Die radikale Rechte in Deutschland nach 1945 blieb in der zeithistorischen Forschung lange Zeit ein blinder Fleck. Erst jüngst rückte sie verstärkt in den Fokus der Geschichtswissenschaft, nicht zuletzt aufgrund des gegenwärtigen gesellschaftlichen ‚Rechtsrucks‘, der nach historischer Einordnung verlangt. Obwohl inzwischen zahlreiche Studien vorliegen und Projekte initiiert worden sind, die sich einzelnen Phänomenen intensiver widmen, mangelt es bislang an einer synthetisierenden Perspektive, die die Forschungsergebnisse in einen größeren historischen Kontext stellt und damit die radikale Rechte als genuinen Bestandteil der gesamten deutschen Geschichte erfasst. Diese Überlegungen bildeten den Ausgangspunkt der Tagung, die in Kooperation von Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ) veranstaltet wurde und im April 2025 in München stattfand. Eröffnet wurde die Fachtagung mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Residenz Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW).
Abendveranstaltung, 1. April 2025
Die Abendveranstaltung am 1. April 2025 stand unter dem Titel: „Fackelzüge – Springerstiefel – TikTok-Channel. Deutschlands radikale Rechte von 1945 bis 2025“ und fand als Kooperation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ), der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sowie der Bayrischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit statt. Auf dem Podium diskutierte PD Dr. Franka Maubach, Universität Bielefeld, mit Prof. Dr. Gideon Botsch vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum, und Prof. Dr. Andreas Wirsching, IfZ, – moderiert von Prof. Dr. Martina Steber, IfZ, und Dr. Martin Langebach, bpb.
Rund 375 Interessierte im Saal sowie über 150 Menschen im Live-Stream folgten dem Austausch, ob angesichts der Vielfalt rechtsradikaler Erscheinungsformen tatsächlich von einer Kontinuität seit 1945 gesprochen werden kann. Sie diskutierten Kernelemente rechten Denkens, darunter insbesondere Ultranationalismus und Antisemitismus, ferner Ausprägungen rechtsextremer Gewalt – von Hakenkreuzschmierereien über Pogrome bis hin zu terroristischen Handlungen. Maubach plädierte hierbei für eine stärkere Berücksichtigung von „Konjunkturphasen“ der radikalen Rechten. Abschließend stellten die Diskutanten übereinstimmend drei zentrale Aufgaben der Zeitgeschichtsforschung heraus: die intensivere Auseinandersetzung mit den Verflechtungen zwischen West- und Ostdeutschland unter besonderer Beachtung regionaler Spezifika, die vertiefte Analyse rechtsradikaler Praktiken sowie die Integration der Betroffenenperspektive. Diese Desiderata prägten auch die anschließende Tagung, die mit ihrem vielseitigen Programm zur Bündelung bestehender Forschung und zur Erschließung neuer Perspektiven beitrug.
Fachtagung, 2. und 3. April 2025
Die eigentliche Fachtagung „Die radikale Rechte in Deutschland nach 1945: Demokratie, Pluralismus und deutsch-deutsche Verflechtungen“ fand am 2. und 3. April 2025 im vollbesetzten Vortragssaal des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin in München statt. Martina Steber führte in ihrem Eingangsvortrag so dann aus, dass die Tagung in Anlehnung an die internationale Forschung einem offenen Analysekonzept folge, das die „radikale Rechte“ als Sammelbegriff für ein breites Spektrum verfassungskonformer und -feindlicher Strömungen versteht. Die Vorstellung, dass der Rechtsextremismus dauerhaft überwunden sei, habe lange Zeit die deutsche Selbstwahrnehmung geprägt. Ziel der Tagung war es, dieses Bild aufzubrechen und die radikale Rechte in die etablierten Interpretationen der Geschichte des doppelten wie des vereinigten Deutschlands einzuordnen. Drei Fragen standen dabei im Fokus: Wo war der Ort der radikalen Rechten in der deutschen Geschichte nach 1945? In welchem Verhältnis stand ihre Entwicklung zu den in der zeithistorischen Forschung herausgearbeiteten langfristigen Momenten des Wandels? Und wie gestalteten sich ihre Beziehungen zu anderen historischen Kräften?
