Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten
Der Lebenswelt-Ansatz
In der Migranten-Milieu-Studie des SINUS-Instituts (2007/2008) ging es darum, die subjektive Perspektive von Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die Gesellschaft (Deutschland, Herkunftsland) sowie in Bezug auf sich selbst (kulturelle, soziale, ethnische Identität) zu explorieren, die alltägliche Lebenswelt des Einzelnen zu verstehen, um darauf aufbauend typische Muster zu identifizieren und quantitativ-repräsentativ zu messen und zu modellieren.[5] Ein wichtiges konzeptionelles Element war es, Migranten nicht aufgrund ihrer Ethnie vorab einem Segment zuzuordnen, die Ethnie also nicht als Vorfilter zu betrachten, sondern nurmehr als ein Interpretament. Der zentrale Befund ist, dass es in der Population der Menschen mit Migrationshintergrund (ebenso wie in der autochthonen bzw. einheimischen deutschen Bevölkerung) eine bemerkenswerte Vielfalt von Lebensauffassungen und Lebensweisen gibt. Es wird der empirischen Wirklichkeit nicht gerecht, diese Menschen weiterhin als "besondere" Gruppe in unserer Gesellschaft zu betrachten. Vielmehr zeigen sie sich als integrierender Teil dieser multikulturellen, von Diversität geprägten Gesellschaft.Um die bisher in der deutschen Migrantenforschung dominante und meist selbstverständliche, nahezu vorbewusste Defizit-Perspektive empirisch auf den Prüfstand zu stellen, haben wir unterschiedlichste Indikatoren für Integration erhoben. Aus diesem Kontext seien einige Befunde aufgeführt:
Instruktiv, viele Klischees und Vorurteile aufbrechend sind auch Vergleichszahlen zur deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund in Bezug auf Alter, Bildung und Einkommen: Hinsichtlich ihrer Altersstruktur ist die Migranten-Population etwas jünger als die einheimische Bevölkerung. In Bezug auf die Bildungsstruktur ist das Spektrum in der Migranten-Population breiter: Es gibt einen höheren Anteil an Menschen ohne oder mit nur geringer Schulbildung, aber auch - überraschend - einen etwas höheren Anteil an Akademikern als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Was das Einkommen betrifft, so verdienen Menschen mit Migrationshintergrund im Schnitt deutlich weniger als die autochthone deutsche Bevölkerung - das gilt vor allem für Frauen und auch für männliche wie weibliche Akademiker.
Die SINUS-Studie zeigt: Es gibt in weiten Teilen der Migranten-Population ein hohes Maß an kultureller Adaption und Integrationsbereitschaft. Viele Angehörige dieser Gruppe, insbesondere in den soziokulturell modernen Lebenswelten, haben ein bi-kulturelles Selbstbewusstsein, einige sogar eine post-integrative Perspektive. Das heißt, dass sie sich selbst gar nicht als "Migrant(in)" verstehen, sondern als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft und Kultur in diesem Land leben. Sie fühlen sich (und sind) besser integriert als viele in der autochthonen Bevölkerung, so dass die Frage nach der Integration auf sie befremdlich wirkt, auch diskriminierend. Und viele sehen Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit als Bereicherung - für sich selbst und für die Gesellschaft.
Es gibt in der Population der Menschen mit Migrationshintergrund aber auch einen nicht zu vernachlässigenden Teil, der in sozialer, kultureller und politischer Hinsicht als "problematisch" gelten kann und für den sich die Fragen nach der Integration, der sozialen Schließung und auch der Parallelgesellschaft ernsthaft stellen: