Eröffnungspanel
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Moderiert von Dr. Wolf Kaiser, Leiter der Bildungsabteilung des Haus der Wannseekonferenz, diskutierte das Panel über die Frage, inwiefern historische Erinnerung identitätsstiftend sein kann. Neben Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, nahmen auch Dr. Norbert Reichel, Gruppenleiter im Schulministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, und Frank Richter, Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, auf dem Podium platz.
Zum Auftakt spricht das Panel über historische Ereignisse, die für die Diskutanten persönlich prägend waren. Es wurde dabei sowohl auf eigene Erfahrungen als auch "fremde" oder sekundäre Erinnerungen verwiesen. Für Reichel waren familiäre Erzählungen über den Ort Auschwitz und die Geschehnisse dort sehr präsent. Richter prägten die Geschehnisse der friedlichen Revolution 1989. Krüger hatte den Zerfall der DDR und deutsche Wiedervereinigung ebenfalls aktiv miterlebte und reflektiert die idealistische und subjektive Prägung seiner persönlichen Erinnerung an diese Zeit. Geschichte sei eine höchst plurale Angelegenheit und daher stünden sich auch im Diskurs um Erinnerung immer verschiedene Perspektiven gegenüber. Bereits in dieser ersten Runde betonten alle Diskutanten, wie sehr der Blick in die Vergangenheit von der Gegenwart geprägt sei.
Ausgangspunkt einer spannenden Diskussion bildeten die Worte des polnische Journalist Jerzy Piorkowki, der über junge Menschen der Nachkriegsgeneration schrieb: "Sie wissen, dass Geschichte und Gegenwart eins sind. (...) Auschwitz ist für sie weder Schweigen noch Ende einer Fahrt. Auschwitz ist der Beginn eines Weges und die Stimme, die in die Zukunft führt." Das Panel war sich einig, dass Auschwitz auch heute noch ein wichtiger Orientierungspunkt ist und dies auch in Zukunft bleiben müsse. Wichtig dabei sei allerdings ein multiperspektivischer Zugang, um emotionale Überwältigung zu vermeiden. Multiperspektivität sei in diesem Zusammenhang jedoch keinesfalls gleichzusetzen mit Relativismus.
Lernziel politischer Bildung ist es laut Krüger, Menschen dazu zu befähigen, sich auf Grundlage verschiedener Quellen und Perspektiven eine eigene Meinung zu bilden. Um sich auch von Emotionalität nicht überwältigen zu lassen, müsse daher immer die Frage gestellt werden: Was löst diese Emotionalität aus? Sich auf Emotionalität einlassen und reflektiert mit dieser umgehen zu können, gehöre demnach zu einer zeitgemäßen Geschichtsvermittlung. Gleichwohl verweisen Kaiser und Richter auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Geschichte und Erinnerung – beides habe seinen Platz, dürfte sich aber gegenseitig auch nicht überlagern. Richter betont zudem, dass Auschwitz nicht die eine und einzige Stimme sein kann, die uns in die Zukunft leitet. Dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte müsse auch auf die Menschlichkeit untersucht werden, aus der die Überlebenden Kraft geschöpft haben und die sie uns in ihren bewegenden Zeugnissen immer wieder ans Herz legen.
Auch mit der Frage, inwiefern eine "negative Erinnerung" wie die Shoah eine Identität bilden kann, setzt sich das Panel auseinander. Kaiser versteht den Begriff Identität in diesem Kontext nicht als statisch, sondern im Gegenteil als sich veränderndes und erneuerndes Selbstverständnis. Eine negative Erfahrung wie die Shoah müsse laut Reichel mit positiven Erinnerungen verknüpft werden, um in diesem Sinne identitätsstiftend zu sein. Ganz praktisch bedeutet das für die historisch-politische Bildung, die Verbrechen des Nationalsozialismus zum Beispiel mit der Erklärung der Menschenrechte zusammen zu denken. Richter bringt einen anderen Aspekt in die Runde ein: "Wo Menschen Räume haben, um sich ihre Geschichten gegenseitig zu erzählen, wird Identität gestiftet." Die Schule könne ein aber nicht der einzige dieser "Freiräume" oder "Schutzräume" sein, denn die Themen unterliegen dort immer einer gewissen Auswahl.
Daran anknüpfend appelliert Krüger, Geschichtspolitik als Handlungsfeld im Hinterkopf zu haben und stets kritisch zu hinterfragen – auch heute sei die Instrumentalisierung von Geschichte zur Legitimation politischer Praxis vielfach zu beobachten. Kritik allein solle jedoch nicht zur Tugend erhoben werden. Es sei die Pluralisierung von Identität im Sinne eines Austauschs verschiedener Perspektiven, die uns widerstandsfähig mache gegen eine einseitige Instrumentalisierung von Geschichte.
In der abschließenden Runde bekräftigen die Diskutanten, dass Geschichtspolitik auch Unterrichtsgegenstand in der Schule sein sollte. Dies beinhalte laut Richter zum Beispiel die kritische Reflektion von Themensetzungen, Gedenktagen und Erinnerungsorten. Unerlässlich ist laut Krüger, den Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in der Gegenwart herzustellen: "Geschichte kann nicht in der Vergangenheit belassen werden, sondern sollte immer die Frage aufwerfen: Was hat das Erinnerte eigentlich mit mir zu tun? Welche Konsequenzen ziehe ich aus dem Erzählten?" Erst in der Auseinandersetzung mit diesen Fragen würde Geschichte relevant und das Vergangene ein wichtiges Stück der demokratischen Kultur, die unser Land heute ausmacht.