Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Qualifikation von Migrantinnen - eine Frage der Bürgerrechte? - Essay | Migration und Arbeitsmarkt | bpb.de

Migration und Arbeitsmarkt Editorial Qualifikation von Migrantinnen - eine Frage der Bürgerrechte? - Essay Arbeitsmarktwirkungen der Migration Jenseits der Greencard: Ungesteuerte Migration Hochqualifizierter Standards der beruflichen Anerkennung Einwanderungsland Kanada - ein Vorbild für Deutschland?

Qualifikation von Migrantinnen - eine Frage der Bürgerrechte? - Essay

Umut Erel

/ 9 Minuten zu lesen

Die Anerkennung und Nutzung von Qualifikationen ist auch eine Frage von Bürgerrechten. Es wird gezeigt, wie türkische Migrantinnen in Großbritannien und Deutschland versuchen, beruflich Fuß zu fassen.

Einleitung

Die europäische Migrationspolitik unterscheidet klar zwischen qualifizierten Migrantinnen, die erwünscht sind und sogar als unabdingbar gelten, um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu sein, und anderen Migrantinnen, die als potentielle Belastung gesehen werden. Dabei wird oft vergessen, dass der Begriff der "qualifizierten Migration" nicht einfach ein Merkmal beschreibt. Sowohl Migrationsregimes als auch Dynamiken hierarchischer Eingliederung von Migrantinnen und Migranten in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt qualifizieren einen Großteil von ihnen faktisch ab.


Gleichzeitig ist die Definition von "qualifizierter Migration" ein Ausdruck der jeweils aktuellen Interessen der Aufnahmeländer. So wird etwa im britischen Punktsystem nicht nur nach feststehenden objektiven Kriterien entschieden, welche Beschäftigung als qualifiziert gilt, sondern die Einteilung richtet sich auch nach temporären Engpässen auf dem Arbeitsmarkt. Darüber hinaus gibt es für Frauen geschlechterspezifische Hürden, die es nach der Einwanderung erschweren, eine qualifizierte Arbeit zu finden. So werden etwa Migrantinnen, die mit der Familie einwandern, häufig als nachreisende Familienangehörige kategorisiert. Außerdem werden "weiblich" definierte Arbeitsfelder gesellschaftlich weniger hoch bewertet, was sich insbesondere auf Migrantinnen auswirkt, die bisher in sozialen und erzieherischen Berufen und im Gesundheitswesen tätig waren. Es hängt also von unterschiedlichen Faktoren ab, wer als qualifiziert gilt und auch Arbeit findet - die Qualifikation einer Migrantin stellt davon nur einen dar, und der ist leider nicht immer der ausschlaggebende.

Hürden und Ressourcen

Trotz dieser Schwierigkeiten gelingt es einigen Migrantinnen, qualifizierte Arbeit zu finden. Ein Fallbeispiel aus meinen Studien macht deutlich, welchen Hürden sie dabei begegnen, aber auch, wie sie Ressourcen entwickeln, diese zu überwinden: Nalan arbeitete in den 1970er Jahren in der Türkei im IT-Bereich. Sie war mit ihrer Arbeit zufrieden. Ihre Arbeitserfahrung sorgte auch ohne Studienabschluss für Jobsicherheit und ein gutes Gehalt. Allerdings fühlte sie sich nach ihrer Scheidung als alleinerziehende Mutter in ihrem Privatleben immer mehr eingeschränkt: Ihre Familie begann, sich als ihr Moralwächter aufzuspielen, und als sie eines Nachts auf der Straße von Polizisten angehalten wurde, die kontrollieren wollten, ob sie mit ihrem männlichen Begleiter verheiratet ist, stellte sie fest, dass das Leben als geschiedene Frau "nicht so einfach werden würde". Um arbeiten zu können, war sie zudem auf die Kinderbetreuung durch ihre ehemaligen Schwiegereltern angeweisen. Nun sorgte sie sich, dass dieses Arrangement zusammenbrechen könnte, wenn sie eine neue Beziehung eingehen würde.