Die Tagung begann mit der Vorstellung vier analytischer Perspektiven auf die Geschichte der radikalen Rechten, die in den folgenden Sektionen aufgegriffen wurden. Wie relevant es künftig sein wird, die deutsch-deutschen Verflechtungen in die historische Erforschung der radikalen Rechten einzubeziehen, betonte Prof. Dr. Frank Bösch, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), Potsdam. Strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Rechten in der Bundesrepublik und der DDR bestanden etwa im alltäglichen Rassismus und Antisemitismus oder im Widerstand gegen die „Besatzer“. Außerdem war die deutsch-deutsche Dimension kennzeichnend für die Lebenswege einzelner Rechtsradikaler wie Udo Albrecht oder Odfried Hepp, die beide im Dienst der DDR-Staatssicherheit standen. Abschließend schlug Bösch eine Blickerweiterung der „Baseballschlägerjahre“ (Christian Bangel), der Gewalt der 1990er Jahre in Ostdeutschland, vor. Sie müssten in Beziehung zu den rechtsextremen Gewalttaten der 1980er-Jahre in Westdeutschland gesetzt werden.
Dr. Barbara Manthe, Universität Bielefeld, knüpfte hier mit drei Überlegungen an, wie die Zeitgeschichte zur Perspektivierung neonazistischer Gewalt beitragen könne: Sie solle erstens die behördlichen und sozialwissenschaftlichen Zählversuche historisieren und ihre spezifischen Entstehungsgeschichten und Wertmaßstäbe offenlegen; zweitens rechtsradikale Gewaltpraktiken mit anderen Formen von Gewalt ins Verhältnis setzen und sie damit in eine allgemeinere Gewaltgeschichte einbetten; und drittens die Deutungen von rechtsradikaler Gewalt in die Analyse integrieren. Ausgehend von diesen Reflexionen kam Manthe zu dem Schluss, dass der Zeitraum von 1968 bis 1993 eine Schlüsselphase der Entwicklung rechtsradikaler Gewalt sowie ihrer Deutung darstellte.
Prof. Dr. Dietmar Süß, Universität Augsburg, fragte in seinem Vortrag nach dem Verhältnis zwischen der radikalen Rechten und der Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Als heuristische Sonde diente ihm der Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ (Regie Winfried Bonengel, 1993) über einen damals bekannten jungen Neonazi. Die öffentliche Debatte über den Film, so Süß, verwies auf die Demokratiegeschichte der Deutschen nach 1945, insbesondere in Form einer beständigen demokratischen Sinnsuche, die noch heute sichtbar sei. Darüber hinaus zeigten die Proteste, die „Beruf Neonazi“ hervorgerufen hatte, dass die Geschichte der radikalen Rechten immer auch eine Geschichte ihrer Gegner sei. Nicht nur die Gegner, sondern auch die Gerichte beschäftigten sich intensiv mit dem Film. Daher empfahl Süß, die juristische Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten in die historische Untersuchung einzubeziehen. Die Nachgeschichte des Nationalsozialismus, so Süß abschließend mit Blick auf die radikale Rechte, umfasse nicht allein die „Abarbeitung alter Problemlagen“, sondern trage „immer auch ihre eigene Vorgeschichte in sich“.
Diese Empfehlung ergänzte PD Dr. Anette Schlimm, Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, um einen Zugang, der aus der Perspektive des Staates die Geschichte der radikalen Rechten aufzuschlüsseln sucht – zum einen aus der Blickrichtung des Staates auf die radikale Rechte, zum anderen umgekehrt danach fragend, wie radikalrechte Akteure den Staat perzipierten. Neben der Justiz, so ihr Argument, solle die Forschung weitere staatliche Behörden genauer in den Blick nehmen. Zentral sei hierbei das Wissen des Staates über die radikale Rechte. Bei diesem handele es sich immer um ein Wissen über eine potentielle Gefahr, das jedoch abhängig vom historischen Kontext stark variieren konnte. An die Zeitgeschichte gehe daher der Auftrag, das staatliche Wissen über die radikale Rechte konsequent zu historisieren. Gleiches gelte für die Staatskonzepte der Rechten, die ebenfalls historischen Dynamiken unterworfen waren und sich daher sehr unterschiedlich gestalteten.
