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Stabilität des internationalen Finanzsystems

Wolfgang Filc

/ 15 Minuten zu lesen

Effiziente Finanzmärkte sind Voraussetzung für angemessenes Wirtschaftswachstum und hohe Beschäftigung bei Preisniveaustabilität. Die zunehmende Instabilität des internationalen Finanzsystems liegt in der Privatisierung von Vermögenswertänderungsrisiken durch Deregulierung und Rückzug des Staates von Finanzmärkten und in Informationsproblemen.

Einleitung

Vor zehn Jahren überzog eine Finanzkrise viele Länder Südostasiens. Banken wurden reihenweise geschlossen. Viele Millionen Einleger verloren ihren letzten Bath oder ihre letzte Rupiah. Ganze Volkswirtschaften kollabierten. Die Arbeitslosigkeit stieg ebenso drastisch wie die Armutsrate der Bevölkerung. 1999 wiederholte sich das Drama, zunächst in Brasilien, dann in der Russischen Föderation. 2001 war Argentinien an der Reihe.



Viele meinten damals, diese Deformationen seien allein auf Versäumnisse in den Krisenländern zurückzuführen: laxe Wirtschaftspolitik, marode Bankenaufsicht, zerbrechliche Finanzsysteme. Finanzkrisen sind eben die folgerichtige Quittung für eine miserable Politik. Das, so war die Überzeugung, kann in Westeuropa und den USA nicht geschehen. Aber es kam anders, als damals vermutet wurde. Die ehemaligen Krisenländer Südostasiens sind wirtschaftlich wieder stabil, Russland profitiert von hohen Energiepreisen, auch in Argentinien geht es langsam wieder aufwärts. Finanzkrisen finden nun anderswo statt, in den USA und in einigen westeuropäischen Ländern. Was sind die Ursachen?

John Maynard Keynes schrieb 1926 in seinem Essay "The End of Laissez-Faire": "Viele der größten wirtschaftlichen Übel unserer Zeit sind die Früchte von Risiko, Unsicherheit und Ignoranz." Dazu zählen Krisen monetärer Märkte, gar ganzer Finanzsysteme. Und - so ist aus der Erfahrung der letzten Monate aus dem Debakel mit Hypothekenkrediten hoher Risikoklasse in den USA hinzuzufügen - als weitere Ursache für die Krisenanfälligkeit von Finanzsystemen ist die Gier nach immer höheren Gewinnen zu nennen. Das wurde schon vor Jahrzehnten von Hyman Minsky dargelegt. Minsky vertraute nicht auf Gleichgewichte, die automatisch von Marktteilnehmern hergestellt werden. Finanzmarktkrisen sind in seiner Sicht Ergebnis eines zur Instabilität neigenden Kapitalismus, der immer stärker von Finanzgeschäften dominiert wird. In langen Phasen wirtschaftlichen Wachstums verlieren Banken, Unternehmen und Anleger das Gefühl für die Möglichkeit von Risiken. Getrieben von der Sucht nach immer höheren Gewinnen werden diese zunehmend missachtet. Die Finanzierungen werden von mal zu mal riskanter. Immer stärker umgehen Banken Regulierungen, so durch die Herausnahme von Krediten aus den Bilanzen, um sie in Wertpapieren zu bündeln, versehen mit einem vermeintlichen Werteetikett. Dann werden sie um den Globus geschickt und jenen verkauft, die Rendite über alles lieben und Risiken nicht zur Kenntnis nehmen. Zudem zwingt der Wettbewerb Banken, immer wieder neue, noch komplexere Finanzprodukte auf den Markt zu werfen, deren Konstruktion kaum noch zu verstehen ist. Je länger der Boom anhält, desto waghalsiger werden die Finanzierungen. Nach Kreditnehmern, die den Schuldendienst ordentlich verrichten, kommen schließlich auch Schwindler zum Zuge, die Minsky "Ponzi-Schuldner" (nach Charles Ponzi, einem der größten Betrüger der amerikanischen Geschichte) nennt, nämlich Unternehmen oder Privatpersonen, die allein bei sehr niedrigen Zinssätzen den Schuldendienst leisten können, weil sie auf künftige Preissteigerungen von Vermögensgütern setzen, die sie auf Kredit gekauft haben. Dieses Kartenhaus bricht zusammen, wenn die Vermögenspreise nicht weiter steigen oder Zinssätze angehoben werden. Das kann die gesamte Finanzbranche in eine Krise stürzen. Kommt es dazu, so sind Aufsichtsbehörden und Zentralbanken gefordert, den Kollaps von Finanzsystemen abzuwenden. Das ist seit August 2007 als Folge des Zusammenbruchs des Marktes geringwertiger Hypothekenkredite in den USA zu beobachten. Schwere wirtschaftliche Verwerfungen können die Folge sein, wenn Finanzmärkte ein Eigenleben entwickeln und nicht das leisten, wozu sie geschaffen worden sind, nämlich Dienste für Produktion, Einkommen und Beschäftigung zu erbringen.

