Eine ökonomische Perspektive auf das deutsche System der frühkindlichen Bildung
Pädagogische Qualität
Aus der Forschung ist bekannt, dass die Rendite frühkindlicher Bildungsinvestitionen nur dann besonders hoch ist, wenn eine gute pädagogische Qualität gesichert ist. Die NUBBEK-Studie kommt zum Ergebnis, dass über 80 Prozent der außerfamiliären Betreuungsformen hinsichtlich der pädagogischen Prozessqualität im mittleren Bereich liegen. Eine gute pädagogische Prozessqualität kommt dabei in jedem der Betreuungssettings in weniger als zehn Prozent der Fälle vor, eine unzureichende Qualität dagegen zum Teil in deutlich mehr als zehn Prozent. Bezieht sich die Messung auf bestimmte Bildungsbereiche, zum Beispiel Mathematik, Naturwissenschaft und interkulturelles Lernen, ist die Qualität sogar in über 50 Prozent der untersuchten Kindergärten unzureichend.[21] Hinzu kommt, dass bestimmte Gruppen, die ohnehin in einem geringeren Umfang in Kindertageseinrichtungen vertreten sind, wie zum Beispiel Kinder mit Migrationshintergrund, tendenziell eher in Einrichtungen mit relativ schlechteren Qualitäten vorzufinden sind[22] - was zu einer doppelten Benachteiligung führen kann. Insgesamt kann für das deutsche System lediglich ein Mittelmaß an Qualität konstatiert werden. Im ökonomischen Sinne kann damit nicht die vollständige Rendite erzielt werden, die grundsätzlich pädagogisch hochwertige Bildungs- und Betreuungsprogramme in der frühen Kindheit erzielen können.Neben dem quantitativen Nachholbedarf hat Deutschland demnach auch in qualitativer Hinsicht ein Defizit, auch wenn sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan hat.[23] Die originäre Aufgabe der Qualitätssicherung liegt in Deutschland bei den Ländern und Kommunen. Sie haben, wie auch der Bund, einige Anstrengungen unternommen, um die pädagogische Qualität der Bildungs- und Betreuungsangebote zu verbessern. Allerdings fehlt ein einheitliches bundesweites Konzept. Immerhin haben sich die Länder auf die Einführung von Bildungsplänen verständigt. Positiv hervorzuheben ist, dass alle Länder entsprechende Pläne erarbeitet und veröffentlicht haben. Ein genauerer Blick auf die Bildungspläne zeigt jedoch, dass diese hinsichtlich ihrer Inhalte und ihrer Implementierung, insbesondere aber auch hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit extrem heterogen sind.[24] Wenn im schulischen Bereich große Unterschiede zwischen den Bundesländern beklagt werden, so kann im Elementarbereich von einer noch sehr viel größeren Heterogenität gesprochen werden. Von daher variieren Bildungschancen im frühkindlichen Bereich noch sehr viel stärker als in allen anderen Bildungsbereichen - auch bedingt durch regionale Qualitätsunterschiede. Wenn hier Abhilfe geschaffen werden soll, könnten bundesweite Mindeststandards, wie sie auch von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgeschlagen werden, und auf die sich alle betroffenen Gruppen verständigen sollten, ein erster Schritt sein.[25] Um positive Anreize zu schaffen, könnte die Erreichung einer sehr guten Qualität darüber hinaus zumindest in Teilen mit Finanzierungszusagen gekoppelt sein.[26]
Finanzierungs- und Steuerungsfragen
Aus ökonomischer Perspektive ist außerdem interessant, wie Finanzierungs- und Steuerungsfragen im deutschen System gestaltet sind. Dabei geht es auch um Fragen der öffentlichen Mittelverteilung. Bei der Frage, welchen Anbietern öffentliche Mittel zukommen, sind erneut Unterschiede zwischen den Bundesländern auszumachen. Grundsätzlich stehen den freien Trägern der Jugendhilfe öffentliche Mittel zur Verfügung oder die Kommunen sind selbst Träger von Kindertageseinrichtungen. Entsprechend haben sie die größten "Marktanteile". Der Anteil nichtstaatlicher Träger, die nicht gemeinnützig wirtschaften, ist sehr viel kleiner und liegt im Durchschnitt in allen Regionen und für alle Altersgruppen bei etwa einem Prozent.[27] Dieser geringe Marktanteil privat-gewerblicher Träger ist vorrangig darauf zurückzuführen, dass es erst seit einigen Jahren den Ländern freigestellt ist, selbst zu entscheiden, ob sie diese fördern. In sechs Bundesländern war die Förderung von "Wirtschaftsunternehmen" bereits im Jahr 2007 zulässig und in drei weiteren Ländern war dies in Ausnahmefällen möglich.[28]Teilweise gibt es Vorbehalte gegenüber privat-gewerblichen Angeboten: So wird vermutet, dass eine Aufgabe des Gemeinnützigkeitsstatus, der vielfach eine Voraussetzung für eine öffentliche Förderung ist, sowohl zu Einbußen bei der pädagogischen Qualität als auch zu Preissteigerungen führt. Für diese Vermutungen gibt es allerdings keine eindeutigen empirischen Belege. Vielmehr können fundierte US-amerikanische Studien belegen, dass auch gewinnorientierte Anbieter eine hohe pädagogische Qualität anbieten.[29] Bei entsprechenden Regulierungen, wie sie in Deutschland vorliegen, ist nicht zu erwarten, dass diese Träger per se schlechtere Qualität anbieten. Vielmehr könnte eine Förderung derselben dazu beitragen, dass die Geschwindigkeit des Ausbaus im "U3"-Bereich forciert wird. Auch andere Länder wie zum Beispiel Finnland haben die Förderung privat-gewerblicher Träger dazu genutzt, die Geschwindigkeit des Ausbaus zu erhöhen.[30] Aus bildungsökonomischen Überlegungen heraus ist es allerdings von zentraler Bedeutung, dass sie eine pädagogisch hochwertige Qualität anbieten.
Auch bei der Frage, wie öffentliche Mittel in das System gelangen, beschreiten die deutschen Bundesländer und Kommunen unterschiedliche Wege. Ökonomen unterscheiden grundsätzlich eine Objekt- von einer Subjektfinanzierung. Das heißt, entweder werden die Anbieter bzw. Träger (Objekte) gefördert, oder es werden die Nachfrager (Subjekte) subventioniert. In der Realität existieren auch Mischformen. In Deutschland wird mehrheitlich eine "subjektbezogene Objektfinanzierung" praktiziert, welche den Trägern die öffentlichen Mittel nach Anzahl der betreuten Kinder zuordnen. Einzelne Bundesländer, etwa Berlin und Hamburg, oder auch bestimmte Kommunen praktizieren dagegen eine Subjektförderung über zweckgebundene Transfers, zum Beispiel in Form von Gutscheinen. In der ökonomischen Literatur werden in diesem Steuerungs- und Finanzierungsinstrument Vorteile gegenüber einer Objektfinanzierung gesehen. Ein zentraler Ansatzpunkt bei der Subjektfinanzierung ist der Bedarf der Nachfrager bzw. der Kinder und Eltern. Zweckgebundene Transfers an die Nachfrager erlauben eine differenzierte Steuerung, und zwar dahingehend, welche Kinder eine besondere Förderung erfahren sollen - besonders im Hinblick auf finanzielle oder auch zeitliche Ressourcen.[31] Eine subjektbezogene Förderung kann aus diesem Grund auch als ein Instrument eingesetzt werden, um bestimmte Zielgruppen spezifisch zu fördern.