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Einbürgerung und der Rechtsstaat: Risiken und Chancen | bpb.de

Einbürgerung und der Rechtsstaat: Risiken und Chancen

Daniel Naujoks

/ 8 Minuten zu lesen

Es ist hier von besonderer Bedeutung kritisch zu hinterfragen, ob und gegebenenfalls inwiefern die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft eng mit Argumenten verbunden ist, die sich allgemein auf die Einbürgerung von Ausländern beziehen.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, Gökay Sofuoglu, hat die doppelte Staatsbürgerschaft. (© picture-alliance/dpa)

In dieser Hinsicht sind Einwände gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oft Ausdruck von Befürchtungen, die mit der Vorstellung einer verstärkten Einbürgerungstendenz verbunden sind. Wie in diesem Abschnitt näher beleuchtet wird, beruhen die diskutierten Bedenken oftmals auf befürchteten Gefahren für die innere Sicherheit des Landes sowie auf angenommenen machtpolitischen Verschiebungen durch eine Veränderung des Wahlvolks. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese Bedenken gerechtfertigt sind und ob Argumente gegen eine vermehrte Einbürgerung – sowohl im Allgemeinen als auch im Kontext der doppelten Staatsbürgerschaft – mit demokratischen Grundwerten zu vereinbaren sind. Neben möglichen Risiken für die Gesellschaft müssen vor allem auch die Chancen der Verwandlung von De-facto-Staatsmitgliedern in De-jure-Staatsmitglieder in Betracht gezogen werden.

Innere Sicherheit



Die gegen die Einbürgerung vorgebrachten sicherheitspolitischen Bedenken beziehen sich in erster Linie auf verwirkte Abschiebemöglichkeiten. Dabei ist zutreffend, dass eingebürgerte Menschen nicht mehr ausgewiesen und abgeschoben werden können, wenn sie Straftaten begehen. Den Bedenken lässt sich zumindest teilweise entgegenhalten, dass Ausländer, die strafrechtlich auffällig geworden sind, in der Regel ohnehin nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten . Darüber hinaus verkennen Kritiker zumeist, dass auch eine Ausweisung von Ausländern mit langem Aufenthalt nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich ist. Erst im August 2007 hat das Bundesverfassungsgericht den besonderen Status von sogenannten faktischen Inländern´ gestärkt, bei denen bei jeder Ausweisungsentscheidung stets zu berücksichtigen ist, wie lange der Aufenthalt im Bundesgebiet andauert, wie sehr sie in die deutsche Gesellschaft integriert sind und ob sie tatsächliche Bindungen an den Staat ihrer Staatsangehörigkeit haben .

Die Befürchtung, die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft führe zur Einbürgerung von Terroristen , ist hingegen unbegründet. Wer vor Terror nicht zurückschreckt, hat sicherlich keine Skrupel, seine alte Staatsangehörigkeit aufzugeben. Hier scheinen Kritiker eher einer grundlegenden Exklusionshaltung mit einem Argument aus dem wichtigen Bereich der inneren Sicherheit Nachdruck zu verleihen. In Wirklichkeit stellt sich die Frage, ob die Gefahr, dass tatsächlich eine Handvoll Straftäter nicht abgeschoben werden kann, den dauerhaften Ausschluss vieler Hunderttausender von partizipatorischen Rechten rechtfertigt.

Wandel von Gesellschaft und Politik



Kern vieler Ausschlussbestrebungen sind Bedenken gegen die Stärkung der politischen Macht von Migranten. Oft besteht die Angst, die "einheimische Bevölkerung" könne von einer großen Gruppe Einwanderer dominiert werden, die rein formal Staatsbürgerstatus erworben haben . Die Befürchtungen des Machtverlustes führen dabei zu drei Fragen. Erstens ist zu fragen, wie viele Einwanderer sich überhaupt zusätzlich einbürgern lassen werden, wenn die doppelte Staatsangehörigkeit anerkannt würde, und damit, wie viel zusätzliches Wahlvolk tatsächlich entstünde. Zweitens ist zu ermitteln, welche Resonanz der politischen Sphäre von der Änderung des Wahlvolkes zu erwarten ist, und drittens, ob Nutzenerwägungen und unserer Gesellschaft zugrunde liegende Werte nicht die Inkaufnahme von Machtverlusten und anderen möglichen negativen Effekten als rational oder gar als geboten erscheinen lassen.

a) Einbürgerungsquote und doppelte Staatsbürgerschaft
Kritik an der doppelten Staatsbürgerschaft basiert oft auf der angenommenen "Masseneinbürgerung" als Folge ihrer Anerkennung. Es ist schwer vorherzusagen, wie hoch die Einbürgerungsquote allein aufgrund dieses Umstandes tatsächlich steigen würde. Sporadische Untersuchungen hierzu lassen vermuten, dass im Falle der Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft zwar mit einer Steigerung der Einbürgerungen, nicht jedoch mit einer von manchen Kritikern befürchteten "Masseneinbürgerung" zu rechnen wäre . Dies gilt insbesondere in einem Land wie Deutschland, das über keine besondere Einbürgerungstradition verfügt und das soziale Rechte nicht anhand des Kriteriums der Staatsbürgerschaft gewährt.

