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"Das Ewig Weibliche ist eine Lüge" (1976) - Interview | "Das andere Geschlecht" | bpb.de

"Das andere Geschlecht" Editorial Das Ewigweibliche endlich fallen lassen. Was sagt uns "Das andere Geschlecht" heute? "Das Ewig Weibliche ist eine Lüge" (1976) - Interview Simone de Beauvoir (1908-1986). Ein Kurzporträt Wie "Das andere Geschlecht" zu einer "Bibel" des Feminismus wurde Zur Ethik bei Simone de Beauvoir Die Philosophie der Individuation bei Simone de Beauvoir

"Das Ewig Weibliche ist eine Lüge" (1976) - Interview

Alice Schwarzer

/ 17 Minuten zu lesen

1976 interviewte Alice Schwarzer, prominenteste Vertreterin der zweiten Frauenbewegung in Westdeutschland, Simone de Beauvoir, die unter anderem über die Reaktionen auf "Das andere Geschlecht" und ihre Aktivitäten in der Frauenbewegung spricht.

1976 interviewte Alice Schwarzer, prominenteste Vertreterin der zweiten Frauenbewegung in Westdeutschland, Simone de Beauvoir. Zwischen 1972 und 1982 führte die Journalistin mit der Philosophin insgesamt fünf Gespräche. In diesem Gespräch erzählt Beauvoir unter anderem von den Reaktionen auf "Das andere Geschlecht" und ihren Aktivitäten in der Frauenbewegung.

Alice Schwarzer: Erst vor vier Jahren haben Sie zum ersten Mal erklärt, Sie seien Feministin. Sie, die Theoretikerin, die am entscheidendsten den neuen Feminismus beeinflußt hat, Sie waren bis zu Beginn der neuen Frauenbewegung Anti-Feministin. Das heißt, Sie waren gegen eine autonome Frauenbewegung und haben an eine sozialistische Revolution geglaubt und die daraus folgende automatische Lösung der Frauenfrage. Seither ist viel passiert. Sie selbst sind aktiv in der Frauenbewegung, und der Frauenkampf ist ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Das sogenannte Jahr der Frau scheint mir symptomatisch gewesen zu sein. Was meinen Sie?

Simone de Beauvoir – Wir Feministinnen haben schon oft gesagt, was wir davon halten. Man hat uns damit zum Narren gehalten und erniedrigt. Demnächst kommt das Jahr des Meeres, dann das Jahr des Pferdes, des Hundes und so weiter … Das heißt, man hält uns Frauen für Objekte, die es in dieser Männerwelt nicht wert sind, mehr als ein Jahr lang ernst genommen zu werden. Dabei sind wir die Hälfte der Menschheit. Es ist also folglich völlig grotesk, von einem Jahr der Frau zu sprechen. Alle Jahre müßten ein Jahr der Frau sein, Jahre des Menschen überhaupt …

Aber denken Sie nicht trotzdem, daß – im Gegensatz sicherlich zur ursprünglichen Absicht der Initiatoren – der offene Zynismus, mit dem die meisten Männer das Jahr der Frau zelebriert haben, so manche Frau empört hat und dadurch den Frauenkampf letztlich bestärkt?

– Ich denke, daß das nicht dem Jahr der Frau zu verdanken ist, sondern den Anstrengungen der Frauenbewegung. Also den nicht organisierten, nicht offiziellen Frauen. Das Jahr der Frau ist überhaupt erst gemacht worden, weil es schon eine Frauenbewegung gab. Um diese Bewegung zu vereinnahmen, sozusagen. Um die Wogen zu glätten. Das Jahr selbst hat uns überhaupt nicht weitergebracht. Die Frauen in Mexiko waren nichts weiter als Marionetten der Männerpolitik. Was am deutlichsten in dem Konflikt zwischen den Vertreterinnen Israels und denen der arabischen Länder wurde. Die einen sind so patriarchalisch wie die anderen, und der Islam sicher noch mehr als das Judentum.