Aufgaben monetärer Märkte

Der "monetäre Markt" kennzeichnet die Gesamtheit von Angebot und Nachfrage nach Geld. Er ist Ergebnis von Salden zwischen Einnahmen und Ausgaben im Einkommenskreislauf (oder Leistungskreislauf). Sind die Einnahmen aus abgegebenen Leistungen höher als die Ausgaben für in Anspruch genommene Leistungen, so steigt das Nettogeldvermögen dieser Wirtschaftseinheit. Umgekehrtes vollzieht sich bei einem Überschuss der Ausgaben über die Einnahmen; das Geldvermögen sinkt oder der Schuldenstand nimmt zu. Der Ausgleich von Salden im Leistungskreislauf geschieht im Finanzkreislauf. Deshalb sind Finanz- ohne Gütermärkte nicht denkbar, wohl aber Güter- ohne Finanzmärkte (Warentauschwirtschaft). Wozu also Finanzmärkte? Sie sollen einen Beitrag leisten für hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosigkeit, hohes Einkommen, das bei niedriger Inflationsrate. Finanzmärkte haben Gütermärkten zu dienen. Dafür müssen sie effizient funktionieren.

Letztlich geht es um Stabilisierungseffizienz, um das Erreichen gesamtwirtschaftlicher Zielsetzungen - Beschäftigung, Wirtschaftswachstum, Preisniveaustabilität. Das wiederum setzt Allokationseffizienz voraus. Sie ist gegeben, wenn die Ressourcen in ihre produktivsten Verwendungen gelenkt werden. Finanzmärkte erhalten hierbei ihre eigenständige Bedeutung, weil wirtschaftliche Transaktionen mit Kosten verbunden sind. Finanzmärkte sollen wie ein Schmiermittel für den reibungslosen Ablauf güterwirtschaftlicher Vorgänge sorgen. Dabei sollten die Kosten von Finanzmarkttransaktionen möglichst gering sein. Denn diese treiben einen Keil zwischen die Finanzierungsaufwendungen von Kreditnehmern und den Zinsertrag, der Sparern nach Abzug von Kosten zufließt. Je höher diese Kosten sind, desto geringer sind gesamtwirtschaftliche Ersparnisse, Investitionen und Wirtschaftswachstum. Damit Finanzmärkte diese den Wohlstand mehrende Kriterien erfüllen können, müssen alle bewertungsrelevanten Informationen sofort und vollständig in Preisen und Renditen von Finanztiteln korrekt ausgedrückt werden. Ohne effiziente Finanzmärkte sind wirtschaftliche Fehlentwicklungen nicht zu vermeiden.

Vertrauen in die Finanzmärkte

Gleichgewichtige Preise und Renditen werden in den Köpfen der Akteure ermittelt. Haben alle Marktteilnehmer den gleichen Informationsstand und werten sie ihn richtig aus, kann es keine Unstimmigkeiten über einen korrekten Kurs oder Preis geben. Transaktionen zu ungleichgewichtigen Preisen oder Kursen sind dann ausgeschlossen, weil sich sonst eine Marktseite bewusst schädigte. Werden neue Informationen sofort verarbeitet, springt der Kurs oder Preis zu einem neuen Gleichgewichtswert. Dann sind Finanzmarktpreise, Zinssätze, Aktienkurse und Devisenkurse Ergebnisse optimaler Prognosen. "Falsche" Preise oder Kurse sind ausgeschlossen. Dabei beinhaltet der Begriff "Informationen" vieles: Zahlen, Fakten, Vorstellungen über Wirkungszusammenhänge, Vermutungen über Meinungen und Handlungsweisen anderer. Welche Informationen relevant und welche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind, bestimmen die Marktteilnehmer. Das Ergebnis lautet: Lässt man den Markt nur walten, werden staatliche Eingriffe in die Preisbildung eingestellt, werden Marktteilnehmer mit vielfältigen Informationen versorgt, so müssen Marktpreise alle relevanten Informationen effizient und deshalb richtig ausdrücken, weil sich niemand Gewinne durch Ausnutzen von Unterschieden zwischen Preisen und Gleichgewichtswerten entgehen lässt. Der Markt hat immer recht.

