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Aktuelle Probleme und künftige Reformvorhaben in der Schweiz | bpb.de

Aktuelle Probleme und künftige Reformvorhaben in der Schweiz

Thomas Gerlinger Renate Reiter

/ 2 Minuten zu lesen

Zu dem vielleicht wichtigsten gesundheitspolitischen Vorhaben der nächsten Jahre dürfte die Reform der Krankenhausvergütung werden.

Operation in der Universitätsklinik Basel (© picture-alliance / OKAPIA KG, Germany)

Bisher wurden die Leistungen überwiegend nach Tages- oder Abteilungs- beziehungsweise Fachgebietspauschalen oder einer Kombination dieser Systeme abgerechnet. Im Dezember 2007 hat das Parlament aber die Einführung eines neuen Vergütungssystems für Krankenhausleistungen beschlossen. Demnach müssen seit 2012 die stationären Behandlungen in den Schweizer Krankenhäusern nach einem gesamtschweizerischen, einheitlichen Fallpauschalensystem vergütet werden. Es beruht auf diagnoseorientierten Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRG) und orientiert sich unter der Bezeichnung "SwissDRG" am deutschen Vergütungssystem. Außerdem beschloss der Nationalrat, für die Versicherten die freie Spitalwahl einzuführen. Bisher mussten die Krankenversicherten sich in ihrem Kanton stationär versorgen lassen. Eine Behandlung in einem anderen Kanton bedurfte einer Zusatzversicherung. Mit der Einführung der freien Krankenhauswahl wird das Ziel verfolgt, die Planungsregionen zu vergrößern und die Ineffizienz der an den Kantonsgrenzen endenden Krankenhausplanung zu verringern. Des Weiteren wird auch intensiv über eine Reform der Krankenhausfinanzierung und der Krankenhausplanung diskutiert. Aber Entscheidungen darüber sind noch nicht gefallen.

Die Mehrzahl der Schweizer lehnt eine Einheitskrankenkasse nach wie vor ab. Bei einer eidgenössischen Abstimmung im September 2014 votierten über 60 Prozent der Schweizer gegen die Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse». Das Begehren hatte eine Art Bürgerversicherung zum Ziel, welche die über 60 bestehenden Krankenversicherungen ersetzen sollte. (Siehe auch: Externer Link: Website der Initiative)

Beständiger Diskussionsgegenstand ist daneben der Risikoausgleich zwischen den Krankenversicherern. Das Umverteilungsvolumen fällt in der Schweiz – verglichen mit dem Ausgleich in Deutschland und den Niederlanden – sehr gering aus, weil sich der Ausgleich nur auf die Indikatoren Alter und Geschlecht, nicht aber auf das Einkommen und die Erkrankungen (Morbidität) der Versicherten bezieht. Diese Beschränkung bringt – wie erwähnt – starke Anreize zur Risikoselektion mit sich. Außerdem erfolgt er nicht für die Gesamtschweiz, sondern nur innerhalb der einzelnen Kantone. Vor diesem Hintergrund wurde auch in der Schweiz immer wieder über eine Erweiterung des Risikostrukturausgleichs diskutiert. Im Frühjahr 2014 machte der Nationalrat den Weg frei für eine Verfeinerung des Risikoausgleichs. Demnach soll das Krankheitsrisiko künftig auch anhand ambulanter Behandlungen abbildet werden, zunächst über die Ausgaben für Medikamente. Eine Einteilung nach Erkrankungen ist jedoch nicht geplant.

Schließlich wird in der Schweiz intensiv über eine Neuordnung der Pflegefinanzierung diskutiert. In diesem Bereich ist in den letzten Jahren ein besonders starker Ausgabenanstieg zu verzeichnen. Kontrovers werden in diesem Zusammenhang vor allem zwei Fragen behandelt:

  • Wie sollen die steigenden Pflegekosten zwischen Versicherten, Krankenversicherern und öffentlicher Hand verteilt werden?

  • In welcher Weise sollen die Pflegeeinrichtungen vergütet werden?

Vor allem wegen des starken Ausgabenanstiegs ist die Krankenversicherung Gegenstand immer neuer Reformdebatten und Reformbestrebungen. Angesichts der Vielzahl der Steuerungsprobleme ist ein Ende der Reformen im schweizerischen Gesundheitswesen gegenwärtig nicht abzusehen. Dabei zeichnet sich ab, dass Wettbewerbselemente im schweizerischen Gesundheitswesen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Trotz der existierenden Systemunterschiede lassen sich in mancher Hinsicht also erstaunliche Parallelen in der Entwicklung des deutschen und des schweizerischen Krankenversicherungssystems erkennen.

Quellen / Literatur

Achtermann, Wally/Berset, Christel (2006): Gesundheitspolitiken in der Schweiz – Potential für eine nationale Gesundheitspolitik, Bd. 1: Analyse und Perspektiven. Bern

Kocher, Gerhard/Oggier, Willy (Hrsg.) (2007): Gesundheitswesen Schweiz 2007 - 2009. Eine aktuelle Übersicht. Bern

Obinger, Herbert (1998): Politische Institutionen und Sozialpolitik in der Schweiz. Der Einfluß von Nebenregierungen auf Struktur und Entwicklungsdynamik des schweizerischen Sozialstaates. Frankfurt am Main

Rosenbrock, Rolf/Gerlinger, Thomas (2006): Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung, 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Bern

Wirthner, Adrian/Ulrich, Volker (2003): Managed Care. In: Zenger, Christoph A./Jung, Tarzis (Hrsg.): Management im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik. Kontext – Normen – Perspektiven, Bern u. a., S. 255 - 267

Fussnoten

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.

Dr. Renate Reiter, Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität in Hagen