Männerforschung: Entwicklung, Themen, Stand der Diskussion
Wie das bei der Neuentwicklung einer Wissenschaftsdisziplin meist der Fall ist, eilten und eilen auch in der Männerforschung die theoretischen Diskurse den empirischen Studien voraus, gleichwohl sie sich zunehmend aufeinander beziehen können. In den vergangenen Jahren ist in diesem Zusammenhang eine zunehmende Ausdifferenzierung in verschiedene Forschungsbereiche zu beobachten: Sozialisation, Familie, Gesundheit, Sexualität, Gewalt, Alter, Migration, Arbeit, Politik, Militär.[3] Als quantitativ angelegte bundesweite Repräsentativerhebung ragt die Replikationsstudie von Rainer Volz und Paul Zulehner heraus,[4] aus deren vergleichender Typologie einerseits deutlich wird, dass sich Männlichkeit in Bezug auf Selbstbild, Geschlechterbeziehungen und Alltagsverhalten modernisiert hat, gleichzeitig aber auch in Spannungen steht, verunsichert ist, dass dabei aber Grundstrukturen tradierten männlichen Selbstverständnisses eine überraschende Beharrlichkeit aufweisen. Ähnliche Befunde finden wir in verschiedenen regionalen Männerstudien.
Männlichkeitsdiskurse als Krisendiskurse
Männerdiskurse waren schon immer auch Krisendiskurse. Zwei Argumentationsfiguren haben sich in den zurückliegenden 100 Jahren gehalten und verfestigt. Zum einen: Die Krise des Mannseins bricht mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der Frau auf, denn da wird deutlich, dass die Stärke des Mannes lange Zeit an die behauptete Schwäche der Frau gebunden war und mit der weiblichen Emanzipation ihre selbstbehauptete und darin tradierte Legitimation verliert. Die zweite Argumentationsfigur zur Krise des Mannseins sieht die Männer derartig in die Logik der Ökonomie und die Mechanismen der industriellen Produktion verstrickt, dass sie in ihrem Denken und Fühlen eher in der Maschine aufgehen (später in den neuen Technologien), als dass sie ihr Leben in Distanz dazu und aus sich selbst heraus bestimmen könnten.Vom Bild des Maschinenmannes bis hin zu dem des abstract worker – also von der vorletzten Jahrhundertwende bis zu Beginn dieses Jahrhunderts – zieht sich das gleiche Klage- und Kritikmotiv industriell zugerichteter Männlichkeit durch die Verständigungs- und Selbstvergewisserungsschriften (männer-)kritischer Wissenschaftler und Publizisten. Kein Wunder, dass Männlichkeitsdiskurse bis heute immer dann auch als Krisendiskurse geführt wurden, wenn Transformationsprozesse wie vor allem die Veränderungen im arbeitsgesellschaftlichen System, in der Arbeitsteilung der Geschlechter und damit im Geschlechterverhältnis aufziehen. "Viel zu oft werden diese Transformationen als 'Krise‘ beschrieben, ohne dass dabei genau bezeichnet würde, für wen die Veränderungen eigentlich tatsächlich wie krisenhaft, wie bestandskritisch und bedrohlich sind (…). Die ständige Männerkrisenbeschwörung der letzten Jahr(hundert)e ließe sich demnach (…) als ein Echo beschreiben, das durch seinen ständigen Nachhall eine spezifische Vorstellung von Männlichkeit am Leben erhält, im gesellschaftlichen und kulturellem Zentrum verankert und diese Konstellation letztlich womöglich sogar als 'natürlich‘ erscheinen lässt.“[5]
Hegemoniale Männlichkeit und die Dialektik von Dominanz und Verfügbarkeit
