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60 Jahre Vereinte Nationen Editorial Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen Das System der Vereinten Nationen Die UNO-Generalsekretäre Die Friedenseinsätze der VN Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht Souveränität und Angriffskriegsverbot

Das System der Vereinten Nationen

Klaus Hüfner

/ 16 Minuten zu lesen

Durch viele neue Mitglieder und die Zunahme der Aufgabenvielfalt hat sich das System der Vereinten Nationen enorm ausgeweitet. Eine Vereinfachung der Struktur ist angesagt.

Einleitung

Sowohl in den Dokumenten der Vereinten Nationen (VN) als auch in der Fachliteratur hat sich der Begriff "System der Vereinten Nationen" bzw. "VN-System" durchgesetzt. Damit wird zunächst deutlich, dass die VN nicht identisch sind mit dem VN-System, zu dem außer den VN einschließlich ihrer sechs Hauptorgane und deren Nebenorgane sowie den von der Generalversammlung eingesetzten Spezialorganen auch die Sonderorganisationen gehören. Das VN-System stellt ein komplexes System dar. Der größte Teil dieses diffizilen Geflechtes von Organen, Gremien, Organisationen und anderen Einrichtungen bleibt unsichtbar und kann nur durch zusätzliche Klassifikationen zumindest annäherungsweise beschrieben, auf keinen Fall aber in einer einzigen Abbildung dargestellt werden. Es bleibt daher festzuhalten, dass das heutige VN- System aus einem Dickicht von höchst verschiedenartigen, teils abhängigen, teils unabhängigen Institutionen besteht. Es handelt sich um ein Institutionengeflecht, das im Laufe der 60-jährigen Geschichte immer undurchschaubarer geworden ist, dessen Grenzen immer weniger zu bestimmen sind.

Beginnen wir zunächst mit der Identifizierung der Vielzahl der Institutionen, die das VN-System heute ausmachen. Dies ist einerseits ein Problem der horizontalen Abgrenzung des Systems, d.h. ein Problem der Definition von System und Umwelt, das im Falle einzelner VN-Institutionen einfacher zu beschreiben ist als für das Gesamtsystem der VN. Andererseits ist es ein Problem der vertikalen Abgrenzung des Systems, d.h. der Systemhierarchie bzw. -tiefe. Abbildung 1 ist insofern eine ungleichgewichtige Darstellung, als nur die VN mit ihren sechs Hauptorganen und 19 Spezialorganen sowie durch unterschiedlich spezifizierte Hinweise auf den keinesfalls vollständig aufgeführten "Unterbau" der Hauptorgane Generalversammlung, Sicherheitsrat und Wirtschafts- und Sozialrat in einer "Systemtiefe" dargestellt werden, die im Falle der 17 autonomen Sonderorganisationen völlig fehlt. In den meisten Fällen verfügen die Sonderorganisationen über sogenannte funktionale Äquivalente, wie z.B. drei "Hauptorgane" (Versammlung, Rat, Sekretariat) und deren "Nebenorgane" sowie über zahlreiche "Spezialorgane".