Alice Schwarzer und Simone de Beauvoir bei Dreharbeiten 1973 (© Alice Schwarzer)

Könnte man nicht dennoch sagen, daß trotz alledem dieses Jahr der Frau auch etwas genutzt hat?

– Sicherlich. Grundsätzlich ist ja zu sagen, daß auch ganz erbärmliche Reformmaßnahmen immer etwas bringen, aber eben auch gefährlich sind. Das beste Beispiel ist das neue französische Abtreibungsgesetz. Das ist eine gänzlich unzureichende Maßnahme, die nur in Reaktion auf unseren Kampf hin erfolgte. [In Frankreich wurde 1975 die Abtreibung in den ersten zehn Wochen freigegeben. AS.] Das hat Herr Giscard d’Estaing gemacht, der modern tun will, das heißt nicht tatsächliche Privilegien angreift, sondern nur einige Tabus ankratzt. Gut. Das ist also eine Maßnahme, die einerseits überhaupt nichts Grundsätzliches verändert. Sie verträgt sich durchaus mit einer kapitalistischen und patriarchalischen Welt (der beste Beweis dafür ist, daß die freie Abtreibung auch in Japan und in den USA existiert). Aber dennoch ist eine solche Reform nicht zu unterschätzen. Sie erleichtert Frauen viele akute Probleme und ist auch ein Anfang. So wie die Pille es war. Aber ebenso wie die Pille, die die Gesundheit der Frauen gefährdet und Frauen verstärkt zur alleinigen Verantwortung für die Verhütung drängt, kann auch die freie Abtreibung zum Bumerang werden. Mit einer Gegenattacke der Männer muß in einer männerbeherrschten Welt grundsätzlich gerechnet werden. Sie werden es benutzen, um eine zusätzliche Unterdrückung daraus zu machen. Sie werden sagen. "Jetzt, wo keine Gefahr mehr ist, kannst du mich doch ranlassen. Du brauchst doch nur abzutreiben …"

1971 gehörten Sie zu den Frauen, die sich öffentlich angeklagt haben, abgetrieben zu haben. Seither haben Sie an etlichen Initiativen und Aktionen von Feministinnen teilgenommen. Wie sehen Ihre Beziehungen zu den jungen Feministinnen aus?

– Das sind eher Kontakte zu einzelnen Frauen, die mir persönlich und politisch nahestehen, weniger zu Gruppen oder Tendenzen. Mit ihnen arbeite ich an präzisen Projekten. Das heißt, ich bin weniger eine Militante im engeren Sinne – ich bin ja keine 30 mehr, sondern 67 und eine Intellektuelle, deren Tat das Wort ist –, sondern verfolge die Aktivitäten der Frauenbewegung aus nächster Nähe und stehe ihr zur Verfügung. So machen wir bei "Les Temps Modernes" regelmäßig zusammen eine Seite über den "alltäglichen Sexismus". Außerdem fungiere ich als Präsidentin der "Liga für Frauenrechte", und ich unterstütze die Versuche, Häuser für geschlagene Frauen zu schaffen. Das finde ich besonders wichtig, denn das Problem der Gewalt geht fast alle Frauen an – unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit. Das ist wie mit der Abtreibung, das geht durch alle Klassen. Frauen werden ja von Ehemännern, die Richter sind, ebenso geschlagen wie von Ehemännern, die Hilfsarbeiter sind. Wir haben jetzt ein "SOS der geschlagenen Frauen" gegründet. Und wir versuchen, Häuser zu bekommen, um wenigstens vorübergehend einer solchen Frau und ihren Kindern helfen zu können. Denen, die nicht mehr nach Hause können, weil sie da geprügelt werden – nicht selten zu Tode. Nach langem Hin und Her bekommen wir jetzt ein Haus bei Paris von der Gemeinde zur Verfügung gestellt …

Von Ihnen als Theoretikerin, Simone, haben die Feministinnen viel gelernt. Haben auch Sie etwas von uns gelernt?

