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Umwelt- und Klimapolitik Editorial Eine neue Zukunft für den Fortschritt? Die Rolle des Nationalstaats in der globalen Umweltpolitik Perspektiven einer transatlantischen Klimapolitik Wege zu einer nachhaltigen Klima- und Energiepolitik Nachhaltigkeit und das Recht Umweltschutz in Ostdeutschland - Versuch über ein schnell verschwundenes Thema

Wege zu einer nachhaltigen Klima- und Energiepolitik

Ottmar Edenhofer

/ 26 Minuten zu lesen

Über die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger, die Steigerung der Energieeffizienz und das Einfangen und Lagern von Kohlendioxid kann es gelingen, wirtschaftliches Wachstum und Klimaschutz zugleich zu gewährleisten.

I. Die Ausgangslage

Die Auseinandersetzung mit den Klimaskeptikern ist vorerst entschieden: Gegen die Hypothese, der Anstieg der Kohlendioxid-(CO2-)Konzentration in der Atmosphäre sei hauptsächlich vom Menschen verursacht, konnten bislang keine stichhaltigen Gegenargumente vorgebracht werden. Die Debatte der Zukunft wird nicht mehr von Klimaskeptikern bestimmt werden, sondern von der Frage beherrscht sein, wie groß die Schäden des Klimawandels sein werden und was getan werden soll.


Die These, Klimaschutzpolitik schade der Wirtschaft, hat jüngst Björn Lomborg wiederholt und effektvoll popularisiert. Die intellektuellen und politischen Geschütze, mit der diese These verteidigt wird, haben eine andere Durchschlagskraft als die der Klimaskeptiker - vor allem deshalb, weil die These den einflussreichen Teil der internationalen Wirtschaftspublizistik auf ihrer Seite hat. So hat die britische Wochenzeitschrift "Economist" Lomborg gegen die Angriffe namhafter Naturwissenschaftler verteidigt, die ihm vorwarfen, er verharmlose die Schäden der globalen Erwärmung und leugne andere globale Umweltprobleme wie Wasserknappheit und den Verlust der Biodiversität auf wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Weise. Bei der Abwägung von Schäden und Kosten der globalen Erwärmung gehe es nicht in erster Linie um eine naturwissenschaftliche, sondern um eine ökonomische Frage: Ist eine Klimaschutzpolitik, die auf den Umbau des Energiesystems setzt, nicht viel zu teuer, und sollte man das Geld nicht besser in die Bekämpfung der weltweiten Armut investieren?

Wer diese Fragen verneint, wird seine Argumente vor allem in der ökonomischen Auseinandersetzung stählen müssen. Der Herausgeber des "Economist", Bill Emmott, hat davor gewarnt, zu viel in den Klimaschutz zu investieren. Es könnten Mittel gebunden werden, die im Kampf gegen Armut und Terrorismus dringend benötigt würden. Die Debatte um den richtigen Weg in der globalen Klima- und Energiepolitik ist auch in den USA - von der europäischen Öffentlichkeit fast unbemerkt - in vollem Gange. So diskutieren vor allem amerikanische Forscher neue Klimaschutzoptionen, z.B. die Aufforstung von Wäldern, die Düngung der Ozeane mit Eisen oder die Verklappung von CO2 im tiefen Ozean. Von diesen Optionen verspricht sich vor allem die Bush-Administration viel und zeigt damit, dass sie das Klimaproblem auf ihre Weise ernst nimmt. Die europäische Diskussion wird diese strategischen Weichstellungen wahrnehmen müssen, will sie nicht überrollt werden.

II. Klimapolitische Optionen

Um die Optionen bewerten zu können, bedarf es eines Gesamtbildes. Welche strategischen Optionen hat die Menschheit, sich der Herausforderung des Klimawandels zu stellen?

Vermeidungsstrategien


CO2-Emissionen können einerseits dadurch vermindert werden, dass die Effizienz der Nutzung von Kohle, Gas oder Öl erhöht wird. Andererseits können die fossilen Energieträger durch erneuerbare (Wind, Biomasse, Sonnenenergie) oder durch Kernenergie ersetzt werden. In der europäischen Diskussion steht vor allem die Effizienz- und Substitutionsoption im Vordergrund. So hat sich die Bundesregierung auf dem Gipfel in Johannesburg für die Förderung erneuerbarer Energieträger stark gemacht.

Umstritten ist die Rolle der Kernenergie, die diese beim Umbau des Energiesystems spielen soll. Wie immer man in den OECD-Staaten ihre Bedeutung einschätzen mag: Es ist ausgeschlossen, dass sie in den nächsten Dekaden global eine entscheidende Rolle spielen kann. Derzeit beträgt ihr Anteil am weltweiten Primärenergieverbrauch gerade fünf Prozent. Angesichts der staatlichen und institutionellen Sicherheitsanforderungen, derer sie bedarf, ist es nicht wahrscheinlich, dass sehr viele Staaten außerhalb der OECD sie anwenden können oder sollten. Aber auch innerhalb der OECD ist die Kernenergie gegenüber fossilen Energieträgern nicht konkurrenzfähig. In Abschnitt III soll geprüft werden, ob die weltweite Energieversorgung auch ohne den Ausbau der Kernenergie möglich ist. Erst wenn sich zeigen sollte, dass es keinen anderen Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem gibt, wäre der Rückgriff auf diese Variante verantwortbar.

Sowohl die Effizienz- als auch die Substitutionsoption sind energiepolitische Optionen. Der Verzicht auf Wirtschaftswachstum (Suffizienzoption) und die Verminderung des Bevölkerungswachstums greifen weit über das Feld der Energiepolitik hinaus und sollen daher nicht weiter diskutiert werden.