Diese Überzeugung hinsichtlich der Effizienz von Finanzmärkten stand Pate bei ihrer Deregulierung und der Globalisierung des Finanzsystems. Dabei konnte man sich auf empirische Untersuchungen stützen, die zu entsprechenden Ergebnissen gelangt waren. Dann aber ist alles bestens gerichtet. Die Marktergebnisse sind effizient. Deshalb hat sich der Staat als Regulierungsinstanz von Finanzmärkten zurückzuziehen. Er kann die Dinge nicht verbessern. Flexibilisierung, Deregulierung, Internationalisierung, Globalisierung sind geboten, um die weltwirtschaftliche Wohlfahrt zu mehren. Und dieser Weg wurde konsequent eingeschlagen. Das begann mit der Aufgabe des Systems fester Wechselkurse.

Flexible Wechselkurse und ihre Folgen

Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen gegenüber dem US-Dollar im Frühjahr 1973 basierte auf Vertrauen in die Effizienz sich selbst überlassener Finanzmärkte. Denn wenn, wie die damals nahezu einhellige Meinung, von Regulierungen befreite Finanzmärkte zu effizienten Lösungen gelangen und deshalb Kurse, Preise und Renditen alle relevanten Informationen bestens reflektieren, ist es Sünde wider den marktwirtschaftlichen Geist, Devisenkurse als Preisscharnier zwischen Währungsräumen zu fixieren. Fixierte Scharniere rosten und verlieren Elastizität. Flexibilität dagegen garantiert Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit. Das Motto lautete: Deregulierte Finanzmärkte regeln sich von selbst, weil keine Gewinnchance ungenutzt gelassen wird. Deshalb werden stets Gleichgewichtswerte von Kursen, Preisen und Renditen erzielt.

Die "Finanzinnovation" flexible Wechselkurse markiert den Beginn einer neuen Epoche der Finanzbeziehungen. Der Ruf nach Deregulierung von Finanzmärkten wurde immer lauter. In rascher Folge entstanden Offshore-Finanzzentren, weitgehend frei von staatlichen Regulierungen, einer Bankenaufsicht, von Vorschriften für Eigenkapital, Großkredite oder anderem. Immer drängender wurden die Warnungen großer Geldhandelshäuser, ihre Geschäfte in Bankenfreizonen zu verlagern, nationale Finanzmärkte auszutrocknen, damit die Finanzierungsbedingungen zu erschweren und Steuereinnahmen aus Finanzgeschäften zu drücken. Die Wirtschaftspolitik verstand und folgte dem Drängen zur Durchsetzung von Interessen der Finanzmarktakteure.

Man meinte, die Entfesselung der Finanzmärkte von staatlichen Eingriffen würde zu größerem Wohlstand überall in der Welt führen. Mehr noch setzte sich die Auffassung durch, politische und gesellschaftliche Bedingungen müssten neuen ökonomischen Notwendigkeiten angepasst werden, die sich auf das Vertrauen in die Effizienz unreglementierter Finanzmärkte stützen. Das also stand auf der Rezeptur jener, die vollständige Liberalisierung und weitgehende Deregulierung der Finanzbeziehungen empfohlen hatten. Auf den Beipackzetteln war aber nicht vermerkt, dass damit Gefahren entstehen können, die sich zu einem Systemrisiko nicht nur für Finanzmärkte, sondern auch für Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern, die Weltwohlfahrt und die Stabilität marktwirtschaftlicher Systeme zusammenballen können.