– Ja! Sehr viel! Sie haben mich in vielen meiner Ansichten radikalisiert! Ich, ich war daran gewöhnt, in dieser Welt zu leben, wo die Männer so sind, wie sie sind: nämlich Unterdrücker. Ich selbst habe, glaube ich, noch nicht einmal allzu sehr darunter gelitten. Ich bin den meisten typisch weiblichen Sklavenarbeiten entgangen, war nie Mutter und nie Hausfrau. Und beruflich gehörte ich zu den Privilegierten, denn zu meiner Zeit gab es noch weniger Frauen, die Lehrerin für Philosophie waren. Da wurde man auch von den Männern anerkannt. Ich war eine Ausnahmefrau, und – ich habe es akzeptiert. Heute weigern sich die Feministinnen, Alibi-Frauen zu sein. Und sie haben recht! Man muß kämpfen! Was sie mir vor allem beigebracht haben, ist die Wachsamkeit. Nichts durchgehen lassen! Selbst nicht die banalsten Dinge, diesen alltäglichen Sexismus, den wir so gewöhnt sind. Das fängt schon bei der Sprache an.

"Das andere Geschlecht", das sozusagen die "Bibel" des Feminismus ist (allein in Amerika über eine Million verkaufter Exemplare), war ursprünglich eine rein intellektuelle und theoretische Arbeit, keine Streitschrift. Wie waren da eigentlich die Reaktionen, als es 1949 erschien?

– Sehr heftig! Sehr gegen mich! Sehr, sehr feindselig!

Von welcher Seite?

– Von allen Seiten. Vielleicht waren wir auch ein wenig ungeschickt. Wir haben nämlich noch vor Erscheinen des Buches das Kapitel über Sexualität in "Les Temps Modernes" veröffentlicht. Das hat vielleicht einen Sturm ausgelöst! Von einer Vulgarität … Mauriac zum Beispiel schrieb prompt an einen Freund, der mit uns zusammen bei "Les Temps Modernes" arbeitet: "Oh, ich habe bei der Lektüre gerade so einiges über die Vagina Ihrer Chefin erfahren …" Und Camus, der damals noch ein Freund war, tönte: "Sie haben den französischen Mann lächerlich gemacht!" Ich habe Professoren gesehen, die das Buch quer durch den Hörsaal schmissen, weil sie es nicht ertragen konnten, es zu lesen, und wenn ich ins Restaurant ging, angezogen wie immer – nämlich eher "weiblich", wie es meine Art ist –, dann guckten die Leute und tuschelten: "Aha, das ist sie … Ich dachte, daß … Also wird sie beides sein …" Mir ging nämlich damals ein saftiger Ruf als Lesbe voraus. So ist das eben: Eine Frau, die es wagt, solche Dinge zu sagen, die kann ja nicht "normal" sein. Auch die Kommunisten haben mich fertiggemacht, haben mich "bourgeoise" geschimpft und behauptet: "Den Arbeiterinnen in Billancourt ist das, was Sie da erzählen, schnuppe." – Was nicht stimmte! Ich hatte also weder die Rechten noch die Linken.

Einige sind sogar so weit gegangen zu sagen, nicht Sie, sondern Sartre hätte Ihre Bücher geschrieben. Und auf jeden Fall sind selbst Sie für die öffentliche Meinung – die ja männerbeherrscht ist – immer das "relative Wesen" geblieben, das Sie im "Anderen Geschlecht" analysiert haben. Das heißt, sie sind die Frau geblieben, die nicht selbst, sondern nur in Relation zum Mann existiert, nämlich: "die Lebensgefährtin Sartres". Sartre hingegen als den "Lebensgefährten Beauvoirs" zu bezeichnen – undenkbar!

– Genau. Vor allem in Frankreich waren sie völlig entfesselt. Im Ausland ging es besser. Eine Ausländerin, die toleriert man leichter. Das ist weit weg und darum weniger bedrohlich.

