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Abschlusspanel | Fachtagung der bpb und der Kultusministerkonferenz (KMK) | bpb.de

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Abschlusspanel

Jana Ehret

/ 5 Minuten zu lesen

Moderiert von Dr. Norbert Reichel, Gruppenleiter im Schulministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, beschäftigte sich das Panel mit der Frage, wie eine zeitgemäße Geschichtsvermittlung aussehen könne und solle. Auf dem Podium saßen Dr. Elke Gryglewski, pädagogische Mitarbeiterin im Haus der Wannseekonferenz, Dr. Constanze Jaiser, Referentin bei der Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V., Prof. Dr. Volkhard Knigge, Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Prof. Dr. Thomas Großbölting, Professor für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität Münster, Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Vorsitzender des Nominierungskomitees für das Weltdokumentenerbe "Memory of the world" der UNESCO, und Adriana Altaras, Schauspielerin und Autorin. Zudem blieb ein Stuhl auf dem Podium frei, sodass sich auch Zuhörende aus dem Publikum in die Runde begeben und in die Diskussion einbringen konnten.

Abschlusspodium: Prof. Dr. Thomas Großbölting, Prof. Dr. Volkhard Knigge (© Mareike Bier)

Zu Beginn tauscht sich das Panel über mediale Zugänge zur Geschichte aus und diskutiert, inwiefern diese einen Beitrag zu historischem Lernen leisten können. Knigge betont, dass auch Erinnerung und Gedenken immer auf Wissen basieren müssen. Zentrales Lernziel historisch-politischer Bildung müsse daher die Entwicklung eines Geschichtsbewusstseins sein, welches er als Verschränkung von Wissen, Begreifen und Urteilen versteht – diesem Anspruch stünden viele Bücher und Filme leider nach.

In Anlehnung an den Titel der Fachtagung wirft Gryglewski die Frage auf, warum verstärkt von "Erinnern lernen" statt "Geschichte lernen" die Rede sei. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob Erinnern überhaupt erlernbar sei. Jaiser ist der Meinung, dass Lehrkräfte Erinnerungsanlässe aufzeigen und schaffen könnten, aber Erinnern selbst nicht zu vermitteln sei. Erinnerungskultur könne daher nur als Teil, nicht aber als Substitut für historisch-politische Bildung verstanden werden. Viele Erinnerungspraktiken und -formen stoßen laut Knigge bei den Jugendlichen ohnehin auf Ablehnung, weil sie einen rein affektiven und moralisierenden Zugang darstellen: "Jugendliche wollen nicht äußerlich betroffen gemacht werden!" Vor diesem Hintergrund stellt er zur Diskussion, ob manche Jugendliche sich nicht aufgrund des Themas, sondern vielmehr der Vermittlung gegen eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit aussprechen. Auch Altaras glaubt nicht, dass Jugendliche zum Gedenken gezwungen werden können, sieht im Gegensatz zu Jaiser allerdings Möglichkeiten Erinnern zu lernen. Was ihrer Erfahrung nach wirke, seien haptische Zugänge: "Selbst gemacht, selbst erfahren, selbst begriffen! Dann funktioniert es." Letztlich ginge es laut Altaras, egal wie wir es bezeichnen, vor allem darum, die junge Generation mit ins Boot zu holen. Wie dies gelingen könnte, erörtert das Panel im Anschluss anhand einiger konkreter Projektbeispiele und Projektideen.

Kontrovers diskutiert wird die Vermittlung von Geschichte durch "Zeugen der Zeugen". Ganz konkret wird von Altaras der Ansatz des Vereins "Heimatsucher – Shoah Überlebende heute" in Spiel gebracht. Dieser gründet auf der Idee, Geschichten von Überlebenden an Kinder und Jugendliche weiterzuerzählen und gemeinsam aufzuarbeiten. Weil es die Stimmen der Überlebenden vor dem Verstummen bewahrt und gleichzeitig die Lernenden auf einer emotionalen Ebene berührt, ist Altaras von dem Projekt begeistert. Demgegenüber hält Jaiser das vermeintliche Selbstverständnis der Erzählenden als sekundäre Zeugen für höchst problematisch. In der historisch-politischen Bildung ginge es darum, die Lernenden zu einer Urteilsfähigkeit zu begleiten – ein Lernziel, das auch ohne moralische Überfrachtung erreicht werden könne und müsse. Knigge hält die Perspektive von Zeitzeugen ebenfalls für essentiell, sieht die Stärke von Erinnerung als historische Quelle allerdings in der autobiographischen Erfahrung, die in einem "Zeugen der Zeugen"-Ansatz zwangsläufig verloren geht. Um die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins zu fördern, müssten Zeitzeugenberichte daher im geschichtswissenschaftlichen Sinne immer auch räumlich und zeitlich verortet, quellenkritisch hinterfragt und mit anderen Quellen verknüpft werden. Diese Form wissenschaftlicher Betrachtung entzieht dem lebensgeschichtlichen Erinnern in keinem Fall den Legitimitätsanspruch. Im Gegenteil versucht sie diese auch im positiven Sinne zu authentifizieren, indem sie offen anerkennt, dass Erinnerung auch subjektiv konstruiert ist: "Erinnerung wird im Lichte neuer Erfahrung umgebaut und adaptiert," sagt Knigge, "sie ist kein Spiegel der Vergangenheit und sie ist auch noch kein didaktisches Konzept. Das größte Missverständnis ist, dass Erinnerung schon Pädagogik ist."