Systemische Risiken sind deshalb auch Ergebnis wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Die Wirtschaftspolitik entließ sich aus ihrer zuvor übernommenen Aufgabe, Risiken von Wertänderungen des Vermögens privater Anleger zu begrenzen, zunächst durch flexible Wechselkurse, später durch Deregulierung von Finanzmärkten. Diese Aufgabe institutioneller Vorkehrungen zur Begrenzung von Volatilitäten an Vermögensmärkten hat aber zu Entwicklungen beigetragen, die den für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen jetzt Kopfzerbrechen bereiten. Hier wiederholt sich die Geschichte vom Zauberlehrling. Es ist vorteilhaft, wenn sich Besen selbst in Schwung halten und die Zimmer kehren. Aber nichts schließt aus, dass sie ein Eigenleben entwickeln und schließlich den Zauberlehrling aus dem Zimmer fegen.

Mengen- und Preisprobleme

Nach Freigabe der Wechselkurse lösten sich Finanzmärkte zunehmend von Gütermärkten. Zusammen mit zunehmenden Salden in Leistungsreihen - so Leistungsbilanzsalden und steigende Staatsverschuldung - ergaben sich drei Probleme an Finanzmärkten, die miteinander verwoben sind.

Erstens ein Mengenproblem. Es beinhaltet, dass das Geldvermögen weitaus stärker wächst als das Sozialprodukt oder das Sachvermögen der Welt. Das Geldvermögen machte 1960 in Deutschland und in den USA knapp die Hälfte des Werts des Sachkapitals aus, 2006 rund das Doppelte in Deutschland und mehr als das Vierfache in den USA. Damit kommt es zu einem Abkoppeln des finanzwirtschaftlichen Bereichs von der Güterwirtschaft, zu dem Bestreben von Vermögensanlegern aus reinen Finanztransaktionen kurzfristig die höchsten Erträge zu erzielen. Das führt zu rasch reversiblen Kapitalströmen zwischen Ländern, immer auf der Suche nach den besten Anlagemöglichkeiten. Die Summe der Auslandsforderungen und Auslandsverbindlichkeiten bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ist in den Industrieländern in den letzten dreißig Jahren von knapp 50 auf über 300 Prozent gestiegen. Die täglichen Umsätze an Devisenmärkten stiegen von 650 Mrd. US-Dollar im April 1989 auf 3,2 Billionen im April 2007. Zum Vergleich: Der weltweite Güterexport machte 2006 14,7 Billionen US-Dollar aus. Zur Abwicklung des internationalen Leistungsaustauschs hätte es genügt, die Devisenmärkte für drei Tage zu öffnen.

Dieses Mengenproblem löste zweitens ein Preisproblem aus: Die Schwankungen von Preisen, Kursen und Zinssätzen an Finanzmärkten haben drastisch zugenommen. Schon das geringste Rumoren führt nun zu abrupten Preisänderungen an Vermögensmärkten, so für Aktien, Devisen und Immobilien. Damit können sich spekulative Blasen herausbilden, die auch aus nichtigem Anlass platzen können, mit katastrophalen Auswirkungen für Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Lebenssituation der Menschen.

Das Preisproblem bewirkte drittens ein rasantes Wachstum derivativer Finanzprodukte. Finanzderivate, von einem finanziellen Grundgeschäft abgeleitete Instrumente, haben mit Finanzierung im Grunde nichts zu tun. Derivate werden genutzt, um die mit der Finanzierung verbundenen Risiken handelbar zu machen. Freilich gelingt es dadurch nicht, Risiken aus Finanzkontrakten auszuschalten. Finanzderivate sind mit Wetten auf künftige Preisänderungen verbunden. Geht die Wette aber nicht auf, so erleiden jene Verluste, die Finanzderivate erworben haben. Diese Verluste können in einer Kettenreaktion auf andere Finanzmarktteilnehmer übertragen werden, auch auf den güterwirtschaftlichen Bereich, auf andere Länder; Kontaminierung kann die Folge sein, und das weltweit.

