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Von der Atlantischen Allianz zur europäisch-amerikanischen Partnerschaft | Transatlantische Politik | bpb.de

Transatlantische Politik Editorial Von der Atlantischen Allianz zur europäisch-amerikanischen Partnerschaft Das Atlantische Bündnis als Transmissionsriemen atlantischer Politik Die Sicherheitspolitik des europäischen Führungstrios Eine neue deutsche Europapolitik für eine andere EU? Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen

Von der Atlantischen Allianz zur europäisch-amerikanischen Partnerschaft

François Heisbourg

/ 14 Minuten zu lesen

Einleitung

Der Westen und sein sorgfältig geplantes, stattliches Aufgebot an Verteidigungsbündnissen mit den Vereinigten Staaten als Mittelpunkt gehören - als strategische Einheit - der Vergangenheit an. Dies ist nicht einfach oder vorrangig auf Anmaßungen der Bush-Regierung zurückzuführen, sondern es ist das Ergebnis grundlegender und anhaltender Veränderungen im internationalen System. Das "Ende des Westens" schließt jedoch nicht aus, dass - unter bestimmten Umständen - eine neue strategische Partnerschaft zwischen Nordamerika und der Europäischen Union geschaffen werden kann.


Der grundlegende Wandel im internationalen System ist einerseits eine direkte, wenn auch verspätete Folge des Endes des Kalten Krieges und ergibt sich andererseits aus einer Reihe neu entstandener Sicherheitsbedrohungen. Diese Transformation kann in vier Thesen zusammengefasst werden.

Erstens: Die USA sind die einzige Supermacht und werden als solche auf lange Sicht verhindern, dass ihnen ein ernst zu nehmender Konkurrent erwächst. Dieses Ziel ist in einem Papier des Weißen Hauses über die nationale Sicherheitsstrategie förmlich festgehalten (National Security Strategy for the US, September 2002).

Zweitens: "Die Koalition ergibt sich aus der Mission", so hat es US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 formuliert. Mit anderen Worten: Im Mittelpunkt stehen nicht mehr die Existenz und Einheit multilateraler Bündnisse oder die Fortdauer bilateraler Bündnisse, sondern das Gelingen der Mission. Dies ist die direkte Folge einer Entwicklung, in deren Verlauf eine inhomogene und wechselvolle Reihe von Bedrohungen und Kampfansagen an die Stelle der permanenten Bedrohung durch die Sowjetunion trat.

Drittens: Der bestehende Trend des Erwerbs von Massenvernichtungswaffen durch unsichere Staaten birgt die Gefahr in sich, dass solche Waffen in die Hände nichtstaatlicher Terrorgruppen gelangen. Angesichts eines zu erwartenden "Hyperterrorismus" ist Abschreckung obsolet geworden. Eine Politik, die diese Bedrohung im Nachhinein unterdrücken will, reicht nicht aus. Gleichzeitig ist die Atlantische Allianz dafür ungeeignet. Verhindernde und vorbeugende Maßnahmen, durchgeführt von Ad-hoc-Koalitionen, werden zu zentralen Elementen einer Gegenstrategie. Sich diesem Risiko zu stellen erfordert erhebliche gesellschaftliche Veränderungen. Zugleich müssen die Bedingungen der Globalisierung neu durchdacht werden. Es ist allerdings nicht so, dass Terrorismusbekämpfung an sich das Beziehungsgeflecht zwischen souveränen Staaten strukturieren würde.

Viertens: Für die USA ist Europa kein wichtiges strategisches Anliegen mehr. Obwohl die sowjetische Bedrohung mit ihrem Schwerpunkt in Mitteleuropa schon Ende der achtziger Jahre nicht mehr existierte, wurde diese Marginalisierung Europas in amerikanischen strategischen Überlegungen erst nach dem Ende der Kampfhandlungen zwischen den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien in vollem Umfang sichtbar, in denen Europa und die NATO zwischen 1991 und 2000 noch im Rampenlicht standen. Dass Europa heute strategisch eine ruhige Region ist, ist eine positive Entwicklung. Sie verstärkt jedoch die Tendenz in den USA, hinsichtlich Europa und der NATO auf eine "Einheit um der Einheit willen" strategisch keinen Wert mehr zu legen. Dieser Trend zeigt sich zu einer Zeit, da die EU sich auf 25 Staaten erweitert hat. Das "Kant'sche Paradies" (eine Beschreibung von Robert Kagan) ist größer geworden, kann sich aber nicht mehr auf den strategischen Schutz der USA verlassen, da diese ihre Prioritäten anders setzen und ihre Kapazitäten zum eigenen Schutz einsetzen.