Erst mit der Einführung des Paradigmas der hegemonialen Männlichkeit in der Ablösung des traditionellen Patriarchatsbegriffs eröffnete sich der Männerforschung ein eigenständiger und nun offener Theorie- und Forschungshorizont. R. Connell[6] sieht eine Entstrukturierung der Macht des Patriarchats im Zuge der industriegesellschaftlichen Modernisierung hin zu einer fragilen wie flexiblen Dominanzstruktur (Hegemonie) auf drei Ebenen: in den politischen Machtverhältnissen, in der Hierarchie der Arbeitsbeziehungen und in den emotionalen Beziehungsverhältnissen. Damit ist nicht nur die tradierte Selbstverständlichkeit männlicher Macht obsolet geworden, es können auch unterschiedliche Männlichkeiten in einer Gesellschaft gelebt werden.Trotz dieser Entstrukturierung bleibt aber die Tendenz, männliche Macht in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen durchzusetzen, erhalten. Denn "Männlichkeit ist, als soziales Konstrukt, scheinbar unauflöslich mit Macht konnotiert. Die symbolische Verknüpfung von Männlichkeit und Macht gilt für die heterosoziale wie für die homosoziale Dimension der Gesellschaftsverhältnisse.“[7] Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit bezieht sich also sowohl auf Dominanzverhältnisse gegenüber Frauen als auch unter Männern. Dass sich männliche Macht in modernen Gesellschaften nicht nur halten, sondern immer wieder neu durchsetzen kann, männliche Machtgruppen auch von vielen anderen Männern gewollt oder ungewollt unterstützt werden und damit ihre hegemoniale Funktion behaupten, wird einem kulturell wie tiefenpsychisch wirksamen Bindungsverhältnis unter Männern zugeschrieben. Dieses wird als patriarchale Dividende bezeichnet. Mit diesem Begriff ist die allen Männern gleichsam kulturgenetisch eingeschriebene, in der Entwicklungsdynamik des Kindes- und Jugendalters immer wieder aktivierte und eingeübte Haltung gemeint, dass der Mann "im Grunde“ doch der Frau überlegen sei, egal ob das der Überprüfung durch die soziale Wirklichkeit standhält.[8] Die Erfahrungen in der Beratungspraxis zeigen, dass diese männliche Dividende in kritischen Lebenssituationen quer durch alle Schichten aktiviert wird. Gleichzeitig wird aber auch sichtbar, dass es von den sozialen Spielräumen der jeweiligen Lebenslage abhängt, ob Männer darauf "angewiesen“ sind, auf sie zurückzugreifen.
In der neueren, international vergleichenden Männerforschung, wie sie sich etwa im "Handbook of Studies on Men and Masculinities“[9] präsentiert, wird auf den wachsenden Einfluss verwiesen, den die globale kapitalistische Ökonomie auf die Freisetzung und Formung von Männlichkeiten hat. Einig ist sie sich darin, dass eine Abkehr von einem einseitigen Hierarchiemodell männlicher Dominanz notwendig ist und eher die Frage gestellt werden muss, wie Männlichkeit in die globalisierten Machtstrukturen ambivalent verstrickt ist. Grundthese ist dabei, dass die transnationalen Korporationsstrukturen ein Gender-Regime aufgebaut haben, das jenseits von Rasse und Nationalität durch einen männlichen Code zusammengehalten wird. Indem der neue Männerbund der global player die Kultur der internationalen Beziehungen in Wirtschaft und Politik besetzt, nistet sich hegemoniale Männlichkeit in fast allen transnationalen Organisationen ein. Sie scheint sich zunehmend in die Sphären sozial entbetteter Technologie und Ökonomie zu verlagern, die sich sozialen Bindungen und gesellschaftlicher Verantwortung entziehen. Verkörpert wird diese neue hegemoniale Männlichkeit durch entsprechende Leitfiguren in den weltweit operierenden transnationalen Konzernen, Technologie- und Finanzzentren.[10]
Hier setzt die kritische Frage nach der weiteren Gültigkeit des Hegemonialitäts-Modells als Leitkonzept der Männerforschung an.[11] Kann das neue global agierende Managertum überhaupt noch als hegemoniales Vorbild für zum Beispiel sozial benachteiligte Männer fungieren? Empirische Studien zeigen aber, dass gerade sozial benachteiligte Männer in ihrer sozialen Hilflosigkeit zu dezidiert maskulinen Kompensations- und Bewältigungsmustern greifen.[12] Männlicher Habitus und männliche Dividende scheinen also auch unabhängig von einer bestimmten Führungselite zu wirken, vielmehr sind sie in die ökonomische wie institutionelle Struktur einer Gesellschaft eingeschrieben.
