Migrationspolitik wird in den EU-Mitgliedstaaten zunehmend durch Vorgaben auf der europäischen Ebene koordiniert. Bevor wir aber auf aktuelle europäische Initiativen im Bereich der Migrationskontrolle eingehen, sollen die zurzeit bestehenden unterschiedlichen Umgangsweisen mit illegalem Aufenthalt in einzelnen Mitgliedstaaten verdeutlicht werden. Wir konzentrieren uns auf die Bereiche, in denen sich die Rahmenbedingungen der einzelnen Länder stark unterscheiden.
Der politische Umgang mit illegalem Aufenthalt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
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Registrierung und Kontrolle aller Bürger
Nur wer identifizierbar ist und einem Herkunftsland zugeordnet werden kann, kann auch ausgewiesen werden
Migrationsgeschichte
Als Rahmenbedingung für den illegalen Aufenthalt machen Art und Umfang der vorangegangenen Zuwanderung einen Unterschied: In Nord- und Westeuropa haben viele Staaten durch koloniale Zuwanderung oder Anwerbeprogramme für Arbeitsmigranten schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hohe Zuwanderung erfahren und verfügen über große Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund, die Anknüpfungspunkte für irreguläre Migranten bieten können. Dagegen können z. B. in den baltischen Ländern neue Zuwanderer kaum an die Erfahrung und Unterstützung größerer etablierter Zuwanderergruppen anknüpfen.
Aktuelle Zulassungspolitik
Die aktuelle Zulassungspolitik bestimmt die legalen Zuwanderungsmöglichkeiten. Wer z. B. legal als Arbeitsmigrant oder Familienangehöriger mit der Perspektive auf einen Daueraufenthalt kommen kann, braucht einen illegalen Weg nicht zu erwägen. So ist etwa das Vereinigte Königreich offener für Arbeitsmigration als Deutschland und bietet somit mehr reguläre Alternativen. Temporäre Programme z. B. für saisonale Beschäftigung, wie es sie in vielen Staaten gibt, haben allerdings einen doppelten Effekt: Die kurzfristigen Arbeitsmöglichkeiten führen dazu, dass mehr Menschen regulär in Sektoren wie Landwirtschaft und Tourismus arbeiten. Illegalität entsteht aber dann, wenn Zuwanderer nach Ablauf des befristeten Visums weiter arbeiten. Wenn während der Gültigkeit des Visums die obligatorischen Arbeitsbedingungen verletzt werden, entsteht eine Grauzone, in der die Migranten sich zwar wie andere reguläre Migranten im öffentlichen Raum bewegen können, aber bei einer Aufdeckung der Umstände des Beschäftigungsverhältnisses von Ausweisung bedroht sind.
Grenzkontrollen
Durch ihre geographische Lage sind die EU-Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße mit illegalen Grenzübertritten konfrontiert. Die EU-Mitgliedstaaten im Süden und Osten wie z. B. Spanien oder Polen grenzen an ärmere Länder, die nicht zur Europäischen Union gehören. Sie sind dafür verantwortlich, ihre langen Land- und Seegrenzen zu bewachen. Im Zentrum Europas liegende EU-Länder haben nur noch Binnengrenzen im Schengen-Raum, die prinzipiell offen sind
Arbeitsmarkt- und Polizeikontrollen
Die Möglichkeit zur Aufdeckung illegalen Aufenthalts durch Arbeitsmarkt- und Polizeikontrollen im Landesinneren unterscheiden sich stark zwischen den Mitgliedsländern. In vielen EU-Ländern hat die Polizei die Ermächtigung zur Durchführung verdachtsunabhängiger Personenkontrollen
Regularisierungsprogramme
Wenn ein irregulärer Migrant in einen regulären Aufenthaltsstatus wechseln kann, wird dies als "Regularisierung" bzw. Legalisierung bezeichnet. Formen der mehr oder minder restriktiven Einzelfallregularisierung gibt es in allen EU-Mitgliedstaaten. Kollektive Regularisierungsprogramme, bei denen sich bis zu einem bestimmten Stichtag irreguläre Migranten anmelden und bei Erfüllung bestimmter Bedingungen auf ein Aufenthaltsrecht hoffen können, hat es vor allem in den südeuropäischen Ländern Italien, Spanien und Griechenland wiederholt gegeben. Aber auch Frankreich, Belgien und die Niederlande haben Regularisierungsprogramme für langjährig im Lande lebende Ausländer ohne Aufenthaltsstatus aufgelegt
Soziale Rechte für irreguläre Migranten