Anschließend vertiefte die Tagung in sechs Sektionen ausgewählte Themenfelder. Prof. Dr. Philipp Gassert, Universität Mannheim, eröffnete die erste Sektion zu Aktionsformen und politischen Performanzen mit einem Vortrag über die radikale Rechte als Protestakteur. Darin plädierte er dafür, den rechtsradikalen Protest in der longue durée (auf lange Dauer) zu betrachten. Denn erst dadurch würde sichtbar werden, dass die Rechte über keine spezifische Protest-Performanz im öffentlichen Raum verfügte, sondern sich wie andere politische Akteure an überlieferten Formen eines breiten Repertoires (Umzüge, Versammlungen, Petitionen, etc.) bediente und diese schrittweise und steigernd veränderte.
Dem Raum kam auch im Vortrag von PD Dr. Daniel Gerster und Dr. Kerstin Thieler, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, eine zentrale Bedeutung zu. Darin präsentierten sie erste Ergebnisse ihres Projektes „Hamburg rechtsaußen“ (HAMREA). Am Beispiel des maßgeblich von Jürgen Rieger in den 1990er Jahren verantworteten Schulungszentrum Hetendorf illustrierten sie, wie der periphere Raum als Rückzugsort für die extreme Rechte fungierte und damit Stadt und Land verknüpft waren. Abgeschottet vom „liberalen“ Hamburger Stadtzentrum konnten Neonazis hier ungestört agieren – sei es in Form von politischen Schulungen, völkischen Sonnwendfeiern oder Wehrsportübungen. Nicht selten provozierten die rechtsextremen Raumaneignungsversuche gesellschaftlichen Protest, wobei die mediale Inszenierung einen wichtigen Faktor markierte.
Dr. Darius Muschiol, Zeithistoriker aus Berlin, untersuchte die historischen Kontinuitäten rechten Terrors. Ihm zufolge diente der Südtirolterrorismus der 1960er-Jahre als Blaupause für spätere bundesdeutsche Rechtsterroristen. Von ihm übernahmen sie Strategien der Einschüchterung, Bagatellisierung und der internationalen Vernetzung. Darüber hinaus offenbarten sich in ihm die spezifischen Eigenlogiken des Rechtsterrorismus, die dazu führten, dass die Behörden dessen Gefährdungspotential lange Zeit unterschätzten. Im Unterschied zu den Linksterroristen attackierten die Rechtsterroristen den deutschen Staat meist nicht direkt, sondern verübten Anschläge an ihm vorbei und betteten diese in antikommunistische sowie migrationsskeptische Diskurse ein. Im Fall des Südtirolterrors war es zudem von Bedeutung, dass die Terroristen mitunter beste Kontakte zu konservativen Regierungsmitgliedern in der Bundesrepublik pflegten, die ihnen Schutz gewährten.
Die von Muschiol angedeuteten Verbindungen der radikalen Rechten zu Akteuren anderer politischer Strömungen fanden in der zweiten Sektion, die sich mit den ideologischen Abgrenzungen und Mischungsverhältnissen befasste, besondere Berücksichtigung. Eine der bekanntesten Plattformen des intellektuellen Brückenspektrums zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus stellte die Carl Friedrich von Siemens Stiftung dar.
Johannes Geck, Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, analysierte die kulturellen Praktiken, die ihr langjähriger Geschäftsführer Armin Mohler nutzte, um eine „antibürgerliche Bürgerlichkeit“ zu realisieren. So agitierte er einerseits weiterhin in einem finanzstarken bürgerlichen Umfeld, kultivierte anderseits aus diesem heraus einen antibürgerlichen Affekt, der sich im Sinne von Antonio Gramscis Theorie einer Kulturrevolution radikal gegen eine vermeintlich wirkungslose Bürgerlichkeit richtete. Dieser Stil der bewussten Widersprüchlichkeit, so Geck, ermöglichte Mohler, Konservative und Rechtsradikale innerhalb der Stiftung zusammenzubringen.
