Gefühlte (Un)Gerechtigkeit
Die gefühlte Wirklichkeit stellt eine eigenständige Dimension der Realität dar. Von gefühlter Ungerechtigkeit spricht man, wenn die Menschen ihre persönlichen Lebensverhältnisse als ungerecht betrachten.Einleitung
Gefühlte Ungerechtigkeit[1] ist historisch gesehen kein neues gesellschaftliches Problem, es zieht aber zunehmend Aufmerksamkeit auf sich. Immer wieder rückt in den Blickpunkt der öffentlichen Beachtung, dass zwischen den von der breiten Bevölkerung gefühlten Lebensverhältnissen und dem, was Medien, Wissenschaftler, Manager und Politiker als Realität definieren, teilweise große Unterschiede bestehen. Ein markantes Beispiel ist die Gegenüberstellung der Einstellungen von Parlamentariern mit denen der Bürgerinnen und Bürger. Während die Parlamentarier die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland überwiegend als gerecht ansehen, werden diese von der Bevölkerung überwiegend als ungerecht betrachtet.[2]
Ist durch solche fundamental verschiedene Sichtweisen auf die gesellschaftliche Realität die normative Homogenität der Gesellschaft gefährdet? Die Hypothese der meisten Sozialwissenschaftler ist, dass eine Gesellschaft ihre Integrationskraft nur aufrechterhalten kann, wenn ein großer Anteil der Menschen glaubt, dass es gerecht zugeht.
Die gefühlte Wirklichkeit der Bevölkerung bildet eine eigenständige Dimension der Realität. Man findet sie als "gefühlte Inflation", "gefühlte Temperatur", "gefühlten sozialen Status", "gefühlte Ungerechtigkeit" und in weiteren Dimensionen. Es ist ziemlich belanglos, ob ihr die "offizielle" Realität in irgendeiner Form entspricht. Vielmehr hat sie ihre eigenen Strukturen, ihre eigene Dynamik und ihre eigenen sozialen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung.[3]