Im Hinblick auf offizielle Erinnerungsanlässe wünscht sich Altaras die Beteiligung von Jugendlichen, um auch neue und kreative Wege zu begehen, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen und in Beziehung zu setzen. Auch Leonhard begrüßt die Idee offizielle Gedenktage (z.B. im Bundestag) von Jugendlichen gestalten zu lassen, weil dies ein wichtiges Signal senden würde: "Wir nehmen Euch ernst!" Man müsse der jungen Generation auch zutrauen Verantwortung für den Umgang mit der deutschen Geschichte zu übernehmen und sie nicht nur in eingeübte und statische Erinnerungsrituale einspannen. Er geht in dieser Hinsicht sogar noch ein Schritt weiter und fordert ein dialogisches Prinzip in der Gestaltung von historisch-politischer Bildung insgesamt. Eine Fachtagung, an der auch Jugendliche teilnehmen könnten, wäre seiner Meinung nach wichtig und konstruktiv. Statt zu mutmaßen, wie Jugendliche bestimmte Erwartungshaltungen und Bildungsangebote wahrnehmen, könnte man sie einfach dazu befragen. Zuvor hatte auch Knigge darauf hingewiesen, dass es kaum qualitative Forschung zur Wirkung von Gedenkstättenbesuchen gibt und in diesem Bereich großer Nachholbedarf besteht.

Spannende Diskussionsanlässe lieferte Leonhard mit seiner positiven Bewertung, der selbstkritischen Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland, auf die man auch stolz sein könne. Gryglewski findet ein Selbstverständnis von Deutschland als "Weltmeister der Aufarbeitung" allerdings problematisch, sofern es zum Vorwurf an Menschen mit Migrationshintergrund umgemünzt wird. Die Formulierung "kultursensibel", die auch in der KMK-Empfehlung auftauche, mache auf sie den Eindruck, als wäre es eben nur diese Zielgruppe, die mit dem Erinnern noch nicht firm genug ist. An anderer Stelle äußert auch Jaiser, dass das KMK-Papier als Versuch der Kanonisierung von Erinnerung verstanden werden könnte. Gryglewski unterstreicht, dass Jugendliche die Relevanz von Geschichte aber unbedingt selbst suchen und entdecken können müssen, ohne einen "Rucksack moralischer Lehren" aufgesetzt zu bekommen. Sofern die junge Generation durch die Beschäftigung mit Geschichte auch zum politischen Handeln angeregt werden soll, ist ein Gegenwartsbezug unheimlich wichtig. Aus dem Publikum berichtet Thomas Müller von einem Gedankenspiel, das die Frage, wie viel die Menschen in Deutschland über die Verbrechen der Nazis gewusst haben, in die Gegenwart und Zukunft überführt. Wie würden die Jugendlichen ihren Enkeln erklären, dass sie nichts gegen gegenwärtige Unmenschlichkeiten wie den Umgang mit Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen oder Kinderarbeit in der Textilbranche unternommen haben?

Abschlusspodium: Dr. Elke Gryglewski, Dr. Constanze Jaiser, Prof. Dr. Felix Leonhard, Frank Richter, Prof. Dr. Thomas Großbölting, Prof. Dr. Volkhard Knigge, (v.l.n.r.) (© Mareike Bier)

Zum Abschluss wird das Panel nach Anregungen und Wünschen gefragt, was die KMK als nächstes zu dem Thema tun sollte. Zunächst wird nochmals der Begriff Erinnerung problematisiert, der laut Großbölting in seiner jetzigen Verwendung im KMK-Beschlusspapier zu unklar ist. Konkret plädiert Knigge in dieser Hinsicht für eine Differenzierung von Geschichte, Gedächtnis und Erinnerung, um zu einem praktikablen Begriff des historischen Lernens zu gelangen. Jaiser schlägt vor, die KMK-Empfehlung auch nach Ende der Fachtagung von Akteuren der historisch-politischen Bildung kommentieren zu lassen, um auszumachen, an welchen Stellen nachgebessert werden muss. Während Leonhard sich nochmal eine Fachtagung unter Beteiligung von Jugendlichen wünscht, setzt sich Gryglewski für mehr Tagungen und Seminare für Pädagogen ein, um diese noch stärker zur Reflektion ihrer Arbeit anzuregen.

Fussnoten