Kohlenstoffmanagement


In den USA werden vermehrt die Möglichkeiten eines Industriellen Kohlenstoffmanagements (IKM) diskutiert. Hier soll das CO2 an Kohlekraftwerken zunächst eingefangen werden (capturing), um es anschließend in ausgeförderten Erdgas- oder Erdölfeldern zu lagern (sequestration). Da 50 Prozent der Emissionen in den Industriestaaten von Kraftwerken ("Punktquellen") emittiert werden, erscheint diese Option vielversprechend. Diskutiert wird auch, CO2 in flüssigem oder superkritischem Zustand in die Ozeane einzuleiten. Die Speicherwirkung nimmt umso stärker zu, je tiefer injiziert wird; mit der Injektionstiefe steigen aber auch die Kosten. Modellrechnungen behaupten, dass bei einer Injektion in 3 000 Metern Tiefe nach hundert Jahren noch 97 Prozent des Kohlendioxids gespeichert bleiben, nach 500 Jahren noch 48 bis 82 Prozent. Die Verklappung von CO2 im Meer könnte jedoch die biologische Pumpe beeinträchtigen: Verantwortlich hierfür ist vor allem an der Oberfläche des Ozeans lebendes Phytoplankton, das CO2 bindet. Das gebundene CO2 wird durch verschiedene natürliche Mechanismen in den tiefen Ozean "verfrachtet". Gerät verklapptes CO2 an die Oberfläche des Ozeans, sinkt der pH-Wert, was die Produktion von Kalkschalen durch Phytoplankton ebenso vermindert wie die dadurch ermöglichte Bindung von CO2. Wie viel CO2 wo verklappt werden kann, ohne die biologische Pumpe des Ozeans erheblich zu beeinträchtigen, bedarf noch der Klärung. Vor dieser Klärung wäre es nur dann sinnvoll, auf diese Option zurückzugreifen, wenn nicht andere, weniger risikoreiche Optionen zur Verfügung stünden. In Abschnitt III soll gezeigt werden, dass die weniger riskante Lagerung von CO2 in geologischen Formationen ausreicht, um eine angemessene Nutzung fossiler Energieträger zu ermöglichen.

Eine weitere Option des Kohlenstoffmanagements ist die Aufforstung von Wäldern, um in die Atmosphäre entwichenes CO2 zu binden. Wie viel CO2 die Wälder binden, ist umstritten. Klimapolitisch bedeutsam wäre eine Aufforstung dann, wenn Holz zur Verbrennung genutzt wird, um Wärme, Strom oder Treibstoffe zu erzeugen, die ansonsten mit fossilen Energieträgern hergestellt würden. Auch die vermehrte Nutzung von Holz als Baustoff, um Zement zu ersetzen, bietet die Möglichkeit, CO2 zu vermindern. Mit diesen wirtschaftlichen Möglichkeiten verbinden manche Fachleute die Hoffnung, eine ökologisch nachhaltige Forstwirtschaft zu ermöglichen. Nach ihren Berechnungen könnte der Anteil der Biomasse an der weltweiten Primärenergieproduktion bis 2050 auf 100 Exajoule (EJ) steigen. Dies scheint jedoch die Obergrenze für eine nachhaltige Nutzung zu sein.

Geo-engineering


Der Begriff des Geo-engineerings wird in der Literatur oft nicht klar vom Kohlenstoffmanagement abgegrenzt. Hier seien darunter Maßnahmen verstanden, die versuchen, den Strahlungshaushalt der Erde durch planvolle Eingriffe direkt zu verändern. Das Aufstellen einstellbarer Spiegel im Weltraum, die je nach Bedarf Sonnenlicht von der Erde ab- oder zulenken, fällt ebenso darunter wie Überlegungen, Schwefeldioxid-Aerosole aus der Kohleverbrennung in die Stratosphäre einzubringen oder die Umlaufbahn der Erde zu verändern, indem man den Kurs von Asteroiden, die an der Erde vorbeifliegen, verändert, um einen Gravitationspull zu erzeugen. Während mit dem Kohlenstoffmanagement bereits experimentiert wird, scheint der praktische Einsatz des Geo-engineerings noch in weiterer Ferne zu liegen - für die nächsten Dekaden ist dies keine Option, die eine nähere ökonomische und politische Analyse verdient.

Anpassung


Schließlich wird intensiv diskutiert, ob es nicht kostengünstiger sei, sich an den Klimawandel anzupassen und weitgehend auf Vermeidung von CO2-Emissionen, das Kohlenstoffmanagement und das Geo-engineering zu verzichten. So behaupten der Soziologe Nico Stehr und der Physiker Hadi Dowlatabadi, man könne abwarten, wie sich der Klimawandel in den Weltregionen entwickelt, um lokal angepasst darauf zu reagieren: Es sei dann noch genug Zeit, Dämme zu bauen, die Infrastruktur auf extreme Stürme und Dürren auszurichten und Staaten wie Bangladesch zu helfen, mit vermehrten Überschwemmungen fertig zu werden. Dies wäre aber nur dann ein plausibles Szenario, wenn der Anstieg der CO2-Konzentration etwa auf dem Niveau von 550 oder gar auf 450 ppm (Teile pro Million) begrenzt werden könnte. Nach übereinstimmender Auffassung würde ein Anstieg der CO2-Konzentration über 550 ppm hinaus bereits höchst unerwünschte Gefahren heraufbeschwören, wie den Verlust an Biodiversität, Dürren und Überschwemmungen in Entwicklungsländern. Aber selbst eine vergleichsweise erfolgreiche Vermeidungspolitik, der es gelingen würde, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 550 ppm zu begrenzen, würde Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern unvermeidbar machen.

Es ist klar, dass Anpassung allein keine sinnvolle Option ist, denn ohne eine drastische Verringerung der CO2-Emissionen würde es zu einem Anstieg der Konzentration in der Atmosphäre von heute 350 ppm auf möglicherweise 900 oder gar 1 000 ppm im Jahr 2100 kommen. Es ist unwahrscheinlich, dass es unter dieser Bedingung vor allem den Entwicklungsländern noch möglich sein würde, sich zu moralisch akzeptablen Kosten dem Klimawandel anzupassen.

Die Debatte


Die Wissenschaft hat zwar erst begonnen, den Optionenfächer angemessen auszuloten, aber es zeichnet sich ab, dass nicht eine Option allein das Problem wird lösen können. Unglücklicherweise stehen sich zwei Lager gegenüber, die darüber zu diskutieren scheinen, ob für die Menschheit die Pest besser sei als Cholera: So behaupten viele Ökonomen, es sei viel zu teuer, die Treibhausgasemissionen so weit zu senken, dass bis zum Ende des Jahrhunderts 550 ppm erreicht werden könnten. Manche sind der Auffassung, die Menschheit könne sich eine höhere Konzentration erlauben. Die Wirtschaft könne die Schäden, die vor allem in der Landwirtschaft anfallen, relativ leicht verkraften; eine ehrgeizige Vermeidung von CO2 hingegen könne sie sich nicht leisten, da davon zentrale Sektoren wie der Energiesektor stark betroffen seien. Naturwissenschaftler haben hingegen immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Erhöhung der globalen Mitteltemperatur von mehr als 2° C zu Schäden führen könne, deren Tragweite mit Geldeinheiten nicht angemessen zu beziffern seien.