Ebenfalls "unsichtbar" bleibt - mit Ausnahme der Nennung von Regionalkommissionen des Wirtschafts- und Sozialrats, die ihrerseits jedoch noch etwa 50 Nebenorgane haben - die regionale Ausdifferenzierung; dies gilt sowohl für die VN und ihre Spezialorgane (das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) verfügt über mehr als 140 Standorte "im Feld") als auch für die Sonderorganisationen mit ihrer Vielzahl von Regionalbüros (im Falle der UNESCO etwa 50). Neben der formalrechtlichen Zuordnung der einzelnen VN-Institutionen können funktionale Unterscheidungen vorgenommen werden, nämlich: - in Institutionen mit allgemeiner Ausrichtung, wie die VN mit der Vielzahl ihrer Spezialorgane und die vier "großen" Sonderorganisationen FAO für Ernährung und Landwirtschaft, ILO für Arbeit, UNESCO für Bildung, Wissenschaft und Kultur, UNIDO für Industrialisierung und WHO für Gesundheit, die - obwohl mit der selektiven Wahrnehmung bestimmter ökonomisch-sozialer Probleme beauftragt - tendenziell alle Aspekte behandeln; - in die sogenannten technischen Sonderorganisationen mit sehr hohen Mitgliederzahlen sowie relativ kleinen Haushalten, die in Bereichen des weltweiten Interesses allgemeine Regeln aufstellen und überwachen (UPU für den Weltpostverkehr, ITU für die Telekommunikation, IMO für die internationale Schifffahrt, WMO für die Wettervorhersagen, WIPO für das geistige Eigentum sowie die IAEA für die Atomenergie); und - in die sogenannten Währungs- und Finanz-Organisationen mit ihren Besonderheiten hinsichtlich Mitgliedschaft, Finanzierung und internen Entscheidungsregeln (IMF, IBRD, IDA, IFC, ferner auch IFAD).

Wenn von der Vielzahl der Institutionen des VN-Systems die Rede ist, dann handelt es sich in den meisten Fällen um zwischenstaatliche Organisationen, in denen die Vertreter von Regierungen mitwirken. Aber es gibt auch Ausnahmen, wie z.B. Experten-Ausschüsse, zu denen auch der Rat der UNU gehört. Auch die "Grenzen" des VN-Systems lassen sich keinesfalls eindeutig festlegen, wenn man z.B. an das weltweite Netzwerk der Universitäten und Forschungseinrichtungen denkt, die der UNU angeschlossen sind.

Im Jahre 1945, als die Charta der Vereinten Nationen verabschiedet und innerhalb kurzer Zeit ratifiziert wurde, ging man von einer recht einfachen Struktur aus, bestehend aus einem Innen- und Außenbezug. Im Innenverhältnis befinden sich die sechs Hauptorgane (Artikel 7, Absatz 1 der Charta), die je nach Bedarf Nebenorgane einsetzen können (Artikel 7, Absatz 2 der Charta). Umgeben werden sollten die Hauptorgane von einem Schirm von Sonderorganisationen, mit denen sehr enge Beziehungen bestehen (vgl. Artikel 57, 58 und 63 der Charta).

Im Folgenden sollen zunächst die sechs Hauptorgane mit ihren Nebenorganen kurz beschrieben werden. Ein weiterer Abschnitt ist den Spezialorganen gewidmet, einer weiteren Kategorie von Nebenorganen der Generalversammlung. Dann folgt eine Übersicht zu den Sonderorganisationen. Im abschließenden Teil soll auf die Koordinierungsprobleme und Reformbemühungen eingegangen werden.

Hauptorgane der Vereinten Nationen

In der Charta werden die sechs Hauptorgane in der Reihenfolge Generalversammlung, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat, Treuhandrat, Internationaler Gerichtshof und Sekretariat genannt.

Kapitel IV der Charta regelt Zusammensetzung, Aufgaben und Befugnisse sowie Abstimmung und Verfahren der Generalversammlung, die im VN-System eine organisatorisch-institutionelle Zentralstellung einnimmt. Sie besteht als einziges Hauptorgan aus Vertretern aller 191 Mitgliedstaaten der Organisation, die je eine Stimme haben (Prinzip des "one state - one vote"), und kann "alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die in den Rahmen dieser Charta fallen" (Artikel 10 der Charta). Eine Einschränkung ihrer Zuständigkeiten erfährt sie jedoch in Artikel 12 Absatz 1 der Charta: "Solange der Sicherheitsrat in einer Streitigkeit oder einer Situation die ihm in dieser Charta zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt, darf die Generalversammlung zu dieser Streitigkeit oder Situation keine Empfehlung abgeben, es sei denn auf Ersuchen des Sicherheitsrats." Die Generalversammlung entscheidet über die Zusammensetzung der anderen Hauptorgane und übt Kontrolle über den Haushalt (2004 - 2005: 3,161 Mrd. US-Dollar), die Beitragstabelle, welche die anteiligen Pflichtbeiträge zum Haushalt enthält (2004 - 2006: USA: 22 Prozent, Japan: 19,468 Prozent, Deutschland: 8,662 Prozent), und die Administration der VN aus.

