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Wie die Menschheit die Klimakrise meistern kann - ein optimistisches Essay | Klimawandel | bpb.de

Klimawandel Editorial Klimawandel: Keine gemeinsame Teilhabe an der Welt Warum zwei Grad? Vertrauen geschmolzen? Zur Glaubwürdigkeit der Klimaforschung Auf dem Weg zu einem neuen globalen Klimaabkommen? Wie die Menschheit die Klimakrise meistern kann - ein optimistisches Essay Klimawandel und Erdsystemmanagement Futur Zwei. Klimawandel als Gesellschaftswandel

Wie die Menschheit die Klimakrise meistern kann - ein optimistisches Essay

Dirk Messner

/ 15 Minuten zu lesen

Um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, muss das fossile Zeitalter alsbald beendet werden. Ein umfassender Low-carbon-Gründerboom ist denkbar. Doch es bedarf auch einer globalen "Kooperationsrevolution".

Einleitung

Der anthropogene Klimawandel stellt die Menschheit vor historisch einzigartige Herausforderungen. Ein gefährlicher Klimawandel, der zu einer globalen Erwärmung von deutlich über zwei Grad Celsius führte, könnte irreversible Kipp-Punkte im Erdsystem auslösen und zu einer Transformation der globalen Ökosysteme mit ungewissem Ergebnis führen. Welche Auswirkungen ein solcher Erdsystemwandel auf die zukünftig neun Milliarden Menschen, die Weltwirtschaft und die internationale Sicherheit hätten, wird von der Wissenschaft bisher kaum untersucht. Das vorhandene Wissen lässt vermuten, dass in einem solchen Prozess nichtlinearen Wandels der Ökosysteme die vier Grundlagen jedweder Zivilisation unter hohen Anpassungsdruck kämen: die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlich nutzbarer Fläche, das Trinkwasser, die Klimastabilität sowie die Energiebasis, die bisher vor allem auf der Verbrennung fossiler Energieträger basiert. Damit schafft sich die Weltgemeinschaft ein globales Risikopotenzial, das über die bereits bestehenden globalen Probleme wie die Instabilität der internationalen Finanzmärkte, fragile Staaten oder grenzüberschreitende Pandemien und Kriminalität weit hinausreicht. Es geht um die langfristigen Grundlagen menschlicher Zivilisation. Nur die Bedrohung der atomaren Vernichtung der Erde stellt eine Analogie zur Klimakrise dar. Mit gewichtigen Unterschieden: Die atomare Selbstvernichtung war für die Menschen aufgrund der Bilder von Hiroshima und Nagasaki "fass- und begreifbar" und vor dem Hintergrund der Kubakrise von 1962 eine unmittelbare, sehr reale Bedrohung.

Demgegenüber gibt es viele robuste Mechanismen, die eine wirksame Reaktion auf den Klimawandel erschweren. Ein "Wandel des Erdsystems" überschreitet unsere Vorstellungskraft und unsere historischen Erfahrungen bei Weitem. Die Menschheit hat zwar in ihrem Gedächtnis gespeichert, was Hyperinflation bedeutet und dass ein Zusammenbruch der Weltwirtschaft Weltkriege auslösen kann. Doch die "moderne menschliche Zivilisation" hat sich seit der Neolithischen Revolution vor etwa 10000 Jahren in einem stabilen Klimaraum entwickelt und keine Erdsystemveränderungen erlebt. Im Pliozän, also vor etwa drei Millionen Jahren, war es zum letzten Mal deutlich wärmer als in vorindustrieller Zeit (im globalen Mittel um etwa 2-3°C). Die nördliche Hemisphäre, inklusive des Nordpols, an dem es damals zwischen 10 und 20 Grad wärmer war als derzeit, war in dieser Phase der Erdgeschichte eisfrei und der Meeresspiegel um etwa 15 bis 25 Meter höher. Diese erdgeschichtliche Zeit kennen wir nur aus Büchern und durch Rekonstruktionen der Wissenschaft. Kurzum: Eine drei oder gar sechs Grad wärmere Welt ist für uns kaum vorstellbar.