Das Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) hat die Gefahren einer Erhöhung der globalen Mitteltemperatur zusammengestellt: die Ausbreitung von Wüstengürteln, zunehmende Wasserknappheit und häufig auftretende Extremwetterereignisse. Es ist offensichtlich, dass diese Ereignisse, sofern sie vom Menschen herbeigeführt oder zumindest zugelassen werden, Schäden darstellen. Das Problem besteht darin, wie diese abgewogen werden sollen gegenüber Schäden, die durch die Vermeidung von CO2 entstehen. Wenn sich jedoch zeigen ließe, dass die potentiellen negativen Folgen des Klimawandels ohne große wirtschaftliche Einschränkungen vermieden werden können, ist nicht einzusehen, warum man überhaupt das Risiko eingehen sollte, diese Ereignisse zuzulassen.

Diese Szenarien träfen jedoch nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit ein, erwidern die Ökonomen, und die Kosten der Vermeidung schadeten der Wirtschaft erheblich. Unbeantwortet bleibt, ob nicht die innovative Kraft vor allem der amerikanischen Wirtschaft dramatisch unterschätzt wird. Eine zweite Position, die vor allem in Europa Anhänger hat, folgt der Überzeugung, dass die Effizienz des Energiesystems dramatisch gesteigert werden soll; darüber hinaus könnten regenerative Energien den heutigen Energiebedarf der Menschheit decken. Unbeantwortet bleibt, ob erneuerbare Energieträger gegenüber den billigen fossilen wie Kohle, Öl und Gas schnell genug wettbewerbsfähig werden können, damit ein Umbau des Energiesystems nicht zu hohen Wachstumsverlusten führt. Im Boden lagern je nach Schätzung bis zu 5 000 Gigatonnen Kohlenstoff, der relativ kostengünstig gefördert werden kann. Das Kohlenstoffproblem der Menschheit besteht ja gerade darin, dass es zu viel billigen, leicht zugänglichen Kohlenstoff gibt, dessen Verfeuerung das Klimasystem in diesem Jahrhundert aus dem Gleichgewicht brächte. Hinzu kommt, dass gerade in der OECD in den letzten 30 Jahren die Spar- und Investitionsquoten gesunken sind, was sich damit erklären lässt, dass sich der Zeithorizont der Investoren entscheidend verkürzt hat. Die Wachstumsverluste eines Umbaus des Energiesystems steigen unter diesen Umständen beträchtlich an, da Kapital knapper wird und die Kapitalkosten steigen.

Man wird die Polarisierung nur überwinden und den Klimaverhandlungen eine neue Dynamik verleihen können, wenn neue Optionen ins Spiel kommen. Es könnte sich dann herausstellen, dass sich die USA produktiv an den Klimaverhandlungen beteiligen, ohne auf die Nutzung fossiler Energieträger verzichten zu müssen, denn vor allem die Option des Industriellen Kohlenstoffmanagements böte für die USA erhebliche Vorteile. 73 Prozent aller ihrer Kohlekraftwerke befinden sich im Radius von 80 Kilometern in der Umgebung einer geologischen Formation, in die CO2 eingelagert werden kann. Darüber hinaus wird der Kraftwerkspark in den Vereinigten Staaten in den nächsten Jahren erneuert, so dass die neuen Kraftwerke mit entsprechenden Verfahren zur Abtrennung von CO2 ausgestattet und in der Nähe geologisch geeigneter Formationen gebaut werden könnten. Dieses Verfahren ist aber nur dann rentabel, wenn der Preis für Kohlenstoff über 20 Dollar pro Tonne steigt. China und Indien werden für den Rest dieses Jahrhunderts vor allem ihre Kohle nutzen wollen, so dass das Industrielle Kohlenstoffmanagement auch hier die Möglichkeit bieten würde, die CO2-Emissionen ohne große Wachstumsverluste zu reduzieren. Weltweit lassen sich vermutlich 300 Gt Kohlenstoff in relativ sicheren geologischen Formationen lagern. Damit würden zumindest die wirtschaftlichen Bedingungen geschaffen, in diesen Ländern eine größere Verteilungsgerechtigkeit zu verwirklichen. Viele Regionen - etwa Lateinamerika und Russland - haben zudem ein großes Potential für die Nutzung von Biomasse; Afrika eignet sich besonders für die Nutzung von Sonnenenergie. Europa weist sowohl ein großes Potential für die Nutzung regenerativer Energien als auch für das Industrielle Kohlenstoffmanagement auf. Es spricht vieles dafür, dass im Rahmen der Klimaverhandlungen Spielräume für konsensfähige Strategien bestehen.

III. Wege zu einem nachhaltigen Energiesystem

Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat in seinem jüngsten Gutachten zur Energiewende versucht, einen Transformationspfad zu einem nachhaltigen Energiesystem zu beschreiben. Damit ist eine neue Debatte eröffnet, welche die Polarisierung überwinden kann. Schließt man die relativ risikoreichen Optionen der Kernenergie, der Ozeansequestrierung und des Geo-engineerings aus, stellt sich die Frage, ob die verbleibenden Optionen ein hinreichend großes technisches Potential haben, um den künftigen Energiebedarf zu decken. Das Kriterium der technischen Machbarkeit, das viele Szenarien zum Umbau des Energiesystems dominiert, genügt jedoch nicht. Hinzu kommen muss, dass das wirtschaftliche Wachstum nicht nachhaltig abgesenkt werden darf. Ein Umbau, der mit hohen Wachstumsverlusten erkauft ist, wäre weder ökonomisch noch sozial nachhaltig. Für die Weltwirtschaft der nächsten fünf Dekaden ist Wachstum eine Notwendigkeit, weil ansonsten die sozialen Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern eskalieren würden. Die Legitimität der Globalisierung hängt davon ab, ob und in welchem Umfang Entwicklungsmöglichkeiten für ärmere Länder eröffnet werden. Auch für die Industrieländer bleibt Wirtschaftswachstum mittelfristig notwendig, um ihre internen Verteilungskonflikte handhaben zu können.