Diese drei Problembereiche sind miteinander verbunden. Verschärft sich das Mengenproblem, etwa wegen hoher Leistungsbilanzsalden der Länder, so nimmt bei Umschichtungsvorgängen des Geldvermögens zwischen Währungsräumen die Anfälligkeit des Finanzsystems für abrupte Preis- und Renditeschwankungen zu. Zugleich steigt der Bedarf an Finanzderivaten. Sie erleichtern die Verteilung von Risiken, verlocken aber auch - und vor allem - zur Spekulation, laden dazu ein, sich an Wetten über Kurs- und Renditeänderungen zu beteiligen, mit der Folge, dass die Mengen- und Preisprobleme weiter zunehmen. Der Teufelskreis ist perfekt. Das ist das Systemrisiko instabiler Finanzmärkte.

Nach dem Platzen der Technologie-Blase im Frühjahr 2000 widmete die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in ihrem Jahresbericht 2000/01 dem Thema "Zyklen und das Finanzsystem" ein Kapitel. So wird vermerkt: "Im Laufe der letzten 20 Jahre haben wiederkehrende Krisen sehr deutlich vor Augen geführt, wie Probleme im Finanzsektor sowohl gesamtwirtschaftliche Störungen verursachen als auch deren Kosten auf schwerwiegende Weise erhöhen können" (S. 9). Der Verlauf eines Finanzzyklus und dessen Auswirkungen auf die Realwirtschaft werden folgendermaßen beschrieben: "Ihren Ursprung haben Finanzzyklen in der Regel in einer Woge von Optimismus, die von günstigen Entwicklungen in der Realwirtschaft ausgelöst wird. Folgen dieser optimistischen Erwartungshaltung sind die Unterschätzung von Risiken, eine überhöhte Kreditgewährung, ein übermäßiger Anstieg der Preise von Vermögenswerten, Überinvestitionen in Sachanlagen und in einigen Fällen ein allzu ausgabefreudiges Verbraucherverhalten. Wenn sich dann schließlich realistischere Erwartungen durchsetzen, müssen die während des Booms entstandenen Ungleichgewichte wieder korrigiert werden, was manchmal sowohl im Finanzsystem als auch in der Realwirtschaft zu erheblichen Störungen führt" (S. 139).

Hierin zeigt sich die gewachsene Einsicht, dass es mit der früher als garantiert erachteten jederzeitigen Effizienz von Finanzmärkten nicht weit her ist. Finanzmärkte können von Panik oder Manie geprägt werden, nicht von einem rationalen Abwägen. Zudem laden Deregulierung und Internationalisierung der Finanzbeziehungen ein, schwankende Zinssätze, Kurse und Preise an Finanzmärkten allein für Spekulation zu nutzen. Und nichts stellt sicher, dass spekulative Transaktionen zu Gleichgewichtswerten führen. Eine Ursache hierfür sind Informationsprobleme.

Die Ursachen mangelnder Effizienz

Mangelnde Effizienz von Finanzmärkten kann Folge von Informationsproblemen sein. Gelegentlich fehlen relevante Informationen, manchmal fällt es schwer, die Informationsfülle auszuwerten, dann wieder werden aus einer gleichen Sachlage zu zwei Zeitpunkten unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen, ein andermal sind Informationen asymmetrisch verteilt. Information ist "asymmetrisch", wenn eine Partei einer Transaktion schlechter informiert ist als die andere. Zu für beide Seiten optimalen Ergebnissen kann es dann nicht kommen. Denn effiziente Marktlösungen setzen voraus, dass alle Teilnehmer über alle relevanten Informationen verfügen können, diese auch verwenden und korrekt verarbeiten.

Deshalb gehört es zu einem wesentlichen Kennzeichen effizienter Märkte, dass die Teilnehmer über die relevanten Entscheidungsparameter gut und möglichst kostenlos informiert sind. Dabei aber tun sich in der Wirklichkeit die größten Schwierigkeiten auf, vor allem an Finanzmärkten. Monetäre Märkte haben die wichtige Funktion, Ersparnisse in besonders rentable Investitionsmöglichkeiten zu lenken (Allokationseffizienz). Keine Wirtschaft kann gut funktionieren, wenn das Finanzsystem dieser Aufgabe nicht optimal nachkommt. Das Wirtschaftswachstum wird gebremst, Arbeitslosigkeit kann auf hohem Niveau verharren, es kann gar zu einem Kollaps von Märkten kommen. Und das alles, weil Informationsprobleme nicht ausgeräumt werden können. Denn zwischen guten und schlechten Investitionsmöglichkeiten kann nur unterschieden werden, wenn entscheidungsrelevante Informationen vorhanden sind, diese genutzt und die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.