Zudem ist der Ausgangspunkt der globalen Erwärmung im Gegensatz zur atomaren Bedrohung kein Angriff, kein datierbares Ereignis, gegen das man sich wappnen könnte. Der Klimawandel gleicht vielmehr dem langsamen Abschmelzen eines Gletschers, ausgelöst durch unsere globalen Produktions- und Konsummuster, das ab einem gewissen Punkt nicht mehr zu stoppen ist. Menschen, aber auch politische Systeme und Unternehmen reagieren eher auf Ereignisse als auf schleichende Gefährdungen. Zudem würden die massiven Auswirkungen des gletscherartigen Erdsystemwandels nicht die heute lebenden, sondern vor allem künftige Generationen betreffen. Die Menschheit müsste also präventiv und weitsichtig handeln, ohne bereits von den signifikanten Wirkungen der globalen Erwärmung betroffen zu sein. Ein weiteres Paradoxon besteht darin, dass der weltweit erwirtschaftete Wohlstand noch nie so groß war wie heute und nie so viele Menschen erreichte. Die "Klimakrise" wird ja geradezu dadurch beschleunigt, dass es in vielen Weltregionen, vor allem aber in Asien, endlich gelingt, von der ökonomischen Globalisierung zu profitieren. Zwar lassen sich in einigen Weltregionen Vorboten der destruktiven Wirkungen der globalen Erwärmung beobachten. Für die meisten Menschen ist der Klimawandel jedoch etwas sehr Theoretisches. Viele Menschen in den Entwicklungsländern empfinden den Klimadiskurs gar als einen Versuch, ihnen ihre Entwicklungschancen zu nehmen. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Klimawissenschaftler (den Autor eingeschlossen), sind oft nicht weniger erschreckt von den Daten der naturwissenschaftlichen Klimaforschung zu den Folgen der Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten als die irritierte Allgemeinheit. Abgesehen von denjenigen, denen Kassandragesänge besondere Genugtuung verschaffen, gibt es einen massiven Trend zur Verdrängung dessen, was Angst macht und verunsichert. Auch die Politik beschäftigt sich (verständlicher Weise) eher mit Problemen die leicht lösbar erscheinen, als mit Herausforderungen, die nach Antworten jenseits der etablierten Pfade verlangen.

Was das Ende des fossilen Zeitalters bedeutet

Der Klimawandel ist vor allem das Ergebnis der Verbrennung fossiler Energieträger. Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe begann um etwa 1820. Es ermöglichte die Substitution tierischer und menschlicher Muskelkraft durch fossil gespeicherte Energie - Kohle. Diese setzte Dampfmaschinen in Gang, die Textilmaschinen, Schiffe und Eisenbahnen bewegten. Damit konnte die Güterproduktion um ein Vielfaches erhöht, die Mobilität der Menschen enorm gesteigert und der Handel ausgedehnt werden. Wirtschaftshistoriker beobachten ab den 1820er Jahren den Übergang von weltweiter Stagnation von Einkommen und Wohlstand zu dynamischer ökonomischer Entwicklung. Um 1890 herum überstieg die geschätzte weltweite Energienutzung mineralischer Kraftstoffe - Öl und Kohle - die Biomasse, selbst wenn weiterhin viele Menschen keinen direkten Zugang zu diesen neuen Energieformen hatten und dies bis heute für etwa zwei Milliarden Menschen gilt. In den 1880er/1890er Jahren fanden auch die wesentlichen Innovationen statt, die das industrielle Zeitalter prägten: die Glühlampe (1876), das Automobil (1885/86), Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität (Elektromotor, Kraftwerktechnologien) und der Chemie (neue Werkstoffe). Industrialisierung, Wohlstandssteigerung und Massenkonsum, Wohlfahrtsstaaten, weltweiter Tourismus, Globalisierung, vielleicht sogar die Demokratie, die auf sozialer Legitimation und Wohlfahrtsversprechen basiert, sind allesamt Kinder des fossilen Zeitalters, das bald seinen 200. Geburtstag feiert. Doch um den Kollateralschaden eines gefährlichen Klimawandels zu vermeiden, muss diese Ära alsbald beendet werden. Laut Wissenschaftlichem Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) kann das mittlerweile akzeptierte Zwei-Grad-Ziel nur eingehalten werden, wenn die globalen Treibhausgasemissionen vor 2020 ihren Höhepunkt erreichen und danach kontinuierlich bis 2050 um etwa 70 Prozent reduziert werden.