Wegen der großen Zahl der Tagesordnungspunkte (etwa 150), welche die Generalversammlung alljährlich behandelt, hat sie sechs Hauptausschüsse eingerichtet, die ihren wichtigsten Arbeitsbereichen entsprechen. Die Struktur der Generalversammlung ist jedoch noch weitaus komplexer: Es bestehen außerdem noch vier Ständige und Verfahrensausschüsse sowie 31 andere Nebenorgane, welche die Generalversammlung unterstützen und zum größten Teil ständige Einrichtungen sind (u.a. Rechnungsprüfungsausschuss, Internationale Völkerrechtskommission, VN-Verwaltungsgericht, Kommission für den öffentlichen Dienst), ferner Menschenrechtsgremien (Vertragsorgane), die durch einen gesonderten völkerrechtlichen Vertrag eingesetzt worden sind, sowie zahlreiche Spezialorgane, d.h. weitgehend autonome Nebenorgane, die zur Wahrnehmung operativer Tätigkeiten gegründet worden sind.

Dem Sicherheitsrat - bestehend aus 15 Mitgliedern, davon fünf ständigen (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) und seit 1966 zehn, vorher sechs nicht-ständigen Mitgliedern, die für jeweils zwei Jahre von der Generalversammlung nach einem Regionalschlüssel gewählt werden - wurde die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen (Artikel 24, Absatz 1 der Charta). Die politische Bedeutung der fünf ständigen Mitglieder wird verstärkt durch das sogenannte Veto-Recht: Mit Ausnahme von Verfahrensfragen bedürfen Beschlüsse des Sicherheitsrats der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständiger Mitglieder. Zwar wird die Zulassung neuer Mitglieder durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Generalversammlung beschlossen, bedarf aber einer vorhergehenden Empfehlung des Sicherheitsrats. Auch der VN-Generalsekretär kann nur auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung ernannt werden.

Der Sicherheitsrat ist das einzige Hauptorgan, das Entscheidungen treffen kann, die für alle VN-Mitgliedstaaten bindend sind. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist der Sicherheitsrat zum zentralen Instrument der Konfliktverhütung und -lösung geworden. Über eine Erweiterung auf 24 Mitglieder und eine geographisch gerechtere Verteilung wird seit langem diskutiert, konnte aber noch kein Konsens hergestellt werden (als zusätzliche ständige Mitglieder werden Deutschland und Japan sowie je ein Staat aus Afrika, Asien und Lateinamerika genannt). Nach Artikel 29 der Charta kann der Sicherheitsrat Nebenorgane einsetzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, werden diese neben den 16 Friedensoperationen in Abbildung 1 zahlenmäßig aufgeführt.

Der Wirtschafts- und Sozialrat, das dritte Hauptorgan, besteht seit 1971 aus 54 Mitgliedern (ursprünglich waren es 18, seit 1965 27 Mitglieder), von denen alljährlich 18 von der Generalversammlung für eine dreijährige Amtszeit wiedergewählt werden. Ausscheidende Mitglieder sind unmittelbar wiederwählbar. Die Aufgaben des Rats (Artikel 62 - 66 der Charta) sind sehr breit gefächert. Er stellt das Bindeglied zu den 17 autonomen Sonderorganisationen dar, mit denen Beziehungsabkommen bestehen (vgl. Abb. 1 und 2).

Um seine umfangreichen Aufgaben bewältigen zu können, zu denen u.a. acht funktionale Kommissionen (darunter die Menschenrechtskommission und die Kommission für soziale Entwicklung), fünf Regionalkommissionen, zwei ständige Ausschüsse (Programm- und Koordinierungsausschuss sowie NGO-Ausschuss) sowie neun Sachverständigen- und Ad-hoc-Ausschüsse gehören, verfügt der Rat aufgrund seines breit gefächerten Mandats über einen sehr stark ausdifferenzierten organisatorischen "Unterbau".

Nach Artikel 60 der Charta ist für die internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet "die Generalversammlung und unter ihrer Autorität der Wirtschafts- und Sozialrat verantwortlich". Dies bedeutet, dass der Rat nur auf Anweisung der Generalversammlung tätig werden darf. Seit langem steht der Rat im Kreuzfeuer der Kritik, weil er seine Aufgaben nicht angemessen wahrnehmen kann. Versuche, zumindest die Rolle eine Forums für weltwirtschaftliche Probleme auszuüben, scheiterten bereits Anfang der sechziger Jahre. Obwohl sich hochrangige Vertreter der Bretton-Woods-Institutionen und der Welthandelsorganisation (WTO) gegenwärtig alljährlich an einem Dialog ausgewählter Probleme beteiligen, bleibt es beim Austausch von Meinungen. Die eigentlichen Entscheidungen werden auf den Jahrestreffen der G-7/G-8 getroffen. Seit Mitte der achtziger Jahre werden Vorschläge diskutiert, den Rat durch einen "Wirtschafts-Sicherheitsrat" mit begrenzter Mitgliedschaft (etwa 24 Staaten) zu ersetzen.

Der Treuhandrat, ebenfalls der Generalversammlung untergeordnet, hatte die Aufgabe, Hoheitsgebiete, "deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben", in die Unabhängigkeit zu führen. Seit dem 1.November 1994 hat der Rat mit der Unabhängigkeit des letzten Treuhandgebietes, Palau, seine Tätigkeit offiziell eingestellt. Gegenwärtig wird der Vorschlag diskutiert, dieses Hauptorgan ersatzlos aus der Charta zu streichen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) mit Sitz in Den Haag ist zwar den anderen Hauptorganen gleichgestellt, besitzt aber innerhalb des VN-Systems eine unabhängige Stellung. Der IGH besteht aus 15 unabhängigen Richtern verschiedener Staatsangehörigkeit, die von der Generalversammlung und vom Sicherheitsrat in geheimen Wahlgängen auf neun Jahre gewählt werden. Der IGH ist zuständig für Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten; er kann nur dann tätig werden, wenn die Staaten seine Gerichtsbarkeit gegenseitig anerkannt haben. Der IGH kann ferner Rechtsgutachten auf Ersuchen des Sicherheitsrats, der Generalversammlung oder von Sonderorganisationen (mit Genehmigung durch die Generalversammlung) erstatten.

Das Sekretariat ist das sechste Hauptorgan der VN. Der Generalsekretär (seit 1997: Kofi Annan, Ghana) ist der höchste Verwaltungsbeamte der Organisation und nimmt an allen Sitzungen der Generalversammlung, des Sicherheitsrats und des Wirtschafts- und Sozialrats teil. Bei der Ernennung der Beamten des Sekretariats ist sowohl ein "Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlicher Eignung und Ehrenhaftigkeit zu gewährleisten" als auch eine "möglichst breite geographische Grundlage vorzunehmen" (Artikel 101 der Charta).

Spezialorgane der Vereinten Nationen

Bei den Spezialorganen handelt es sich um Nebenorgane der Generalversammlung, die von ihr zur Wahrnehmung spezieller Tätigkeiten eingesetzt werden. Ihre Zahl ist vor allem in den sechziger Jahren bedeutend angewachsen und überstieg Anfang der siebziger Jahre deutlich die Zahl der Sonderorganisationen. Größtenteils handelt es sich um Institutionen zur Finanzierung und Durchführung von humanitären und entwicklungspolitischen Programmen sowie von Ausbildungs- und Forschungsaktivitäten (vgl. Abb. 1 der PDF-Version).