Es bleibt zu prüfen, ob mit den folgenden drei Optionen ein sowohl technisch machbarer als auch ökonomisch nachhaltiger Umbau bewerkstelligt werden kann, der zugleich den Ansprüchen des Klimaschutzes genügt: 1. Effizienzsteigerung des fossilen Energiesystems; 2. Ersatz fossiler Energien durch erneuerbare Energien; 3. Einfangen von CO2 an Kraftwerken und seine Lagerung in geologischen Formationen. Mit Hilfe dieser Optionen müsste zunächst ein Emissionspfad gefunden werden, der die Geschwindigkeit des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur begrenzt. Der WBGU hat Emissionspfade errechnet, die es erlauben könnten, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf 2° C bis 2100 zu begrenzen und die Geschwindigkeit nicht über 0,2° C pro Dekade ansteigen zu lassen. Viele Naturwissenschaftler sind der Auffassung, dass ein über 2° C hinausgehender Anstieg die Gefahr "katastrophaler" Klimaereignisse erhöhen würde.

Für dieses Klimaschutzziel wurden mit Hilfe des Modells MIND die Implikationen für das Wirtschaftswachstum ausgelotet. Dabei zeigt sich, dass sich das Ziel erreichen lässt, wenn innerhalb der nächsten hundert Jahre etwa 200 Gigatonnen Kohlenstoff in geologischen Formationen eingelagert werden.

In der Phase des Umbaus steigt daher die Nachfrage nach Energiedienstleistungen für den Aufbau einer regenerativen Infrastruktur. Wenn die Emissionen nicht in gleichem Umfang steigen sollen, muss die Energieeffizienz drastisch erhöht werden. Erst die gestiegene Effizienz des fossilen Energiesystems schafft den Spielraum, den Anteil der erneuerbaren Energieträger bis 2050 auf nahezu 27 Prozent zu steigern, ohne das Klimaschutzziel zu verletzen. Selbst wenn man dieses Ziel als Anhaltspunkt akzeptiert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass der mit MIND errechnete Emissionspfad dieses Klimaschutzziel tatsächlich erreichen wird, da viele der Modellannahmen (z.B. über die Klimasensitivität) unsicher sind. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Pfad zu optimistisch oder zu pessimistisch ist; das Szenario kann daher nicht Sicherheit beanspruchen, sondern lediglich Plausibilität.

Mit Hilfe eines Energiesystemmodells wurde im Rahmen des WBGU-Gutachtens ermittelt, welche Techniken ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Energiesystem aufweisen würde. Nach Berechnungen des WBGU spielt die Sonnenenergie im Form von Photovoltaik und Solarthermik nach 2050 die entscheidende Rolle. Davor sollten relativ zügig Wind und Biomasse (eventuell verbunden mit einem klugen Kohlenstoffmanagement) eingesetzt werden. Das Szenario zeigt jedoch auch, dass wir bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit einem hohen Anteil an fossilen Energieträgern leben müssen; darin stimmt das WBGU-Szenario mit anderen Energieszenarien wie etwa dem von Shell weitgehend überein.

Die Option, CO2 an großen Kohlekraftwerken einzufangen und in geologischen Formationen zu lagern, bietet die Möglichkeit, fossile Energieträger zu nutzen, ohne das Klimasystem weiter zu destabilisieren. Diese Option ist für die internationalen Klimaverhandlungen von großer Bedeutung: Sie könnte es den USA, aber auch Ländern wie China und Indien erleichtern, an den Klimaverhandlungen teilzunehmen, da die Einkommen der Besitzer von Kohle, Öl und Gas weit weniger geschmälert werden als bei einer Klimaschutzpolitik, die auf diese Option verzichtet.

Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob ein solcher Umbau des Energiesystems mit hohen Wachstumsverlusten verbunden sein würde. Es zeigt sich, dass es in der "heißen" Phase des Umbaus durchaus zu geringfügigen Einschränkungen des Wirtschaftswachstums (bezogen auf das Sozialprodukt) käme und die Verluste auf maximal zwei Prozent gegenüber dem so genannten Business-as-usual-Pfad (ohne Klimaschutzpolitik) anstiegen. Nach dem Umbau kehrt die Wirtschaft zunächst zum ursprünglichen Wachstumspfad zurück, am Ende des Jahrhunderts wächst die nachhaltige Wirtschaft sogar etwas schneller.

Energieszenarien können hilfreich sein, um einen Eindruck von den Größenordnungen und den anzustrebenden Zielen zu vermitteln. Man würde sie missverstehen, wenn man glaubte, sie seien eine Blaupause für ein künftiges weltweites Energiesystem, denn niemand kann im Einzelnen vorhersehen, wie hoch der Anteil etwa der Geothermie oder der Photovoltaik bis 2050 am Primärenergieverbrauch sein wird. Die Energiepolitik bedarf daher Verfahren, die dieses Nicht-Wissen produktiv nutzen.

IV. Drei Bausteine einer "Global Carbon and Energy Governance"

Um die skizzierte Strategie zur Vermeidung von Kohlenstoffemissionen umzusetzen und Wachstum und Klimaschutz gleichermaßen realisieren zu können, bedarf es der dazu notwendigen Instrumente. Diese sind bislang nur sehr unzureichend vorhanden. Es wäre ein Illusion zu glauben, es sei vor allem Aufgabe "der Politik", angemessene Instrumente zu (er-)finden und diese auch einzusetzen. Diese Herausforderung können nur Investoren, Unternehmer, Verbraucher, Wissenschaftler und Politiker gemeinsam bewältigen. Der Begriff "Governance" drückt aus, dass diese Akteure vernetzt werden müssen. "Governance" unterscheidet sich von "Government" darin, dass staatliche Organe zwar eine wichtige Rolle spielen, aber ihre Fähigkeit begrenzt ist, das Spiel zu dominieren. Eine Weltregierung mit Gewaltmonopol ist daher für eine "Global Carbon and Energy Governance" weder notwendig noch hinreichend. Die hier diskutierten Instrumente können auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene eingesetzt werden - "Global" bezieht sich darauf, dass das Menschheitsgut Atmosphäre geschützt werden soll.

