1988. (© AP)

Die Kulturbeziehungen zwischen Deutschen und Polen, Nachbarn in der Mitte Europas, sind mehr als tausend Jahre alt. Kennzeichnend sind einerseits Vielzahl und große Bandbreite, andererseits starke Asymmetrie, da das Interesse an Deutschland in Polen stets größer war als umgekehrt. Für Polen war Deutschland immer, auch in Zeiten größter historischer Belastungen, eine große europäische Kulturnation, im Kulturbereich wichtigster Nachbar und oft Bezugspunkt und Vermittler (ähnlich wie Frankreich für Deutschland). In Polen konnte so zwischen beiden Weltkriegen ein jüdischer Junge namens Marceli Reich in einer Kleinstadt an der Weichsel in die deutsche Literatur als geistige Heimat hineinwachsen, als die reale Heimat ihm mehrfach von Polen und Deutschen unerträglich gemacht wurde. Deutsche lebten seit dem Mittelalter in größeren oder kleineren Gruppen in allen Teilen Polens und standen mit ihren Nachbarn in einem ständigen kulturellen Austausch auf zwischenmenschlicher, nachbarschaftlicher Ebene.

Im Gegensatz dazu ist Polen für Deutschland nur einer von mehreren kleineren Nachbarn im Osten, das Wissen über Polen gering, von Stereotypen bestimmt und überwiegend nicht mit Kultur verbunden. Unter deutschen Intellektuellen wäre disqualifiziert, wem etwa Shakespeare oder Camus kein Begriff sind, während niemandem verübelt wird, wenn er Adam Mickiewicz oder die Nobelpreisträger Czeslaw Milosz und Wieslawa Szymborska nicht kennt. Bestenfalls gilt Polen als Land mit schöner Natur und einigen bedeutenden Städten, wobei auch Masuren und Schlesien oder Danzig und Breslau für viele Deutsche noch stärker mit ihrer Geschichte und Kultur als mit Polen verbunden werden und z.B. städtebauliche Perlen wie Thorn oder Zamosc unbekannt sind.

Polen ist im deutschen Bewusstsein positiv vor allem im Zusammenhang mit politischen Ereignissen präsent, so im 19. Jahrhundert dem polnischen Aufstand gegen russische Unterdrückung, der 1830/31 große Sympathiebekundungen in Deutschland ("Polenlieder") hervorrief, ähnlich wie die Gewerkschaftsbewegung Solidarność (Solidarität) und ihr Kampf gegen das kommunistische System Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Trotz der mehrfachen großen polnischen Einwanderungswellen, als Arbeitsmigranten nach Berlin und in das Ruhrgebiet schon im 19. Jahrhundert, den polnischen politischen Flüchtlingen nach 1945 und besonders ab 1981, sind Polen für die meisten Deutschen nicht als normale Wohnnachbarn, sondern vor allem als Erntearbeiter, geschickte Helfer am Bau oder Krankenpfleger präsent.

Aber Polen ist bei deutschen Intellektuellen auch als von deutschen Staaten in der Geschichte mehrfach geteiltes Land präsent, als Hauptschauplatz des Holocaust im Zweiten Weltkrieg und, allerdings stärker erst in den letzten Jahren, auch mit der brutalen NS-Besatzungspolitik von 1939-1945. Das damit gegenüber Polen verbundene Schuldgefühl ließ seit den siebziger Jahren die Erinnerung an deutsche Gebietsverluste an Polen oft verdächtig erscheinen, wenn sie außerhalb der Gruppe der unmittelbar Betroffenen artikuliert wurde. Entsprechend wird die jüngste deutsche Beschäftigung auch mit deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges in Polen als Paradigmenwechsel verstanden und weckt Befürchtungen.

Entwicklung der Kulturbeziehungen

Erfreulicherweise hatten die politischen Spannungen in Vergangenheit und Gegenwart kaum Einfluss auf die Entwicklung der Kulturbeziehungen, trugen allerdings auch nicht zum Abbau der oben genannten Asymmetrie bei. Allerdings ist das Bemühen deutlich, hier eine positive Entwicklung anzustoßen. Staatlicherseits wurde dafür mit dem 1997 abgeschlossenen deutsch-polnischen Kulturabkommen eine Grundlage geschaffen. Das Auswärtige Amt, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, öffentliche Einrichtungen und Mittler der auswärtigen deutschen Kulturpolitik wie das Goethe-Institut oder der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD stellen jährlich erhebliche Summen für den deutsch-polnischen Kulturaustausch zur Verfügung, der heute jeden Bereich der weitgefassten Kultur, also neben Literatur, Musik, Theater, Bildender Kunst und Film auch Wissenschaft und Bildung, Sprachförderung, Jugendaustausch und Medien umfasst.