Der Abschied vom fossilen Zeitalter bedeutet vor allem viererlei: Erstens muss die Menschheit endlich globale Verantwortung für das Erdsystem übernehmen und dieses als globales öffentliches Gut schützen lernen (ethische und realpolitische Herausforderungen, Collective-action-Probleme); zweitens muss globale politische Handlungs- und Kooperationsfähigkeit mobilisiert werden, um das Erdsystem zu erhalten (Herausforderungen der Global Governance und machtpolitischer Art, Komplexitätsprobleme); drittens müssen wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstandssteigerung für bald neun Milliarden Menschen in den "Grenzen des Erdsystems" organisiert werden (Innovation, neue Wohlstands- und Konsumkonzepte, neue Leitbilder für wirtschaftliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit); und viertens müssen einerseits "die Menschheit" und das internationale politische System Innovationen hervorbringen, um die langsamen Prozesse internationaler Politik zu beschleunigen, weil ansonsten der notwendige Umbau der Weltwirtschaft in Richtung einer low carbon economy nicht zu schaffen ist, andererseits müssen Langfristorientierungen in die politischen und wirtschaftlichen Institutionen eingeschrieben werden (neues "Zeitregime" für das postfossile Zeitalter, Intergenerationengerechtigkeit).

Diese vier Punkte zum Übergang vom Zeitalter des fossilen Industrialismus zur global low carbon economy haben es in sich. Es geht um ethische Neuorientierungen, Durchbrüche in Richtung einer kooperativen Global Governance, technologische Schübe und beschleunigte Innovationsprozesse zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, neue Wohlstandskonzepte sowie institutionelle und soziale Innovationen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Es gibt viele Gründe, einen solchen umfassenden Transformationsprozess für unwahrscheinlich zu halten. Sie sollen im Folgenden ausgeblendet werden. Stattdessen wird skizziert, wie eine solche Veränderungsdynamik in Gang kommen könnte. Der Grund für diese Vorgehensweise ist, dass große Umbrüche nur möglich sind, wenn Menschen sich die neuen Zukünfte und Wege dorthin vorstellen können. Menschen benötigen "Geschichten", Narrative, um sich in einer komplexen Welt zurechtfinden zu können. Das weltweit und systemübergreifend vorherrschende Narrativ der vergangenen zweihundert Jahre war ein Wohlstandsmodell, das auf der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit fossiler Energieträger (und anderer Ressourcen) basierte. Nun bedarf es einer neuen "Geschichte" zur Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation sowie dessen, was wir unter "Modernisierung" und "Entwicklung" verstehen. Das ist leichter gesagt, als getan - John Maynard Keynes hat wohl richtig gelegen, als er vermutete: "Die Schwierigkeit ist nicht, neue Ideen zu finden, sondern den alten zu entkommen."

Globale Kooperationsrevolution

Das noch zur Verfügung stehende globale Treibhausgasbudget, welches mit einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad Celsius kompatibel wäre, reicht nur noch für etwa zwanzig Jahre, wenn die Emissionen auf dem Niveau von 2008 stabilisiert würden. Ohne globale "Kooperationsrevolution" kann dieses klimapolitische Verteilungsproblem nicht gelöst werden. Vier Maßnahmen wären zentral:

Erstens müssen Treibhausgase weltweit einen Preis bekommen, damit Treibhausgaseffizienz belohnt und gleichsam in das weltwirtschaftliche System eingeschrieben wird. Denkbar sind dafür Steuern und/oder ein internationales Emissionshandelssystem. Je internationaler die Lösungen ausfallen, desto geringer sind die Risiken, dass sich Klimaprotektionismus durchsetzt, der entsteht, wenn Regierungen mit anspruchsvoller Klimapolitik Waren aus Ökonomien, in denen Emissionen keinen Preis haben, mit Auflagen belegen. Dass die globale Erwärmung ohne diese Preissignale gestoppt werden könnte, ist unwahrscheinlich.