Die Beziehung zwischen den Linken und den Feministinnen hat sich nicht gebessert. Im Gegenteil. Ich würde sogar sagen, es ist schlimmer geworden. Die meisten Genossen haben dermaßen ihren "Überlegenheits-Komplex" verinnerlicht (wie Sie selbst es einmal genannt haben), daß sie die Feministinnen, die sich immer als Teil der Linken begriffen haben, grundsätzlich als "bürgerlich" oder "reaktionär" diffamieren. Der Geschlechterwiderspruch sei nur ein "Nebenwiderspruch", heißt es, und spalte den Klassenkampf, den "Hauptwiderspruch".

– Die armen Lieblinge, sie können fast nicht anders. Auch Genossen sind Paschas. Die haben das dermaßen im Blut … Das ist auch so einer der großen Männertricks, das mit dem Nebenwiderspruch. Der Widerspruch Frau/Mann ist genauso wesentlich wie jeder andere. Da steht immerhin die Hälfte der Menschheit gegen die andere Hälfte. Beide, Geschlechter- und Klassenwiderspruch, sind wichtig. Das ist sehr komplex, und die Frauenbewegung muß eine Verbindung zwischen beiden finden. Grundsätzlich ist auch zu sagen, daß die Vorstellung von der Vorrangigkeit des Klassenkampfes überhaupt zunehmend fragwürdig ist, auch für Linke. Es gibt heute so viele revolutionäre Kämpfe, die den Rahmen des Klassenkampfes sprengen. Der Kampf der Gastarbeiter zum Beispiel, die Autonomie-Bestrebungen der Regionen, die Jugendbewegung und der Kampf der Soldaten in den französischen Kasernen. Der Frauenkampf nimmt dabei einen besonderen Platz ein. Er geht durch alle Klassen. Sicher, die Unterdrückung der Frauen nimmt, je nach Klassenzugehörigkeit, unterschiedliche Formen an. So gibt es Frauen, die Opfer auf beiden Seiten sind: als Arbeiterin in der Fabrik und als Frau eines Arbeiters in der Küche. Andere erleiden nur eine dieser Unterdrückungen: nämlich als Ehefrau und Mutter. Aber selbst die nicht berufstätige Ehefrau eines bürgerlichen Mannes ist nicht privilegiert wie er: Sie landet sehr schnell im Proletariat, wenn ihr Mann sie verläßt. Dann steht sie da, ohne Beruf, ohne Qualifikation, ohne eigenes Geld … Das abzustreiten ist ein Männertrick, mit dem die Männer die Kämpfe unter sich aushandeln wollen; denn Klassenkämpfe, das sind Kämpfe unter Männern! Die Frauen, die Schätzchen, die dürfen höchstens mal dabei helfen. Anschließend werden sie wieder zurück in die Küche geschickt.

Ist die Lage der Frauen in den sozialistischen Ländern Ihrer Meinung nach gleich, besser oder schlechter?

– Zunächst muß gesagt werden, daß die sozialistischen Länder nicht wirklich sozialistisch sind: Nirgendwo hat man den Sozialismus realisiert, von dem Marx träumte. Man hat die Produktionsverhältnisse geändert. Heute wissen wir, daß die Veränderung der Produktionsverhältnisse nicht ausreicht, um wirklich die Gesellschaft und den Menschen zu ändern. Folglich bleiben trotz des unterschiedlichen ökonomischen Systems auch die traditionellen Mann-Frau-Rollen erhalten. Doch ich glaube nicht, daß die Situation der Frauen in den sozialistischen Ländern schlimmer ist. Im Gegenteil. Die Frauen werden dort mehr respektiert und respektieren sich auch selbst mehr. Denn sie arbeiten zu 95 Prozent außerhalb des Hauses und verachten alle Frauen, die das nicht tun. Sie sind also ökonomisch unabhängig und haben auch mehr Erleichterungen in Sachen Heirat, Scheidung oder bei unehelichen Kindern. Als berufstätige Frauen sind ihnen sehr viel interessantere Bereiche zugängig. Aber die sogenannten weiblichen Aufgaben haben sie trotzdem auf dem Buckel. Eine weibliche Führungskraft zum Beispiel muß in Rußland nach ihrer Arbeit beim Einkaufen Schlange stehen, um Essen für Mann und Kinder ranzuschaffen. Die Frauen in den sozialistischen Ländern sind darum müder – noch müder – als die Frauen in den kapitalistischen Ländern, aber sie werden mehr geschätzt. Sie haben das Recht auf gewisse "männliche" Privilegien – nicht auf alle – und behalten alle "weiblichen" Pflichten.