Ihr Engagement in der Frauenbewegung und andere politische Aktivitäten hatten ihr Gelegenheit gegeben, Kontakte nach England zu knüpfen. In den 1980er Jahren schlägt ihr eine Freundin vor, nach London auszuwandern. Sie geht darauf ein und lässt ihren Sohn vorerst in der Obhut der Großeltern zurück. Allerdings findet sie nur informelle Jobs in Textilfabriken mit schlechten Arbeitsbedingungen und wenigen Arbeitsrechten. Diese sogenannten sweatshops wurden in den 1980er und 1990er Jahren häufig von Migranten aus der Türkei betrieben. Als es ihr gelingt, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen und - trotz zwölfstündiger Arbeitstage - Englisch zu lernen, nimmt sie erste reguläre Jobs als Kellnerin und Zimmermädchen an. Oberste Priorität hat für sie, den Einwanderungsbehörden zu beweisen, dass sie finanziell selbst für sich sorgen kann, denn davon hängt ab, ob sie ihren Sohn zu sich holen darf.

Insgesamt ist Nalan sechs Jahre lang in solchen unqualifizierten Jobs tätig. Dabei erlebt sie nicht nur vielfältige Formen von Diskriminierung, sondern ist auch sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt. Um einen besseren Job zu finden, nutzt sie verschiedene Ressourcen: Ihr Netzwerk, das sie sich durch ihr Engagement in politischen Bewegungen aufgebaut hat, hilft ihr dabei, Informationen über Arbeitsmöglichkeiten im sozialen und erzieherischen Bereich zu finden; durch ehrenamtliche Erfahrungen erhält sie zudem erste Einblicke in das britische Sozialwesen. Mit Freundinnen bereitet sie sich auf Vorstellungsgespräche vor. Schließlich führt ein Studium der Sozialarbeit zu einem festen Job.

Nachdem geschlechterspezifische Gründe Nalan zur Migration motiviert hatten, trugen Nalans anfänglicher Status als irreguläre Migrantin und die Notwendigkeit, so schnell wie möglich Geld zu verdienen, also dazu bei, dass sie sich erst spät neu qualifizieren konnte. Ihr zunächst undokumentierter Aufenthaltsstatus und die schlechten Arbeitsbedingungen führten sogar dazu, dass sie sexueller Belästigung ausgesetzt war. Das niedrige Einkommen zwang sie dazu, lange Arbeitszeiten zu akzeptieren, was ihre sprachliche und berufliche Bildung zusätzlich erschwerte. Für Nalan waren ihr politisches Engagement und das dadurch aufgebaute Netzwerk eine wichtige Ressource, um qualifizierte Arbeit in einem neuen Bereich zu finden. Solche Erfolge sind allerdings selten. Warum die Realisierung von Qualifikationen nicht allein ein volkswirtschaftliches Problem ist, sondern auch ein Frage von Bürgerrechten, werde ich im Folgenden darlegen.

Migrantinnen und Bürgerrechte

In den vergangenen Jahren hat die Frage, wie sich nationale Zugehörigkeiten im Zeitalter der Globalisierung wandeln, viel Aufmerksamkeit erregt. Allerdings wurden dabei die Perspektiven von Migrantinnen selten berücksichtigt. Dennoch erscheinen sie heute als neue Akteurinnen, die über Grenzen von Klasse, Geschlecht, Ethnizität und Nation hinweg neue Formen von Zugehörigkeiten finden und Bürgerrechte umsetzen.

Betrachten wir nur zwei Beispiele aus meiner Forschung: Pinar, eine alleinerziehende Mutter in Deutschland, bemüht sich, eine Wahlfamilie mit Migrantinnen und Migranten aus anderen Ländern aufzubauen. Es ist ihr wichtig, dass ihre zehnjährige Tochter die türkische Sprache und bestimmte kulturelle Praktiken kennenlernt. Aber mit ihrer Wahlfamilie spricht sie auch Englisch und hat Kontakt zu Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund. Einer der wichtigsten Werte, die sie ihrer Tochter durch ihre Erziehung mitgeben möchte, ist kultureller Pluralismus.

Selin, eine kurdische Migrantin in England, ist ehrenamtlich in türkisch-kurdischen Einrichtungen aktiv und fordert, dass die Vertreter dieser community demokratische Verantwortlichkeit tragen. Sie kritisiert, dass der britische Multikulturalismus sich auf community-Einrichtungen stützt und dabei Machtverhältnisse von Klasse, Geschlecht und Ethnizität innerhalb der ethnischen communities unangetastet lässt. Mit ihrem Engagement will sie das ändern. Migrantinnen wie Pinar und Selin eröffnen neue Perspektiven für die Bürgerrechte. Denn die Art und Weise, wie sie sich für diese Rechte engagieren, zeigt, dass Alternativen zu einer exklusionistischen Staatsbürgerschaftspolitik möglich sind.