Zweitens wird ein solcher Übergang nur dann möglich, wenn die Industrieländer, als die Hauptverursacher des Klimawandels, die Entwicklungsländer dabei unterstützen, sich an den Klimawandel anzupassen und klimaverträgliche Energie- und Infrastrukturen aufzubauen. Der WBGU hat einen Vorschlag für ein internationales Klimaregime entwickelt, das Treibhausgaseffizienz belohnt und zugleich eine globale Entwicklungspartnerschaft vorsieht. Entscheidungsträger sollten einsehen, dass es ohne internationale Gerechtigkeit keinen Ausweg aus der Blockade der Klimapolitik geben kann.

Drittens muss die Trägheit internationaler Verhandlungsprozesse überwunden werden. Jede Welthandelsrunde und jede Reformdebatte im multilateralen System schleppt sich über ein ganzes Jahrzehnt. Dass es auch anders geht, zeigen die Reaktionen auf die internationale Finanzkrise. Innerhalb weniger Tage und Wochen wurden Hunderte von Milliarden Euro in den Finanzsektor gepumpt, um dessen Kollaps abzuwenden. Auch auf die Ereignisse am 11. September 2001 reagierte "der Westen" massiv, in kurzer Zeit und mit enormem Mitteleinsatz. Politik kann also "radikal" handeln, wenn unmittelbare Krisen zu bewältigen sind. In der Klimapolitik sollte von der "Apollo"-Mission gelernt werden: 1960 erklärte die US-Regierung das Ziel, innerhalb einer Dekade einen Menschen auf den Mond zu bringen; ein damals ähnlich utopisch anmutendes Unterfangen, wie das nun anstehende Ziel der weitgehenden Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050. Zwar ist die heutige Mission anspruchsvoller, denn es geht um ein weltumspannendes Vorhaben und Innovationen in vielen Sektoren der Wirtschaft, aber das Grundmuster wäre ähnlich: klare Zielvorgabe, enger Zeitrahmen, Innovationsoffensive, absolute Priorität des Vorhabens.

Viertens muss die internationale Blockadesituation aufgebrochen werden, die Ergebnis eines internationalen Machtvakuums ist. Die breite Streuung von Macht und Problemlösungsressourcen in der multipolaren (oder auch "non-polaren") Weltordnung und das Fehlen einer progressiven Klimaschutzallianz von handlungsmächtigen Staaten verhindert Fortschritte in der Klimapolitik. Kopenhagen hat gezeigt: Niemand bewegt sich, weil sich auch die anderen zurückhalten. Und eine Führungsgruppe, die andere Akteure überzeugen oder drängen könnte, eine progressive Klimapolitik zu betreiben, gibt es derzeit nicht - ein klassisches Collective-action-Problem. Zur Unterstützung des Verhandlungsprozesses um die Klimarahmenkonvention sollte Europa daher Allianzen von Klimapionieren anstoßen. Ambitionierte Regierungen sollten gemeinsam die Weichen in Richtung klimaverträglicher Wirtschaft stellen, um den UN-Verhandlungsprozess der 192 Staaten zu beschleunigen. Zum Aufbau solcher Pioniernetzwerke ist eine geopolitische Klimapolitik notwendig, an der sich nicht nur Umwelt-, sondern vor allem auch Außenpolitiker beteiligen müssen. Auch weltweite Low-carbon-Städtenetzwerke könnten helfen, reale Dekarbonisierungsprozesse zu beschleunigen.