Auswirkungen

Die ideologische Ausrichtung der aktuellen US-Regierung und ihrer Pendants in Europa - "alt" wie "neu" - haben die Wirkung dieser Trends bei mehreren Gelegenheiten aufgebläht und verstärkt. Die Folge davon war, dass unnötige Härte und Bitterkeit die Lockerung der Bindungen im Bündnis, die entbehrlich gewordene atlantische und europäische Einheit sowie die demonstrative militärische Prävention kennzeichneten: Alle Beteiligten trieben Keile in das Bündnis, alte Freundschaften gingen verloren, das Argument der Prävention wurde missbraucht, um die bonapartistische Invasion des Irak zu rechtfertigen. Die all dem zugrunde liegenden Veränderungen sind jedoch wahrscheinlich auf lange Sicht von größerer Bedeutung als die derzeit sichtbaren ideologischen Meinungsverschiedenheiten.

Die logische Folge der Entwicklungen ist, dass die Vereinigten Staaten keinen ausreichenden Grund mehr haben, zu dem multilateralen System zurückzukehren, das mit wechselnder Intensität von 1941 bis 2001 bestand. Besonders die festen Bündnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges haben ihre Daseinsberechtigung verloren. In jenen Jahrzehnten war die Koalition identisch mit der Mission (the "coalition made the mission"): Der Sieg hing im Kalten Krieg davon ab, "den Ring geschlossen zu halten" ("holding the ring" ist ein Zitat von Winston Churchill, der damit 1943 die Notwendigkeit beschrieb, die Einheit der Gegner des Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten). Das ist inzwischen nicht mehr erforderlich, und Robert Kagan weist völlig zu Recht seine amerikanischen Leser darauf hin, dass die USA sich den Multilateralismus im Wesentlichen aus instrumentellen Gründen zu Eigen machten. Für den Einsatz dieses Instruments gibt es aber heute keinen Grund mehr.

Diese logische Schlussfolgerung bedeutet nicht, dass die USA keine Alternative zu ihrem derzeitigen dogmatischen Unilateralismus hätten. Schließlich gab es vor 1941 stark widersprüchliche Phasen von Engagement und Disengagement, vom Extrem der Beteiligung am Krieg (gegen die Mittelmächte des Ersten Weltkriegs) oder der imperialen Expansion (im Krieg von 1898) auf der einen Seite bis hin zum absoluten wirtschaftlichen Isolationismus in den dreißiger Jahren auf der anderen Seite. Es kann sein, dass die USA nach der derzeitigen bonapartistischen Phase die Tugenden einer Jefferson'schen Politik wieder entdecken und auf die Sichtweisen ihrer Freunde Rücksicht nehmen (das Gegenteil der "Schule der Diplomatie" nach Donald Rumsfeld). Die USA haben jedoch noch eine weitere Option, nämlich, das Heimatland zum Heiligtum zu erklären: Sollten sich die militärischen, finanziellen und politischen Kosten der Neugestaltung des Mittleren Ostens als unhaltbar hoch erweisen, so könnten die USA ganz rational besonderen Wert auf ihre territoriale Verteidigung legen - und zwar auf Kosten überseeischer Verpflichtungen. Das müsste dann nicht unbedingt erneut in einen Isolationismus münden. Es könnte eher wie eine Beteiligung der USA an internationalen Beziehungen in der Art des "Konzerts der Nationen" aussehen, etwa so wie Anfang des 20. Jahrhunderts oder in den zwanziger Jahren: auf Distanz bedacht, aber weder abweisend noch feindlich gesonnen. Eine solche Option sollte selbst im Lichte der Globalisierung nicht als abwegig abgetan werden.

