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Abgestempelt - Judenfeindliche Postkarten | Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten | bpb.de

Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten Interview Aktuelle und zukünftige Standorte

Abgestempelt - Judenfeindliche Postkarten Interview mit dem Sammler Wolfgang Haney

/ 7 Minuten zu lesen

Interview mit dem Sammler Wolfgang Haney über die Motive und Hintergründe seiner Sammelleidenschaft für judenfeindliche Postkarten und den Markt für Sammler von judenfeindlichen Postkarten.

bpb: Wie sind Sie zum Sammeln antisemitischer Postkarten gekommen?

Wolfgang Haney: Das ist eigentlich ein Zufall. 1990 habe ich auf einer Münzbörse an einem Stand zwei Geldscheine aus dem KZ Oranienburg gesehen und erworben. Als Münzensammler war mir daran gelegen, den Satz zu komplettieren, der aus vier Geldscheinen besteht. Ich begann mich für dieses Phänomen zu interessieren und beschloss, Geld aus ehemaligen Konzentrationslagern zu sammeln. Die Verkäufer boten mir dann zusätzlich Objekte wie Briefe von KZ-Häftlingen oder auch antisemitische Postkarten mit an. So trat das Geld aus Konzentrationslagern als Sammelobjekt immer weiter in den Hintergrund, unter anderem auch deshalb, weil es davon nicht viel gibt. Von den anderen Objekten waren allerdings noch größere Mengen auf dem Markt und sie waren sehr interessant. Auf diese Weise sind zwei große Sammlungen entstanden: zum einen Objekte und Dokumente, die aus Konzentrationslagern und Ghettos stammen, und zum anderen eben eine Sammlung antisemitischer Postkarten.

bpb: Warum sammeln Sie diese judenfeindlichen Gegenstände?

Wolfgang Haney: Ich wurde nach 1933 als so genannter "Mischling 1. Grades" verfolgt, deshalb war es wichtig für mich, der Geschichte des Antisemitismus nachzugehen.

bpb: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Karten für Ihre Sammlung aus? Woran erkennt man antisemitische Postkarten?

Wolfgang Haney: Das ist eine gute Frage, da es viele Postkarten gibt, auf denen jüdische Motive zu finden sind. Nach meiner Definition sind auf den so genannten "Judenspottpostkarten" negativ karikierte Juden abgebildet.

bpb: Gelten diese Kriterien auch für andere Sammler und Händler?

Wolfgang Haney: Die Händler wussten anfangs nicht einmal, was Antisemitismus ist. Sie führen die antisemitischen Karten unter "Judaica", zusammen mit Darstellungen von Synagogen oder von jüdischen Kulthandlungen. Natürlich erkennen sie jetzt schon vieles, allerdings nur den ganz offensichtlichen Antisemitismus.

bpb: Woher kommt dieser Terminus der "Judenspottpostkarte"? Ist er allgemein üblich in Sammler- oder Händlerkreisen?

Wolfgang Haney: Das Wort "Judenspottpostkarte" habe ich von einem Briefmarkenauktionshaus aus Hamburg. Da ich und auch viele andere Sammler immer wieder gezielt danach fragen, ist dieser Ausdruck ein Synonym für eine ganz bestimmte Richtung geworden.

bpb: Das heißt, dass dieser Begriff erst im Laufe der letzten Jahre in den Postkartenmarkt hineingekommen ist, als eine Sammelbezeichnung für antisemitische Postkarten?

Wolfgang Haney: Ich würde es so sagen, ja.

bpb: Außer Ihnen kaufen sicherlich noch andere private Sammler antisemitische Postkarten. Können Sie einschätzen, mit welcher Motivation andere solche Karten sammeln?

Wolfgang Haney: Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass ich hier im Raum Berlin keinen einzigen Sammler kenne, mit dem ich mich unterhalten könnte. Wer kauft, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass bei qualitativ interessanten Objekten eine große Konkurrenz herrscht. Das sehe ich an den Versteigerungssummen, wenn ich wieder einmal überboten worden bin.

bpb: Ihre Sammlung enthält kaum doppelte Postkarten. Ist das bewusst so angelegt oder spiegelt das auch den Markt wider?