Wirtschaft als Motor der Dekarbonisierung

Klimapolitik muss in diesem Sinne neu erzählt werden: als Herausforderung an die Innovationsfähigkeit unserer Ökonomien (und Gesellschaften). Die High-carbon-Wirtschaft ist das zu überwindende Problem, doch kreative Unternehmen sind zugleich ein zentraler Teil der Lösung. Auch unter Unternehmensführern wächst das Bewusstsein darüber, dass das alte High-carbon-Geschäftsmodell an seine Grenzen stößt. Diese Grenzen sind unterschiedlicher Natur: High-carbon-Wachstum verliert in der Gesellschaft an sozialer Legitimation, je deutlicher die Risiken des Klimawandels werden; auch Unternehmen sind auf funktionstüchtige Ökosysteme und kalkulierbare Kosten des Klimawandels angewiesen; die absehbaren Grenzen von Ölreserven oder auch die katastrophalen Folgen des Untergangs der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" im April 2010 im Golf von Mexiko signalisieren, dass Alternativen zu fossilen Energieträgern zukünftig an Bedeutung gewinnen werden.

Wichtiger als diese Grenzen sind jedoch die neuen Horizonte und Perspektiven. Vieles spricht dafür, dass die nächste Innovationswelle in der Weltwirtschaft auf ressourceneffizienten und klimaverträglichen Innovationen basieren wird. Green-business- und Low-carbon-Investitionen sind keine Nische mehr, sondern wahrscheinlich der größte Wachstumsmarkt der Weltwirtschaft. Ein Low-carbon-Gründerboom ist deshalb denkbar, insbesondere, wenn die Subventionen für fossile Energieträger abgebaut werden. Diese belaufen sich allein in den 20 größten Nicht-OECD-Ländern auf etwa 300 Milliarden US-Dollar jährlich; die jährlichen High-carbon-Subventionen werden weltweit auf 600 bis 900 Milliarden US-Dollar geschätzt. Doch es geht nicht nur um den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, sondern auch um die Erschließung von Einsparpotenzialen im Übergang zu einer klimaverträglichen Wirtschaft. Allein durch die Ausschöpfung von Energieeffizienzpotenzialen könnte bis 2030 weltweit eine Billion US-Dollar für ansonsten notwendige Investitionen in Energieinfrastrukturen eingespart werden. Vor diesem Hintergrund kommen die meisten Untersuchungen zu dem Ergebnis, das der klimaverträgliche Umbau des Weltenergiesystems zwar höhere Anfangsinvestitionen nach sich ziehen würde als eine Business-as-usual-Strategie, die Kosten über den gesamten Investitionszyklus bis 2050 aber ähnlich ausfallen dürften. In diesen Kalkulationen sind allerdings die schwer zu kalkulierenden Kosten gefährlichen Klimawandels, die eine Fortsetzung fossil basierten Wachstums mit sich brächten, nicht berücksichtigt. Aus einer gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Perspektive wäre der Aufbau einer Low-carbon-Ökonomie also ein gutes Geschäft.

Für Europa und auch Deutschland liegen viele Chancen in dieser Entwicklung: Es sind Ingenieurskunst und Systemwissen in Feldern gefragt, in denen die deutsche Wirtschaft (noch) über Wettbewerbsvorteile verfügt. Zugleich nimmt der Wettbewerb zu, denn zum Beispiel auch in China orientiert man sich zunehmend am Leitbild einer low carbon economy. Es könnte sein, dass die alte Gorbatschow-Weisheit, dass "die Geschichte den bestraft, der zu spät kommt", auch beim Übergang zur klimaverträglichen Wirtschaft gilt.

Wissenschaft als Innovationsmotor

Umbruchzeiten sind nicht nur für "Schumpeter'sche Unternehmer" goldene Zeiten, sondern auch für kreative Wissenschaftler, die sich für die Zukunftsgestaltung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik interessieren. Dies gilt vor allem für junge Wissenschaftler, denen es leichter fällt, "alte Narrative, Weltsichten und Leitbilder" zu vergessen (siehe Keynes) und neue Konzepte zu entwickeln. Der Umbruch zur klimaverträglichen Weltwirtschaft erfordert neues Wissen und eröffnet Wissenschaftlern die Chance, nicht nur kreativ zu sein, sondern auch wissensbasierte Veränderungsprozesse zu befördern. Ähnlich wie in der Wirtschaft könnte auch in der Wissenschaft ein positiver Wettbewerb um die Beantwortung der großen Zukunftsfragen in Gang gesetzt werden.