Menschenrechte gelten universell und sind nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig. Zu den grundlegenden menschenrechtlichen Ansprüchen zählen das Recht auf Schulbildung für Kinder, der Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen und der Rechtsschutz. Diese Rechte gelten de jure auch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Inwieweit vorhandene Rechte aber tatsächlich in Anspruch genommen werden können, unterscheidet sich stark von Land zu Land. Wenn Schulen, Ärzte und Gerichte den Aufenthaltsstatus kontrollieren und mit den für die Aufdeckung von Illegalität und Abschiebung von Zuwanderern verantwortlichen Behörden kooperieren dürfen oder müssen, werden irreguläre Migranten von der Inanspruchnahme ihrer Rechte abgeschreckt. Deutschland hat die am weitesten gehenden Vorschriften zur Datenweitergabe und Kooperation mit Behörden der Migrationskontrolle (siehe Kasten). In den Niederlanden wurde für Ausländer ohne Status der Zugang zu staatlichen Leistungen in den 90er Jahren stark eingeschränkt, wobei aber die drei Bereiche Schule, Gesundheitsversorgung und Rechtsschutz ausdrücklich ausgenommen blieben. In Spanien können sich Einwohner unabhängig vom Aufenthaltsstatus bei den kommunalen Behörden registrieren lassen und erhalten dadurch Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung. Auch in Griechenland, Schweden und Italien ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung in akuten Notfällen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gesichert. Krankenhäuser müssen nur bei konkreten Polizeiermittlungen Informationen auf Anfrage weitergeben
InfoDeutschland: Gesetzliche Verpflichtung zur Datenweitergabe
In Deutschland müssen öffentliche Stellen in viel weiterem Umfang als in anderen Ländern Daten an Kontrollbehörden übermitteln und zusätzlich zu ihrem originären Auftrag an der Migrationskontrolle mitwirken. Jeder Mitarbeiter einer öffentlichen Stelle, der im Rahmen seiner Amtspflichten Identitätspapiere einsehen muss und so von illegalem Aufenthalt erfährt, ist gesetzlich verpflichtet, die Ausländerbehörde zu informieren.
Aufenthaltsgesetz, § 87, Abs. 2 Übermittlungen an Ausländerbehörden: Öffentliche Stellen haben unverzüglich die zuständigen Ausländerbehörden zu unterrichten, wenn sie Kenntnis erlangen von (…) dem Aufenthalt eines Ausländers, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist, (…)
Somit birgt jeder Kontakt mit einer öffentlichen Stelle für einen Ausländer ohne Status nicht nur das Risiko, die gewünschte Leistung nicht zu erhalten, sondern ist auch mit dem Risiko der Aufdeckung und letztlich Abschiebung verbunden. Die deutsche Bischofskonferenz hat in einem Memorandum zu den humanitären und pastoralen Herausforderungen des "Lebens in der Illegalität" kritisiert, dass die in Deutschland geltende Datenübermittlungspflicht faktisch verhindert, dass irreguläre Migranten bestehende Rechtsansprüche auf Gesundheitsversorgung, auf Schulbesuch von Kindern und auf Rechtsschutz vor Arbeitsausbeutung realisieren können. Eine zentrale Forderung von Kirchen und anderen Nichtregierungsorganisationen ist daher die Einschränkung der Datenübermittlungspflichten und der Schutz von humanitär motivierten Helfern vor dem Verdacht der Beihilfe zu illegalem Aufenthalt (1).
Dabei werden sowohl humanitäre als auch funktionale Argumente angeführt. Wenn Eltern ihre Kinder aus Angst vor der Aufdeckung ihrer Illegalität nicht in die Schule schicken, werden zum einen die Kinder in grundlegenden international und national verbrieften Rechten verletzt, zum anderen entwickeln sie möglicherweise sozialschädliche oder kriminelle Verhaltensweisen. Mit ähnlichen Argumentationen gibt es in den USA ein höchstrichterlich bestätigtes Recht auf grundlegende, staatlich finanzierte Schulbildung für Kinder ohne Aufenthaltsstatus. Im Bereich der Gesundheitsversorgung werden z. B. Argumente der Prävention und der Seuchenbekämpfung angeführt.
Als Reaktion auf die Forderungen der Nichtregierungsorganisationen hatte die Große Koalition im Jahr 2005 einen "Prüfauftrag" zum Thema Irregularität erteilt. Dieser Prüfauftrag wurde vom Bundesministerium des Innern ausgeführt und in diesem Rahmen ein Überblick erstellt und ein externes Rechtsgutachten eingeholt. Nach der abschließenden Prüfung der rechtlichen und empirischen Situation wurde vom Bundesministerium des Innern eine Verschärfung der Datenweitergabevorschriften vorgeschlagen (2). Argumente für eine umfassende Migrationskontrolle werden damit stärker gewichtet als menschenrechtliche und pragmatische Argumente des Kinderschutzes und der Gesundheit.
(1) Siehe Externer Link: http://www.forum-illegalitaet.de.
(2) Siehe BMI (2007).
Dr. Dita Vogel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am HWWI und Leiterin des EU-Projektes CLANDESTINO (Erarbeitung systematischer Verfahren zur quantitativen Schätzung irregulärer Migration in der EU).
Dr. Norbert Cyrus, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg und Leiter des EU-Projektes WinAct (Winning Immigrants as Active Members).
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