Bürgerschaft wird meist in erster Linie als ein rechtlicher Status gegenüber dem Staat definiert. Selbstverständlich sind formale Rechte wichtig. So haben gestaffelte Aufenthaltstitel und der Erwerb der Staatsbürgerschaft zum Beispiel weitreichende Auswirkungen darauf, welchen Zugang Migrantinnen zu Bildung, Arbeit oder auch Entscheidungen über ihr Familienleben und zu politischer und sozialer Teilhabe haben. Aber ich beziehe mich hier auf ein erweitertes Verständnis von Bürgerschaft, das Aspekte von Zugehörigkeit und Teilhabe umfasst. Dazu gehört auch die Handlungsfähigkeit von Migrantinnen, die sich etwa darin niederschlägt, welches Wissen sie über sich selbst und über die Welt, in der sie leben, entwickeln. Erst dieses Wissen macht sie kritik- und handlungsfähig. Migrantinnen entwickeln ihre Handlungsfähigkeit nicht allein in Bezug auf formale politische Teilhabe. Stattdessen sind kulturelle Aktivitäten, Geschlechterverhältnisse, bezahlte und unbezahlte Arbeit, sexuelle Identitäten und Sorgearbeit (in der Familie und darüber hinaus) wichtige Bereiche, in denen sie neue Formen von Zugehörigkeiten formulieren und Rechte fordern. Ein solcher erweiterter Begriff der Bürgerrechte ermöglicht ein besseres Verständnis der politischen Kultur von Migrantinnen und ihre angemessenere politische und soziale Repräsentation. Beides kann dazu beitragen, das demokratische Potential, das wir mit Bürgerrechten verbinden, besser zu verwirklichen.

Arbeit, Migration und Bürgerrechte

Bezahlte Arbeit ist ein zentraler Bestandteil von Bürgerschaft, denn die Teilnahme am Arbeitsmarkt ist eine wichtige Bedingung, um soziale Rechte zu erlangen. Dies gilt insbesondere für Migrantinnen, bei denen auch der Aufenthaltsstatus von ihrer Fähigkeit abhängt, sich selbst zu finanzieren und nicht auf Staatsmittel angewiesen zu sein. Der Zugang zu Arbeit und zu bestimmten Berufen wiederum ist an Aufenthaltsstatus und Staatsbürgerschaft gekoppelt. Wie sich diese Schwierigkeiten auf Migrantinnen mit irregulärem Aufenthaltsstatus und ohne formal anerkannte Qualifikationen auswirken, hat zum Beispiel Nalans Fall gezeigt. Aber auch Migrantinnen, deren Qualifikation formal anerkannt wird, sind mit hohen Hürden konfrontiert.

Der folgende Fall zeigt, wie Migrantinnen nicht nur ihr individuelles Schicksal in die Hände nehmen, sondern auch neue Anstöße zur Formulierung von Bürgerrechten geben können: Birgül reiste Anfang der 1980er Jahre nach dem türkischen Militärputsch in die Bundesrepublik ein. Als Ärztin fand sie zunächst einen unbezahlten Praktikumsplatz und anschließend Arbeit. Während ihrer Facharztausbildung war sie regelmäßig damit konfrontiert, eine Erneuerung ihrer Berufserlaubnis, ihrer Aufenthaltserlaubnis und ihrer Arbeitserlaubnis zu beantragen, was sie sehr belastete. Nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss bereitete sie sich Anfang der 1990er Jahre darauf vor, eine Praxis zu eröffnen. Doch weil sie nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft war, wurde ihr untersagt, sich als Ärztin niederzulassen. Mit Hilfe eines Anwalts argumentierte sie nun, dass das deutsche Recht eine medizinische Versorgung der Bevölkerung vorsehe und nicht allein des deutschen Volkes. Diese Bevölkerung umfasse auch türkische Migrantinnen, welche die Wahl haben sollten, sich medizinisch von einer türkischsprachigen Gynäkologin versorgen zu lassen. Schließlich erlangte Birgül die Erlaubnis, eine Arztpraxis zu eröffnen.