Die Wissenschaft ist aufgefordert, komplizierte und für die Menschheit essenzielle Fragen zu erforschen: Wie sieht ein klimaverträgliches Energiesystem für neun Milliarden Menschen aus? Wie kann die globale Ernährung im Spannungsfeld vielfältiger Landnutzungskonkurrenzen (Bioenergie, Biodiversität, Landwirtschaft, Urbanisierung) gesichert werden? Wie könnten Low-carbon-Gesellschaften in Europa, Amerika, Asien und Afrika aussehen? Wie sehen Null-Emissions-Mobilitätskonzepte der Zukunft aus? Wie können Wohlstandssicherung und Armutsbekämpfung in den planetary boundaries gelingen? Darüber hinaus geht es um vielleicht noch schwieriger zu beantwortende Fragen: Welche akzeptablen Gerechtigkeitskonzepte für eine global vernetzte Weltgesellschaft sind denkbar? Wie lassen sich Demokratietheorien und -strategien globalisieren? Wie lassen sich Global-Governance-Prozesse beschleunigen? Wie können globale we-identities als Grundlage globaler Kooperation entstehen? Wie können ökonomische und politische Institutionen Langfristigkeit lernen? Ist die Antwort auf Komplexitätsprobleme in Wirtschaft und Gesellschaft die Steigerung der Komplexität in Politik und Wissenschaft?

Damit diese Herausforderungen gemeistert werden können, muss sich die Wissenschaft neu organisieren: Insbesondere müssen Sozial-, Natur- und Ingenieurwissenschaften lernen zusammenzuarbeiten, um unter den Bedingungen hohen Zeitdrucks integrative Analysen und Lösungen schneller zu erarbeiten. Zudem muss die Forschung noch transnationaler arbeiten, um Problemlagen von Anfang an aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Vor allem müssen Möglichkeiten der Entwicklungsländer, sich in internationalen Forschungsnetzwerken zu engagieren, gestärkt werden, und die westlichen Forschungsnetzwerke sollten sich gegenüber den Wissenschaftssystemen der "aufsteigenden Mächte" rasch öffnen. Die Einsicht des indischen Philosophen Homi Bhabha weist die Richtung: "We need to learn that all our perspectives are radically incomplete."

Zum Schluss: Der Mensch kann kooperativ sein

Über all den bisher skizzierten Fragen steht die nach der generellen Kooperationsfähigkeit des Menschen. Also: Sind Menschen prinzipiell eher individuelle Nutzenmaximierer und free rider? Oder können Individuen in Gemeinschaften, entgegen ihren kurzfristigen Eigeninteressen, zu Übereinkünften und Kooperationsmustern kommen, die zu besseren Ergebnissen sowohl für die Gruppe wie auch für die jeweiligen Individuen führen als opportunistisches, kurzsichtiges und eigensinniges Verhalten? "In other words, how do groups of individuals gain trust?" Seit Thomas Hobbes beschäftigt diese zentrale Frage, die oft als soziales Dilemma beschrieben worden ist, die Wissenschaften.

Hobbes' Antwort auf diese Kernfrage menschlicher Gesellschaften wurde auch von einem gewichtigen Zweig der Theorie der Internationalen Beziehungen (der (neo)realistischen Schule) übernommen. Gemeinschaften müssen demnach durch eine externe Autorität an opportunistischem Verhalten gehindert und zu kooperationsorientiertem Verhalten gezwungen werden. Wo eine solche externe Hierarchie (wie im "anarchischen" internationalen Staatensystem) nicht existiert, haben Kooperation und Vertrauen keine Chance, opportunistisches Verhalten dagegen hat leichtes Spiel. Unterschiedlichste Theorieschulen kollektiven Handelns haben sich mit diesen sozialen Dilemmata beschäftigt, die aus dem Widerspruch zwischen dem Handeln Einzelner und der Schwierigkeit kollektiven Handelns zur Erreichung eines optimalen Ergebnisses für Gruppen resultieren. Es geht in diesen Theoriediskursen darum, unter welchen Bedingungen in Gemeinschaften öffentliche Güter bereitgestellt und common-pool resources (also zum Beispiel das Klima) vor Übernutzung geschützt werden können (tragedy of the commons).