Glauben Sie an die Notwendigkeit einer Frauenbewegung in den sozialistischen Ländern?

– O ja! Aber ob das möglich ist … Ich weiß es nicht. Ich glaube, das würde sehr sehr schlecht aufgenommen in den sozialistischen Ländern, wo die Macht ja auch in Männerhand ist.

Kommen wir noch einmal kurz auf die Reaktionen auf Ihr Werk zurück. Ich weiß, daß Sie seit 30 Jahren täglich Briefe von Frauen aus der ganzen Welt erhalten. Für viele Frauen waren Sie, Simone, vor der Existenz des neuen kollektiven Frauenkampfes ein Idol, und Sie bleiben die Verkörperung unserer Revolte. Was übrigens sicher nicht nur mit Ihrer sehr tiefgreifenden und weitgehenden theoretischen Analyse zu tun hat, sondern auch mit Ihren autobiographischen Romanen, die Sie als eine Frau zeigten, die es wagt, zu existieren. – Meine Frage: Haben Sie etwas dazugelernt durch die zahlreichen Frauenreaktionen?

– Ich habe das unermeßliche Ausmaß der Unterdrückung begriffen! Es gibt Frauen, die sind tatsächlich eingekerkert! Und das ist nicht selten! Die schreiben mir heimlich, bevor der Mann nach Hause kommt … Die interessantesten Briefe kommen von Frauen zwischen 35 und 45, die geheiratet haben, das sehr schön fanden und jetzt verraten und verkauft sind … Sie fragen mich: "Was kann ich tun? Ich habe noch nicht einmal einen Beruf. Ich habe nichts. Ich bin nichts." Mit 18/20 heiratet man aus Liebe, und dann wacht man mit 30 auf – und da wieder rauszukommen, das ist sehr, sehr schwierig. Das hätte mir selbst passieren können, darum bin ich dafür so empfänglich.

Es ist immer sehr heikel, Ratschläge zu geben, aber wenn eine Frau Sie fragt …

– Ich glaube, eine Frau sollte sich vor der Falle der Mutterschaft und der Heirat hüten! Selbst wenn sie gern ein Kind hätte, muß sie sich gut überlegen, unter welchen Umständen sie es aufziehen müßte: Mutterschaft ist heute eine wahre Sklaverei. Väter und Gesellschaft lassen die Frauen mit der Verantwortung für die Kinder ziemlich allein. Die Frauen sind es, die aussetzen, wenn ein Kleinkind da ist. Frauen nehmen Urlaub, wenn das Kind die Masern hat. Frauen müssen hetzen, weil es nicht genug Krippen gibt … Und wenn Frauen trotz alledem ein Kind wollen, sollten sie es bekommen, ohne zu heiraten. Denn die Ehe, das ist die größte Falle.

Aber wenn Frauen schon verheiratet oder Mutter sind?

– In dem Interview mit Ihnen vor vier Jahren hatte ich gesagt, daß eine Hausfrau von 35 mehr oder weniger verloren sei. Darauf habe ich eine Menge sehr sympathischer Briefe bekommen, in denen Frauen mir schrieben: "Aber das stimmt überhaupt nicht! Wir können uns noch sehr gut wehren!" – Um so besser. Aber auf jeden Fall müßten sie versuchen, eine bezahlte Arbeit zu finden, um mindestens eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu haben.

Und die Hausarbeit? Was ist damit? Sollten Frauen sich weigern, mehr als die Männer im Haushalt und bei der Kindererziehung zu tun?