In der Entstehungsgeschichte der Spezialorgane spiegelt sich deutlich die Verlagerung des Schwergewichtes in der Tätigkeit der Generalversammlung und damit der Vereinten Nationen auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Entwicklungsländer wider, die seit Ende der fünfziger Jahre in zunehmendem Maße unabhängig und Mitglieder der Vereinten Nationen wurden. Viele dieser Institutionen sollten eigentlich Sonderorganisationen werden, was vor allem auf den Widerstand der westlichen Industrieländer stieß. Im Unterschied zu den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen verfügen die Spezialorgane weder über eine eigene völkerrechtliche Grundlage noch über eine eigene Rechtspersönlichkeit, zumindest aber über eine beschränkte Rechtsfähigkeit.

Oftmals werden die Spezialorgane auch als "quasi-autonome" Institutionen bezeichnet, da die Generalversammlung nur in wenigen Fällen diesen Organen ausdrücklich einen autonomen Status eingeräumt hat. In ihrem Handeln gegenüber Dritten werden die meisten Spezialorgane als autonome Institutionen tätig, die mit einem, meist aus Regierungsvertretern bestehenden politischen Steuerungsorgan und einem eigenen Sekretariat eine komplexe Organisationsstruktur aufweisen und ihre Aktivitäten durch freiwillige staatliche und in einigen Fällen (z.B. UNICEF) auch private Beiträge finanzieren. In diesem Finanzierungsmodus unterscheiden sich die Spezialorgane gegenüber den VN und den Sonderorganisationen. Sie besitzen keine entsprechende Haushaltsautonomie mit eigener Mitgliedschaft und Pflichtbeiträgen (in einigen Fällen werden die Verwaltungsausgaben vom VN-Haushalt getragen). Ihre "ökonomische" Bedeutung im VN-System darf jedoch nicht unterschätzt werden. Während 2003 die Pflichtbeiträge für die Sonderorganisationen (ohne Bretton-Woods-Institutionen) insgesamt 1,761 Mrd. US-Dollar betrugen, erreichten die Netto-Auszahlungen der Spezialorgane 3,467 Mrd. US-Dollar.

Sonderorganisationen der VN

Nach der Charta der Vereinten Nationen sind Sonderorganisationen zwischenstaatliche internationale Organisationen, die mit den Vereinten Nationen durch einen Vertrag gemäß Artikel 63 der Charta in Beziehung gebracht werden, um die in Artikel 55 der Charta genannten Ziele der Vereinten Nationen zu fördern, nämlich:
"a) die Förderung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg;
b) die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Erziehung;
c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion."

Mit der Gründung der Vereinten Nationen wurden die Voraussetzungen für einen breiten Schirm von Sonderorganisationen geschaffen, die "auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten weitreichende, in ihren maßgebenden Urkunden umschriebene internationale Aufgaben zu erfüllen haben" (Artikel 57 der Charta).

Organisationen wie der Weltpostverein (UPU) und die Internationale Fernemeldeunion (ITU), die bereits lange vor dem Völkerbund gegründet wurden und mit diesem nicht in einer rechtlichen Verbindung standen, erhielten ebenso den Status von Sonderorganisationen der VN wie die gemeinsam mit dem Völkerbund geschaffene Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Andere internationale Organisationen, die mit dem Völkerbund in Verbindung standen, wurden zu Sonderorganisationen zusammengelegt oder durch neugeschaffene Sonderorganisationen ersetzt.

Eine entscheidende Grundidee bestand in der Annahme, dass durch die Zusammenarbeit auf den oben genannten Gebieten bestehende Konflikte und Kriegsgefahren schrittweise abgebaut werden könnten. Dieser "funktionalistische" Ansatz forderte daher ein stärkeres Engagement der Mitgliedstaaten bei der Lösung konkret-praktischer Probleme. Artikel 56 der Charta sieht ausdrücklich vor, dass alle Mitgliedstaaten sich verpflichten, gemeinsam und jeder für sich zusammenzuarbeiten, um die in dem oben zitierten Artikel 55 der Charta dargelegten Ziele zu erreichen.