Eine zweite logische Folge, die sich aus der vorherigen ergibt, betrifft die Zukunft der NATO. Wenn die NATO als festes Verteidigungsbündnis "tot" ist, heißt das nicht, dass sie aufgehört hat, andere wichtige Rollen zu spielen. Untersucht man die Aussichten für eine amerikanisch-europäische strategische Partnerschaft, ist es wichtig, genau festzustellen, was die NATO nicht mehr ist, was sie noch ist oder sein könnte und was sie nicht sein kann.

- Die NATO ist keine Kriegsmaschinerie mehr. Die Luftangriffe im Kosovo haben nicht nur in den USA heftige Reaktionen gegen die Kriegführung durch Congress-Ausschüsse hervorgerufen, sondern auch die extremen Schwierigkeiten offen gelegt, die sich aus dem Nebeneinander der nationalen amerikanischen Befehlskette und der NATO-Befehlskette ergaben. Dieses Problem wurde durch die Tatsache verstärkt, dass beiden Befehlsketten ein U.S.-amerikanischer Offizier im Generalsrang vorstand (Henry H. Shelton als Joint Chief of Staff und Wesley K. Clark als Supreme Allied Commander Europe, SACEUR). Jeder betrachtete den anderen als Untergebenen - als Kommandeur für das European Command (EUCOM)-Operationsgebiet (Clark) oder als Bereitsteller von Streitkräften (Shelton). Vor dem Hintergrund, dass das EUCOM nach dem Kalten Krieg weniger als acht Prozent der amerikanischen Streitkräftestrukturen ausmacht, besteht kein Zweifel daran, was in der Zukunft passieren wird: Operationen mit einem bedeutenden Anteil amerikanischer Streitkräfte werden von einem amerikanischen Befehlshaber geleitet, nicht von der NATO.

- Die NATO ist ein hervorragendes Druckmittel, das den Umbau der Sicherheitsbereiche in jenen postkommunistischen Staaten erleichtert, die eine Mitgliedschaft anstreben. Auch wenn sich dieser Vorzug abnutzt (nachdem die Allianz bereits von 16 Mitgliedern im Jahr 1998 auf 26 Mitglieder im Jahr 2004 erweitert wurde), gilt dies noch immer für die verbleibenden, auf Aufnahme wartenden Länder, darunter vor allem die Ukraine und die Balkanstaaten.

- Die NATO bündelt auch weiterhin den Sicherheitsdialog und die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Europa und Nordamerika. Wenn es um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder militärische Aspekte der Terrorbekämpfung geht, ist dies nicht unwichtig.

- Die NATO fungiert häufig auch als eine regionale UN-Organisation bei friedenssichernden und friedensunterstützenden Maßnahmen auf dem Balkan oder anderswo (in Kabul und vielleicht auch im Mittleren Osten). Auch das ist von großer Bedeutung.

- Ein entscheidender Punkt ist: Die NATO sorgt auch in Zukunft für Interoperabilität, Standardisierung und Regeln zwischen den Streitkräften ihrer Mitglieder, zumindest für die Europäer selbst. So schnell gibt es in dieser Hinsicht keinen europäischen Ersatz für die NATO. Sie ist Mittel zum Zweck, aber wahrscheinlich das Wichtigste in dieser Phase der Geschichte. Darüber hinaus erfordert dieNotwendigkeit, Ad-hoc-Koalitionen mit einem Mindestmaß an militärischer Effizienz zu schaffen, ein hohes Maß an Interoperabilität der beteiligten Streitkräfte.

Diese Aufgaben entsprechen allerdings nur einem Bruchteil der gesamten transatlantischen Beziehungen: Sicherheitsbedrohungen wie die Irakkrise (oder in neuerer Zeit Iran) werden nicht vorrangig in NATO-Räten oder NATO-Konsultationen diskutiert. Strategische Beziehungen zu wichtigen Akteuren wie China oder Russland werden nicht auf transatlantischer Ebene durch die USA oder die EU und ihre Mitglieder behandelt. Die nicht unmittelbar militärische Dimension der Terrorbekämpfung liegt nicht vorrangig bei der NATO. Strategisch wichtige politische Maßnahmen, die sich um die Zukunft Afrikas oder den Prozess im Mittleren Osten bemühen, sind nicht in der NATO verankert. Und doch haben alle diese Themen potenziell eine starke transatlantische Dimension oder transatlantische Folgen, die für die USA und Europa und deren Beziehungen zueinander von zentraler Bedeutung sind. (In der Aufzählung fehlen natürlich auch die Zukunft des freien Handels, die Rolle der WTO oder des Finanzsystems und die Beziehung zwischen US-Dollar und Euro.) Mit anderen Worten: Die NATO hat nicht die Breite und nicht die Tiefe, um als Drehscheibe der strategischen Beziehungen zwischen Europa und den USA zu fungieren, auch wenn sie weiterhin ein wichtiger Teil davon bleibt. Für Interoperabilität zu sorgen ist heute ihr Kerngeschäft geworden.