Handel mit CO2-Zertifikaten


Unstrittig ist, dass die Atmosphäre nicht länger als freies Gut behandelt werden sollte - gestritten wird darüber, wie teuer das Nutzungsrecht sein darf, um der Wirtschaft nicht zu schaden. Emissionszertifikate entsprechen dem Recht, eine bestimmte Menge an Kohlendioxid zu emittieren. Da die Menge der ausgegebenen Zertifikate genau der Menge der erlaubten Emissionen entspricht, wird der Preis für Zertifikate steigen, wenn die Nachfrage nach Emissionen steigt, Zertifikate also knapper werden. Je strikter die Emissionsverpflichtungen sind, die im Kyoto-Protokoll vereinbart werden, umso höher ist der zu erwartende Zertifikatspreis oder die Nutzungsgebühr. Damit steigt aber auch die Rentabilität sowohl der erneuerbaren Energieträger als auch des Einfangens und Lagerns von CO2, was wiederum einen Anreiz für Unternehmen darstellt, zusätzliche Mittel in die Verminderung von Emissionen zu lenken. Die fossile Energiewirtschaft in den USA, aber auch in Europa, befürchtet, der Anstieg dieser Nutzungsgebühr könnte zu drastisch ausfallen. Im Augenblick werden 50 Dollar pro Tonne Kohlenstoff als Obergrenze betrachtet. Die Nutzer erneuerbarer Energieträger und der innovative Teil der fossilen Energiewirtschaft, die sich mit dem Einfangen und Lagern von CO2 beschäftigen, werden einen hohen Zertifikatspreis bevorzugen, da dies die Rentabilität ihrer Investitionen erhöht.

Der Preis für Kohlenstoff muss aber nicht dauerhaft hoch sein. Durch den technischen Fortschritt bei den erneuerbaren Energien und beim Einfangen und Lagern von CO2 kann der Zertifikatspreis irgendwann wieder sinken: Je stärker die Kosten sinken, desto weniger wird die Atmosphäre genutzt, da durch die Verwendung dieser Techniken zunehmend weniger Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt. Eine dauerhaft geringere Nutzung der Atmosphäre geht daher mit einem sinkenden Nutzungspreis einher. Dieser (der Zertifikatspreis) muss nur vorübergehend stark steigen, um die entsprechenden Investitionen und Innovationen zu mobilisieren.

Förderung erneuerbarer Energien durch "Green Energy Certificates"


Durch die Einführung eines Zertifikatssystems allein wird sich der Anteil erneuerbarer Energien nicht ausreichend erhöhen, denn ein Zertifikatsmarkt sorgt nur dafür, dass für die Nutzung der Atmosphäre ein Preis gezahlt wird. Die Erhebung dieses Nutzungspreises würde nur dann zu verbesserten Ergebnissen auf den Energiemärkten führen, wenn diese störungsfrei funktionierten. Da aber die Märkte für Energie nur sehr unvollkommen funktionieren, bedarf es eines Instruments, das diesen Störungen abhilft. Der Grund für das "Marktversagen" liegt vor allem darin, dass die Energiemärkte im Allgemeinen und der Markt für regenerative Energien im Speziellen schon aus technischen Gründen nicht wie ein "idealer" Markt funktionieren können. Sowohl die erneuerbaren als auch die fossilen Energieträger weisen so genannte Größenvorteile auf: je höher das Produktionsvolumen (oder die installierte Kapazität), desto geringer die Kosten pro Kilowattstunde (kWh). Da die erneuerbaren Energieträger erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen, während die fossilen am Markt bereits etabliert sind, würden Investoren auch dann nicht in erneuerbare Energieträger investieren, wenn diese langfristig zu niedrigeren Kosten führten als die fossilen. Der Grund liegt darin, dass Pionierunternehmer gerade in den Anfangsphasen der Einführung neuer Techniken viel dazu beitragen, dass es zu "learning by doing" kommt und die Kosten sinken. Die später in den Markt eintretenden Unternehmer nutzen diesen Kostenvorteil ohne die entsprechenden Anfangsinvestitionen. Auf Märkten mit steigenden Skalenerträgen besteht daher ein Anreiz, nicht Pionierunternehmer zu sein. Wenn aber alle dem Pionierunternehmen folgen wollen, wird keiner folgen können. Dieser Effekt ist umso ausgeprägter, je kürzer der Zeithorizont der Unternehmer ist.

Ob die erneuerbaren Energieträger überhaupt das Potential haben, so billig wie die fossilen Energieträger zu werden, ist ungewiss. Viele Studien gehen davon aus, dass sie auch langfristig teurer sein werden. Ob dies zutrifft, wird sich nur entscheiden lassen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zu zeigen, was sie können. Ihr Potential werden sie aber nur dann realisieren können, wenn sie vorübergehend subventioniert werden. Da Subventionen meist eine Einladung zur Misswirtschaft sind, stellt sich die Frage, wie ein Subventionssystem entworfen werden könnte, das Misswirtschaft vermeidet. Eine Möglichkeit stellen handelbare Mengenzertifikate für erneuerbare Energieträger dar, die oft als Grüne Energiezertifikate bezeichnet werden. Es soll hier ein idealtypisches Modell vorgestellt werden, das in viele Richtungen variiert werden kann. Diskutiert werden diese Modelle sowohl für den Strom- als auch für den Wärmemarkt.

So könnte z.B. die Bundesrepublik festlegen, den Anteil erneuerbarer Energieträger bei der Stromerzeugung bis 2010 auf elf Prozent zu erhöhen. Die Betreiber des Stromnetzes werden verpflichtet, einen bestimmten Anteil (Quote) an "grünem" Strom einzuspeisen. Zugleich werden an alle Anbieter von regenerativem Strom handelbare Zertifikate ausgestellt, die ihrer Menge an eingespeistem regenerativen Strom entsprechen. Die Erfüllung ihrer Mengenverpflichtung müssen die Netzbetreiber durch den Besitz der Zertifikate nachweisen, nicht notwendigerweise durch die tatsächliche Einspeisung von Strom. Die Zertifikate erhalten sie entweder durch Kauf am Zertifikatsmarkt oder durch die physikalische Einspeisung von Strom. Damit entsteht ein doppelter Wettbewerb: auf dem Zertifikats- und auf dem Strommarkt. Auf dem Zertifikatsmarkt kann der Netzbetreiber, der mehr grünen Strom einspeist, als es seiner Quote entspricht, Zertifikate verkaufen; speist er weniger ein, muss er Zertifikate kaufen, da er die Erfüllung seiner Mengenverpflichtung nachweisen muss. Die Anbieter regenerativer Energien erhalten einen Anreiz, rasch die Kosten zu senken, um den Marktanteil und den Gewinn zu erhöhen. Durch die staatliche Festlegung der Mengen lässt sich der Anteil steuern, den die regenerativen Energien am Energiemix haben sollen - die Preisbildung und die Technikwahl wird dem Markt überlassen.