Wolfgang Haney: Ich kaufe nicht zweimal das gleiche. Das ist viel zu teuer. Wenn ich zu einem Händler gehe, habe ich Ablichtungen von allen meinen Karten bei mir und die Zeit zu vergleichen, ob die angebotenen Objekte bereits Teil meiner Sammlung sind. Allerdings kaufe ich die meisten Karten auf Auktionen, auf denen keine Zeit dafür bleibt. Habe ich dort eine Dublette ersteigert, versuche ich sie bald wieder abzustoßen.

bpb: Gibt es bestimmte Motive, die sehr häufig angeboten werden?

Wolfgang Haney: Sehr häufig werden Bäderkarten aus Marienbad und Karlsbad angeboten. Auf jeder Börse und in jedem Versteigerungskatalog sind diese Motive zu finden. Sie sind jetzt auch entsprechend im Preis gesunken. Zum anderen gibt es in vielen Varianten "Dreyfus" - Karten aus Frankreich. Die müssen damals sehr viel gedruckt worden sein.

bpb: Wie repräsentativ schätzen Sie Ihre Sammlung ein?

Wolfgang Haney: Ich würde sagen, dass die Sammlung einen guten Querschnitt bietet. Interessant ist allerdings, dass es in der Nazizeit sehr wenig antisemitische Postkarten gab.

bpb: Mit wie vielen Händlern stehen Sie in Kontakt?

Wolfgang Haney: Ich habe das nie gezählt, aber es sind ungefähr zehn bis fünfzehn Händler, von denen ich Kataloge bekomme, und das weltweit, von Amerika über Israel bis hierher.

bpb: Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis der Karten aus den verschiedenen Ländern einzuschätzen? Spiegelt das Verhältnis in Ihrer Sammlung das reale wider oder ist es Zufall?

Wolfgang Haney: Meine Familie und ich sind in Deutschland verfolgt worden. Aus dem Grunde habe ich anfangs nur deutsche antisemitische Karten gekauft und ganz gezielt wenig ausländische. Allerdings sind viele erhältlich. Am häufigsten sind die polnischen und russischen Karten. Außerdem gibt es viele US-amerikanische, britische und weniger französische antisemitische Postkarten.
Ich habe diese Karten anfangs nicht erworben, weil ich den Deutschen nicht die Möglichkeit geben wollte, zu sagen, dass die anderen auch nicht besser waren als sie. Später habe ich allerdings alle angebotenen Karten gekauft, die ich mir leisten konnte, so dass meine Sammlung jetzt wahrscheinlich auch in dieser Richtung repräsentativ ist. Ich habe zum Beispiel ein großes Angebot aus Frankreich bekommen und festgestellt, dass ich 95 Prozent der Karten bereits besitze. Meine Sammlung ist jetzt so umfangreich, dass man mir nicht mehr viel Neues bieten kann.

bpb: Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Anteil judenfeindlicher Karten auf Sammlerbörsen und Auktionen?

Wolfgang Haney: Das kann ich Ihnen leider nicht genau beantworten. Aber auf den Sammlerbörsen werden neuerdings sehr große Mengen an Postkarten angeboten. Sie waren in der wilhelminischen Zeit ein großes Sammelgebiet und wurden zum Teil nur zum Sammeln gedruckt. Deswegen sind noch viele erhalten. Allerdings ist hier der Anteil antisemitischer Postkarten verschwindend gering.

bpb: Aus welchen persönlich-biographischen Gründen sammeln Sie antisemitische Postkarten und Antisemitica?