Vom Verteidigungsbündniszur Partnerschaft

Strategisch betrachtet, kann eine Rückkehr zum multilateralen Modell der Jahre 1941 bis 2001 nicht zufrieden stellen: Diese sechs Jahrzehnte dauernde strategische Episode muss als abgeschlossen betrachtet werden. Das neue Ziel sollte weder eine Rückkehr zu einem festen Bündnis sein noch eine Überfrachtung der NATO mit Aufgaben, die sie nicht bewältigen kann - politisch oder bürokratisch. Das Ziel sollte die Schaffung einer Institution sein, die auf einer breiteren Basis beruht und weniger einengt - also eine Partnerschaft. Für die Europäer läge das Motiv in der Aufrechterhaltung zivilisierter, freundschaftlicher Beziehungen zu den USA. Sie könnten sich von Zeit zu Zeit einig darüber sein, dass sie sich nicht einig sind, würden den amerikanischen Partnern das Leben aber nicht unnötig schwer machen. Das Motiv für die USA, eine solche Verbindung einzugehen, läge darin, die europäische Unterstützung für US-geführte globale Maßnahmen zu erleichtern, von Fall zu Fall die Beteiligung der Europäer zu sichern und allgemein ein Umfeld zu schaffen, in dem eine solche Unterstützung gedeihen kann. Um eine funktionierende Partnerschaft zu erreichen, müssen jedoch eine Reihe von Grenzen beachtet und mehrere Bedingungen erfüllt sein.

- Kurzfristig ist eine Phase der Beruhigung erforderlich. Die Wunden aus der Irakkrise sind noch immer offen, Abkühlung tut Not. Die vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) inspirierte Gemeinsame Erklärung zur Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft ("Joint Declaration Renewing the Transatlantic Partnership" vom 14. Mai 2003), die von prominenten US-Vertretern unterschrieben wurde, war ein substanzieller und hilfreicher Schritt. Vor dem Hintergrund der damals schwierigen Beziehungen kam sie jedoch zu früh. Das gilt auch für ebenso herausragende erste europäische Reaktionen darauf.

- Es wird auch nicht sonderlich viel helfen, wenn Vorschläge gemacht werden, die ohne weiteres davon ausgehen, dass Amerika und Europa gemeinsame Werte und Interessen haben. Der Inhalt dieser mantraartig wiederholten Aussage mag stimmen, aber wenn es so offensichtlich wäre, dann müsste man erklären, warum die aktuelle Krise so tief und schwerwiegend ist (oder man müsste behaupten, dass sie weder tief noch schwerwiegend sei, dann gäbe es aber auch keinen Grund für feierliche Erklärungen). Ein Teil des Problems liegt gerade darin, dass Interessen und Werte nicht in dem Maße geteilt werden, wie dies im Kalten Krieg der Fall war. Und dort, wo Gemeinsamkeiten bestehen (Freiheit fürHandel und Investitionen, Demokratie, Rechtstaatlichkeit), sind diese weniger speziell amerikanisch-europäisch als zuvor, denn inzwischen sind große Teile Asiens und Lateinamerikas zum Kreis der demokratischen und wirtschaftsliberalen Staaten hinzugekommen, oder sie sind auf dem Weg dorthin.