Die Ziele und Aufgaben der Sonderorganisationen als Fachorganisationen, die auf ihren Gebieten der übergeordneten Zielsetzung der VN, nämlich der Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, dienen sollen, sind breit gefächert (vgl. Abb. 2 der PDF-Version). Praktisch gibt es keine Tätigkeit eines Staates, die nicht in den Kompetenzbereich einer der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen fällt. Insofern stellt dieser breit gefächerte Schirm der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen einen Tätigkeitsrahmen dar, der sich zum Beispiel in der Vielzahl der Bundesministerien in Deutschland wiederfindet.

In den fast einheitlich abgefassten Abkommen gemäß Artikel 63 der Charta werden sowohl die Bedingungen zur Koordinierung der Tätigkeit der einzelnen Sonderorganisationen und der VN als auch die Bedingungen zur Koordinierung zwischen den einzelnen Sonderorganisationen präzisiert. Sie enthalten u.a. ein gegenseitiges Recht zum Vorschlag der Aufnahme von Fragen in die Tagesordnung, eine Verpflichtung der Sonderorganisationen, Empfehlungen der VN den zuständigen Organen der Sonderorganisationen zwecks Beschlussfassung zuzuleiten und auch sonstige Organe der VN in ihren Aufgaben zu unterstützen, ferner das gegenseitige Recht auf Austausch von Materialien und Dokumenten sowie Bestimmungen über die Koordination der Verwaltungsdienste und technischen Dienste sowie den Austausch von statistischen Materialien, um Doppelarbeit für die Mitgliedstaaten, die Sonderorganisationen und die VN zu vermeiden. Es soll auch ein möglichst einheitliches internationales Personalrecht geschaffen werden, um den Austausch von Personal zu ermöglichen. Außerdem besitzen die Sonderorganisationen sowohl untereinander bei den Sitzungen der Plenarorgane als auch bei den Sitzungen des Wirtschafts- und Sozialrates Gast- und Rederecht. Da ihre Vertreter jedoch hinter den Mitgliedstaaten sitzen, hat die Beteiligung deutlich abgenommen und nicht zu der gewünschten Kommunikation und Kooperation geführt.

Die Mitgliedschaft in einer oder mehreren Sonderorganisationen setzt nicht notwendigerweise eine Mitgliedschaft in den VN voraus, obwohl umgekehrt eine Mitgliedschaft in den VN eine Mitgliedschaft in einigen Sonderorganisationen fast automatisch erlaubt (z.B. WHO, UNESCO). Die Bundesrepublik Deutschland war z.B. lange vor ihrem Beitritt am 18. September 1973 zu den Vereinten Nationen Mitglied aller Sonderorganisationen. Ebenso wie für die VN, so gilt auch für alle Sonderorganisationen das Prinzip einer universellen Mitgliedschaft, das jedoch bei einigen von ihnen erst Ende der neunziger Jahre erreicht wurde. Dies galt u.a. für die monetären Organisationen, wie den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbankgruppe (IBRD, IFC, IDA), in denen aufgrund des gewichteten Stimmrechts zahlreiche ehemalige sozialistische Staaten und Entwicklungsländer eine Mitgliedschaft lange Zeit nicht anstrebten. Heute gilt für alle Sonderorganisationen, dass das Prinzip der universellen Mitgliedschaft im Prinzip verwirklicht ist.