b) Wandel der Politik – politische Resonanzen eines veränderten Wahlvolks
Die Frage, wie die politische Organisation der Neubürger und die Änderungen des politischen Bildes ausfallen würden, lässt sich nicht mit Bestimmtheit beantworten. Eine größere Resonanz der neuen Staatsbürger in der deutschen Politik infolge einer vermehrten Einbürgerung scheint nicht unrealistisch. Dabei erscheint es irreführend, sich die potentiellen Neubürger als homogene Masse vorzustellen, die nunmehr gebündelt ihre Interessen vertreten könnte. Wenngleich Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft die größte einzelne Einwanderergruppe darstellen, machen sie doch lediglich ein Viertel der in Deutschland lebenden Ausländer aus . Auch die türkischen Migranten zerfallen in religiöse wie areligiöse, sunnitische und alevitische, kurdische und nicht-kurdische, traditionelle wie moderne Lager. Die Interessen von Arbeitern, Akademikern, Selbständigen und Arbeitssuchenden türkischer Herkunft sind meist nicht identisch; deren politische Vereinigung allein aufgrund der gemeinsamen Herkunft scheint wenig wahrscheinlich.

Migrationshintergrund der Bevölkerung (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Ferner wird häufig übersehen, dass neben Ausländern als Personen ohne deutschen Pass weitere acht Millionen Deutsche oder 10% der Wohnbevölkerung einen Migrationshintergrund haben (Abbildung). Fast die Hälfte von ihnen (44%) stellen eingebürgerte Personen dar. 23% gehen auf sogenannte Spätaussiedler zurück und 34% der Deutschen mit Migrationshintergrund sind Kinder von Ausländern, Spätaussiedlern oder Eingebürgerten. Auch diese Personen haben bisher zu keinen gravierenden Machtkämpfen und Umverteilungen geführt. Das Wählerverhalten dieser vielfältigen Personengruppen ist dabei noch sehr unzureichend erforscht, weshalb sichere Schlüsse auf Änderungen im politischen Gefüge verfrüht erscheinen . Von konservativen Mitte-Rechts-Politikern wird zuweilen befürchtet, die politische Integration von Migranten führe zwangsläufig zu einer Machtverschiebung zur politischen Linken. Dies ist indes keineswegs zwingend. Denn es wird meist übersehen, dass Migranten oftmals eine konservative Einstellung haben und durchaus Wählerpotential für konservative Parteien darstellen .

Der demokratische Nutzen der Einbürgerung

Wie erörtert kann die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft zu vermehrter Einbürgerung führen und diese ihrerseits die Möglichkeit zur Abschiebung von Straftätern ausschließen. Daneben könnte es zu einer Machtverschiebung in der Gesellschaft kommen. Wie dargelegt ist jedoch keine der Folgen in extremem Ausmaß zu erwarten. Bedrohungsszenarien einer "Umdefinierung der Gesellschaft" oder von Terroristen, die nicht abgeschoben werden können, entbehren deshalb einer rationalen Grundlage. Die wichtigste Frage besteht darin, in welchem Ausmaß und um welchen Preis ursprüngliche Werte, die in einer Gemeinschaft bestehen, und der Machterhalt derjenigen, die sie innehaben, gegenüber Zuwanderern gesichert werden sollen und können. Dies wiederum führt zum Kern von Migrations-, Integrations- und Demokratiefragen.

Ende 2007 lebten 1,3 Millionen Menschen in Deutschland, die zwar im Land geboren wurden, die aber keinen deutschen Pass besaßen; knapp die Hälfte hiervon war über achtzehn Jahre alt. Ein Fünftel aller Ausländer und ein Drittel aller Menschen mit türkischem Pass sind in Deutschland geboren (Abbildung). Auch leben über 2,5 Millionen Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit seit über 20 Jahren in Deutschland, 1,5 Millionen bereits seit über 30 Jahren. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, die Migranten in Deutschland zu einem Großteil als Einwanderer im engen Sinne zu bezeichnen, die dauerhaft im Land bleiben werden. Trotz dieser Faktenlage hat das lange vorherrschende Leitmotiv, Deutschland sei kein Einwanderungsland, dazu geführt, dass über einen langen Zeitraum keine fundierte Bestandsaufnahme der Situation von Zuwanderern in Deutschland gemacht und keine darauf aufbauende kohärente Integrationspolitik entwickelt wurde. Dies hat dazu geführt, dass Menschen auch noch in der zweiten und dritten Einwanderergeneration nicht als "Einheimische" angesehen werden .

Dabei sind Einbürgerungsdiskussionen von besonderer Bedeutung, denn solange zugezogene Menschen nicht eingebürgert sind, solange keine unlösbare Schicksalsgemeinschaft besteht, lässt sich für manche Menschen die Vorstellung aufrechterhalten, Rückkehrmigration löse eines Tages das Nebeneinander der Kulturen auf deutschem Boden. Diese Exklusionstendenz ist problematisch, weil sie nicht dazu beiträgt, sich mit dem Verhältnis zu den in Deutschland lebenden Menschen ausländischer Herkunft auseinanderzusetzen.