An Gütermärkten sind Informationsprobleme vergleichsweise selten, wenngleich nicht ausschließbar. Wer Waschpulver kauft, der weiß, worauf er sich einlässt. Er kann in Testberichten etwas über die Qualität erfahren, er kann den Preis mit Konkurrenzprodukten vergleichen. Schwieriger wird es, wenn es um den Kauf eines Gebrauchtwagens geht. Der Käufer weiß nicht, ob ein Schnäppchen oder eine "Zitrone" zum Verkauf steht. Der Verkäufer kennt die Gutsqualität, der Käufer nicht. Er hat sich hierüber Erwartungen zu bilden, und diese sind allemal unsicher. Wer weiß schon, ob der Tachostand stimmt. So etwas kann Transaktionen an einem Markt stören, im Extremfall zu einem Marktzusammenbruch führen. Märkte, bei denen Informationsprobleme dieser Art auftreten, haben zwei unerwünschte Eigenschaften. Zum einen besteht für Anbieter der Anreiz, Kosten durch eine schlechtere Gutsqualität zu senken. Zum anderen gibt dies Anbietern von Gütern mit hoher Qualität Anlass, sich vom Markt zurückzuziehen. Die Folge kann sein, dass die durchschnittliche Qualität der Güter sinkt, gar nur noch Güter sehr schlechter Qualität (Zitronen) gehandelt werden. All das ist ausgeschlossen, wenn beide Marktseiten über Grundlagen des Handelns des anderen vollständig informiert sind.

Finanzkontrakte erfordern einen Blick in die Zukunft. Bei jeder Kreditfinanzierung eines Investitionsprojekts müssen Erwartungen über die künftige Zahlungsfähigkeit des Schuldners gebildet werden. Zudem hat der Investor die Profitabilität seines Vorhabens einzuschätzen. Beides ist unsicher, beinhaltet also ein spekulatives Element. Spekulation bedeutet, mit einer unsicheren Zukunft umzugehen. Und weil niemand die Zukunft genau kennt, können Erwartungen über die Zukunft später durch Fakten widerlegt werde. Niemand kann das ausschließen, aber jeder hat das bei einem zukunftsgerichteten Handeln zu akzeptieren. Deshalb verlangen Finanzgeschäfte den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten über künftige Gewinne und Risiken, über die Solvenz des Partners. Niemand kann sich des Verhaltens eines Kontraktpartners sicher sein. Regelmäßig hat die Versicherungsbranche zu konstatieren, dass sich Versicherte unvorsichtiger verhalten, als sie es täten, hätten sie die Folgen ihres Handelns selbst zu tragen. Jeder kennt das: Fährt man mit einem Blechschaden an seinem Auto in die Werkstatt, so lautet die erste Frage, ob Fremdverschulden vorliegt oder nicht. Im zweiten Fall fällt die Werkstattrechnung deutlich niedriger aus. Folge dieses Trittbrettfahrer-Verhaltens ist es, dass Versicherungsprämien höher sind, als es bei vollständiger Information der Fall wäre. Dieses Informationsproblem begründet abträgliche Anreize, ein moralisches Risiko (Moral Hazard).

Bei ungleich verteilten Informationen kann ein Marktteilnehmer einen Informationsvorsprung zum Nachteil des anderen nutzen. So sind Kreditgeber über die Erfolgsaussichten und Risiken der Investitionsprojekte von Kreditnehmern schlechter informiert als diese selbst. Und Kreditnehmer werden es vermeiden, dem Gläubiger schlechte Nachrichten preiszugeben, weil beim Offenlegen der Karten die Finanzierung platzen könnte. Der Nachfrager nach Finanzmitteln aber ist allein an der Auszahlung interessiert, die er für Investitionen mit Aussichten auf hohen Gewinn aber großem Verlustrisiko verwenden kann, wenn das dem Kreditgeber verborgen bleibt. Läuft das Geschäft gut, ist der Kreditnehmer der Gewinner, geht es nicht auf, so ist der Gläubiger der Dumme.

