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Die korporatistische Arbeitsverwaltung

Tanja Klenk

/ 14 Minuten zu lesen

Die Arbeitslosenversicherung wird gemeinsam von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden verwaltet. Mit den "Hartz-Gesetzen" ist es jedoch erstmals zu einem Bruch mit dem tradierten Selbstverwaltungsmodell gekommen.

Einleitung

Die Arbeitslosenversicherung wird in Deutschland von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gemeinsam verwaltet. Die Beteiligung von Interessenverbänden an Politik und Verwaltung, insbesondere die Beteiligung der Sozialpartner, gilt als konstitutiv für das deutsche Gesellschaftsmodell. In der Arbeitsverwaltung wird die Einbindung der Tarifparteien in die Verwaltung arbeitsmarktpolitischer Leistungen durch die Selbstverwaltung gewährleistet: Die Träger der Arbeitsverwaltung haben Selbstverwaltungsorgane, die tripartistisch mit Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der "öffentlichen Hand" besetzt sind. Die Strukturen dieser "korporatistischen" Verwaltung, was etwa die Besetzung der Gremien oder ihre Kompetenzen betrifft, gaben von Beginn an Anlass zu Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitsmarktakteuren. Alle wichtigen Arbeitsmarktreformen in der Geschichte der Bundesrepublik wie zum Beispiel das Errichtungsgesetz von 1952, das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 oder das AFG-Reformgesetz von 1996 waren immer auch mit einer Reform der korporatistischen Selbstverwaltung verbunden. Diese Reformen haben das Verhältnis zwischen Staat und Verbänden, zwischen Haupt- und Ehrenamt, zwischen zentraler, regionaler und lokaler Ebene jeweils verändert - aber sie haben das korporatistische Selbstverwaltungsmodell nicht prinzipiell in Frage gestellt.



Und wie verhält es sich mit den jüngsten Arbeitsmarktreformen in Folge der Empfehlungen der Hartz-Kommission ab 2002? Die vier Gesetze "für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" ("Hartz-Gesetze") werden als ein Pfadwechsel in der deutschen Arbeitsmarktpolitik gewertet - gilt dies auch für die korporatistische Selbstverwaltung? Die Antwort lautet: Ja und nein. Um die Arbeitsverwaltung zu einem modernen Dienstleister weiterzuentwickeln, wurden die Träger der Arbeitsverwaltung mit "modernen Leitungsstrukturen" ausgestattet. Auch das korporatistische Selbstverwaltungsmodell wurde dabei reformiert, es blieb jedoch im Grundsatz erhalten. Dennoch ist ein Kontinuitätsbruch zu konstatieren: Denn seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV") werden die Mittel für den Großteil der als erwerbsfähig betrachteten Leistungsempfänger nicht im Rahmen der korporatistischen Selbstverwaltung verwaltet. Seit dem 1. Januar 2005 gibt es in der Arbeitslosenversicherung zwei unterschiedliche rechtliche Regelungskreise (Sozialgesetzbuch II und III) mit jeweils unterschiedlichen Trägerstrukturen (Arbeitsgemeinschaften bzw. Optionskommunen und die Bundesanstalt für Arbeit) und unterschiedlichen Formen der Interessenrepräsentation.

Es wird hier der Frage nachgegangen, ob und inwieweit der Wandel der Selbstverwaltungsstrukturen in der Arbeitsmarktpolitik als Indikator für ein verändertes Verhältnis der arbeitsmarktpolitischen Interessengruppen verstanden werden kann. Dazu werden zunächst die wichtigsten Stationen der Entwicklung der korporatistischen Arbeitsverwaltung nachgezeichnet. Diese sind:

  • das Ringen der Tarifverbände für eine "staatsferne" bi-paritätische Arbeitsverwaltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit;

  • die konsensorientierte, tripartistische Verwaltung sowohl im "goldenen" als auch in den ersten Jahren des "nach-goldenen" Zeitalters der Wohlfahrtsstaatspolitik;

  • die mit zunehmender Dauer der ökonomischen und arbeitsmarktlichen Anpassungsprobleme steigende Konfliktintensität zwischen den Arbeitsmarktakteuren in den späten 1980er Jahren und die Überlagerung dieser Konflikte durch den partei- und verbandsübergreifenden Konsens anlässlich der deutschen Wiedervereinigung;