Die Effizienz des Instruments hängt entscheidend davon ab, dass sich die Quoten auf die Gesamtheit der regenerativen Energieträger beziehen und nicht etwa Teilquoten für Wind, Biomasse oder Photovoltaik sind. Nur so kann ein Wettbewerb um die kostengünstigsten regenerativen Energieträger entstehen. Bei der Festlegung von Teilquoten bedürfte es dagegen staatlichen Wissens, welche der regenerativen Primärenergieträger sich durchsetzen werden. Doch weder Behörden noch Unternehmen oder Wissenschaftler wissen, welcher Energiemix sich letztlich durchsetzen wird.

Man könnte einwenden, dass ebenfalls niemand weiß, wie der Energiemix zwischen fossilen und regenerativen Energien ohne Wettbewerb bestimmt werden soll. Grüne Energiezertifikate können aber nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn man einer Behörde zutrauen kann, über Wissen zu verfügen, über das - so der mögliche Einwand - eine Behörde gar nicht verfügen kann. Dieses Argument ist deshalb nicht überzeugend, weil man weiß, dass der Wettbewerb zwischen fossilen und regenerativen Energieträgern (noch) nicht funktionieren kann. Das fossile Energiesystem hat nämlich seine hohen Anfangsinvestitionen längst abgeschrieben, während das regenerative Energiesystem diese noch vor sich hat. Daher würden die erneuerbaren Energieträger unter Wettbewerbsbedingungen auch dann nicht eingesetzt werden, wenn sie langfristig die Energiedienstleistungen zu geringeren Kosten bereitstellen würden. Da nahezu alle regenerativen Energieträger noch relativ junge Techniken sind, benötigen sie eine Starthilfe, damit sie ihr Kostensenkungspotential schnell realisieren können. Irgendwann muss aber diese Starthilfe auslaufen, und sie müssen mit den fossilen Energieträgern in einen ungeschützten Wettbewerb eintreten, durch den bestimmt wird, wie die langfristige Kostenstruktur des Energiemixes aussieht. Die Behörde maßt sich hier kein Wissen an, über das sie prinzipiell nicht verfügen kann, sondern sie ermöglicht den Wettbewerb, durch den herausgefunden werden soll, welches die kostengünstigste Alternative ist. Dieses Instrument könnte so weiterentwickelt werden, dass Grüne Energiezertifikate international gehandelt werden können, so dass grüner Strom und grüne Wärme auch in Entwicklungsländern produziert und verbraucht werden können.

Carbon Sequestration Bonds


Der Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem führt über die Brücke der fossilen Energieträger. Daher kommt der Nutzung der geologischen Formationen hohe Bedeutung zu. Die Sequestrierung von 200 Gigatonnen Kohlenstoff, wie sie der WBGU vorgeschlagen hat, ist in ausgeförderten Erdgas- und Erdölfeldern mit geringen Risiken möglich. Um die geologischen Formationen nachhaltig nutzen zu können, müssen zwei institutionelle Probleme gelöst werden. Erstens: Da die Lagerkapazität begrenzt ist, muss ein Preis für die Nutzung von Aquiferen (Wasser in poröser Gesteinsschicht), Erdöl- und Erdgasfeldern erhoben werden - dieser Preis sei hier Deponiepreis genannt. Es lässt sich leicht einsehen, dass sich z.B. ein Kohlekraftwerksbetreiber entscheiden kann, für die CO2-Emissionen entweder die Atmosphäre zu nutzen oder zur Verfügung stehende geologische Formationen. Solange der Deponiepreis zuzüglich der Transport- und Kontrollkosten geringer ist als der Nutzungspreis der Atmosphäre (z.B. ausgedrückt im Zertifikatspreis), wird er sich für die Lagerung in der geologischen Formation entscheiden. Könnte man sicher sein, dass aus den geologischen Formationen kein CO2 entweichen kann, wären mit der Festlegung der Nutzungsrechte an der Atmosphäre und der Erhebung einer Deponiegebühr alle Vorkehrungen für eine vernünftige Nutzung eines knappen Gutes getroffen.

Es besteht aber zweitens das Risiko, dass aus den geologischen Formationen CO2 entweicht. Das wäre gewiss kein "katastrophales" Ereignis. Zwar sind die Wahrscheinlichkeiten des Schadenseintrittes nicht bekannt, aber die maximale Schadenshöhe lässt sich ermitteln: Es ist die Menge von entweichendem CO2 multipliziert mit dem zum Zeitpunkt des Austritts geltenden (Zertifikats-) Preis der Emissionen. Für den Fall des Entweichens müsste das Unternehmen für diese Nutzung der Atmosphäre ein Zertifikat erwerben. Da die Menge an Zertifikaten nicht vermehrt wird, steigt der Preis. Damit wird Investoren, Verbrauchern und Unternehmern signalisiert, dass die Nutzungsrechte der Atmosphäre knapp sind.

Mit dieser Lösung allein wird man jedoch nicht verhindern, dass Unternehmen bei der Lagerung in geologischen Formationen Missbrauch treiben. Das Management eines Unternehmens könnte darauf spekulieren, dass das CO2 erst entweicht, wenn das Unternehmen nicht mehr existiert, der Zertifikatspreis langfristig sinkt oder längst ein anderes Management sich mit dem Schaden herumzuschlagen hat. Ist der Zeithorizont der Investoren und Manager geringer als der vermutete Zeitpunkt des Entweichens von CO2 und die Risikobereitschaft hoch, so ist die Lagerung in geologischen Formationen für die Investoren in jedem Fall ein Geschäft, da das Risiko auf die spätere Generation abgewälzt werden kann. Es kommt daher vor allem darauf an, im Voraus einen Anreiz zu schaffen, dass Unternehmen aus Eigeninteresse CO2 in möglichst sicheren Formationen lagern.