Polen unterhält in Deutschland drei Kulturinstitute, in Berlin, Düsseldorf und Leipzig, letzteres seit 2009 allerdings nur noch als Dependance von Berlin. Auch die Generalkonsulate in München und Hamburg organisieren kulturelle Veranstaltungen, und zusätzlich gibt es in Darmstadt noch das Deutsche Polen-Institut, dessen Bedeutung für die Kulturvermittlung nicht hoch genug geschätzt werden kann. Dem stehen zwei Goethe-Institute in Warschau und Krakau sowie Lesesäle in Breslau, Kattowitz, Posen und Stettin sowie ein Goethe-Zentrum in Lublin gegenüber. Botschafter im Kleinen sind aber auch die jährlich mehr als 40 deutschen Lehrer an polnischen Schulen und die Lektoren des DAAD sowie die Vertreter der politischen Stiftungen, die in Warschau, aber auch in anderen wichtigen Städten vertreten sind und eine bedeutende Mittlerarbeit betreiben. Der Aufbau eines Hauses der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz 1998, zu dem später ein weiteres Haus in Oppeln hinzukam, wurde beispielsweise von der Friedrich-Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam unterstützt.

Akademische Zusammenarbeit

Im akademischen Bereich sind ferner zahlreiche deutsch-polnische Hochschulpartnerschaften und Stipendienprogramme zu nennen, die zunehmend stärker auch deutsche Studenten nach Polen führen, während die Zahl der an deutsche Universitäten gehenden polnischen Studenten immer noch höher ist, aber zugunsten von Studienaufenthalten im angelsächsischen Raum deutlich zurückgeht. Ein Anfang 2009 vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt mit Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit veranstaltetes Symposium der deutschen Polen-Forschung zeigte zu allgemeiner Überraschung mit weit über 200 Projekten jüngerer Historiker, Politologen, Soziologen, Wirtschafts- und Musikwissenschaftler, wie stark der deutsche Nachwuchs in der Polenforschung inzwischen geworden ist. Die Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder mit einem polnischen Collegium Polonicum auf der östlichen Oderseite ist sicherlich die wichtigste universitäre Institution in der akademischen Zusammenarbeit. Sie wird seit Herbst 2008 durch eine ebenfalls in Frankfurt/Oder gegründete deutsch-polnische Wissenschaftsstiftung flankiert. Auch die Neisse-Universität Görlitz-Zittau ist hier zu nennen, und, wenngleich weniger auf die deutsch-polnischen Beziehungen konzentriert sondern gesamteuropäisch ausgerichtet, das Europa-Kolleg in Natolin bei Warschau. Der Jugendaustausch hat mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk eine institutionelle Verankerung und wird mit jährlich mehr als vier Millionen Euro unterstützt.

Privates Engagement, Initiativen und Stiftungen im Kulturaustausch

Neben den staatlichen Fördermaßnahmen lebt der deutsch-polnische Kulturaustausch aber vor allem auch vom privaten Engagement. Das Bedürfnis, nach allen Hypotheken der Vergangenheit zwischen Deutschen und Polen gute Beziehungen zu fördern, ist bei den deutschen Eliten seit den sechziger Jahren weit verbreitet und hat auch in entsprechenden Kreisen in Polen eine feste Verankerung. Die beiden großen Kirchen haben hier früh wichtige Akzente gesetzt, die katholischen Bischöfe Polens 1966 mit ihrer Botschaft "Wir vergeben und bitten um Vergebung" und entsprechender Reaktion ihrer deutschen Amtsbrüder, die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihrer Ostdenkschrift von 1965. Aber auch viele private Initiativen, auch und gerade von vertriebenen Deutschen, haben Deutsche und Polen einander näher gebracht. Besondere Bedeutung haben private Stiftungen wie die Robert Bosch Stiftung oder die Stiftung Erinnerung, Vergangenheit und Zukunft in Deutschland und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Warschau, die über Stipendienprogramme, Gesprächsforen oder Projektförderung einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Kulturbeziehungen leisten.

