Entwicklung durch Migration: ein neuer Forschungsansatz
Eine Verknüpfung von Entwicklungs- und Migrationspolitik ist mit positiven Effekten sowohl für Migranten als auch für das Entsende- und das Aufnahmeland verbunden. Die Green Card in Deutschland ist ein erster Schritt in diese Richtung.Einleitung
Entwicklungs- und Migrationsforschung sind bisher weitgehend getrennt voneinander betrieben worden, obwohl sie offensichtlich in enger Beziehung zueinander stehen. Beide waren in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft von Defizitansätzen geprägt:
Erstens: Migranten werden in der Öffentlichkeit und in wissenschaftlicher Literatur sowohl von Befürwortern als auch von Skeptikern der Migration als "defizitäre Wesen" geschildert, die es zu integrieren und zu "kulturalisieren" gelte. Migration wird in diesem Zusammenhang generell als Krisenerscheinung gekennzeichnet und mit "Überflutung" assoziiert. Die Konzentration der öffentlichen Diskussion auf "Integration" und "Integrationsdefizite" in den letzten Jahren hat diesem Denkansatz noch Auftrieb gegeben. Der Wert der mitgebrachten Kulturelemente wird so implizit ausgeklammert.[1]
Ein Beispiel für diese Denkweise findet sich in der Argumentation der Herzog-Kommission der CDU: Migration wurde als Teillösung des demographischen Problems abgelehnt, ohne aber eine andere Lösung anzubieten und ohne positive Aspekte auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen.[2] Andererseits wird in dem sehr gründlich ausgearbeiteten interfraktionellen Bericht "Migration and Development" des britischen Unterhauses darauf hingewiesen, dass auch bei rein monetärer Betrachtung die Kosten von Migration durch den Nutzen übertroffen werden.[3] Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, weil britische Migrationsforscher der damaligen britischen konservativen Regierung und der Öffentlichkeit Deutschland noch im Jahr 1994 wegen seiner Öffnung gegenüber den ostmitteleuropäischen Ländern und Südeuropa als positives Beispiel für den ökonomischen Nutzen von Einwanderung nahe zu bringen versuchten.[4]
Zweitens: Als defizitär gelten auch die Entwicklungsländer, die es mit westlicher Hilfe zu Leistungen zu befähigen gelte. Alternative Szenarien einer "Abkopplung", wie sie etwa Dieter Senghaas vertreten hat, sind mit dem Ende des Ostblocks und dem Scheitern der Entwicklungsstrategien von Ländern wie Tansania, Kuba und Nordkorea sowie dem Übergang Chinas zu einer immer intensiveren Verknüpfung mit der Weltwirtschaft obsolet geworden.[5] Die Entwicklungsliteratur schildert eine Kette von Misserfolgen, die auf Korruption, Inkompetenz, politische Instabilität und mangelnde kulturelle Voraussetzungen zurückgeführt werden. Betroffen von derartigen Szenarien ist insbesondere Afrika, das in den Medien fast nur mit Katastrophen in Verbindung gebracht wird. Mit der Verlagerung der Entwicklungszusammenarbeit von den früher präferierten großen Projekten wie dem Bau von Staudämmen auf die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen treten karitativ-unterstützende Motive wieder stärker in den Vordergrund. Zuweilen wird zudem die Entwicklungshilfe selbst mit Katastrophenszenarien identifiziert, so in Brigitte Erlers Buch "Tödliche Hilfe".[6]
Jahrzehntelang sind die beiden Bereiche mit einer dritten Defizit-Idee verbunden worden: dem brain drain, das heißt dem Verlust der bestausgebildeten Spezialisten an die reichen Länder.[7] Aus diesem Grund hat die deutsche Entwicklungspolitik konsequent an der Rückführung der hier Ausgebildeten festgehalten (sofern sie nicht über eine Eheschließung die Beschränkungen umgehen konnten).[8] Gleichzeitig ist Migration nach Deutschland ganz weitgehend auf Europäer beschränkt worden. Obwohl Angebote vieler afrikanischer und asiatischer Staaten vorlagen, Arbeitskräfte zu entsenden, hat sich die Bundesrepublik auf die Anwerbung von Arbeitskräften aus den Ländern nördlich des Mittelmeers beschränkt, die Mitglieder der Europäischen Union waren, wurden oder werden wollen.[9] Zahlenmäßig eng begrenzt blieben Anwerbungen aus Marokko, Tunesien und Südkorea.