Ein zentraler Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass das Konzept nur die eine, die Herrschaftsseite männlicher Hegemonialität sieht. Männer stellen zwar Machtverhältnisse her, sind ihnen aber gleichzeitig unterworfen. Sie sind eben die Geschlechtergruppe, die den Bedingungen kapitalistischer Verwertung ohne echte Rückzugsmöglichkeit (wie sie die Frau in der gesellschaftlich gebilligten Zone der Mutterschaft hat) ausgesetzt ist. Das Konzept kann also nur die Seite der Dominanz von Männlichkeit, nicht aber die Seite der männlichen Verfügbarkeit und Verletzlichkeit, der abhängigen Verstrickung des Mannes in den industriekapitalistischen Verwertungsprozess aufschließen. Damit gerät das Hegemonialkonzept in Gefahr, selbst zum Verdeckungszusammenhang zu werden, in dem dann Leiden von Männern nicht mehr thematisiert werden können. Hegemoniale Männlichkeit konstituiert sich vielmehr – in den industriekapitalistischen Gesellschaften – in der Dialektik von männlicher Dominanz und Verfügbarkeit.[13] Gerade in kritischen Lebenslagen – wie Trennung, Arbeitslosigkeit, Konkurrenzdruck – wird männliche Hilflosigkeit sichtbar, auch wenn die betroffenen Männer auf dezidiert maskuline Bewältigungsmuster zurückgreifen: Gefühlsabwehr und Rationalisierung, Kontroll- und Abwertungsstrategien.[14] Männlichkeit fungiert hier als Mittel der Lebensbewältigung. Gerade deshalb ist es auch plausibel, dass die gendertheoretische Männerforschung (Männlichkeit als soziale Konstruktion) einer psychoanalytischen Perspektive bedarf.
Tiefenpsychologischer Zugang: Externalisierung und Bedürftigkeit
Durch die Literatur zur geschlechtsspezifischen Sozialisation im Lebenslauf zieht sich ein mehr oder minder differenziertes Modell: Jungen und Männer tendieren dazu – vor allem in kritischen Lebenssituationen – sich außengerichtet zu verhalten, Gefühle abzuspalten, ihre Hilflosigkeit auf Schwächere zu projizieren und ihr Innen zu verschließen. Diese männliche Tendenz zur Externalisierung, der Abspaltung der eigenen Gefühle, wird in der Psychoanalyse nicht nur als Folge der zentrifugalen Dynamik des frühkindlichen Ablösungsdrucks des Jungen von der Mutter und der Fragilität der Vatersuche gesehen,[15] sondern vor allem auch dem Zwang zur ökonomischen Verfügbarkeit angelastet, dem Männer besonders ausgesetzt sind.[16] Die ökonomischen Strukturen verstärken diesen Abspaltungszwang, weil in ihnen die gemeinhin weiblich konnotierte Reproduktionsdimension und die damit verbundenen Werte (Sorge) gemäß der Logik der Warenform und des Marktes vom herrschenden Rationalitätsmodell der Erwerbsarbeit abgespalten werden.[17]Auch diese Entsprechung ist – wie die Ambivalenz der kindlichen Entwicklungsdynamik – im Alltag und unter der Oberfläche der Geschlechternivellierung verdeckt. Deshalb sei es auch Aufgabe der Männerforschung, solche Verdeckungen aufzuschließen. Erst dann werde sichtbar, „dass Männlichkeit nicht allein als gesellschaftliche Konstruktion, sondern ebenso als 'kulturanthropologische Verstrickung‘ zu sehen ist. So bildet die spannungsreiche Bedürftigkeit, die als Folge der Blockierung des Zugangs zum eigenen Innen entsteht, eine verdeckte Grundstruktur des Mannseins, die unter anderem durch Gewalt verborgen gehalten werden kann. Die zwiespältige Mutter-Sohn-Beziehung wird durch forcierte Selbstständigkeit und Dominanzgebaren verdeckt. Männerbünde verdecken den Fluchtaspekt im Drang des Mannes nach außen, seine Abwehr des Weiblichen und das Homosexualitätstabu. Mit der Beschreibung solcher Verdeckungen können Verbindungslinien vom vormodernen Patriarchat über die industriekapitalistische Gesellschaft zur Postmoderne aufgezeigt werden, ebenso wie zwischen sozialen Verhältnissen und leibseelisch verankerter Geschlechtlichkeit.“[18] Wie diese Verdeckungen "wirken“, kann mit dem Instrumentarium der empirischen Sozialforschung nur bedingt, höchstens indikatorisch erklärt werden.