Die Einführung von "Carbon Sequestration Bonds" böte die Möglichkeit eines vernünftigen Risikomanagements: Jedes Unternehmen, das CO2 in geologische Formationen einlagern will, muss im Wert der eingelagerten CO2-Menge (eingelagerte Menge multipliziert mit dem Zertifikatspreis für CO2) einen Bond kaufen. Aus der Sicht des Unternehmens ist dieser Bond ein Vermögenstitel, der auf der Aktivseite seiner Bilanz erscheint. Das Unternehmen garantiert für die Laufzeit des Bonds, dass das CO2 in der geologischen Formation verbleibt. Ist dies der Fall, wird der Bond verzinst (in der Höhe eines langfristigen Wertpapiers) an das Unternehmen zurückbezahlt. Er wird jedoch alle drei Jahre durch eine noch näher zu bestimmende Umweltbehörde abgewertet, es sei denn, das Unternehmen kann zweifelsfrei nachweisen, dass das CO2 in der geologischen Formation verblieben ist. Entweicht CO2, so wird der Bond entwertet, und das Unternehmen muss die Forderung an die Umweltbehörde teilweise abschreiben. Der an diese gefallene Betrag muss zur Subventionierung von noch "marktfernen", erneuerbaren Energien verwendet werden. Diese Zweckbindung der möglichen Einnahmen der Behörde soll dazu dienen, eine Kompensation für den Wettbewerbsnachteil erneuerbarer Energien zu schaffen. Denn ohne die Lagerung von CO2 in geologischen Formationen wären die erneuerbaren Energieträger schneller rentabel geworden. Entweicht gelagertes CO2 aus den geologischen Formationen, wird wertvolle Zeit, die für einen kostengünstigen Umbau des Energiesystems nötig gewesen wäre, vertan.

Carbon Sequestration Bonds müssen auf Märkten handelbar sein: Das Unternehmen kann seine Bonds verkaufen und sich liquide Mittel verschaffen. Das wird aber nur dann geschehen, wenn sie den Käufern eine verbesserte Verzinsung bieten als ein risikoloses Wertpapier. Wie hoch dieser Risikoaufschlag sein wird, hängt davon ab, wie hoch die Käufer das Risiko der Bondabwertung einschätzen, andererseits davon, wie stark das Unternehmen das Risiko einschätzt, dass CO2 entweicht. Je stärker das Unternehmen befürchtet, CO2 könnte entweichen, umso billiger wird es die Bonds verkaufen müssen. Das Unternehmen kann nur dann einen hohen Bondpreis erzielen, wenn es die Käufer (Bürger, Organisationen wie Greenpeace) davon überzeugen kann, dass die Deponie sicher ist. Es besteht also ein Anreiz für die Branche, das Vertrauen in die Bonds nicht zu unterminieren. Durch die drohende Abwertung wird der Sicherheitsstandard der geologischen Formation zu einem marktfähigen Gut. Da Carbon Sequestration Bonds handelbar sind, können Anleger, Analysten und Bürger das Vertrauen, das sie in diese Technik haben, dadurch ausdrücken, indem sie Bonds kaufen: je höher das Vertrauen der Öffentlichkeit, desto höher der Kurs. Damit bestimmt die Öffentlichkeit mit, in welchem Umfang sequestriert werden kann und soll. Damit wäre die Risikoabschätzung dieser Technik dem technokratischen Klüngel entzogen - ein Verfahren, das sowohl den Einsatz der Technik als auch die Investitionsentscheidungen demokratisieren würde.

Das Marktpotential für die Sequestrierung von CO2 dürfte beträchtlich sein. Geht man davon aus, dass in den nächsten hundert Jahren nach Annahmen des WBGU 200 Gigatonnen Kohlenstoff sequestriert werden müssen, wenn ehrgeizige Klimaziele erreicht werden (sollen), und der Preis für eine Tonne Kohlenstoff in der Atmosphäre über 20 US-Dollar beträgt (bei diesem Preis wird die Sequestrierung rentabel), so entspricht das jährliche Umsatzvolumen etwa 0,13 Prozent des heutigen Weltsozialproduktes.

V. Fazit

Der Weg zu einer nachhaltigen Klima- und Energiepolitik führt über drei Zwischenziele: Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energieträger, Steigerung der Energieeffizienz, Einfangen und Lagern von CO2 in geologischen Formationen. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn geeignete Instrumente für eine Global Carbon and Energy Governance zur Verfügung stehen. Governance-Strukturen entstehen nicht durch eine elitäre Blaupause, sondern durch Versuch und Irrtum. Experimente mit CO2-Zertifikaten, Grünen Energiezertifikaten und Carbon Sequestration Bonds ließen sich zügig beginnen. Diese drei Bausteine können zu einer durchdachten Architektur zusammengefügt werden, die mit anderen energiepolitischen Forderungen kompatibel ist, etwa mit dem Abbau von Subventionen für fossile Energieträger und den Nuklearstrom. Durch den Handel mit Zertifikaten wird ein Nutzungspreis für die Atmosphäre festgelegt, der als Berechnungsbasis für Carbon Sequestration Bonds notwendig ist, die wiederum ein Risikomanagement beim Einlagern von CO2 ermöglichen. Die entstehenden Einnahmen werden zur Subventionierung marktferner, erneuerbarer Energien verwendet. Grüne Energiezertifikate wiederum helfen, Marktstörungen zu beseitigen; sie schaffen einen fairen Wettbewerb, bei dem die erneuerbaren Energieträger ihr technisches und wirtschaftliches Potential zeigen können.

Diese Experimente bedürfen eines unternehmerischen und politischen Gestaltungswillens ebenso wie der wissenschaftlichen Begleitung. Aus Fehlern in der Anwendung werden wir lernen können, die Instrumente zu verbessern und - falls sie sich als unzureichend erweisen - neue zu erfinden. Am Ende eines solchen Lernprozesses könnte die Einsicht stehen, dass wir zwischen Wachstum ohne Klimaschutz und Klimaschutz ohne Wachstum - zwischen Pest und Cholera - nicht wählen müssen und darum auch nicht wählen dürfen.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Ich bedanke mich bei Nico Bauer, Hermann Held, Matthias Hofmann, Elmar Kriegler, Armin Haas, Fritz Reusswig und Stefan Rahmstorf für die fruchtbaren Diskussionen und Kommentare. 1 Vgl. Stefan Rahmstorf, Klimawandel - Rote Karte für die Leugner, in: Bild der Wissenschaft, (2003) 1.