Birgüls Erfahrung zeigt, wie eng der Zugang zu qualifizierter Arbeit mit der Frage von Bürgerrechten verknüpft ist. Einerseits erkämpfte sie sich das Recht, sich als Ärztin niederzulassen, auch ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Andererseits bedeutet ihr Erfolg noch mehr: Als politisches Subjekt forderte sie nicht nur das Recht, ihren Beruf in einem Kontext ihrer Wahl auszuüben, sondern stellte auch die Definition von Gesundheitsversorgung in Frage. Sie kritisierte damit die vorgebliche Neutralität einer Gesundheitsversorgung, die nicht auf geschlechterspezifische, ethnische oder sprachliche Unterschiede der Patientinnen eingehen kann. In diesem Sinne ging Birgüls Akt über die Forderung beruflicher Rechte hinaus. Er regt dazu an, die Substanz (kulturell und geschlechterspezifische Gesundheitsversorgung von Migrantinnen) und das Subjekt (eine ethnisch heterogene Bevölkerung, nicht eine homogene Nation) der Bürgerrechte neu zu definieren. Birgüls Intervention fand vor dem Hintergrund statt, dass sie eben nicht die formale Staatsbürgerschaft besaß, und stellt dennoch eine transformative Bürgerrechtspraktik dar.

Die berufliche Abqualifikation von Migrantinnen markiert diese als weniger kompetente Bürgerinnen, da ihr kulturelles Kapital aberkannt wird und ihre Möglichkeiten zur Arbeitsmarktpartizipation beschränkt werden. Daher ist es wichtig, bessere Möglichkeiten zur Anerkennung von Qualifikationen und zur Wieder- oder Weiterqualifikation zu schaffen. Dies ist besonders relevant für Frauen, die häufig marginalisiert werden von männlich dominierten sozialen und beruflichen Netzwerken. Die Integrationspolitik verlangt von Migrantinnen, dass sie sich selbst finanziell unterhalten, und erschwert so insbesondere denjenigen Frauen, die Kinder zu versorgen haben, eine (Wieder-) Qualifikation. Diesen Lebensumständen von Migrantinnen Rechnung zu tragen, würde allerdings einen radikalen Wandel sowohl in der Migrationspolitik als auch in der Anerkennungspraxis der Qualifikationen von Migranten erfordern. Migrations- und Arbeitsmarktpolitik betrachtet Migrantinnen noch immer als eine Gruppe, die außerhalb der Aufnahmegesellschaft steht: im besten Fall als wertvolle Ressource, im schlimmsten Fall als soziale Belastung und Bedrohung.

Eine Politik, die es Migrantinnen unabhängig vom Aufenthaltstitel ermöglicht, ihre Qualifikationen einzusetzen, könnte auf den gesamten gesellschaftlichen Pool an Talenten zurückgreifen. Migrantinnen sind sozial und rechtlich nahe der Grenzen von Zugehörigkeit verortet. Aus diesem Grund zeigen ihre Bürgerrechtspraktiken, wo demokratische Erneuerungen gefragt sind - was im Zeitalter der Globalisierung von Arbeit von besonderer Relevanz ist.

Wenn die Bemühungen von Migrantinnen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, nicht im Lichte von Arbeitsmarktkonkurrenz, sondern als eine Frage von Bürgerrechten angesehen werden, so kann dies ein erster Schritt auf dem Weg sein, eine bessere Verbindung zwischen Demokratie und Arbeit herzustellen. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der Situation von Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch darum, die Frage von Bürgerrechten wiederzubeleben, so dass diese für eine globalisierte Welt aktuell bleiben. Und das wiederum liegt im Interesse aller, migrierter und nicht-migrierter, "Mitbürgerinnen" und "Mitbürger".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. International Centre for Migration Policy Development (ed.), Migrants, Minorities and Employment: Exclusion, Discrimination and Anti-Discrimination in 15 Members States of the European Union, October 2003, in: www.fra.europa.eu/fra Website/attachments /CS-Employment-en.pdf (1. 9. 2009).

  2. Eleonore Kofman/Parvati Raghuram, Gender and Global Labour Migrations: Incorporating skilled Workers, in: Antipode, 38 (2006) 2, S. 282-303.

  3. Dieser Beitrag stützt sich auf meine Forschung über qualifizierte Migrantinnen aus der Türkei in Großbritannien und der Bundesrepublik: Migrant Women Transforming Citizenship, Aldershot 2009.

Ph. D., geb. 1972; RCUK Academic Fellow am Centre for Citizenship, Identities and Governance (CCIG), The Open University, Walton Hall, Milton Keynes MK7 6AA, England/UK.
E-Mail: E-Mail Link: u.erel@open.ac.uk