Die Einbürgerung von Langzeiteinwanderern ist eine demokratische Notwendigkeit, denn nur so spiegelt das Wahlvolk die tatsächliche Bevölkerung wider. Andernfalls ist Demokratie defizitär . Es geht dabei nicht um die Frage nach der Optimierung der künftigen Zuwanderung . Die vorrangige Frage in dieser Hinsicht ist, wie das Faktum unserer tatsächlichen Bevölkerungssituation von dauerhaft im Land lebenden Menschen ohne politische Rechte mit demokratischen Grundwerten, auf denen unsere Gesellschaft beruht, in Einklang gebracht werden kann. Es ist eine natürliche Reaktion derjenigen, die im Rahmen von Verteilungskämpfen neue Mitbewerber befürchten, eine Tendenz zu entwickeln, diese Mitbewerber abzulehnen.

Die Geschichte ist reich an derartigen Exklusionsbestrebungen und deren Überwindung. Und jede neue Einsicht, die zunächst auf eigene Kosten zu gehen schien, hat zu dem hohen freiheitlichen Status geführt, den viele moderne Gesellschaften bereits erlangt haben. Der Kampf um die Zuerkennung voller Staatsbürgerschaft von Indianern und Afro-Amerikanern in den USA, die Anerkennung des Wahlrechts für Frauen sowie die Achtung der Menschenrechte – all diese Statuswechsel waren stets von großen Vorbehalten derjenigen begleitet, die glaubten, hierdurch Wohlstand, Macht und Einfluss zu verlieren. Nunmehr gilt all dies in modernen Demokratien als unumstößlicher demokratischer Standard. Dabei beruhen die entscheidenden Argumente für eine Inklusion nicht lediglich auf altruistischen Motiven. Vielmehr ist eine inklusive Gesellschaft stärker und verbessert auch die Lebensumstände derjenigen, die anfangs mit scheinbaren oder realen Machtverlusten zu rechnen haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 und § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG.

  2. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2007, Aktenzeichen: 2 BvR 535/06.

  3. So äußerte der damalige bayrische Innenminister Beckstein (1999): "Terrorakte der PKK lassen ahnen: Wenn Millionen von deutsch-türkischen, deutsch-serbischen oder deutsch-albanischen Doppelstaatlern in Deutschland leben, dann hätten wir automatisch die Konflikte aus diesen Regionen bei uns im Land." Auch Edmund Stoiber wird in Die Welt vom 4. Januar 1999 zitiert, die Doppelstaatsbürgerschaft gefährde die Sicherheitslage mehr als die Terroraktionen der RAF in den 70er und 80er Jahren.

  4. So wird u. a. in einem anonymen Kommentar auf www.welt.de vom 12. Juni 2007 prognostiziert: "Die Türken von heute sind die SPD-Wähler von morgen. Übermorgen gründen sie dann ihre eigene Partei, dann ist die SPD Geschichte." Auch Roland Koch (in Die Welt vom 15. Januar 1999) befürchtet Ähnliches. Siehe auch Green (2005:941).

  5. Thränhardt (2008:30ff.) untersucht die niederländische Erfahrung mit der Hinnahme und deren Zurücknahme in den 1990er Jahren und stellt einen deutlichen Zuwachs der Einbürgerungsquote für den Zeitraum der erlaubten Mehrstaatigkeit fest. Zu weiteren Nachweisen siehe Naujoks (2008:405ff.). Auch aus der Tabelle ist eine positive Korrelation zwischen der Höhe der Einbürgerungsquote und der Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ersichtlich.

  6. Nach dem Ausländerzentralregister (AZR) waren am 31.12.2007 von 6,7 Mio. gemeldeten Ausländern 1,7 Mio. türkische Staatsangehörige (25,4%).

  7. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes ab dem 1. August 1999 erhalten Spätaussiedler die deutsche Staatsbürgerschaft durch eine gesonderte Bescheinigung. Vorher wurden sie formal eingebürgert.

  8. Für eine der wenigen Untersuchungen siehe Wüst (2006).

  9. Faruk Sen, Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien, betont in einem Interview mit Die Welt vom 8. November 2003, dass die CDU unter muslimischen Migranten überdurchschnittlich viele Anhänger habe.

  10. Casanova (2006:183).

  11. Thränhardt (2008:7, 13 f.). Dabei würde auch die Gewährung von Wahlrechten, die nicht an die Staatsbürgerschaft anknüpfen, demokratischen Vorgaben genügen.

  12. Zur Einwanderung, Staatsbürgerschaft und Staaten als strategische Clubs siehe Straubhaar (2003) und Kolb (2007).

Daniel Naujoks ist Rechts- und Wirtschaftwissenschaftler und promoviert am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Zurzeit ist er Mitarbeiter der Organisation for Diaspora Initiatives, New Delhi.