  2. Vgl. Björn Lomborg, Apokalypse No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln, Lüneburg 2002.

  3. Vgl. The Misleading Math about Earth, in: Scientific American, January 2002.

  4. Vgl. Economist vom 2. 2. 2002; auch The Danish Committee on Scientific Dishonesty hat sich mit Lomborg beschäftigt und ihm wissenschaftliches Fehlverhalten vorgeworfen, siehe http:/www.forsk.dk/uvvu/nyt/udtaldebat/bl_decision.htm.

  5. Vgl. Bill Emmott, Vision 2021. Die Weltordnung des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2003, S. 308 - 315. Emmott nimmt das Problem des Klimawandels ernst und ist der Auffassung, die Emissionen müssten reduziert werden. Dennoch hält er Armut für ein wesentlich ernsteres Problem, für das die Menschheit dringend Ressourcen benötige.

  6. Vgl. zu dieser wichtigen Diskussion Fritz Reusswig/Katrin Gerlinger/Ottmar Edenhofer, Lebensstile und globaler Energieverbrauch, PIK-Arbeitspapier, Potsdam 2002. Siehe auch Ottmar Edenhofer/H. Held/C. C. Jaeger, Langfristige Optionen einer globalen Energie- und Umweltpolitik, in: Walter Hauser (Hrsg.), Klima. Das Experiment mit dem Planeten Erde, Stuttgart 2003.

  7. Vgl. James C. Orr u.a., Ocean CO2 sequestration efficiency form 3-D ocean model comparison, in: Greenhouse Control Technologies. Proceedings of the 5th International Conference on Greenhouse Gas Control Technologies, hrsg. von David Williams u.a., Collingwood (Australien) 2002, S. 469 - 474.

  8. Zu weiteren Maßnahmen des Kohlenstoffmanagements wie etwa die Eisendüngung des Ozeans siehe Hans-Joachim Schellnhuber, Geo-engineering: Was können wir, was dürfen wir, in: Gotthilf Hempel/Meinhard Schulz-Baldes (Hrsg.), Nachhaltigkeit und globaler Wandel, Frankfurt/M. u.a. 2003, S. 137 - 138.

  9. Vgl. David W. Keith, Geo-engineering the Climate. History and Prospect, in: Annual Review of Energy and Environment, (2000), S. 245 - 284.

  10. Vgl. Bala Govindasamy/Ken Caldeira, Geoengineering - Earth's radiation balance to mitigate CO2 induced climate change, in: Geophysical Research Letter, 27 (2000), S. 2141 - 2144.

  11. Vgl. H.-J. Schellnhuber (Anm. 8), S. 136.

  12. Vgl. Nico Stehr/Hadi Dowlatabadi, Die Exekutive der Wissenschaften, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 4. 2001.

  13. Vgl. William D. Nordhaus/Joseph Boyer, Warming the World. Economic Models of Global Warming, Cambridge/Mass. - London 2000.

  14. Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change, Climate Change 2001. Impacts, Adaptation and Vulnerability. Report of Working Group to the Third Assessment Report of the IPCC, Genf 2001.

  15. Vgl. Ulrich Steger u.a., Nachhaltige Entwicklung und Innovationen im Energiebereich, Berlin-Heidelberg 2002. Die Autoren plädieren für eine Gesellschaft mit niedrigem Energieverbrauch. Die Optionen des Industriellen Kohlenstoffmanagements werden nicht behandelt.

  16. Vgl. H. H. Rogner, An Assessment of world hydrocarbon resources, in: Annual Review of Energy and the Environment, 22 (1997), S. 217 - 262.

  17. Vgl. James J. Dooley/R. T. Dahowski, Examining planned U.S. Power Plant Capacity Additions in the Context of Climate change. Working paper, 2002.

  18. Vgl. Alexander Wokaun, Erneuerbare Energien, Stuttgart-Leipzig 1999, S. 166. Siehe auch Wissenschaftlicher Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU), Energiewende zur Nachhaltigkeit, Berlin 2003, S. 98.

  19. Vgl. WBGU (ebd.).

  20. Vgl. ebd., Kap. 4.5.

  21. Das Modell MIND wurde am PIK von Ottmar Edenhofer, Nico Bauer und Elmar Kriegler entwickelt. Es ist ein mehrsektorales Wachstumsmodell, in dem Wirtschaft, Energie und Klima gekoppelt sind. Der WBGU hat dieses Modell verwendet, um die wachstumspolitischen Implikationen seines Transformationsszenarios zu berechnen.

  22. Mit Hilfe des Energiesystems MESSAGE hat der WBGU einen Anteil von 50 Prozent für die erneuerbaren Energieträger bis zum Jahr 2050 berechnet. Dieser Wert weicht von dem mit MIND berechneten (27 Prozent) ab, weil MESSAGE die Kosten der Extraktion fossiler Energieträger erheblich pessimistischer einschätzt als MIND; vgl. WBGU (Anm. 18), S. 110. Die Modellierer von MIND gehen davon aus, dass der fossile Ressourcensektor ebenso ein "fast learner" ist wie der Sektor der erneuerbaren Energien. Das Modell MIND stimmt hier mit dem Shell-Szenario überein.

  23. Vgl. Shell International, Energy Needs, Choices and Possibilities. Exploring the Futures. Scenarios to 2050, New York 2001, S. 60.

  24. Vgl. WBGU (Anm. 18).

  25. Vgl. Jose Goldemberg, Energy the challenge of sustainability. World Energy Assessment. UNDP 2000, S. 281.

  26. Meines Wissens werden hier zum ersten Mal institutionelle Regelungen diskutiert, die Carbon Sequestration effizient und ethisch verantwortet ermöglichen sollen.

Dr. rer. pol., Dipl.-Vw., geb. 1961; stellvertretender Leiter der Abteilung Globaler Wandel und Soziale Systeme des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
Adresse: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Telegrafenberg A 31, 14473 Potsdam.
E-Mail: E-Mail Link: edenhofer@pik-potsdam.de

Veröffentlichung u.a.: Social Conflict and Technological Change. Evolutionary Models of Energy Use (i.E.); zahlreiche Veröffentlichungen zur Klimaschutzpolitik.