Die Frage nach einem spezifischen Politikstil der extremen Rechten strukturierte den Vortrag von Dr. Moritz Fischer, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen. Darin zeigte er, dass die Geschichte der rechtsextremen Parteien in der Bundesrepublik eher von Wandel als von Kontinuität bestimmt war. So hätte die tiefe Krise, in der sich die extreme Rechte seit den späten 1960er-Jahren befand, dazu geführt, dass sie sich zunehmend der demokratischen Kultur angepasst und verschiedene Stilmittel flexibel genutzt hätte. Fischer schloss daraus, dass sich die Forschung von der Vorstellung eines spezifischen Politikstils der extremen Rechten lösen und stattdessen ihre strategische Vielgestaltigkeit berücksichtigen müsse, die von Populismus über Führercharisma bis hin zum Neonazismus reiche.
Dr. Stefan Rindlisbacher, Universität Fribourg, gab Einblicke in sein Projekt zur ökologischen Rechten, bei der eine verblüffende Kontinuität rechtsextremer Ideologien und Strukturen über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg zu erkennen sei. Ein Beispiel hierfür war Günter Schwab, dem als ehemaligen Nationalsozialisten nach 1945 über den vermeintlich unpolitischen Naturschutz der Wiedereinstieg in die Nachkriegsgesellschaft gelang. Dass Schwabs Ideen keineswegs unpolitisch waren, veranschaulichte Rindlisbacher anhand dessen 1958 publizierten Manifests „Tanz mit dem Teufel“, in dem er einen reduktionistischen Biologismus vertrat. Zudem gründete Schwab 1958 beziehungsweise 1960 den Weltbund zum Schutze des Lebens (WSL), der sowohl ideologisch als auch institutionell an den völkischen Naturschutz der Zwischenkriegszeit anknüpfte.
Zum ideologischen Kernbestand der radikalen Rechten zählte schon immer der Antiliberalismus. Seine Ursprünge lagen, wie Dr. Maik Tändler, Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, in der dritten Sektion zur Interdependenz von kulturellem Wandel und rechten Haltungen darlegte, in der sogenannten „Konservativen Revolution“ der Zwischenkriegszeit. Ihren Vertretern diente der Antiliberalismus in erster Linie als Projektionsfläche einer umfassenden Feindbildkonstruktion. So blieb er niemals auf die Gegnerschaft zum Liberalismus als einer politischen Strömung beschränkt. Vielmehr äußerte er sich in der Ablehnung aller Erscheinungen einer liberaldemokratischen, kulturellen und emanzipatorischen Moderne (Antiparlamentarismus, Antifeminismus etc.). Die Neue Rechte knüpfte nach 1945 an diese Denktradition an und entwickelte sie durch entsprechende Feindbildkonstruktionen wie den Antiamerikanismus oder Antikommunismus weiter.
Dr. Sebastian Bischoff, Universität Bielefeld, setzte sich mit der Wahrnehmung des Wertewandels durch die bundesdeutsche Rechte auseinander. Anhand zeitgenössischer Debatten um Pornografie und schulische Sexualerziehung in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wies er nach, wie der gemeinsame Kampf gegen die sexuelle Liberalisierung als Scharnier zwischen den verschiedenen rechten Fraktionen fungierte. Sie alle teilten die Überzeugung, sich gegen den Zeitgeist wehren zu müssen. So einig sie sich im Ziel waren, so sehr differierten jedoch ihre Handlungsoptionen: Während die einen aktivistisch die Arbeit von CDU/CSU begleiteten, initiierten andere Petitionen oder engagierten sich in der Lebensschutzbewegung. In Anlehnung an die historische Wertewandelforschung argumentierte Bischoff, dass Widerspruch ein wichtiger analytischer Ansatzpunkt sei, um den Wertewandel zu fassen.
Wie sich gesellschaftliche Wandlungsprozesse in den Selbstpraktiken junger Rechter manifestierten, illustrierte Laura Haßler, Universität Greifswald, am Beispiel der Jungen Nationaldemokraten (JN). In den Zeitungen der NPD-Jugendorganisation fanden sich seit Mitte der 1960er-Jahre immer wieder Hinweise auf gegenkulturelle Praktiken, die oft fälschlicherweise als Anzeichen einer politischen Linkswanderung gedeutet wurden. Haßler zufolge würden diese Praktiken vielmehr belegen, dass auch die JN an der Konsum- und Popkultur teilhaben wollten. Sie schlug daher vor, ihre kulturellen Praktiken getrennt von politischen Zielen zu betrachten. Auf diese Weise ließen sich rechte Gruppierungen wie die JN als Teil der 1968er historisieren.