Rational-choice-Theoretiker (und auch die Vertreter der realistischen Schule der Internationalen Beziehungen) erwarten unter den skizzierten Bedingungen, dass sich das "Nash-Gleichgewicht" durchsetzt, also opportunistisches, an kurzfristigen Eigeninteressen orientiertes Verhalten. Moral hazard siegt über Vertrauensbildung und Kooperation. Folgt man dieser Argumentation, ist jenseits eines durchsetzungsstarken benevolent hegemon oder eines wohlmeinenden Weltstaates jede Hoffnung auf eine tragfähige Basis für internationale Kooperation im 21. Jahrhundert und damit auch auf eine Vermeidung der Klimakrise naiv.

Die Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften Elinor Ostrom und James Walker dagegen kommen zu dem Ergebnis, dass das "Nash-Gleichgewicht" nur eine unter vielen Handlungskonstellationen darstellt. In Laborexperimenten verhalten sich in sozialen Dilemma-Situationen, die mehrfach durchgespielt werden, um die 50 Prozent der Beteiligten in den ersten Spielrunden kooperativ; wenn Face-to-face-Kommunikation zwischen den Mitspielern herrscht, setzt sich kooperatives Verhalten gar zu 80 bis 90 Prozent durch. Diese Ergebnisse bestätigen auch Amartya Sen in seiner Beobachtung: "There are many different conceptions of rational behavior of the individual." Vieles spricht dafür, dass dies auch für Akteure in internationalen Netzwerken und Verhandlungssystemen gilt, es also keine durch "objektive nationale Interessen" eindeutig determinierten Verhaltensmuster gibt.

Ostrom und Walker isolieren vier zentrale Mechanismen, die das Verhalten in Gruppen prägen, die soziale Dilemmata-Situationen bearbeiten müssen. Diese Mechanismen verweisen auf grundlegende Muster menschlichen Verhaltens: (a) möglichst direkte Kommunikation erhöht kooperatives Verhalten; (b) die Möglichkeit, opportunistisches Verhalten zu sanktionieren, verstärkt die Bereitschaft zu kooperativem Verhalten; (c) Menschen handeln nicht auf der Grundlage objektiver rational choices, sondern vor dem Hintergrund erlernter, verinnerlichter und erprobter Verfahren, Normen und Regeln, die kooperatives Verhalten begünstigen, aber auch erschweren oder gar blockieren können; (d) Menschen tendieren dazu, auf positives Verhalten anderer positiv und auf negatives Verhalten negativ zu reagieren, so dass sich diese Reziprozitätsorientierung in Anreize übersetzt, Ansehen und Vertrauen dadurch zu gewinnen, dass man Versprechen einhält und Kooperation pflegt, selbst wenn dadurch kurzfristige Nachteile entstehen, die jedoch durch erwartete langfristige Zugewinne kompensiert werden können. Diese Interpretation deckt sich mit Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften, der evolutionären Anthropologie sowie der Verhaltensökonomik, wonach Vertrauen und Kooperation sowie Misstrauen und opportunistisches Verhalten durch soziale Interaktionsprozesse "erlernt" werden.