In Deutschland darf auch die Arbeit der rund 50 deutsch-polnischen Gesellschaften und die Bedeutung der mehr als 400 deutsch-polnischen Städtepartnerschaften nicht vergessen werden. Das von beiden Regierungen 2005/06 ausgerufene Deutsch-Polnische Jahr brachte zwar nur wenige speziell dafür initiierte Projekte, zeigte aber durch die auf einer eigenen, bis heute fortgeführten Internetseite (www.de-pl.info) dokumentierten mehr als 2.000 alleine von Mai 2005 bis Mai 2006 stattgefundenen und zum Teil längerfristigen deutsch-polnischen Initiativen die Breite und Intensität des beiderseitigen Kulturaustausches.

Es ist ein großes Verdienst dieser Internetseite, etwas Übersicht in diese Fülle von Veranstaltungen und Projekten zu bringen. Denn ein Kennzeichen des deutsch-polnischen Kulturaustausches ist seine Unübersichtlichkeit und mangelnde Koordination. Bis heute wissen die Verantwortlichen vieler ähnlicher deutsch-polnischer Projekte nichts voneinander und können dadurch auch nichts voneinander lernen und durch Zusammenarbeit Synergien erreichen. Sicherlich ist es grundsätzlich erfreulich, wenn Initiativen nicht nur von oben organisiert werden, sondern von unten wachsen. Allerdings könnten bei besserer Information manche unnötigen Fehler und Doppelarbeiten vermieden und die vorhandenen, begrenzten Mittel sinnvoller eingesetzt werden.

Bedenkt man bei den rund 2.000 Projekten des Deutsch-Polnischen Jahres, dass wir hier von den Kulturbeziehungen zwischen achtzig Millionen Deutschen und rund vierzig Millionen Polen sprechen, ist die Bilanz wieder etwas ernüchternder. Es sind auch leider immer wieder die üblichen Verdächtigen, unermüdliche Aktivisten und Urgesteine der deutsch-polnischen Verständigung, die sich hier Jahr für Jahr engagieren. Bei vielen Älteren spielte noch die eigene teilweise tragische Biographie durch Kriegserlebnisse die entscheidende Rolle, sich lebenslang für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den einstigen Gegnern Deutschland und Polen einzusetzen. Bei den nachwachsenden Generationen ist eine solche emotionale Bindung an die Sache nicht mehr zu erwarten.

Rolle der Vergangenheit in Kulturbeziehungen

Es kennzeichnet den Kulturaustausch, dass beide Seiten beim Dialog oft die Diskussion um schwierige Themen vermeiden und eine unverbindliche Scheinharmonie pflegen, die zu Recht auch schon als "Versöhnungskitsch" charakterisiert wurde. Dabei sollte inzwischen klar geworden sein, dass nur gründliche Aufarbeitung der schwierigen Vergangenheit eine solide Basis für eine friedliche und fruchtbare Gestaltung der gemeinsamen Zukunft in Europa darstellen kann. Während in Polen häufig noch Schlachten der Vergangenheit immer wieder neu geschlagen werden, sind die Deutschen oft ohne genaue Kenntnis der gemeinsamen Vergangenheit in Gefahr, polnische Empfindlichkeiten zu unterschätzen oder überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Eine tausendjährige gemeinsame Geschichte wird so von beiden Seiten völlig unterschiedlich im kollektiven Gedächtnis bewahrt und auch die vielfältigen kulturellen Gemeinsamkeiten schützen nicht vor Verdächtigungen und Misstrauen. Die verhältnismäßig große Zahl von deutsch-polnischen Kulturbegegnungen und darin engagierten Institutionen und Personen steht deshalb auch in krassem Gegensatz zu der Erfahrung, wie oft marginale politische Probleme die deutsch-polnischen Beziehungen wieder zurückwerfen und belasten. Der jüngste Streit um die Besetzung des Beirats für das "Sichtbare Zeichen" gegen Vertreibungen in Berlin ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel.