Die Tatsache, dass es sich bei den Sonderorganisationen um staatliche Institutionen auf der Grundlage von Regierungsabkommen handelt, bedeutet keinesfalls, dass nur Staaten Mitglied werden können. Einige von ihnen, wie z.B. FAO, ITU, UPU, UNESCO und WHO, lassen auch Territorien als assoziierte Mitglieder zu, die (noch) nicht die Merkmale eines Staates aufweisen. Eine Besonderheit weist die ILO auf, welche von Anfang an das Prinzip der Dreigliedrigkeit (2:1:1) eingeführt hat, wonach jeder Mitgliedstaat durch zwei Regierungsvertreter sowie je einen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Vertreter im Plenarorgan vertreten ist. Auch in den anderen Entscheidungsorganen der ILO wird dieses Prinzip 2:1:1 aufrechterhalten. Relativ neu ist die 1991 bei der FAO eingeführte Option, als Organisation Mitglied zu werden (member organization); derzeit ist lediglich die Europäische Union (EU) als "regional economic integration organization" aufgenommen, wobei - je nach Gegenstand der Tagesordnung - entweder die EU, vertreten durch die Kommissionen, mit 25 Stimmen oder die EU-Mitglieder als FAO-Mitgliedstaaten einzeln abstimmen dürfen.

Obwohl jede Sonderorganisation ihre eigene Satzung/Verfassung hat, deren Inhalt vor allem von den Zielen und Aufgaben der Organisation abhängt, soll hier vor allem vergleichend auf die Gemeinsamkeiten eingegangen werden. In allen Sonderorganisationen existiert ein Plenarorgan, in dem jeweils alle Mitgliedstaaten vertreten sind. In der Mehrzahl der Sonderorganisationen haben im Plenarorgan alle Staaten jeweils eine Stimme. Ausnahmen hierzu bilden die Finanzorganisationen (IMF, IBRD, IDA, IFC), in denen die Stimmen gewichtet sind und von der Höhe der Einlagen der Einzelmitglieder abhängen. Auch beim IFAD ist dies der Fall. Die Treffen finden alljährlich (IMF, ILO, Weltbank-Gruppe, WHO) oder alle zwei Jahre (z.B. FAO, UNESCO) oder sogar in größeren Intervallen statt (z.B. ICAO, ITU, UPU). Ferner haben die Sonderorganisationen eine Exekutiv-Körperschaft (Council, Board), die für die Überwachung der Durchführung der Politik zwischen den Sitzungen des Plenarorgans verantwortlich ist. Schließlich existiert in allen Organisationen ein Mitarbeiterstab (Sekretariat), an dessen Spitze ein Generalsekretär oder -direktor steht, der auf mindestens drei und höchstens sechs Jahre gewählt wird und - von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. ITU, UNESCO, UPU) - unbegrenzt wiedergewählt werden kann.

Koordinierungsprobleme

Die VN-Charta geht von der Konzeption eines dezentralisierten und funktional ausdifferenzierten Gesamtsystems aus; daher entstanden im Laufe der Geschichte des VN-Systems zahlreiche Koordinierungsgremien auf unterschiedlichen Ebenen des Systems. Dabei sind drei komplementäre Ansätze zu unterscheiden:

  • zwischenstaatliche Koordinierung durch die Generalversammlung und den ihr zugeordneten Beratenden Ausschuss für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ; Advisory Committee for Administrative und Budgetary Questions) einerseits und durch den Wirtschafts- und Sozialrat und seinen 1962 als Sonderausschuss gegründeten Programm- und Koordinierungsausschuss (CPC; Committee for Programme and Co-ordination) andererseits, der seit 1987 als "Vorschalt-Stelle" bei der Festlegung des VN-Haushalts im Konsensus-Prinzip eine herausragende Stellung einnimmt;

  • inter-institutionelle Koordinierung vor allem durch den Verwaltungsausschuss für Koordinierung (ACC; Administrative Committee on Co-ordination), 2001 nicht nur umgenannt in Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen des VN-Systems (CEB; Chief Executives Board for Coordination), sondern auch erweitert um die Leiter der Spezialorgane und der Welthandelsorganisation, aber auch durch die 1974 von der Generalversammlung gegründete (Experten-)Kommission für den internationalen öffentlichen Dienst (ICSC; International Civil Service Commission) und durch die Zusammenkunft der externen Prüfer (Joint Panel of External Auditors); sowie