  • der Versuch der konservativ-liberalen Regierung in den 1990er Jahren, die Einbindung der Verbände in der Arbeitsverwaltung zurückzudrängen, der schließlich erst unter Rot-Grün und mit den Hartz-Reformen in aller Konsequenz vollzogen wurde: Im Verwaltungsmodell der neuen Träger des Sozialgesetzbuches II (SGB II) sind die Sozialpartner nur noch als eine Interessengruppe unter vielen vertreten.

Verwaltung der Arbeitslosenversicherung als korporatistisches Arrangement

Selbstverwaltung kann ganz allgemein definiert werden als die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben, die aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliedert sind und zur Erledigung an eigenständige, öffentlich-rechtliche Rechtssubjekte übertragen werden. Die verselbstständigten Träger haben das Recht der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und der eigenen Rechtsetzung. Sie haben damit - innerhalb eines gesetzlich definierten Rahmens - die Möglichkeit der politischen Gestaltung ihrer Aufgabe.

Zur Wahrnehmung der Selbstverwaltungsrechte haben die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg wie auch die Agenturen für Arbeit auf lokaler Ebene Selbstverwaltungsorgane. Die Selbstverwaltungsgremien der Träger sind drittelparitätisch mit Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Körperschaften besetzt. Die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane werden durch ein Berufungssystem bestellt; vorschlagsberechtigt für die Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sind die tarifschließenden Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die eine "wesentliche" Bedeutung haben. Die Vertreter der öffentlichen Körperschaften werden von der Bundesregierung, dem Bundesrat und den Spitzenvereinigungen der kommunalen Körperschaften vorgeschlagen (§ 379 SGB III).

Selbstverwaltete Institutionen gibt es in Deutschland in vielen verschiedenen Politikfeldern; so haben im Bereich der Sozialpolitik zum Beispiel auch die Träger der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung Selbstverwaltungsorgane. Die Selbstverwaltung unterscheidet sich von anderen Formen der dezentralen Verwaltungsorganisation dadurch, dass sie Interessengruppen, die von der spezifischen Aufgabe betroffen sind, institutionalisierte Mitwirkungsrechte garantiert. Sie ist vom Ansatz her ein partizipatives Verwaltungsmodell. Aufgrund ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer Funktionen hat aber die Selbstverwaltung in den sozialpolitischen Institutionen nur wenig mit Ideen einer pluralistischen Verwaltungspartizipation zu tun, bei der eine Vielzahl von verschiedenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen(-Verbänden) gleichberechtigt an offenen Aushandlungsprozessen teilhaben kann. Selbstverwaltung ist vielmehr eine Variante der korporatistischen Interessenvermittlung. Starke, zentralisierte Verbände werden mit dem Ziel der Konfliktreduktion an der Ausführung politischer Entscheidungen beteiligt. Das Recht zur Partizipation ist begrenzt und wird in der Arbeitsverwaltung vorrangig (bis zu den Hartz-Reformen und der Einführung des SGB-II-Regimes: ausschließlich) den tariffähigen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zugesprochen.

Selbstverwaltung ist keine staatsfreie Verwaltung, sondern eine Verwaltung unter staatlicher Aufsicht: In der Arbeitsverwaltung (anders bei den übrigen Sozialversicherungsträgern) wirken staatliche Vertreter sogar direkt in den Selbstverwaltungsgremien mit. Darüber hinaus kann der Haushalt der BA auch gegen den Willen der Selbstverwaltungsorgane der BA durch die Bundesregierung in Kraft gesetzt werden (§ 71a SGB IV). Schließlich unterliegt die BA nicht nur der Rechtsaufsicht durch das Bundesarbeitsministerium (§ 393 Abs. 1 SGB III), sondern in Teilbereichen auch der Fachaufsicht. Kurzum: Die Arbeitsverwaltung hat nicht nur einen korporatistischen, sondern auch einen stark "anstaltlichen" Charakter.

Entwicklung der korporatistischen Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung

Just jener anstaltliche Charakter der Arbeitsverwaltung war bei ihrer Wiedererrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg höchst umstritten. Die Tarifparteien hatten sich in den "Hattenheimer Grundsätzen" von 1950 auf eine biparitätische Selbstverwaltung verständigt. Der Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums knüpfte demgegenüber an die Strukturen der ehemaligen Reichsanstalt der Weimarer Republik an und sah eine drittelparitätische Gremienstruktur auf allen Verwaltungsebenen vor. Lediglich in Fragen der aus Beiträgen finanzierten Arbeitslosenversicherung sollten die Vertreter der öffentlichen Körperschaften kein Stimmrecht haben. Von den Tarifparteien wurde dieses als "unecht" bezeichnete Selbstverwaltungsmodell strikt abgelehnt - sie konnten sich jedoch nicht durchsetzen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich die Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung zu einer wichtigen Säule der korporatistischen Interessenvermittlung - ungeachtet der massiven Konflikte zwischen Staat und Verbänden beim Errichtungsgesetz und vor allem ungeachtet der Tatsache, dass die Möglichkeiten zur staatlichen Intervention in den Folgejahren beständig ausgeweitet wurden. Besonders deutlich wird dies im AFG von 1969. Die darin enthaltenen Selbstverwaltungsreformen lassen das Leitbild eines interventionistischen Staats deutlich werden, der sich nicht auf die Rechtsaufsicht beschränkt, sondern auch die Arbeitsverwaltung inhaltlich mitgestalten will. Die Vertreter der öffentlichen Körperschaften erhielten nun auch in Fragen der Arbeitslosenversicherung volles Stimmrecht (§ 192 AFG). Darüber hinaus konnte der Bundesarbeitsminister von nun an bei Fragen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (§ 6 AFG), der Auslandsvermittlung (§ 18 AFG) und der Arbeitserlaubnis von Ausländern (§ 19 AFG) Weisungen erlassen, und auch bei der Vermögensverwaltung wurden die Rechte der Selbstverwaltung begrenzt. Dass die Sozialpartner die tripartistische Selbstverwaltung und die sukzessive Einschränkung der korporativen Autonomie der BA akzeptierten, ist auf den von allen Arbeitsmarktakteuren geteilten Konsens zurückzuführen, die Mittel der BA zur sozialverträglichen Gestaltung des wirtschaftlichen Strukturwandels nutzen. Die Verwendung der finanziellen Ressourcen der Arbeitslosenversicherung zur Lösung von betrieblichen Problemen war im Interesse beider Tarifparteien und führte angesichts eines insgesamt positiven Wirtschaftsklimas nicht zu unüberbrückbaren Konflikten zwischen Vertretern verschiedener Wirtschaftszweige beziehungsweise verschiedener Arbeitnehmergruppen.

Die wirtschaftlichen Bedingungen, auf die das Instrumentarium des AFG abgestimmt war, veränderten sich bald: Bereits Mitte der 1970er Jahre endete das "goldene Zeitalter" staatlicher Wohlfahrtspolitik. Die Notwendigkeit zur andauernden Krisenpolitik ließ den Konsens zwischen den Arbeitsmarktakteuren, dass der wirtschaftliche Strukturwandel vor allem durch die Sozialversicherung zu bewältigen sei, immer brüchiger werden. Die gestiegene Konfliktintensität in der Arbeitsverwaltung im Verlauf der 1980er Jahre, die sich zum Beispiel bei der Frage der Höhe der Lohnnebenkosten äußerte, wurde jedoch durch den Fall der Mauer und die von allen Arbeitsmarktakteuren einvernehmlich getroffene Entscheidung, die deutsche Einheit mit den finanziellen Mitteln der BA zu finanzieren, zunächst überdeckt. Sie trat dann aber 1992 vor dem Hintergrund der immer weiter steigenden Kosten für Arbeitsbeschaffung (ABM) und Fortbildung und Umschulung (FuU) in den ostdeutschen Bundesländern umso stärker zu Tage. Konflikte über die adäquate arbeitsmarktpolitische Strategie gab es sowohl zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, zwischen den Sozialpartnern und der öffentlichen Bank, aber auch innerhalb der öffentlichen Bank zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Um die immensen Kosten für die ABM- und FuU-Maßnahmen zu finanzieren, setzte die hauptamtliche Selbstverwaltung der BA (mit Unterstützung der ehrenamtlichen Gremien) strategisch auf die Defizithaftung des Bundes und überzog den Haushalt. Diese Strategie hatte allerdings einen ungewollten Nebeneffekt: Auf Druck des Bundesfinanzministeriums wurde 1993 das Haushaltsrecht der BA verändert. Der Bund erhielt das Recht, den Haushalt der BA auch gegen das Votum der Selbstverwaltungsorgane in Kraft zu setzen und machte davon noch im selben Jahr Gebrauch.

Mit dem AFG-Reformgesetz von 1998 (AFRG) ist knapp 30 Jahre nach Verabschiedung des AFG erneut eine Kurskorrektur vollzogen worden: Statt umfassender Bildung wurden nun die Aktivierung der Leistungsbezieher und die Effizienz der Maßnahmen betont. Der Übergang von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik kam auch in (Selbst-) Verwaltungsreformen zum Ausdruck. Um die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik institutionell zu verankern, sollten vor allem die lokalen Arbeitsämter gestärkt werden, da diese am dichtesten an den "Betroffenen", das heißt den Unternehmen und den (potentiell) Arbeitslosen, dran sind. Eine Stärkung der dezentralen Dienststellen traf auch auf die Zustimmung der Sozialpartner, hatten diese doch mit ihren jeweiligen Fort- und Weiterbildungseinrichtungen auf der lokalen Ebene ganz eigene Interessen. Vorstand und Verwaltungsrat der BA forderten darüber hinaus eine Stärkung der mittleren und oberen Instanzen der Selbstverwaltung, insbesondere was das Haushaltsrecht der Selbstverwaltungsgremien betraf, konnten hier jedoch keine Veränderungen erzielen.

Die vier auf der Grundlage der Hartz-Kommission verabschiedeten Gesetze brachten den nächsten größeren Einschnitt in die Selbstverwaltungsstrukturen der Arbeitsverwaltung. Unmittelbar nach Bekanntwerden des vom Bundesrechnungshof aufgedeckten "Vermittlungsskandals" wurden "Sofortmaßnahmen" eingeleitet und die BA (ab nun: Bundesagentur) erhielt "moderne Führungsstrukturen". Auf der zentralen Ebene der BA wurde die bisherige dreistufige Leitungsstruktur (Präsident, Vorstand, Verwaltungsrat) abgeschafft. Die BA wird seither von einem hauptamtlichen Vorstand und einem ehrenamtlichen Verwaltungsrat geleitet. Der neue dreiköpfige Vorstand, dessen Mitglieder auf Zeit von der Bundesregierung berufen werden, hat die Aufgaben des ehemaligen Vorstands sowie des Präsidenten übernommen. Aufgabe des Verwaltungsrats, des einzigen noch verbliebenen Selbstverwaltungsorgans auf zentraler Ebene, ist die Beratung und Kontrolle der Tätigkeit des Vorstands (§§ 371 und 381 SGB III). Die Mitgliederzahl des Verwaltungsrats wurde zudem von 51 auf 21 verringert. Nicht nur quantitativ durch den Wegfall eines Organs und die reduzierte Zahl der Akteure, auch qualitativ wurden die Selbstverwaltungsrechte verändert. Die Informationsrechte des Verwaltungsrats wurden zwar erweitert, die Exekutivfunktion hingegen erneut beschnitten: Die Bundesregierung hat nun das Letztentscheidungsrecht bei der Benennung der Vorstandsmitglieder, und auch die Entlassung von Vorstandsmitgliedern ist nur mit ihrer Zustimmung möglich.

Es sind aber nicht die veränderten Leitungsstrukturen der BA, die den Strukturbruch in der korporatistischen Arbeitsverwaltung bewirkten. Zur Abkehr vom tradierten Steuerungsmodell kam es vielmehr durch die Einführung des SGB II - obgleich dieses keine Regelungen enthält, welche die Selbstverwaltungsstrukturen der Bundesagentur unmittelbar betreffen. Seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) werden die Leistungen eines Großteils der erwerbsfähigen Maßnahmenempfänger - politisch gewollt - außerhalb der korporatistischen Selbstverwaltung verwaltet. Die BA setzt das mit dem vierten Hartz-Gesetz eingeführte steuerfinanzierte ALG II als Auftragsangelegenheit des Bundes um und handelt dabei ohne Selbstverwaltung. Die Leistungen nach Hartz IV werden in den meisten Fällen in geteilter Aufgabenwahrnehmung von der BA und den Kommunen verwaltet, die hierfür privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge abschließen und Arbeitsgemeinschaften (Argen) gründen. Die Gestaltung der Leitungsstrukturen der Argen lässt das SGB II offen. Vorgeschrieben ist lediglich, dass die jeweilige Agentur für Arbeit mit der Kommune einen Geschäftsführer für die Verwaltungsführung der Träger der SGB II-Leistungen bestimmt (§ 44b SGB II).

Das SGB II hat - trotz rechtlich getrennter Regelkreise - direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Selbstverwaltungsgremien im SGB III-Regime. Zwischen den beiden Regelkreisen gibt es viele Schnittstellen: Sollen beispielsweise Bezieher des zwölfmonatigen Arbeitslosengeldes I an zweijährigen Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen können, wenn sich inmitten der Maßnahme die organisatorische Zuständigkeit für die- oder denjenigen verändert? Wer entscheidet über die Regelung solcher Fälle - die BA oder die Argen?

Wenig Beachtung fand in der Literatur bislang, dass mit der Einführung des SGB II nicht nur zwei unterschiedliche Verwaltungsregime entstanden sind, sondern auch zwei unterschiedliche Regime der korporatistischen Interessenvermittlung. Anders als bei den Trägern des SGB III sieht das SGB II keine institutionell abgesicherte Beteiligung von Interessenverbänden vor. Es sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigt werden (§ 44b, 1 SGB II). Ob aber eine Trägerversammlung oder andere Gremien gebildet werden und eine umfassende Einbindung von Interessenverbänden angestrebt wird, obliegt den Entscheidungen der beiden Trägerinstitutionen. Bei den meisten SGB-II-Trägern wurden jedoch, wie die Evaluationsergebnisse der Hartz-Reformen zeigen, Beiräte gebildet, in denen auch die Sozialpartner vertreten sind. Allerdings werden neben den Tarifparteien auch die Sozial- und Wohlfahrtsverbände in die Beiräte berufen.

Nun sind die Sozial- und Wohlfahrtsverbände freilich keine neuen Akteure in der Arbeitsmarktpolitik. Im Gegenteil: Ebenso wie die Tarifparteien sind auch die Sozial- und Wohlfahrtsverbände in Deutschland fest in die staatliche Sozialpolitik eingebunden. Die Wohlfahrtsverbände übernehmen vor allem als Produzenten und Anbieter wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wichtige Funktionen. In der Arbeitsmarktpolitik waren sie bislang insbesondere als Träger von Arbeitsförderungsmaßnahmen und sozialen Dienstleistungen präsent, während die Mitwirkung in den Selbstverwaltungsgremien die Domäne der Sozialpartner war. Im neuen SGB-II-Regime wurde die Position der Sozialpartner insofern relativiert, als sie nun in den Gremien nur noch ein Akteur unter mehreren sind. Die jüngsten Arbeitsmarktreformen haben das Verhältnis zwischen den an der Arbeitsmarktpolitik beteiligten Verbänden, insbesondere zwischen Gewerkschaften und den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, neu justiert.

Darüber hinaus haben die Reformen auch die institutionelle Grenzziehung zwischen "Arbeitsmarktinsidern" und "-outsidern" verschärft. Die Interessen der ersten Gruppe werden in den Selbstverwaltungsgremien des SGB-III-Regimes verhandelt. Während diese immer noch über vergleichsweise weitreichende Mitwirkungsrechte verfügen, bleibt die Interessenvertretung des SGB-II-Klientels schwach. Denn zum einen sind die entsprechenden Partizipationsgremien mit geringeren Kompetenzen ausgestattet, und zum anderen können die in den Gremien vertretenen Verbände nur bedingt als originäre Interessenvertreter der Hartz-IV-Empfänger betrachtet werden: Die Wohlfahrtsverbände verstehen sich zwar als Interessenvertreter der sozialpolitischen Klientel; aber sie stellen gleichzeitig soziale Dienstleistungen bereit und vertreten daher auch Anbieter- und Arbeitgeberinteressen.

Wenig plausibel ist auch, dass sich Gewerkschaften langfristig als starke Interessenvertreter der Hartz-IV-Empfänger positionieren werden. Hier kommen die Interessengegensätze zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen in Zeiten einer prekären Arbeitsmarktsituation zum Tragen: Während für "Arbeitsmarktoutsider" eine integrationsorientierte Arbeitsmarktpolitik von Vorteil wäre, ist den "Arbeitsmarktinsidern", der eigentlichen Klientel der Gewerkschaften, eine statuserhaltende Arbeitsmarktpolitik wichtiger. Die Interessen der Insider und die ihrer Repräsentanten sind daher in erster Linie auf den Schutz der bestehenden Arbeitsplätze und Beschäftigungsbedingungen ausgerichtet, indem beispielsweise durch Frühverrentungsprogramme das Arbeitskräfteangebot sozialverträglich verknappt wird oder durch ein vergleichsweise rigides Kündigungsrecht der rechtliche Schutz des Arbeitsplatzes erhalten bleibt - auch wenn sich dadurch die Eintrittsbarrieren für Outsider erhöhen.

Resümee: Kontinuität und Wandel

Die Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung gehört, so kann festgestellt werden, zum institutionellen Kern des bundesdeutschen Korporatismus. Die korporatistische Arbeitsverwaltung wurde im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik allerdings mehrfach reformiert. Die Selbstverwaltungsstrukturen spiegeln das sich verändernde Verhältnis der arbeitsmarktpolitischen Akteure wider: Im Laufe der Zeit lässt sich ein Bedeutungsverlust der Selbstverwaltungsorgane (insbesondere auf der zentralen Ebene) zugunsten einer stärkeren Einflussnahme der Bundesinstitutionen konstatieren. Durch Veränderungen im Organisationsrecht der BA, die vor allem das Budgetrecht und das Recht zur untergesetzlichen Normsetzung betreffen, hat der "anstaltliche" Charakter der Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung eine deutliche Verstärkung erfahren.

Die Reformen veränderten die Struktur der tripartistischen Selbstverwaltung, sie stellten aber das korporatistische Arrangement nicht grundsätzlich in Frage. Erst mit der Einführung von Hartz IV ist es zu einem Bruch mit dem tradierten Selbstverwaltungsmodell gekommen: Zwar bleibt im SGB III-Regelungskreis die korporatistische Selbstverwaltung im Grundsatz erhalten. Im neu eingeführten SGB II werden die Interessenverbände jedoch nicht im Rahmen von Selbstverwaltung, sondern durch Beiräte oder Ähnliches - das heißt, durch eine formal schwächere Form der Einbindung - an der Arbeitsverwaltung beteiligt. Darüber hinaus hat eine Aufwertung der Wohlfahrtsverbände gegenüber den Sozialpartnern stattgefunden, die als neue korporative Akteure nun ebenfalls in den Trägergremien vertreten sind.

Eine der Folgen des Wandels der korporatistischen Arbeitsverwaltung ist, dass der Kreis der von den Selbstverwaltungsorganen im SGB III-Regime vertretenen Personen immer kleiner wird. Damit stellt sich in letzter Konsequenz auch die Frage, inwieweit die in der Selbstverwaltung repräsentierten Interessen noch deckungsgleich mit dem Allgemeinwohl sind. Die Trennung der Arbeitsverwaltung in einen Versicherungsbereich mit starker Selbstverwaltung und in einen Fürsorgebereich mit eingeschränkter Interessenrepräsentation fördert darüber hinaus die wohlbekannten Probleme korporatistischer Arrangements: Entscheidungen zu Lasten dritter, nur schwach organisierter Interessen. Die Parallelität zweier unterschiedlicher Regime der Interessenvermittlung spiegelt nicht nur die Segmentierung des Arbeitsmarktes wider, sondern trägt gleichzeitig mit dazu bei, diese Segmentierung weiter zu verfestigen. Was fehlt, ist ein Partizipationsgremium, in dem Fragen der Verwaltung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums von einem übergeordneten, gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus behandelt werden, unter Einschluss aller betroffenen Interessen, insbesondere also auch derjenigen der Arbeitslosen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Stefan Marx/Rolf Schmachtenberg, Reform der Arbeitsverwaltung. Mehr Wettbewerb und moderne Leitungsstrukturen, in: Bundesarbeitsblatt, (2002) 4, S. 5-9.

  2. Bis 2004 gab es auch Selbstverwaltungsorgane auf regionaler Ebene. Diese wurden jedoch mit Inkrafttreten des dritten Hartz-Gesetzes abgeschafft.

  3. Zum Unterschied von korporatistischer Selbstverwaltung und pluralistischer Verwaltungsdemokratie vgl. Frank Nullmeier, Vom Korporatismus zur Verwaltungsdemokratie, in: Claus Leggewie/ Christoph Sachße (Hrsg.), Soziale Demokratie, Zivilgesellschaft und Bürgertugenden, Frankfurt/M. 2008.

  4. Vgl. Bernard Braun/Tanja Klenk u.a., Geschichte und Modernisierung der Sozialversicherungswahlen, Baden-Baden 2008.

  5. Das Ministerium verfügt in der Arbeitsverwaltung auch über Weisungsrechte und führt die Fachaufsicht z.B. bei der Arbeitsmarktstatistik (§ 283 Abs. 2 SGB III) und der Ausländerbeschäftigung (§ 288 Abs. 2 SGB III).

  6. Vgl. Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3., München 2004, hier: § 88 VII.

  7. Vgl. Walter Henkelmann, Die Selbstverwaltung in der Arbeitsverwaltung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1 (1950) 4, S. 170-172; Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland: Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945-1957, Stuttgart 1980.

  8. Vgl. Christine Trampusch, Die Bundesanstalt für Arbeit und das Zusammenwirken von Staat und Verbänden in der Arbeitsmarktpolitik, Köln 2005.

  9. Vgl. Hans-Walter Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003, S. 577-578.

  10. Vgl. Ulrike Kress, Informationsmappe AFG-Reform, Nürnberg 1996, siehe D 15, D 16.

  11. Vgl. Christine Trampusch, Arbeitsmarktpolitik, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Ein Vergleich der Entstehung und Transformation der öffentlichen Arbeitsverwaltungen in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden zwischen 1909 und 1999, Göttingen 2000, S. 356-370.

  12. Vgl. S. Marx/R. Schmachtenberg (Anm. 1).

  13. Mit Ausnahme der 69 Optionskommunen, in denen Kommunen im Rahmen einer Experimentierklausel nach § 6a SGB II die Gewährung des ALG II in eigener Zuständigkeit verwalten, und der Landkreise und der kreisfreien Städte, in denen die Aufgaben nach dem SGB II getrennt wahrgenommen werden. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2007 hat die Trägerschaft durch die Argen allerdings als verfassungswidrig eingestuft und gab dem Gesetzgeber bis Ende 2010 Zeit zur Neuordnung der Umsetzung des SGB II. Bund und Länder befinden sich darüber zurzeit im Abstimmungsverfahren.

  14. Vgl. Wilhelm Adamy, Gibt es noch eine Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung?, in: Vierteljahresschrift für Sozialrecht, (2006) 3, S. 175-189, hier S. 183.

  15. Vgl. Deutscher Bundestag, Bericht zur Evaluation der Experimentierklausel nach § 6c des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 16/11488 vom 18. 12. 2008, S. 52.

  16. Vgl. Manfred G. Schmidt, Bundesanstalt für Arbeit, in: Uwe Andersen/Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 20035, S. 49-50.

Dr. rer. pol., geb. 1974; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Parkallee 39, 28209 Bremen.
E-Mail: E-Mail Link: tklenk@zes.uni-bremen.de