Im Kulturbereich ist die Vertreibung der Deutschen in Polen heute kein Tabuthema mehr. In polnischen Schulbüchern findet sie, allerdings mit Hinweis auf die alliierte Verantwortung dafür, meist kurze Erwähnung. Ausstellungen und Veröffentlichungen zum Thema gibt es in beiden Ländern, in den früheren deutschen Gebieten haben einige lokale Initiativen mit und ohne Unterstützung der Behörden die Erinnerung an die früheren Bewohner und ihre Vertreibung in Gedenksteinen und Erinnerungstafeln öffentlich sichtbar gemacht. Zu den wichtigsten und erfolgreichsten Initiativen im Bereich der wissenschaftlichen Zusammenarbeit gehört ein Ende der neunziger Jahre durchgeführtes deutsch-polnisches Projekt zur Erforschung der Vertreibung der Deutschen aufgrund polnischer Archivmaterialien, dessen Ergebnisse als mehrbändige Dokumentation in deutscher und polnischer Sprache "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden..." veröffentlicht wurden.

Dies alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vergangenheitsbewältigung in Polen erst seit 1990 wirklich möglich ist. Ähnlich wie in den neuen Bundesländern das DDR-Erbe noch lange nicht wirklich verarbeitet wurde, hat die polnische Gesellschaft noch einen schmerzhaften und schwierigen Weg der Auseinandersetzung mit den dunkleren Abschnitten ihrer Geschichte vor sich. Dabei stehen sich den Deutschen stärker vertrauende und stärker misstrauende Kreise in etwa gleich stark gegenüber. Jeder Druck von außen ist dabei eher geeignet, den Prozess der Aufarbeitung der Vergangenheit, der vor allem in der Frage des Umgangs mit dem kommunistischen Erbe die Gesellschaft teilt, zu erschweren und zu hemmen.

Die deutschen Vertriebenen stellen dabei einen beständigen Stachel im Fleisch dar, da man mit der Anerkennung ihres Schicksals in Polen häufig die Infragestellung des polnischen Rechts auf ihre Herkunftsgebiete verbindet. Die jahrzehntelange Propaganda der kommunistischen Regierung hat ihre Wirkung bis heute. Unternehmen wie die "Preußische Treuhand", die Polen vor internationalen Gerichten (vergeblich) auf Entschädigung deutscher Vertriebener verklagte, schüren solche Befürchtungen zusätzlich. So sind deutsche Vertriebene und vor allem ihre verbandspolitischen Repräsentanten in Polen bis heute Reizfiguren. Dabei stellen deutsche Vertriebene, auch wenn dies häufig weder zu ihrem Selbst- noch zu ihrem Fremdbild gehört, de facto die stabilste Polen-Lobby in Deutschland dar. Denn sie besuchen ungleich häufiger als ihre Landsleute die nunmehr polnische alte Heimat, unterhalten oft sehr enge und freundschaftliche Beziehungen zu den heutigen Bewohnern, engagieren sich zum Teil nicht oder nicht nur in deutschen Landsmannschaften, aber oft auch in deutsch-polnischen Gesellschaften, stellen beträchtliche Mittel etwa für die Bewahrung kultureller Denkmäler in Polen zur Verfügung und sind generell an Polen stärker interessiert als andere Deutsche.

Unterschiedliche Sichtweisen am Beispiel Reich-Ranickis

Die Person Marcel Reich-Ranicki ist ein Beispiel für völlig unterschiedliche Sichtweisen von Deutschen und Polen. Seine Autobiographie wurde in Deutschland ein Bestseller und hat vielen Deutschen erstmals die frühere polnisch-jüdisch-deutsche Vergangenheit und Geschichte in Ostmitteleuropa mit allen Höhen und Tiefen bis zu ihrer Vernichtung im Warschauer Ghetto vor Augen geführt. Während Reich-Ranicki in Deutschland als streitbarer Literaturpapst und Medienkritiker zwar polarisiert, was sich oft in der Karikatur von Sprechweise und Auftreten entlädt, aber seine Bedeutung für die deutsche Literaturrezeption und damit die deutsche Kultur unbestritten ist, hat er in Polen ganz überwiegend schlechte Kritiken. Er gilt dort zum einen für manche als Vaterlandsverräter, der seine eigentlich angeborene polnische Literatur gering schätzt und sich opportunistisch auf die Seite des Stärkeren, der deutschen Literatur geschlagen hat. Andere werfen ihm vor, dass er in der Nachkriegszeit Mitarbeiter des kommunistischen polnischen Geheimdienstes war, zeitweise sogar dessen Londoner Regionalleiter. Obwohl ihm bis heute keine konkreten Vergehen nachgewiesen werden konnten, macht man ihn für die Bespitzelung der damals in London ansässigen bürgerlichen polnischen Opposition verantwortlich, so dass er für viele Polen persona non grata ist.