– Ja. Aber das genügt nicht. Für die Zukunft müssen wir andere Formen finden. Hausarbeit darf nicht mehr nur von Frauen, sondern muß von allen gemacht werden. Und – ganz wichtig! – sie muß aus der Isolierung heraus! Damit meine ich keine Vergesellschaftung der Arbeit des Stils, wie man ihn in der UdSSR zu einer gewissen Zeit praktiziert hat: nämlich Spezialtruppen, die dann die Arbeit machten. Das scheint mir sehr gefährlich zu sein, denn das Resultat ist eine noch schärfere Arbeitsteilung. Es gibt dann Leute, die ihr Leben lang kehren oder bügeln. Das ist keine Lösung. Sehr gut finde ich allerdings, was in einigen Gegenden von China zu existieren scheint, wo alle Leute – Männer, Frauen, sogar Kinder – sich an einem bestimmten Tag zusammentun und aus der Hausarbeit eine öffentliche Sache machen, die lustig sein kann. So waschen zum Beispiel alle zusammen zu einer bestimmten Stunde oder putzen. Es gibt ja keine Tätigkeit, die an sich erniedrigend ist. Alle Tätigkeiten sind gleichwertig. Es ist die Gesamtheit der Arbeitsbedingungen, die erniedrigend ist, Fenster putzen, warum nicht? Das ist genauso viel wert wie Schreibmaschine schreiben. Erniedrigend sind die Bedingungen, unter denen man das Fensterputzen verrichtet: in der Einsamkeit, der Langeweile, der Unproduktivität, der Nicht-Integration ins Kollektiv. Das ist es, was schlecht ist! Und auch diese Arbeitsteilung drinnen/draußen. Alles müßte sozusagen draußen sein!

Es gibt Strömungen in der Frauenbewegung, die – wie übrigens auch Stimmen in Parteien – einen Lohn für Hausfrauen fordern …

– Da bin ich ganz und gar dagegen! Versteht sich! Gut, vielleicht wären Hausfrauen, die aufgrund ihres Alters keine andere Möglichkeit mehr haben, zufrieden, einen Lohn zu bekommen. Aber auf lange Sicht würde das bedeuten, Frauen in dem Glauben zu bestärken, Hausfrau sein sei ein Beruf, sei eine akzeptable Art zu leben. Aber genau das, diese Verdammung der Frauen ins Hausfrauen- und Mutter-Getto, diese männlich-weibliche Arbeitsteilung von draußen und drinnen, das müssen Frauen ablehnen, wenn sie vollwertige Menschen werden wollen!

Die Argumentation einiger Frauen ist, daß durch die Forderung "Lohn für Hausarbeit" ein Bewußtsein für den Wert der Hausarbeit geschaffen würde

– Einverstanden! Aber so erreicht man das meiner Meinung nach nicht! Es sind die Bedingungen der Hausarbeit, die geändert werden müssen. So wie es jetzt abläuft, ist dieser Wert dermaßen mit den Bedingungen, mit dem Hausfrauen-Getto, verknüpft, daß eine Entlohnung einiges, aber nichts Fundamentales ändern würde. Die Hausarbeit muß mit den Männern geteilt werden, und sie darf nicht länger isoliert-privat, sondern muß öffentlich verrichtet werden. Sie muß in Gemeinschaften, in Kollektive integriert werden, wo alle zusammen arbeiten. Das Familien-Getto muß gesprengt werden!

Sie selbst, Simone, haben das Problem individuell gelöst. Sie haben keine Kinder und wohnen nicht mit Sartre zusammen, das heißt, Sie haben nie Hausarbeit für eine Familie oder einen Mann gemacht. Für Ihre Haltung zur Mutterschaft sind Sie oft angegriffen worden – auch von Frauen. Sie werfen Ihnen vor, etwas gegen die Mutterschaft zu haben.