Geschlechtshierarchische Arbeitsteilung und Vereinbarkeit
Hegemoniale Männlichkeit ist im institutionellen System der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung verankert. In diesem Zusammenhang wird wieder die zentrale Bedeutung der Erwerbsarbeit für den industriegesellschaftlichen Männlichkeitsentwurf in der Männerforschung betont.[19] Die Transformation der Erwerbsarbeit (Rationalisierungs- und Freisetzungsprozesse, Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse) habe nun vor allem die Institution des Normalarbeitsverhältnisses (tendenziell lebenslang abgesicherte Berufstätigkeit und damit verbundener familialer Ernährerstatus), an dem sich das männliche Selbstverständnis in den Industriegesellschaften maßgeblich orientiert, nachhaltig geschwächt. Damit ging der Wandel des Geschlechterverhältnisses in der Erwerbsarbeit einher: Nicht länger die nur "gleichgestellte Frau“, die komplementär und ergänzend wirkte, ist das Leitbild. Inzwischen wird ein gleichberechtigtes Adult-worker-Modell (Zwei-Erwerbstätigen-Modell) gefordert, in dem beide Geschlechter ihre eigene Option auf Berufsarbeit bei Gleichbelastung in der Familienarbeit realisieren können.[20] Damit ist auch der Vereinbarkeitsdiskurs Beruf/Familie für den Mann eröffnet.Allerdings wird schnell eine Barriere sichtbar: Während die Frauen im Zuge der sozialstaatlichen Transformation der Frauenfrage und insbesondere der Vereinbarkeitsproblematik in der Mehrzahl längst gelernt haben, zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre zu changieren, sind die meisten Männer so gut wie nicht darauf vorbereitet. Die innerfamiliale Rolle war ihnen aus verschiedensten Gründen bisher verwehrt, ihnen fehlt die entsprechende Erfahrung und die öffentliche Anerkennung einer solchen zweiten Rollenexistenz. Dies äußert sich empirisch bei vielen Männern in der Spannung zwischen Wunsch und Verwehrung: In Umfragen gibt eine Mehrheit von Männern (vor allem Väter) an, in der familialen Haus- und Erziehungsarbeit engagiert zu sein, es aber auf Grund ihrer nachweisbaren Arbeitsbelastung gar nicht so zu können, wie sie es sich wünschten. Dass gerade bei Vätern aus der Mittelschicht mit qualifizierten Berufen die Diskrepanz zwischen gewollter engagierter, tendenziell gleichberechtigter Vaterschaft und tatsächlicher Geschlechterpraxis besonders auffällig ist, zeigen Männerstudien der 2000er Jahre.[21]
Es gilt also, den Spagat zwischen einer selbstbeanspruchten, aufgeklärten und darin modernen Männlichkeit und der steigenden Beanspruchung in intensivierten Arbeitsprozessen zu bewältigen. Dabei wird oft deutlich, dass dem von Männern (und Frauen) vor allem in Umfragen beanspruchten Diskursideal der Geschlechtergleichheit im Partnerschaftsalltag eine Praxis der Geschlechterungleichheit entgegenstehen kann. Dies wird dahingehend erklärt , dass die Idee der Gleichheit der Geschlechter und die Einschätzung des alltäglichen familialen Engagements auf unterschiedlichen Ebenen liegen: "Während die Idee der Gleichheit einer reflexiven Diskurslogik gehorcht, beruht die Verrichtung alltäglicher Handlungen auf einer anderen, praktischen Logik“ inkorporierter überkommener Gewohnheiten,[22] an die man gebunden ist, obwohl man sich dem Gleichheitsdiskurs reflexiv