- Eine Partnerschaft ist nicht möglich, wenn eine Seite die andere als das zentrale Problem empfindet anstatt als Teil der Lösung. Darum waren französische oder russische Forderungen nach einer multipolaren Welt während der Irakkrise der Entstehung einer Partnerschaft nicht zuträglich, da sie auf die Schaffung eines Gegengewichts zu den USA abzielten. Multipolarität kann nur auf Kosten der Partnerschaft vorangetrieben werden. Andererseits sind sich die Europäer (einschließlich Großbritanniens und Frankreichs) darin einig, dass sie ein auf verbindlichen Regeln beruhendes internationales System vorantreiben wollen, in dem Multilateralismus nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern das Ziel ist. Die USA müssen sich einer solchen Sichtweise transatlantischer Partnerschaft nicht anschließen, um zu überleben, schließlich richtet sich Multilateralismus nicht gegen die USA. Es wird jedoch keine Partnerschaft geben, wenn die USA sich absichtlich und systematisch bemühen, andere daran zu hindern, auf ein multilaterales, auf verbindlichen Regeln beruhendes internationales System hinzuarbeiten. In dieser Hinsicht scheint die zweite Amtszeit von Präsident George W. Bush unter günstigeren Vorzeichen zu stehen als die katastrophalen ersten vier Jahre seiner Regierung.

In einer Welt "nach dem Bündnis" kann es nur dann eine tragfähige Partnerschaft geben, wenn die Europäer ein entschieden höheres Maß an strategischer Ernsthaftigkeit hinsichtlich der Definition und Umsetzung von Außen- und Sicherheitspolitik an den Tag legen: Europäische Sichtweisen und Interessen werden von Washington wohl kaum berücksichtigt, wenn sie reaktiv bleiben (z.B. als Reaktion auf einen amerikanischen Vorstoß). Im Vorfeld künftiger Krisen, etwa im Iran, der sich in Verletzung der Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag offenbar die Möglichkeiten zur Produktion von waffenfähigem Uran verschafft hat, ist es für die Europäer von entscheidender Bedeutung, eine gemeinsame Politik zu planen und umzusetzen - in enger Abstimmung mit den Amerikanern, aber nicht als bloße Reaktion auf irgendeine amerikanische Initiative.

Was noch wichtiger ist: In einer Welt nach dem Bündnis kann Europa nur dann als Partner ernst genommen werden, wenn es sich selbst ernsthaft um die Bedrohungen kümmert, die sich aus den Ereignissen des 11. September ergeben, ob im Bereich der harten, also militärischen Machtausübung ("hard power") oder durch weiche, diplomatische Aktivitäten ("soft power"). Dies setzt innere Reformen in Europa voraus, die im Folgenden skizziert werden. Dabei müssen die Europäer mehrere Bereiche nach außen gerichteter Initiativen besonders beachten.

- Im Bereich "soft power" genügt es für Europa nicht, auf die beträchtlichen Beiträge zur internationalen Sicherheit durch Entwicklungshilfe hinzuweisen, die etwa drei Mal so hoch sind wie die der USA. Die Amerikaner mögen in der Tat sehr viel weniger ausgeben als die Europäer, aber sie richten ihr Augenmerk sehr viel stärker auf die sicherheitspolitischen Auswirkungen ihrer Hilfe. Die USA haben stets die bestehenden Friedensverträge im Mittleren Osten mit massiver Hilfe für Ägypten, Israel und Jordanien unterstützt, insgesamt mit rund drei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Sie haben die weltweite Stabilität gesichert, indem sie für das gemeinsame Programm zur kooperativen Bedrohungsbekämpfung (Cooperative Threat Reduction Programme) in den letzten zehn Jahren etwa acht Milliarden US-Dollar bereitgestellt haben. Dieses Programm hat effektiv zum Abbau von Kernwaffenarsenalen in der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan beigetragen und verhindert, dass waffenfähiges Material aus Russland sickern konnte. Im Vergleich dazu haben die EU-Staaten in den neunziger Jahren rund eine Milliarde Euro pro Jahr in und um den israelisch-palästinensischen Bereich investiert und weniger als 800 Millionen US-Dollar für die Nichtverbreitung von Kernwaffen aus der ehemaligen Sowjetunion. Die EU sollte zwar nicht gerade die amerikanischen Verhaltensmuster und Gepflogenheiten bei den Ausgaben imitieren, aber sie sollte die sicherheitspolitischen Implikationen ihrer Entwicklungshilfemaßnahmen überprüfen.