Wolfgang Haney: Meine Mutter war Jüdin und mein Vater katholisch. Laut den Nürnberger Gesetzen von 1935 war die Ehe meiner Eltern eine "privilegierte Mischehe". Meine Mutter stammte aus Lissa in Posen und kam mit ihren Eltern zusammen nach Berlin. 1921 heirateten dort meine Eltern. Wir waren zwei Söhne. Mein Bruder ist Augenarzt, und ich bin Diplom-Ingenieur.
Meine Großeltern verloren durch den Boykott jüdischer Geschäfte 1937 ihre Existenzgrundlage und man kann sagen, dass beide vor Gram gestorben sind. Dann musste meine Mutter das "J" für Jüdin in ihrem Personalausweis vermerken lassen und bekam den Zusatznamen "Sara". Sie war Zwangsarbeiterin in der Blindenwerkstatt "Hans Otto Weidt". Als die Belegschaft des Betriebes komplett deportiert wurde, ging meine Mutter in die Illegalität. Sie hat dadurch überlebt. Ich unterlag den üblichen Verboten für so genannte "Halbjuden".

Wir waren schon immer eine Familie, in der gesammelt wurde. Meine Mutter hat alte Schriftstücke und Flugblätter, Porzellan und jüdische Kultgegenstände gesammelt. Ich habe diese Sammelleidenschaft anscheinend von ihr übernommen, denn ich habe schon sehr früh damit angefangen. Eine meiner ersten Sammlungen waren Skarabäen. Ich fand sie interessant und außerdem waren sie preiswert. Der kleinste war aus Rosenquarz und der größte war faustgroß und aus Ton. Sie sind alle während der Bombardierungen Berlins zerstört worden.

Außerdem habe ich noch Dinge aus dem Orient gesammelt. Eines meiner schönsten Stücke habe ich durch das Saubermachen eines Ladens erworben. Das war ein Sarazenenhelm aus der Kreuzritterzeit. Er hat nur 25 Mark gekostet, aber ich besaß ja nichts. Ich habe Flaschen aus Müllkästen gesammelt und für 2 oder 3 Pfennige verkauft, um das Geld zusammenzubekommen. Nachdem ich mir aber immer wieder die Nase an dem Schaufenster platt gedrückt hatte, hat mich der Ladenbesitzer remgeholt und meinte: "Wat kiekste denn so, Junge?" Und dann hat er mir den Helm mitgegeben. Er hat gesagt: "Du kommst jede Woche her, fegst den Laden aus, und musst ein Vokabelheft mitbringen." Und da wurden die Stunden eingetragen. Ich habe ungefähr 10 oder 20 Pfennige Stundenlohn bekommen - und hinterher lag der Helm obendrauf auf dem Schutthaufen unseres ausgebrannten Hauses. Er war vollkommen deformiert. Aber ich habe immer weitergesammelt. Nach dem Krieg habe ich mit Briefmarken angefangen, wie jeder junge Mensch. Aber damit habe ich schon bald wieder aufgehört.

Danach habe ich Münzen gesammelt. Denn mein Vater war bei der "Haag" Schiffskapellmeister und hatte immer ausländisches Kleingeld in der Tasche. Außerdem gab es in jeder Familie einen Karton Notgeld, mit dem gespielt wurde. Das inspirierte mich. Ich habe eine sehr große Münzensammlung und bin Vorsitzender des Vereins "Berliner Münzenfreunde". Über das Münzsammeln bin ich auf das Geld aus Konzentrationslagern gestoßen, wie ich es zu Beginn des Interviews geschildert habe.

bpb: Verfolgen Sie mit dem Sammeln solcher Objekte ein Ziel?

Wolfgang Haney: Ich sammle nicht für mich alleine, sondern habe meine Sammlungen schon verschiedenen Institutionen für Ausstellungen zur Verfügung gestellt, weil ich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Stellung nehmen und die Leute aufklären möchte. Mein Wunsch ist es, auch an Schulen Vorträge zu halten, wie ich es schon in Gedenkstätten getan habe.

Das Interview ist dem umfangreichen Ausstellungskatalog „Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten“ (Frankfurt 1999) entnommen, der inzwischen vergriffen ist.

Mit Wolfgang Haney sprachen am 16.7.1998 Angelika Müller und Fritz Backhaus, das Gesprächsprotokoll wurde von Meike Herdes bearbeitet.

Fussnoten