zugehörig fühlt. Hinter dem Schleier der Rhetorik der Gleichheit und über mehr oder minder explizite partnerschaftliche Aushandlungs- und Verständigungsprozesse hergestellt, breitet sich eine paarinterne Selbstverständlichkeit jeweils zugeschriebener weiblicher und männlicher Eigenschaften und Kompetenzen aus. Bei dieser hidden gender structure der Alltagsbewältigung[23] handelt es sich keinesfalls um eine bloße Fortsetzung oder Retraditionalisierung überkommener Rollenmodelle. Es ist eher die Aushandlungsillusion sich als gleichwertig fühlender und sich entsprechend akzeptierender Partner, die in die inzwischen symbolisch gefestigte gesellschaftliche Kultur der Geschlechternivellierung eingebettet ist. Im Themenkreis der Vereinbarkeit fließen Männerforschung und genderbewusste Väterforschung zusammen, gleichwohl letztere immer noch der Familienforschung zugerechnet wird.
Die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung wirkt vor allem auch in betrieblichen und administrativen Organisationen. Studien zu gendered organisations zeigen,[24] dass das Geschlecht nicht nur in den innerorganisationellen Beziehungen, sondern in der Organisationsstruktur und ihren Hierarchien und Praktiken selbst – und hier meist männlich strukturiert – verankert ist. Dies äußert sich dann zum Beispiel in Organisationskulturen, in denen die männlich konnotierten Prinzipien der individuellen Durchsetzungsfähigkeit, der internen Satuskonkurrenz und der Tabuisierung psychischer Probleme vorherrschend sind.
Gefährdete, riskante und sozial destruktive Männlichkeiten
Im Lichte der Dialektik von männlicher Hegemonialität und Verfügbarkeit ist inzwischen auch die daraus resultierende Bedürftigkeit des Mannes, seine Verletzlichkeit in den Vordergrund des neueren Männerdiskurses getreten. Männer aller sozialen Schichten leiden gerade wegen ihrer Identitätsbindung an die Erwerbsarbeit unter den Belastungen, welche die intensivierten Formen der Arbeitsorganisation, prekäre Arbeitsverhältnisse und Ausgrenzung aus der Arbeit mit sich bringen.Auch im Gewaltdiskurs werden sie nicht mehr nur als Täter, sondern auch als Opfer erkannt. Dennoch bleibt die offensichtliche männliche Affinität zu körperlichen Gewalttaten und zu rechtsextremer Gewaltbereitschaft[25] weiter im Fokus der Forschung. Gewaltstudien bezogen auf den häuslichen Nahbereich thematisieren neben der körperlichen und psychischen Gewalt[26] in den vergangenen Jahren vor allem auch die sexualisierte Gewalt von Männern gegen Frauen, wobei es hier weniger um das Sexuelle, sondern um Sexualität als Medium der Gewaltausübung geht. Bei nahezu allen Befunden zum Gewalthandeln von Männern wird deutlich, dass hinter der scheußlichen Fassade der Gewalt massive Selbstwert- und Anerkennungsstörungen liegen, die gewalttätig abgespalten werden. Das verweist wieder auf die Notwendigkeit des tiefenpsychischen Zugangs in der Männerforschung, ohne den eine Täterarbeit gar nicht möglich wäre. Dies gilt auch für den relativ neuen Forschungszweig Männer als Opfer von Gewalt durch andere Männer und in Partnerschaftskonstellationen. Diese Thematik war gesellschaftlich lange tabuisiert, die "männliche Verletzlichkeit in den männlichkeitsdominierten Verhältnissen“ wurde verdrängt.[27]
Deutlich angestiegen sind die Untersuchungen zum Risikoverhalten von Männern, vor allem im Gesundheitsbereich.[28] Im Bereich der geschlechtssensiblen Migrationsforschung, in dem bisher mehr über männliche Jugendliche gearbeitet wurde, gibt es inzwischen Ansätze der Erforschung der sozialen Lage und der Lebenswelt von Männern über das gesellschaftliche Reizthema "Männlichkeit, Migration und Gewalt“ hinaus.[29] Dabei ist vor allem deutlich geworden, dass man nicht gleichsam automatisch und mithin verkürzt von einem eindeutigen Zusammenhang zwischen Ethnizität und Männlichkeit sprechen kann, sondern dass es auf die sozialen Bedingungen und kulturellen Rahmungen ankommt, über die Geschlecht "ethnisiert“ wird.[30]
Nicht nur in prekarisierten Arbeitsverhältnissen wie der Leiharbeit[31] oder in Zonen der Arbeitslosigkeit werden männliche Identitätsbelastungen und -störungen ausgemacht.[32] Gerade auch in Studien zur psychischen und gesundheitlichen Belastung von Männern in hochtechnologisierten Arbeitszusammenhängen wird sichtbar, dass es Veränderungen in der betrieblichen Arbeitsorganisation unter dem Druck wechselnder Marktverhältnisse gibt (Unübersichtlichkeit der Unternehmensziele, einseitiger Leistungs- und permanenter Bewährungsdruck), die über die psychischen und sozialen Grenzen der Belastbarkeit hinausgehen und innere Hilflosigkeit erzeugen, mit der Männer wiederum schwer umgehen können.[33]
Resümee
Der gemeinsame Tenor der gegenwärtigen Männerforschung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass sich hegemoniale Männlichkeit "flexibilisiert“ hat und "ihre Ränder unscharf“ geworden sind.[34] Männlichkeit hat also an Eindeutigkeit und Selbstverständlichkeit verloren. Männlichkeiten und Mannsein werden heute im Arbeitsalltag, wo eine Kultur des Entgegenkommens der Geschlechter verlangt wird, anders gelebt, als dort, wo Männer "unter sich“ sind, und wieder anders in der Partnerschaft, in der Aushandlungsmodelle angesagt sind. Dennoch bleibt – das finden wir zentral in den Männerstudien wie in den Diskursen – die einseitige Abhängigkeit des Mannes und der männlichen Identität von der (Erwerbs-)Arbeitsrolle und die unter dem Druck der modernen Arbeitsorganisation anhaltende Erschwerung des Zugangs zur inneren Familie.Das Problem der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, das traditionell nur als Sache der Frauen galt, ist inzwischen auch zum Männerproblem geworden und wird deshalb die Männerforschung in Zukunft beschäftigen. Ebenso werden die männertypischen Probleme – Bewältigung von intensivierter Arbeit und sozialer Ausgrenzung sowie Verstrickung in Gewalt – als Themen erhalten bleiben. Allerdings muss die Männerforschung aufpassen, dass sie in Zukunft nicht die inzwischen schon fast eingebürgerte Tendenz, Männer ausschließlich als Problemgruppe zu sehen, verstärkt. Männlichkeiten werden heute von vielen Männern in einer Kultur des Entgegenkommens der Geschlechter vielfältig und darin balancierend erlebt. In Männerstudien von Marktforschungsinstituten[35] ist dieser Trend längst erkannt: Es hat sich eine Modularisierung von Männlichkeit entwickelt, das heißt, Männlichkeit wird in den verschiedenen Lebensbereichen – Arbeit, Freizeit, Partnerschaft, Männerfreundschaften – unterschiedlich interpretiert.