Von Effizienz der Finanzmärkte kann dann keine Rede sein. Die gegenwärtige Finanzkrise als Folge einer Risiken ausblendenden und von Profitgier getriebenen Hypothekenkreditblase in den USA ist hierfür Beleg. Ohne hinreichende Sicherheiten wurden Kredite gebündelt, in Wertpapieren verbrieft und irgendwo in der Welt blauäugigen Anlegern angedreht. Der Verkäufer hätte die Risiken kennen müssen, der Käufer eher nicht. Das ist ein treffendes Beispiel, wie asymmetrische Verteilung von Informationen zu einem Kollaps von Finanzmärkten führen kann, und das im Zuge der Globalisierung weltweit.

Was tun?

Effiziente und stabile Finanzmärkte sind Bedingung für einen hohen Beschäftigungsgrad, für Wirtschaftswachstum bei Preisniveaustabilität. Das ist unbestritten. Fehlentwicklungen, gemessen an unter- oder überbewerteten Finanzaktiva, können an informationseffizienten Märkten nicht auftreten. Dann bleibt kein Raum für wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf Finanzmärkte abzielen. Effizienz kann nicht verbessert werden. Ergebnisse neuerer empirischer Forschungen zeigen aber, dass Finanzmärkte allein in Ausnahmefällen informationseffizient sind. Die Häufung von Finanzmarktkrisen der letzten Dekade ist die Folge.

Viele dieser Verwerfungen sind, wie bereits Keynes vermerkt hatte, Früchte von Risiko, Unsicherheit und Ignoranz. Eine größere Stabilität von Finanzmärkten muss darauf abzielen, diese Ursachen auszuschalten oder zu begrenzen. Geschieht das nicht, wird das Feld ignoranten Spielern überlassen, die Risiken nicht zur Kenntnis nehmen, so können gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen über die Finanzmärkte hinaus die Folge sein. Keynes schrieb hierzu in der General Theory (1936): "Spekulanten mögen als Seifenblasen auf einem steten Strom des Unternehmertums keinen Schaden anrichten. Aber die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Seifenblase auf einem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden".

Milliarden-Verluste von Finanzinstituten aus fehlgeschlagenen Spekulationen, die Bankkunden und Steuerzahler belasten, möglicherweise gar Rezession und Arbeitslosigkeit zur Folge haben, sind kein unvermeidbarer Betriebsunfall, wenn Ignoranz auf der Leitungsebene gegenüber augenfälligen Risiken ursächlich ist. Das zu vermeiden verlangt einen wirksamen Anreiz: Kein goldener Handschlag bei einem Scheitern, sondern eine kräftige Beteiligung am Verlust.

Manche Fehlentwicklungen an Finanzmärkten, die zur Spekulation anreizen, sind darauf zurückzuführen, dass Vermögenswertänderungsrisiken als Folge wirtschaftspolitischer Entscheidung und der Deregulierungswelle gewachsen sind. Die Begrenzung von Fehlentwicklungen an Finanzmärkten hat deshalb an diesen Ursachen anzusetzen. Nährboden für Unwägbarkeiten und hohe Volatilität von Preisen, Kursen und Renditen an Finanzmärkten sind unvollständige Informationen, asymmetrische Informationsverteilung und Erwartungsunsicherheiten. Folglich sollten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik darauf abzielen, die Erwartungen der Marktteilnehmer zu stabilisieren und zu kanalisieren. Gelänge dies, so würden Volatilitäten an Finanzmärkten verringert, die in Finanzmarktpreisen und -renditen enthaltenen Risikoprämien gesenkt und die Dominanz spekulativer Motive von Finanzgeschäften könnte zurückgedrängt werden. Finanzmärkte könnten dann wieder die ihnen zukommende dienende Funktion für Gütermärkte übernehmen, für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Wie hierzu vorzugehen ist, ist vor allem eine Frage, was zweckmäßig und im internationalen Rahmen realisierbar ist. Das ist keine Grundsatzfrage mehr. Ineffiziente Finanzmärkte verlangen regulierende Begleitung durch außermarktmäßige Institutionen, von Zentralbanken und der Bankenaufsicht, durch die Gesetzgebung.

Dr. rer. pol., Dr. habil., geb. 1943, lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier, Universitätsring 15, 54286 Trier.
E-Mail: E-Mail Link: filc@uni-trier.de