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Global Governance der internationalen Finanzmärkte

Henrik Enderlein

/ 15 Minuten zu lesen

Die aktuelle Finanzkrise könnte zum Konsens darüber beitragen, dass die internationalen Finanzbeziehungen im Zentrum globaler Politik stehen müssen und keine Resultante zahlloser Marktvektoren sein können.

Einleitung

Die aktuelle Finanzkrise führt uns vor Augen, welche Folgen eine Entkopplung von Real- und Finanzwirtschaft nach sich ziehen kann: Wenn Volumina und Bedeutung von Finanzanlagen in keinem Verhältnis mehr zu ihren zu Grunde liegenden volkswirtschaftlichen Transaktionen stehen, sind eine finanzwirtschaftliche Überhitzung, Blasenbildungen und letztlich der Zusammenbruch sowohl des Finanzsystems als auch der Realwirtschaft kaum vermeidlich. Die besondere Tragweite der aktuellen Krise ergibt sich daraus, dass sich die Entkopplung in einem hoch komplexen System globaler Transaktionen vollzogen hat. Die transnationalen Verflechtungen im globalen Finanzsystem und die aus ihr resultierenden Kettenreaktionen im Krisenfall haben einen ökonomischen Problemdruck hervorgebracht, der in dieser Form historisch wohl einzigartig ist.



Mit diesen Feststellungen geht die Frage nach der Vermeidbarkeit solcher Entkopplungen im internationalen Finanzsystem einher. Krisenzeiten sind deshalb auch immer Analysezeiten. Während wir uns in der schwierigsten Finanz- und Wirtschaftslage seit den 1930er Jahren befinden, entstehen ungemein produktive Diskussionen über die Krisenursachen, aktuelle Handlungsoptionen und mittel- bis langfristig zu leistende Anpassungen der institutionellen Rahmenbedingungen. Das Governance-Konzept erfährt in diesem Kontext eine kleine Renaissance: Wer in den wichtigsten internationalen Pressepublikationen des Jahres 2008 nach Artikeln sucht, in denen sowohl das Wort "Governance" als auch die Wortkombination "financial markets" auftaucht, stellt fest, dass deren Zahl im Oktober 2008 fast sechsmal so hoch war als noch zu Beginn des Jahres.

Worauf bezieht sich Governance im Kontext internationaler Finanzmärkte? Kritiker könnten anmerken, es handele sich bei der gehäuften Verwendung dieses Konzepts um eine euphemistische Vernebelungsfloskel, mit der so getan werde, als gebe es einen Problemlösungsansatz, ohne diesen jedoch benennen zu müssen. In der Tat ist das Governance-Konzept so umfassend, dass es immer Gefahr läuft, seine inhaltliche Breite nicht ausfüllen zu können. Andererseits erscheint das Konzept - besonders in seiner fokussierten Form auf "Global Governance" - bestens geeignet, um die Ursachen der Finanzkrise zu verstehen und politikrelevante Schlussfolgerungen zu ziehen.

Dieser Text wird sich in einem ersten Teil einer Ursachenanalyse der aktuellen Finanzkrise widmen, ehe anhand des Finanzkrisenbeispiels sowohl die Relevanz als auch die Schwierigkeit von Global Governance herausgearbeitet werden. Zum Abschluss wird untersucht, welche regulativen und institutionellen Instrumente notwendig gewesen wären, um die Krise zu vermeiden, ebenso, welche Komponenten zum erfolgreichen Aufbau globaler Governance-Strukturen im globalen Finanzsystem nötig (gewesen) wären.

Ursachen der Finanzkrise

Bei der aktuellen Krise handelt es sich nicht etwa um eine kurzfristig entstandene Immobilien- und Finanzkrise, sondern um das Ergebnis von zwei parallel aufgetretenen Strukturphänomenen, deren Präsenz und Risiken lange bekannt waren. Einerseits entwickelten sich in den vergangenen zehn Jahren immense Ungleichgewichte auf den globalen Finanzmärkten, die letztlich eine Überversorgung mit Liquidität in den USA zur Folge hatten und damit zu Auslösern der Krise wurden. Andererseits setzten US- und internationale Banken im Kontext dieser Überversorgung mit Liquidität immer häufiger auf direkte Anlagen in vermeintlich sichere Wertpapiere, die über Immobilienkredite abgesichert schienen, anstatt das klassische Kreditgeschäft als wichtigste Einnahmequelle zu behalten. Beide Strukturphänomene und die mit ihnen verbundenen Risiken waren seit Jahren bekannt, und insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sie mehrfach detailliert beschrieben, ohne dass Konsequenzen gezogen wurden.

Wir beobachten also eine Abwesenheit von internationaler Handlungskoordination, die auf die Herstellung und Implementierung kollektiv verbindlicher Regelungen zur Lösung dieser Strukturprobleme ausgerichtet gewesen war bzw. auf die Bereitstellung des Kollektivguts Finanzmarktstabilität abzielte. Besonders beeindruckend ist die Abwesenheit von Global Governance in den internationalen Finanzmärkten bei der Entstehung der Ungleichgewichte. Kurz vor dem Beginn der Finanzkrise im Sommer 2007 bestand folgende Konstellation: Während die USA ein Leistungsbilanzdefizit von 6,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufwiesen, waren die großen asiatischen Volkswirtschaften zu ihrem Finanzier geworden. China schickte fast jeden zehnten erwirtschafteten Yuan außer Landes (je nach Berechnung ca. 240 Milliarden US-Dollar pro Jahr bzw. zehn Prozent des chinesischen BIP). Japan kam auf einen nur geringfügig geringeren Wert (167 Milliarden US-Dollar bzw. 3,7 Prozent des BIP). Die Erdöl exportierenden Länder legten noch einmal knapp 300 Milliarden dazu, um den immensen Kapitalhunger der USA zu stillen.

Diese Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite reflektierten massive Ungleichgewichte in den Außenhandelsbeziehungen. Die USA importierten im Jahr 2007 Güter im Wert von 7300 US-Dollar pro Person. Bedient wurde diese Nachfrage vor allem durch Exporte aus China. Mit keinem Land der Welt (auch nicht mit Europa) war das Handelsdefizit der USA größer. Die ökonomische Logik von Angebot und Nachfrage würde bei einem so ausgeprägten Bedarf an Kapital durch die USA davon ausgehen, dass der Preis für Kredite, also der Zins, steigen müsste. Dies war nicht der Fall. Die Preise von US-Anleihen blieben weiterhin sehr hoch. Da sich der Zins einer Anleihe umgekehrt proportional zum Preis entwickelt, waren die Kreditkonditionen für die USA weiterhin sehr günstig.

Es gab zwei Hauptgründe für die hohen Preise und deshalb niedrigen Zinsen von US-Anleihen. Erstens kauften asiatische Zentralbanken einen Großteil der Anleihen auf dem Markt. Ihr Ziel war es, durch die monumentalen Summen, die dabei in der Landeswährung auf die Kapitalmärkte geworfen wurden, die eigenen Währungen gegenüber dem Dollar künstlich unter Druck zu setzen. Dadurch konnten sie ihre besonders gute Exportsituation gegenüber den USA aufrechterhalten. Zweitens hatte sich außerhalb der USA ein massiver Liquiditätsüberschuss entwickelt. Die Weltgeldmenge stieg zwischen 1998 und 2007 rasant an. Das lag an einer Kombination aus einer hohen Sparquote außerhalb der USA und an niedrigen Zentralbankzinsen nicht nur in den OECD-Ländern, sondern auch in vielen Entwicklungsländern. Die chinesische Volkswirtschaft sparte rund die Hälfte ihres Sozialprodukts an, während in den USA durchschnittlich jeder Privathaushalt Schulden in Höhe von 0,5 Prozent des Nachsteuereinkommens hatte.

Die Ungleichgewichte waren eine direkte Konsequenz sehr rationaler nationaler Wirtschaftspolitiken, die in ihrer Kombination eine fast paradoxe Win-win-Konstellation für die beteiligten Staaten hervorrief. Für die USA war die asiatische Liquiditätsspritze eine wichtige und willkommene Komponente der Wirtschaftspolitik George W. Bushs. Als der Internetboom in den USA am Anfang des Jahrtausends zusammenbrach und die Wirtschaft in eine längere Rezession zu gleiten drohte, startete die Regierung Bush einen keynesianischen Rettungsplan alter Schule. Aus dem von der Vorgängerregierung geerbten Haushaltsüberschuss wurde innerhalb kürzester Zeit eines der größten Defizite der jüngsten US-Geschichte - übrigens nicht primär wegen der hohen Militärausgaben, sondern vor allem aufgrund der massiven Steuersenkungen. Die hohe Verschuldung hätte höhere Kapitalmarktzinsen zur Konsequenz haben müssen, doch weil sich die asiatischen Zentralbanken mit Schuldentiteln eindeckten, kam es nicht dazu. Der Dollar wurde stärker (obwohl er eigentlich hätte fallen müssen), und die US-Verbraucher kamen in den Genuss günstiger Importe aus China, die gleichzeitig auch die Inflationsentwicklung dämpften. Der beeindruckenden Wachstumsphase der US-Wirtschaft vor dem Beginn der Finanzkrise bei geringem Preisauftrieb und niedrigen Zinsen war der Weg bereitet. Durch die günstigen Kreditkosten boomte der Immobilienmarkt bis zum Beginn der Krise in historisch einzigartiger Weise.

Das postkommunistische Regime Chinas folgte wie einige asiatische Nachbarländer der Strategie des export-led-growth. Dieser Ansatz war bislang vor allem in relativ kleinen Ländern (z.B. Südkorea, Hongkong, Taiwan, Singapur) erfolgreich gewesen. Noch bis in die 1990er Jahre hinein waren Ökonomen deshalb davon ausgegangen, dass China mit dieser Strategie niemals ein ausreichendes Wachstum erzeugen könne. Das Argument: Bei der immensen Größe der Volksrepublik müssten deutlich mehr Waren exportiert werden, als die Industrieländer zu importieren in der Lage wären. Doch China wählte diesen Weg und unterstützte ihn mit der oben beschriebenen Strategie der Unterbewertung des Yuan. Die Landeswährung wurde an den Dollar gekoppelt, um Außendirektinvestitionen anzuziehen und gleichzeitig massive Preisvorteile für chinesische Waren auf dem US-Markt zu garantieren. Der Schlüssel zum Erfolg war die Intervention der chinesischen Zentralbank auf den US-Anleihemärkten und die resultierenden Dollarreserven in vorher nicht gekanntem Ausmaß. Bis zum Beginn der Finanzkrise war also für die USA und China aus der jeweiligen Akteursperspektive das System "in Ordnung".

Dies leitet über zur Frage, wie sich die Ungleichgewichte auf den Finanzmärkten auf das Finanzsystem übertragen konnten. Dieser Aspekt ist technisch komplex und lässt sich hier nur sehr verkürzt darstellen. Ausgangspunkt war die Verbriefung von Erträgen aus US-Immobilienkrediten. Die daraus entstehenden Mortgage Backed Securities wurden in Paketen zusammengefasst und als Collateralized Debt Obligations (CDO) neu in Tranchen aufgeteilt, die sich im Grad der Kreditsicherheit unterschieden. Für Kreditinstitute, die eine von den Rating-Agenturen mit der Höchstnote AAA bewertete Tranche von CDOs erwarben, handelte es sich um ein äußerst lukratives und augenscheinlich risikoloses Investment. Mit dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes brach auch das Konstrukt um die CDOs zusammen; weil für die Banken kaum noch eine Möglichkeit bestand, die tatsächliche Risikostruktur ihrer Investitionen abschätzen zu können, setzte ein Vertrauensverlust zwischen den Banken ein, der zum Zusammenbruch des Interbanken-Kreditmarktes führte und die Finanzkrise ins Rollen brachte.

Seit dem Beginn der Krise ist noch keine global koordinierte Antwort erfolgt. Eine Analyse der Krisenfolgen würde den Rahmen dieses Textes sprengen: Im Folgenden soll das Augenmerk auf die Frage gerichtet werden, wie die entstehenden Problemkonstellationen in den vergangenen Jahren hätten erkannt und vermieden werden können. Die skizzierte Entwicklung zeigt vor allem, dass eine rein interessenbasierte Außenwährungspolitik in Abwesenheit effektiver Global Governance unter bestimmten Voraussetzungen zwar recht harmonisch und daher gewinnbringend für die beteiligten Akteure ablaufen kann, mittelfristig allerdings Konflikte hervorruft und langfristig in eine echte Krise des internationalen Finanzsystems münden kann.

Governance, Global Governance und die internationale Finanzkrise

Gibt es im internationalen Finanzsystem Möglichkeiten, die Entstehung von Marktexzessen zu verhindern? Welche Governance-Leistung hätte vom internationalen System erbracht werden müssen, um auf die Problemlage zu antworten?

Am besten lässt sich diese Herausforderung wohl über Zeitinkonsistenzen beschreiben: Notwendig wäre im Gesamtsystem wohl die Aufgabe kurzfristiger Gewinne gewesen, um mittel- bis langfristig Verluste zu vermeiden (Jon Elster nennt dies deferred gratifications). Hierzu sind nur unabhängige Instanzen in der Lage. Da die internationalen Finanzbeziehungen kurzfristig stark einem Nullsummenspiel ähneln, jeglicher Eingriff in die nationale Wirtschaftspolitik zudem eine direkte Einschränkung nationaler Souveränität bedeutet, sind die Grundlagen für den Aufbau von Institutionen oder Instanzen, die ein solches Problem hätten lösen können, nur schwer vorstellbar. Dieses besondere Charakteristikum der internationalen Finanzbeziehungen ist nicht neu. Robert Keohane hat schon 1984 darauf hingewiesen, dass der Aufbau eines "Regimes" im Bereich der internationalen Finanz- und Währungskoordinierung ungleich schwieriger erscheint als im Bereich der globalen Handelsbeziehungen.

Tatsächlich sind die internationalen Finanzbeziehungen seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Regimes derjenige Bereich gewesen, in dem sich die internationale Kooperation am wenigsten herausgebildet hat. Zwar gab es gerade im Bereich der Bankenregulierung durchaus Abkommen wie Basel II, die eine Grundlage für Kooperation sein konnten, aber selbst in diesem Bereich sind die nationalen Unterschiede erhalten geblieben, nicht nur wegen der Entscheidung der USA, das Basel II-Abkommen nicht oder erst verspätet umzusetzen.

Der Problemkontext der aktuellen Finanzkrise lässt sich also vor dem Hintergrund betrachten, dass es im internationalen Finanzsystem keine oder nur sehr eingeschränkt wirkende Steuerungsinstanzen gibt. Dennoch handelt es sich nicht um einen regelfreien Raum, was die Anwendung des Governance-Konzepts geradezu herausfordert. Denn Steuerung wird meist mit der klassisch-hierarchischen Autoritätsausübung verbunden, die sich immer auf die Einhaltung von Regeln (compliance) im Kontext institutionalisierter Durchsetzungsinstrumente (enforcement) stützt. Governance hebt sich dagegen maßgeblich von der eng definierten Steuerungstheorie ab. Der Begriff bezieht sich breit gefasst auf die Gesamtheit der kollektiven Regelungsformen gesellschaftlicher Sachverhalte. Präziser lässt er sich wie folgt definieren: "Governance bezieht sich auf institutionalisierte Modi der sozialen Handlungskoordination, die auf die Herstellung und Implementierung kollektiv verbindlicher Regelungen bzw. auf die Bereitstellung kollektiver Güter für eine bestimmte soziale Gruppe abzielen."

Mit Blick auf die Finanzkrisenproblematik ist die definitorische Haarspalterei deshalb so spannend, weil sie die Frage hervorbringt, ob der Markt in der Lage ist, die beschriebenen Leistungen zu erbringen, d.h., ob Marktmechanismen selbst als Governance-Modi zu sehen sind. Wäre der Markt in der Lage gewesen, eine Entkopplung von Finanz- und Realwirtschaft zu vermeiden? Die ökonomische Literatur hat lange argumentiert, dass individuelle Nutzenmaximierung innerhalb eines Marktkontexts durchaus in der Lage ist, Governance-Leistungen zu erbringen. Sie weist darauf hin, dass allein aufgrund der Präsenz von Marktstrukturen selbst in Abwesenheit intentionaler Planung Kollektivgüter entstehen können. Entscheidend dabei ist allerdings, dass keine auf das Kollektivgut ausgerichtete Intentionalität vorliegt.

Kann ein rein marktbasiertes internationales Finanzsystem in ähnlicher Form seine eigene Stabilität sichern und Blasenbildungen oder übermäßige Instabilität vermeiden, wenn alle Akteure ihrer eigenen Rationalität folgen? Oder sind für die Erbringung des Kollektivguts internationale Finanzmarktstabilität intentionale Eingriffe notwendig? Die oben skizzierte Ursachenanalyse der Krise weist darauf hin, dass gerade diese intentionalen Eingriffe gefehlt haben. Und so mag die Zeit für eine Neustrukturierung der Regelsysteme im internationalen Finanzsystem in der Tat gekommen sein. Doch niemand sollte unterschätzen, wie schwierig Global Governance gerade in diesem Bereich ist. Denn die Entstehung von Strukturen von Global Governance ist gemeinhin durch ein oft opakes Zusammenspiel von staatlichen, privaten, internationalen und regionalen Akteuren charakterisiert, das erfolgreiche Formen der Handlungskoordinierung hervorbringen kann - aber eben nicht zwingend hervorbringen muss.

Die Erwartungen an die zu erbringende Handlungskoordinierung sind hoch. Eine künftige Weltwirtschaftsordnung müsste auf zwei Dinge zielen: a) ein Frühwarnsystem, das Krisen erkennt und Handlungsoptionen für die beteiligten Akteure aufzeigt und b) eine unabhängige Instanz, die von betroffenen Ländern die Anpassung nationaler Wirtschaftspolitik einfordern kann. Es gibt drei zentrale Lösungswege, eine solche Weltwirtschaftsordnung umzusetzen. Der erste Weg führt zurück zur "Governance durch den Markt" - also eine reine Marktanpassung. Der zweite Weg setzt auf eine multilateral ausgehandelte Strategie, die kurzfristige nationale Interessen im Sinne einer langfristigen Stabilität zurückstellt (erfolgreiche Global Governance). Der dritte Weg setzt auf langsame, durch die Politik initiierte und inkrementelle Anpassungsprozesse (Status quo).

Governance durch den Markt. Diese Form der Governance müsste die Handlungskoordinierung automatisch, also nicht-intentional hervorbringen. Befürworter von Marktanpassungsprozessen halten es für möglich, dass die Unfähigkeit des Marktes, die Finanzkrise aus sich selbst heraus zu verhindern, durch die Funktionshindernisse im Markt selbst entstanden ist. In der Tat suggerieren die Umsätze in den internationalen Währungs- und Kapitalmärkten zwar einen hoch effizienten Markt (an einem einzigen Tag beträgt das durchschnittliche Handelsvolumen im Wechselkursgeschäft rund zwei Billionen US-Dollar), aber andererseits zeigt die Interventionspolitik asiatischer Zentralbanken, dass es in den internationalen Währungsbeziehungen eben nicht um reine Marktbeziehungen geht.

Dennoch scheint Governance durch den Markt keine praktikable Antwort auf die Herausforderungen im globalen Finanzsystem zu sein. Finanzmärkte charakterisieren sich so stark wie wenige andere Märkte durch Informationsasymmetrien. Das mit diesen Asymmetrien einhergehende Marktversagen ruft die Politik zwar auf den Plan, allerdings eher und oft, um den Markt im Sinne der Politik zu gestalten, als ihn im Sinne der Markt-Governance wieder funktionsfähig werden zu lassen. Letztlich geht die Grundskepsis gegenüber dem Konzept aus der Frage hervor, ob internationale Finanzmärkte überhaupt ihre eigene Handlungskoordination hervorbringen können. Es fällt schwer, diese Frage ohne weit reichende Annahmen zur Abwesenheit der Politik positiv zu beantworten.

Global Governance - die koordinierte Marktkorrektur. Eigentlich wäre das Mittel der Wahl ein abgestimmtes Vorgehen der beteiligten Länderregierungen und Notenbankakteure gewesen. Aus ökonomischer Sicht hätte vielleicht Einigkeit darüber erzielt werden können, welche nationalen Politikanpassungen für eine Korrektur der Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft vonnöten gewesen wären. Allerdings hätten Anpassungen im Sinne von deferred gratifications sowohl in den USA als auch in China hohe Kosten hervorgerufen.

Zudem fehlt eine internationale Instanz, die als Nukleus eines Systems von Global Governance dienen kann. Die G7/G8-Struktur erfüllt diese Rolle nicht. Sie ist keine internationale Organisation, sie hat kein ständiges Sekretariat, keine Regeln, keine Kontrollmechanismen. Sie ist ein informelles Zusammentreffen wichtiger staatlicher Akteure in der Weltwirtschaft. Dass von den Gipfeln wichtige Impulse ausgehen können, ist unbestritten, aber als Problemlösungsinstanz eignet sich das Forum gerade in Weltwirtschaftsfragen nicht. Auch der IWF erscheint als Grundlage einer Governance-Struktur ungeeignet. Die durch staatliche Aufsicht in ihrem Handlungsradius stark eingeschränkte Instanz hat in den vergangenen 40 Jahren nie erfolgreich auf die Vermeidung einer globalen Finanzmarktkrise hingewirkt - ob es sich um die Schuldenkrise Lateinamerikas in den 1980er Jahren, die Asienkrise in den 1990er Jahren oder die Finanzmarktkrise heute handelt.

Die Frage ist, ob sich aus dem Zusammenspiel der vorhandenen Akteure, die neben den staatlichen und regionalen Akteuren, der G7/G8 und dem IWF auch die Weltbank, die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr, das Institute for International Finance (die internationale Dachorganisation von Großbanken), die OECD sowie die regionalen Aufbau- und Entwicklungsbanken umfassen könnte, eine Grundlage für Global Governance ergeben könnte. Hier ist Skepsis angebracht: Auch wenn dezentrale Netzwerklösungen in anderen Bereichen von Global Governance funktioniert haben - im internationalen Finanzsystem scheinen die Erfolgsaussichten aufgrund der hohen Redistributionseffekte und der direkten Einschränkung demokratischer Legitimation sehr gering.

Inkrementelle, durch die Politik initiierte Governance-Prozesse. Diese Lösung für die heutigen Probleme scheint aus politischer Sicht wohl die einzig machbare. Wie bisher auch wird die Steuerung internationaler Finanzmärkte nur in denjenigen Bereichen angestoßen werden, in denen sich eine klare Interessenkonvergenz zwischen den an den Verhandlungen beteiligten staatlichen Akteuren abzeichnet. Dies zieht hohe Transaktionskosten nach sich. Die im Zuge der Finanzkrise erstmals aus Staats- und Regierungschefs zusammengesetzte G20 wird sich schon allein aus diesem Grund kaum als Grundlage effektiver Governance eignen.

Die globalen Finanzbeziehungen drohen also neben der klassisch nationalstaatlich verankerten Verteidigungspolitik ihren Status als staatszentrierte und realistisch zu interpretierende Interessenpolitik zu behalten, in der Global Governance letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielt. In einzelnen, von vornherein stark begrenzten Bereichen mögen schwache Formen der Koordinierung und Kooperation glücken (Beispiele könnten die Bekämpfung der Geldwäsche oder der Terrorfinanzierung sein, oder auch gemeinsame Bilanzierungsstandards). Doch alles, was im engeren Sinne "positive Koordinierung" ist, also die gemeinsame Festlegung von für alle verbindlichen Zielvorstellungen, wird wohl auch aus dieser historisch sehr seltenen Problemkonstellation nicht entstehen.

Schlussfolgerungen

Die Folgen der Finanzkrise verweisen auf ein Paradoxon und ein zentrales Desiderat im Bereich der Global Governance von Finanzmärkten. Das Paradoxon lautet, dass die finanzielle Globalisierung nicht primär die wirtschaftspolitische Autonomie der Nationalstaaten geschwächt hat, sondern die Regierbarkeit des globalen Finanzsystems. Nationalstaaten werden in ihrem Bestreben, national präferierte wirtschaftspolitische Lösungen unilateral durchzusetzen, nicht wirksam behindert, globale Kapitalflüsse haben die Effektivität bestimmter Strategien unter Umständen sogar gestärkt. Dagegen sind die Möglichkeiten in der internationalen Finanzarchitektur, mit koordinierten Mitteln gegen unilaterale Destabilisierungen des Gesamtsystems vorzugehen, eher zurückgegangen: Trotz engerer finanzieller Verknüpfungen zwischen den Nationalstaaten und deshalb schnellerer Übertragung von Krisen von einem Land ins andere ist globale Krisenprävention im Bereich der Finanzmärkte nicht vorhanden.

Dementsprechend ist das Desiderat in den internationalen Währungsbeziehungen eine unabhängige Instanz, die, wenn schon nicht mit harten institutionell verankerten Vorgaben (das wäre eine Illusion), dann zumindest mit Glaubwürdigkeit und politischem Gewicht, als fairer Vermittler auftreten kann (honest broker). Eine Erweiterung der G8-Struktur in eine Gruppe der 12, mit China, Indien, Brasilien und Südafrika, wäre eine staatszentrierte, aber unter Umständen effektive Lösung. Allerdings müsste sich diese Gruppe auf ein unabhängiges Sekretariat mit einem unabhängigen Generalsekretär stützen können. Ähnlich wie im Kontext der Welthandelsorganisation oder auch in dem der Europäischen Kommission der frühen Jahre könnte sich ein solches Sekretariat über die zu erwartenden Spill-over-Effekte zu einer echten Supranationalen Organisation entwickeln.

Global Governance ist im Bereich der internationalen Finanzbeziehungen weitaus weniger ausgebildet als in vielen anderen Bereichen. Oft wird argumentiert, erfolgreiche Global Governance gehe mit der Globalisierung einher. Demgegenüber könnte man die Global Governance der Finanzmärkte als Verlierer der Globalisierung bezeichnen. Die aktuelle Finanzkrise könnte bei allen zerstörerischen Effekten dazu beitragen, einen Konsens darüber zu erzielen, dass die internationalen Finanzbeziehungen weiterhin im Zentrum der globalen Politik stehen und keine abstrakt gebildete Resultante zahlloser Marktvektoren sein können. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die finanzielle Globalisierung, die der Welt im Durchschnitt mehr Wohlstand und Wachstum ermöglicht hat, zumindest zeitweilig Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden ist. Die Industrienationen sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob ihre gemeinsame Regierungs-, Regulierungs- und Kooperationskapazität noch ausreicht, um temporären Exzessen des von ihnen geschaffenen Phänomens freier Kapitalflüsse einigermaßen Herr werden zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft siehe z.B. Kapitel 2 des IMF World Economic Outlook, September 2002, "How Worrisome are External Imbalances?", und Kapitel 3 des IMF World Economic Outlook, April 2005, "Globalization and External Imbalances". Zu den Bankenrisiken vgl. IWF, Financial Stability Review 2007, Washington, DC 2007.

  2. Vgl. Jon Elster, Ulysses and the Sirens: Studies in Rationality and Irrationality, Cambridge 1979.

  3. Vgl. Robert O. Keohane, After Hegemony: cooperation and discord in the world political economy, Princeton 1984.

  4. Vgl. Susanne Lütz, Convergence within national diversity - the Regulatory State in Finance, in: Journal of Public Policy, 24 (2004) 2.

  5. Zu einer aktuellen Analyse des Governance-Begriffs und der Diskussion darüber siehe Gunnar Folke Schuppert/Michael Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt. Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 41, Wiesbaden 2008.

  6. Vgl. Renate Mayntz, Governance im modernen Staat, in: Arthur Benz (Hrsg.), Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen, Wiesbaden 2004, S. 65 - 76, hier: S. 66.

  7. FU Berlin, SFB 700, SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 8, Oktober 2007.

  8. Vgl. Oliver E. Williamson, The Mechanisms of Governance, Oxford 1996.

Dr. rer. pol., geb. 1974; Associate Dean und Professor of Political Economy, Hertie School of Governance, Friedrichstraße 180, 10117 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: enderlein@hertie-school.org