Der deutsche Föderalismus zwischen zwei Konventen
Zur Reform des deutschen Bundesstaates um die Jahrtausendwende
Der Beitrag beschreibt die Genese des ersten Länderverfassungskonventes im März 2003 in Lübeck und den Beitrag der einzelnen Landesregierungen zur Reform des Förderalismus in Deutschland.Einleitung
Äußerst widersprüchlich sind die Urteile über die Entwicklung des deutschen Föderalismus seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990. Auf der einen Seite wird eine "Reföderalisierung" der Bundesrepublik als möglich erachtet,[1] auf der anderen Seite nur ein "verkappter Einheitsstaat" diagnostiziert.[2] Wahrnehmung und Wirklichkeit liegen offenkundig weit auseinander. Obendrein sind die Urteile insofern paradox, als der gegenwärtige Föderalismus zugleich in seinem Bestand bedroht und in seiner Wirkung bedrohlich sein soll: ausgehöhlt bis zur Bedeutungslosigkeit und doch (noch) kraftvoll genug, die Willensbildung der Bundesrepublik Deutschland zu blockieren; selbst moribund, gefährde der Föderalismus die Leistungs-, wenn nicht sogar die Lebensfähigkeit des politischen Systems der Berliner Republik insgesamt.
Unübersehbar jedenfalls verdichten sich die Aktivitäten, die nach fünfzigjähriger Ausprägung des Föderalismus gemäß dem Grundgesetz auf die Korrektur solcher Aporien drängen. Das Thema "Föderalismus" gewinnt an Bedeutung sowohl in der öffentlichen Diskussion[3] als auch im wissenschaftlichen Diskurs.[4] In der politischen Praxis wird eine für Föderalismusreformen ungewöhnlich günstige Situation ausgemacht: Der allgemeine Druck ungelöster Probleme verlange Reaktionen der Politik. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) arbeitet an dem Thema, es gibt zwei gemeinsame Kommissionen von Bundesregierung und Landesregierungen mit derselben generellen Zielsetzung (eine zur Reform der Finanzverfassung und eine zur Neugestaltung der Kompetenzzuweisung zwischen Bund und Ländern). Die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, präsentierte "Eckpunkte" für eine Föderalismusreform.[5] Am 31. März 2003 hat sich ein "Föderalismuskonvent" der Landesparlamente konstituiert, der die "Lübecker Erklärung" zur Neugestaltung des deutschen Föderalismus verabschiedete.[6]
Zur Umsetzung der Erklärung sei ein enges "Zeitfenster" (Bertelsmann Stiftung) durch nunmehr zwei Konvente vorgegeben: durch den Europäischen "Zukunftskonvent", in Deutschland zumeist umstandslos "EU-Verfassungskonvent" genannt,[7] und durch den "Föderalismuskonvent" der deutschen Landesparlamente. Die notwendigen Reformen des deutschen Föderalismus sollen möglichst zeitgleich mit der Willensbildung um eine europäische Verfassung befördert werden, also in dem knappen Zeitraum 2003/2004. "Die Regierungschefs des Bundes und der Länder sind sich sogar einig in dem Wunsch, dass die Reform bis Ende nächsten Jahres verwirklicht sein soll."[8] Wie ist es zu dieser Ausgangssituation gekommen? Gibt es nach der Jahrtausendwende tatsächlich eine neue Chance für Reformen des deutschen Föderalismus?