– O nein! Ich habe nichts dagegen! Ich habe etwas gegen die Ideologie, die von allen Frauen verlangt, Mutter zu werden, und gegen die Umstände, unter denen Frauen Mutter sein müssen. Mutterschaft ist heute für Frauen eine böse Falle. Aus diesem Grund würde ich einer jungen Frau raten, nicht Mutter zu werden. Hinzu kommt eine schreckliche Mystifizierung der Mutter-Kind-Beziehung. Wenn die Leute dermaßen Wert auf Familie und Kinder legen, dann tun sie das, weil sie insgesamt in einer solchen Einsamkeit leben. Sie haben keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Freunde, niemanden. Sie sind allein. Also machen sie Kinder, um jemanden zu haben. Und das ist grauenhaft. Auch für das Kind. Man macht aus ihm einen Notstopfen, der die Leere füllen soll. Dabei geht das Kind, sobald es groß ist, ja doch weg. Es ist überhaupt keine Garantie gegen die Einsamkeit.

Sie sind oft gefragt worden: Bereuen Sie heute, kein Kind zu haben?

– O nein! Ich gratuliere mir jeden Tag dazu! Wenn ich die Großmütter sehe, die – anstatt endlich einmal ein bißchen Zeit für sich selbst zu haben – auf kleine Kinder aufpassen müssen … Das macht ihnen nicht immer nur Freude …

Eine andere Frage: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Sexualität, so wie sie heute abläuft, bei der Unterdrückung der Frauen?

– Ich denke, daß die Sexualität eine ziemlich schreckliche Falle sein kann. Nicht nur für die Frauen, die frigide gemacht werden – denn das ist vielleicht noch nicht einmal das Schlimmste für sie selbst. Am schlimmsten ist es für die Frauen, die das Unglück haben, Sexualität mit Männern so beglückend zu finden, daß sie mehr oder weniger abhängig von Männern werden. Diese Hörigkeit kann ein zusätzliches Glied in der Kette sein, die Frauen an Männer fesselt.

Wenn ich Sie recht verstehe, scheint Ihnen Frigidität bei den Macht-Ohnmacht-Beziehungen zwischen Mann und Frau für die Frauen eventuell eine vorsichtigere und angemessenere Reaktion, weil sie die Ohnmacht und das Unbehagen der Frauen spiegelt und Frauen weniger abhängig macht?

– Genau.

Es gibt Frauen in der Frauenbewegung, die sich in dieser männerdominierten Welt weigern, ihr Privatleben mit Männern zu teilen, also keine sexuellen und emotionalen Beziehungen mit Männern haben. Das heißt, diese Frauen machen aus der weiblichen Homosexualität eine politische Strategie. Was halten Sie davon?

– Ich verstehe sehr gut diese politische Ablehnung eines Kompromisses. Genau aus dem Grund, den ich gerade nannte. Weil nämlich die Liebe eine Falle sein kann, die Frauen vieles akzeptieren läßt. Im Namen der Liebe werden Frauen erniedrigt und ausgebeutet und lassen sich ausbeuten. Doch an sich ist die ausschließliche Homosexualität genauso einengend wie die Heterosexualität. Ideal wäre, ebenso gut eine Frau lieben zu können wie einen Mann, einfach ein menschliches Wesen. Ohne Angst, ohne Zwänge, ohne Verpflichtungen. Aber so wie es heute aussieht, verstehe ich sehr gut das große Mißtrauen, dessen Konsequenz für einige Frauen die Homosexualität ist. Mißtrauen gegen den Mann, aber auch gegen sich selbst – denn in den Beziehungen zwischen Frau und Mann ist nicht nur der Mann Chauvinist und Unterdrücker, sondern auch die Frau fällt oft in die masochistische Weibchen-Rolle.

Von Ihnen ist der berühmte Satz: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht." Heute kann diese "Fabrikation" der Geschlechter bewiesen werden. Ihr Resultat ist, daß Frauen und Männer sehr unterschiedlich sind: Sie denken unterschiedlich, fühlen unterschiedlich, gehen unterschiedlich … Doch dieser Unterschied ist nicht nur ein Unterschied, sondern beinhaltet die Minderwertigkeit der Frauen. Die sogenannten "männlichen" Qualitäten sind nicht zufällig die des herrschenden Geschlechts, und die "weiblichen" nicht zufällig die des beherrschten, denn sie sind leichter auszubeuten. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß sich eine neue Mystifikation des Ewig Weiblichen ankündigt.