  • die Gemeinsame Inspektionsgruppe (JIU; Joint Inspection Unit), die - 1968 eingerichtet - seit 1978 ein unabhängiges Kontrollsystem zur Überprüfung von Verwaltungs-, Personal- und Management-Problemen innerhalb des VN-Systems darstellt, an dem sich die Bretton-Woods-Organisationen und der IFAD allerdings nicht beteiligen. Zu nennen ist hier auch das 1994 eingerichtete Amt für Interne Aufsichtsdienste (OIOS; Office of Internal Oversight Services), das allerdings nur für die VN und die ihr zugeordneten Spezialorgane zuständig ist.

    Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Probleme der Koordinierung angesichts der Aufgabenverschiebung und des Wachstums des Institutionengefüges vor allem in den sechziger und siebziger Jahren trotz aller Bemühungen um angemessene Lösungsmechanismen eher zugenommen haben. Dabei handelt es sich um vielfältige Koordinierungsprobleme sowohl auf als auch zwischen den einzelnen Ebenen des VN-Systems. Dies liegt unter anderem daran, dass die Regierungsvertreter in den verschiedenen Institutionen des VN-Systems aus unterschiedlichen nationalen Ministerien kommen, die sich ihrerseits durch einen Mangel an nationaler Koordinierung ihrer VN-Politik auszeichnen. Einerseits ist davon auszugehen, dass das VN-System in seinen Funktionen und Strukturen stets eine unvollkommene Verallgemeinerung des modernen Nationalstaates auf der Weltebene darstellen wird, andererseits ist eine Verbesserung der Koordinierungsmechanismen nur denkbar, wenn die Mitgliedstaaten fähig und willens sind, entsprechende Defizite sowohl auf nationaler Ebene als auch auf den Ebenen des VN-Systems abzubauen.

    Über die Jahrzehnte hat das VN-System als Reaktion auf die stetig zugenommenen Anforderungen ein beträchtliches Wachstum erfahren. Dies bezieht sich sowohl auf die Zahl seiner Mitglieder als auch auf Umfang und Breite seiner Tätigkeiten. Dieser Expansionsprozess hat zu negativen Nebenwirkungen geführt, die in Mandatsüberschneidungen und Doppelarbeit einerseits und in Defiziten bei den benötigten Finanzmitteln andererseits zum Ausdruck kommen.

    Seit 1997 setzt sich Generalsekretär Kofi Annan für eine wirksame Koordinierung der Tätigkeiten des VN-Systems auf der Länderebene ein. Ziel ist es, dass die in jedem Staat tätigen Sonderorganisationen sowie Spezialorgane der Vereinten Nationen in der Lage sind, ihre Ressourcen zusammenzulegen und gemeinsame Programme durchzuführen. In seinem Ende März 2005 erschienenen Bericht beklagt er, dass "das System der Vereinten Nationen als Ganzes seine Dienste noch immer nicht so kohärent und wirksam (erbringt), wie die Bürger der Welt das brauchen und verdienen". Er spricht von strukturellen Zwängen, die es abzubauen gelte: "Zu ihrer Bewältigung werden wir mittel- und langfristig viel radikalere Reformen ins Auge fassen müssen, darunter etwa die Gruppierung der verschiedenen Organisationen, Fonds und Programme in straff verwaltete Einrichtungen, die sich jeweils mit Entwicklung, Umwelt beziehungsweise humanitären Maßnahmen befassen. Eine solche Neuordnung könnte bedeuten, dass Fonds, Programme und Organisationen, deren Mandate und Fachkompetenzen sich ergänzen oder überschneiden, aufgelöst oder zusammengelegt werden." Ob sich die Mitgliedstaaten dieser Forderung anschließen und an deren Umsetzung mitwirken werden, bleibt angesichts mangelnder Politik-Kohärenz in und zwischen den Mitgliedstaaten gegenüber dem VN-System jedoch abzuwarten.

Dr. rer. pol., geb. 1939; Universitätsprofessor a.D.,
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