Ausblick

Ein reger Kulturaustausch schützt zwar nicht vor politischen Spannungen. Aber jeder Kulturschaffende, der mit einem Partner des anderen Landes erfolgreich zusammengearbeitet hat, ist in der Regel künftig ein Multiplikator zum Abbau von Vorurteilen und dem Werben für Interesse und Verständigung. Die große Bedeutung der Kulturvermittlung liegt auch darin, dass sie heute gleichermaßen in beide Richtungen erfolgt, also keine Einseitigkeit festzustellen ist. Polen ist im Kulturbereich zwar für viele Deutsche eine Entdeckung, die allenfalls von polnischer Film- oder Plakatkunst gehört haben und ganz erstaunt sind, wenn sie die reiche polnische Literatur-, Musik-, Theater- oder Bildende Kunst-Landschaft kennen lernen. Auch spielt in manchen Kulturbereichen wie der Musik die Sprachbarriere keine große Rolle und erleichtert den Austausch. Aber hier begegnen sich Deutsche und Polen tatsächlich und nicht nur aus Höflichkeit auf Augenhöhe. Und die Deutschen können vieles von ihren kreativen und improvisationsgeübten östlichen Nachbarn lernen. Dabei wird deutlich, dass sowohl Deutschland wie Polen aufgrund ihrer Lage in Europa traditionelle Vermittler zwischen West und Ost waren und auf diese Weise eine wichtige Rolle in der europäischen Kulturentwicklung gespielt haben.

Trotz aller Erfolge und insgesamt erfreulicher Entwicklung des deutsch-polnischen Kulturaustauschs auf die Gesamtgesellschaft, konnte noch kein wirkliches Miteinander von Deutschen und Polen in Europa erreicht werden. Immer noch bestimmen Missverständnisse und Misstrauen auf polnischer, Unkenntnis und vielfach Desinteresse auf deutscher Seite das Verhältnis. Gerade in den Grenzregionen, wo die Begegnungsmöglichkeiten besonders groß und das Bedürfnis danach stärker sein sollte, ist derzeit noch das genaue Gegenteil festzustellen. Hier wirkt die latente Polenfeindschaft des DDR-Regimes und die faktische Undurchlässigkeit der früher so genannten "Friedensgrenze" an Oder und Neisse nach. Sicherlich ist die Sprachproblematik immer noch ein Hauptproblem für engere menschliche Beziehungen. Auch hier finden wir wieder die alte Asymmetrie, nämlich erstaunlich viele Deutschlerner und Deutschsprechende in Polen, viele Schulen mit Deutschunterricht und hervorragende Germanistiklehrstühle an polnischen Universitäten, und vergleichsweise wenig Deutsche mit Polnischkenntnissen, wenig Polonistik an deutschen Universitäten und nur Einzelfälle von Schulen mit Polnischunterricht. Doch allein das kann als Begründung nicht ausreichen. In der mittleren und älteren Generation in Polen finden sich viele Deutschsprachige, und die jüngere Generation kann mit ihren Altersgenossen in Deutschland auf Englisch kommunizieren.

So ist in den deutsch-polnischen Beziehungen noch ein weiter Weg zur völligen Normalisierung zurückzulegen. Die Bedeutung des deutsch-polnischen Kulturaustauschs liegt darin, zwar kleine, aber konkrete Schritte auf diesem Weg zu gehen und durch die direkten Kontakte und die Zusammenarbeit alte, überholte Vorstellungen abzubauen und zunehmend mehr Verständnis für die jeweils andere Seite zu entwickeln.

Dr. Joachim Rogall, Jg. 1959, Osteuropahistoriker, apl. Prof. der Universität Heidelberg, seit 1996 in der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, derzeit Leiter des Bereichs Völkerverständigung Mitteleuropa, Südosteuropa, GUS, China.