In einer Welt "engstirniger Egoisten" und ausschließlich an ihren kurzfristigen Machtinteressen orientierten Staaten herrschte das Diktat des "Nash-Gleichgewichts". In der realen Welt multipler Rationalitäten, in der kooperative, opportunistische und feindselige Handlungsmuster möglich sind, kommt Individuen, politischen Akteuren, Staaten und Unternehmen die Aufgabe zu, Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen, die Kooperation, Vertrauen und Empathie stärken. Denn darauf sind unsere Gesellschaften im Übergang zum postfossilen Zeitalter mindestens genauso stark angewiesen wie auf "den Wettbewerb" als Innovationsmotor. Weil Kooperation er- und verlernt werden kann, geht es um individuelle Verantwortung, Erziehung zur Kooperation sowie gesellschaftliche Diskurse um Werte, denen sich unsere Gesellschaften verpflichtet fühlen. Diese Elemente sind keine Garantie für gelingende Kooperation, aber sie sind Voraussetzungen dafür, dass sich die Chancen zur Kooperation verbessern.

Ostrom hat den Wissensstand zu dieser Frage prägnant zusammengefasst: "What the research on social dilemmas demonstrates is a world of possibility rather than one of necessity. We are neither trapped in inexorable tragedies nor free of moral responsibility for creating and sustaining incentives that facilitate our own achievement of mutual productive outcomes." Wir müssen also globale Kooperationsfähigkeit lernen, wenn die Klimakrise bewältigt werden soll. Dies ist zumindest ebenso wichtig, wie die technologischen Innovationen auf dem Weg in die Low-carbon-Gesellschaft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dirk Messner/Stefan Rahmstorf , Kipp-Punkte im Erdsystem und ihre Auswirkungen auf Weltpolitik und Wirtschaft, in: Tobias Debiel u.a. (Hrsg.): Globale Trends 2010, Frankfurt/M. 2009, S. 261-280.

  2. Vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, München 2009, S. 108ff.

  3. Vgl. WBGU, Kassensturz für den Weltklimavertrag - der Budgetansatz, Berlin 2009.

  4. Johan Rockström u.a., Planetary Boundaries. A Safe Operating Space for Humanity, in: Nature, (2009) 461, S. 472-475.

  5. Vgl. WBGU, Klimapolitik nach Kopenhagen, Politikpapier Nr. 6, Berlin 2010.

  6. Vgl. Dirk Messner/John Schellnhuber/Stefan Rahmstorf/Daniel Klingenfeld, The Budget Approach: A Framework for a Global Transformation Toward a Low-Carbon Economy, in: Journal of Renewable and Sustainable Energy, (2010) 3.

  7. Vgl. WBGU (Anm. 3), S. 47.

  8. Vgl. Ottmar Edenhofer u.a., The Economics of Decarbonization, Potsdam 2009.

  9. Vgl. WBGU (Anm. 3).

  10. Vgl. Richard Haass, The Age of Non-Polarity, in: Foreign Affairs, 87 (2008) 3; Ashwani Kumar/Dirk Messner (eds.), Power Shifts and Global Governance, London 2010.

  11. Vgl. WBGU (Anm. 5).

  12. Vgl. Anthony Giddens, The Politics of Climate Change, London 2009.

  13. Vgl. UN Secretary General's Advisory Group on Energy and Climate Change, Energy for a Sustainable Future, New York 2010, S. 11ff. und S. 29ff.

  14. Elinor Ostrom/James Walker (eds.), Trust and Reciprocity, New York 2003, S. 19.

  15. Vgl. ebd.

  16. Amartya Sen, Rationality and Social Choice, in: American Economic Review, 85 (1995) 1, S. 1-24, hier: S. 2.

  17. Vgl. Michael Tomasello, Die kulturelle Entwicklung menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition, Frankfurt/M. 2002; Robin Dunbar, Warum die Menschen völlig anders wurden, in: Ernst P. Fischer/Klaus Wiegandt (Hrsg.), Evolution und Kultur des Menschen, Frankfurt/M. 2010, S. 244-269; George Akerlof/Robert Shiller, Animal Spirits, Frankfurt/M. 2009.

  18. Elinor Ostrom, Toward a Behavioural Theory Linking: Trust, Reciprocity and Reputation, in: dies./James Walker (Anm. 14), S. 19-79, S. 62.

Dr. rer. pol., geb. 1962; Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE); Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen; Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU); DIE, Tulpenfeld 6, 53113 Bonn. E-Mail Link: dirk.messner@die-gdi.de