– Es gibt sicherlich "weibliche" Qualitäten. Ich denke zum Beispiel, daß Frauen gewisse männliche Fehler abgehen. So das männlich Groteske – die Art, sich ernst zu nehmen, eitel zu sein, sich wichtig zu nehmen, und so weiter. Das heißt, Frauen, die eine Männerkarriere machen, können sehr gut auch diese Fehler annehmen. Aber sie haben trotzdem ein ganz klein wenig Humor, eine gesunde Distanz zu diesen Hierarchien. Und dann die Art, Konkurrenten zu zermalmen – im allgemeinen machen Frauen das nicht. Außerdem haben sie mehr Geduld – was bis zu einem gewissen Punkt eine Qualität ist, danach wird es ein Fehler. Und Ironie. Und eine ganz konkrete Art, denn Frauen sind aufgrund ihrer Rolle im täglichen Leben verwurzelt. Diese "weiblichen" Qualitäten sind also nicht angeboren, sondern resultieren aus unserer Unterdrückung. Aber wir könnten sie auch nach einer Befreiung bewahren – und die Männer müßten sie erlernen. Aber man darf nicht ins andere Extrem fallen: sagen, die Frau habe eine besondere Erdverbundenheit, habe den Rhythmus des Mondes und der Ebbe und Flut im Blut und all dieses Zeug … Sie habe mehr Seele, sei von Natur aus weniger destruktiv etc. Nein! Es ist etwas dran, aber das ist nicht unsere Natur, sondern das Resultat unserer Lebensbedingungen. Die so "weiblichen" kleinen Mädchen sind fabriziert und nicht geboren! Zahlreiche Untersuchungen beweisen es! Eine Frau hat a priori keinen besonderen Wert, nur weil sie Frau ist! Das wäre finsterster Biologismus und steht in krassem Gegensatz zu allem, was ich denke.

Und was bedeutet dieser Ruf nach der "Weiblichkeit"?

– Wenn man uns sagt "Immer schön Frau bleiben. Überlaßt uns nur all diese lästigen Sachen: Macht, Ehre, Karrieren … Seid zufrieden, daß ihr so seid: erdverbunden, befaßt mit menschlichen Aufgaben …" Wenn man uns das sagt, sollten wir auf der Hut sein! Einerseits ist es richtig, daß Frauen sich nicht mehr ihres Körpers schämen, nicht ihrer Schwangerschaft und ihrer Periode. Richtig, daß sie ihren Körper kennenlernen, zum Beispiel in den "self help"-Gruppen, die ich ausgezeichnet finde. All das ist sehr gut. Aber man darf keinen Wert an sich daraus machen, nicht glauben, der weibliche Körper verleihe einem eine neue Vision der Welt. Das ist lächerlich und absurd. Das hieße einen Gegen-Penis daraus machen. Frauen, die das glauben, fallen ins Irrationale, ins Mystische, ins Kosmische zurück. Sie spielen das Spiel der Männer – denn so wird man sie besser unterdrücken, besser von Wissen und Macht fernhalten können. Das Ewig Weibliche ist eine Lüge, denn die Natur spielt bei der Entwicklung eines Menschen eine sehr geringe Rolle, wir sind soziale Wesen. Außerdem: Da ich nicht denke, daß die Frau von Natur aus dem Manne unterlegen ist, denke ich auch nicht, daß sie ihm von Natur aus überlegen ist.

Das Interview erschien zuerst im "Spiegel" vom 5. April 1976 und wird hier mit freundlicher Genehmigung von Alice Schwarzer nachgedruckt.

ist Journalistin, Essayistin und Publizistin. Sie ist Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift "Emma". Externer Link: aliceschwarzer.de