Ein bislang weitgehend unerforschtes Terrain sind die rechtsextremen Praktiken in Ostdeutschland. Dr. Christian Rau, Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, nahm dies in der vierten Sektion, die sich der radikalen Rechten im antifaschistischen Staat und in der ostdeutschen Vereinigungsgesellschaft widmete, zum Anlass, eine doppelte Blickerweiterung anzuregen: zum einen die DDR als eigenständiges Forschungsfeld der Geschichte des Rechtsextremismus zu untersuchen und zum anderen die für sie spezifischen rechtsextremen Praktiken stärker zu berücksichtigen. Solche praxeologischen Analysen sollten vor allem die lokalen Dynamiken, die Bedeutung von „Heimatsinn“ sowie den Alltag einzelner Akteursgruppen zwischen später DDR und Vereinigungsgesellschaft fokussieren.
Hieran knüpfte Paul Räuber, Universität Rostock, an. Er verwies auf die Bedeutung der Tanzfläche als Experimentierfeld für die ostdeutsche Neonazi-Szene. Seit Ende der 1980er-Jahre ging die extreme Rechte gezielt in Diskos und Jugendclubs, um Propaganda zu verbreiten und Gewalt auszuüben. Räuber zeigte anhand ausgewählter Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern auf, dass es sich bei diesen heute weitgehend vergessenen Überfällen um wiederkehrende Rituale handelte, die von der Skinhead-Kultur geprägt waren und klaren Mustern folgten.
Wie sich Eisenach zu einem rechtsextremen „Hotspot“ entwickelte, zeichnete Dr. Jessica Lindner-Elsner, Museum und Archiv der Stiftung Automobile Welt Eisenach, nach. Sie identifizierte dabei zwei wesentliche Faktoren: Erstens existierten schon vor dem Mauerfall Verbindungen zwischen der ost- und westdeutschen Neonazi-Szene, die seit 1990 durch Akteure wie Michael Kühnen intensiviert wurden. Zweitens sahen Lokalpolitiker trotz wiederholter rassistischer Gewalttaten keinen erweiterten Handlungsbedarf und überließen das Feld zivilgesellschaftlichen Initiativen. Dies führte dazu, dass sich in Eisenach langfristig rechtsextreme Strukturen etablieren konnten, die noch heute Kontinuität besitzen.
Seit Kurzem richtet die historische Forschung zur radikalen Rechten ihren Fokus auch verstärkt auf die Migration, die im Zentrum der fünften Sektion stand. PD Dr. Franka Maubach, Universität Bielefeld, verwies in diesem Kontext auf die Notwendigkeit, genauer zwischen historischen Rassismen zu unterscheiden. Eine solche Aufschlüsselung erweise sich vor allem dann als produktiv, wenn es darum ginge, verschiedene Praktiken rechter Diskriminierung und Gewalt zu verstehen. Ein zentrales Beispiel war hier das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, bei dem unterschiedliche rassistische und antisemitische Vorurteile intersektional zusammenwirkten.
Mit Rassismus wird oft Islamfeindschaft verbunden. Dass diese allerdings nicht immer so fest im rechten Denken verankert war, wie heutige politische Forderungen nach „Remigration“ vermuten lassen, erläuterte Matheus Hagedorny, Universität Potsdam, in seinem Vortrag. So hätten bis weit in die 1980er-Jahre hinein viele Rechtsintellektuelle – etwa im Umfeld der Zeitschrift Criticón – die Kampfbereitschaft der Muslime gegen den Liberalismus bewundert und sich mit ihren antiwestlichen Positionen identifiziert. Neu sei in diesem Zusammenhang auch die verstärkte Bezugnahme der Rechten auf postkoloniale Vorstellungen von Nation gewesen.
Hier knüpfte der Vortrag von Linn Sofie Børresen, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin, an, in dessen Zentrum der Ethnopluralismus stand. Das maßgeblich von Henning Eichberg in den 1970er Jahren entwickelte Konzept, das auf der Trennung verschiedener Ethnien zur Bewahrung ihrer kulturellen Individualität beruhte, hätte antikoloniale Argumente wie die Idee des kulturellen Schutzes vor Fremden aufgegriffen, um einen „defensiven Rassismus“ zu legitimieren. Eine wichtige Inspirationsquelle für Eichberg waren die Ideen der französischen Nouvelle Droite um Alain de Benoist. Børresen schlug damit bereits eine Brücke zur sechsten Sektion, die sich der Internationalisierung und Transnationalisierung der radikalen Rechten widmete.
Am Beispiel Oswald Mosleys zeigte Prof. Dr. Damir Skenderovic, Universität Fribourg, dass frühe Versuche einer „rechten Internationalen“ maßgeblich auf Einzelpersonen zurückgingen, die durch „ideologischen Tourismus“ transnationale Handlungs- und Mobilisierungsräume erschlossen. Obwohl solche Initiativen zunächst keine organisatorischen Erfolge zeitigten, schufen sie emotionale Verbindungen in Form eines internationalen Gemeinschaftsgefühls, aus dem rechte Akteure ihr politisches Handeln ableiteten.
Zentraler Bestandteil rechter Vernetzungsprojekte war stets auch der Wissenstransfer: ein Feld, auf dem sich dies besonders deutlich äußerte, war die Holocaust-Leugnung. Dr. Fabian Weber, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, erklärte, dass erste transnationale Verbindungen unter Holocaustleugnern bereits kurz nach dem Krieg entstanden seien. So bemühte sich etwa der deutsche Verleger Karl-Heinz Priester früh um Kontakt zum französischen Schriftsteller Maurice Bardèche, in der Annahme, ausländische Stimmen würden der Leugnung größere Glaubwürdigkeit verleihen. Seit den 1970er-Jahren wurden solche Verbindungen weiter ausgebaut – teils unter Einbindung linker Revisionisten. Deren Rolle wurde bislang weitgehend vernachlässigt und sollte künftig in der Forschung stärker beachtet werden.
Prof. Dr. Johannes Großmann, Ludwig-Maximilians-Universität München, beleuchtete die Bedeutung der „Internationalen der Konservativen“ für die radikale Rechte. Dieses transnationale Netzwerk, bestehend u.a. aus dem Centro Europeo de Documentación e Información (CEDI), dem Institut d’Études Politiques de Vaduz und dem Cercle, ermöglichte radikalen Rechten in einen offenen Dialog mit gemäßigten Konservativen zu treten. Der regelmäßige Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren hätte langfristig zu einer „selektiven Liberalisierung“ der Rechten geführt. Dennoch hätten diese an ihren radikalen Positionen festgehalten, woraus sich eine scheinbar widersprüchliche Amalgamierung von Ideologemen ergeben hätte, die Großmann als „die Wurzeln des libertären Autoritarismus unserer Gegenwart“ identifizierte. Die drei Vorträge der letzten Sektion unterstrichen, dass sich die Geschichte der radikalen Rechten in Deutschland ohne eine Einbettung in die transnationale Historiographie nur unzulänglich erklären lasse.
In diesem Sinne plädierten die Historikerin Prof. Dr. Sonja Levsen, Eberhard Karls Universität Tübingen, und die Politologin Prof. Dr. Léonie de Jonge, Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex) an der Eberhard Karls Universität Tübingen, in der Abschlussdiskussion für eine stärkere Berücksichtigung transnationaler sowie internationaler Verflechtungen der radikalen Rechten. Sie argumentierten, dass die historische Forschung durch diese Perspektive neue Erkenntnisse gewinnen könne, die auch für das Verständnis gegenwärtiger politischer Entwicklungen von Bedeutung wären. De Jonge hob hervor, dass heutzutage das Thema „Gender“, um das ein Kulturkampf entbrannt sei, die Rechte weltweit vereine. Daher sprach sie sich dafür aus, dass künftig auch Geschlechterfragen intensiver in historische Untersuchungen zur radikalen Rechten einbezogen werden sollten. Levsen betonte die Notwendigkeit, die Gegner- und Betroffenenperspektive noch stärker zu beleuchten, insbesondere hinsichtlich ihrer Praktiken, und schlug eine vergleichende Historiographie der wehrhaften Demokratie vor. Obwohl die Tagung diese Themen nicht abschließend behandeln konnte, trug sie durch ihr vielfältiges Programm und die produktiven Diskussionen dazu bei, die historische Forschung zur radikalen Rechten um neue Denkansätze zu bereichern und einen wichtigen ersten Schritt hin zu einer synthetisierenden Perspektive zu setzen.