- Wenn es um "hard power" geht, muss akzeptiert werden, dass präventive Maßnahmen in unsere Verteidigungsdoktrinen eingebaut werden müssen. Der Europäische Rat von Thessaloniki machte im Juni 2003 einen großen Schritt in die richtige Richtung im Hinblick auf den möglichen Einsatz militärischer Gewalt gegen den unrechtmäßigen Erwerb von Massenvernichtungswaffen. Dies kann auch von einem multilateralen Standpunkt aus erfolgen.

- Letztlich wird Europa sein "Kant'sches Paradies" nicht bewahren können, wenn die USA etwas anderes tun, als sich hauptsächlich um unsere Sicherheit zu sorgen. Außerdem wird Europa ohne erhebliche Veränderungen bei den Verteidigungsausgaben und Streitkräftestrukturen nicht in der Lage sein, als ernst zu nehmender Partner der USA zu agieren. Die EU verfügt über mehr Soldaten als die USA, sie verfügt über mehr Panzer, mehr Waffen und eine breit gefächerte Auswahl an Kampfflugzeugen, und dabei geben die 25 Mitgliedsstaaten zusammen nur rund 40 Prozent von dem aus, was die USA für Verteidigung investieren (die Zahl stagniert bei etwa 150 Milliarden Euro, gegenüber 400 Milliarden US-Dollar in den USA, nicht eingerechnet die Kosten für die Operationen im Irak und in Afghanistan). Die Mitglieder der EU geben auch weniger als 20 Prozent von dem aus, was die USA in militärische Forschung und Entwicklung stecken (zehn Milliarden US-Dollar gegenüber mehr als 50 Milliarden US-Dollar). Darüber hinaus sind die europäischen Bemühungen auf 25 Streitkräftestrukturen verteilt. Unter diesen Umständen überrascht es kaum, dass die Europäer hinsichtlich strategischer Mobilität, Kommando- und Kontrollsystemen und intelligenter Munition nur einen Bruchteil der US-Kapazitäten aufbringen, also jener Fähigkeiten, die in der netzwerkbasierten Kriegführung der Zeit nach dem Kalten Krieg erforderlich sind. Die EU ist in diesem Bereich zunehmend weniger in der Lage, kompetent zu arbeiten - ob mit den Amerikanern oder ohne sie.

Es wird schwierig, das Interesse der USA an der NATO als Dienstleister für Interoperabilität und militärischen Wandel aufrechtzuerhalten, wenn die Europäer zulassen, dass sie zurückfallen. Drei wesentliche Forderungen sind hier zu erfüllen, und zwar vorzugsweise als EU-weite Unternehmungen, und falls das nicht realisierbar ist, als offene verstärkte Zusammenarbeit (gemäß dem Vertrag von Amsterdam): die europaweite Finanzierung von militärischer Forschung und Entwicklung im Stile von "Galileo" mit Hilfe einer Kofinanzierung zwischen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten (European Armaments Agency), integrierte Kommandostrukturen (speziell beim Lufttransport für strategische Mobilität) und, nicht zu vergessen, ein ernsthaftes Sicherheitsprogramm für die EU-Staaten. Unter diesen Bedingungen wäre es äußerst wünschenswert, dass die EU-Verfassung in Kraft träte. Auch wenn die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vorerst abgelehnt wurde, muss die EU in diesen Bereichen weiter voranschreiten: Sie kann dies weitgehend auf der Basis der vor der Verfassung bestehenden Sprachregelungen (Maastricht, Amsterdam, Nizza) und jüngerer politischer Entscheidungen tun.

Das Paradox ist, dass eine amerikanisch-europäische Partnerschaft nicht wachsen kann, wenn die Europäer sich weiter so verhalten, als wären die USA noch in der Verantwortung für die Sicherheit ihres Kant'schen Paradieses. Ein schwaches Europa oder ein Europa, das sich in Nabelschau ergeht, ist kein Rezept für eine Partnerschaft mit den USA.

geb. 1949; Professor und Direktor der Stiftung für strategische Forschung in Paris; Vorsitzender des Stiftungsrates im Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) in Genf, 7 Avenue de la Paix, 1211 Genf 1.
E-Mail: E-Mail Link: f.heisbourg@frstrategie.org