Als die Möbel "zu tanzen begannen" - Szenen aus Haiti
Doudline Casimir
Knapp 130 Kilometer südlich in der Hafenstadt Jacmel lag Doudline Casimir auf ihrem Bett und schlief. Zwei Zimmer bewohnte sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern. Auch zwei Geschwister lebten dort. Sie habe kaum wahrgenommen, dass die wenigen Möbel in der ärmlich eingerichteten Hütte mit dem Wellblechdach "zu tanzen begannen", erzählt sie. "Ich wachte auf, als das Dach einstürzte." Ein Balken verletzte sie am Kopf und am Arm. Die Narben sind noch immer sichtbar. Aber die junge Frau konnte sich selbst befreien. Ihre beiden Kinder, die zweijährige Tochter und der vierjährige Sohn, konnten die Nachbarn unter dem eingebrochenen Dach hervorziehen, auch ihre beiden Geschwister blieben unverletzt. "Wir haben alles verloren", sagt die 24-jährige.Ihr Mann war am Katastrophentag wie immer wochentags in Port-au-Prince. Er arbeitete bei einer Behörde und kam nur am Wochenende seine Familie besuchen. Vergeblich wählte sie immer wieder seine Handynummer, aber das gesamte Telekommunikationsnetz des Landes war zusammengebrochen. Erst drei Tage später kam eine Tante angereist und brachte die traurige Nachricht: Ihr Mann war tot aus den Trümmern eines Gebäudes geborgen worden. "Wie soll es weitergehen?" Die Familie hat ihren Ernährer verloren, die wenigen Habseligkeiten, die sie ihr Eigen nannte, sind unbrauchbar oder zerstört. Inzwischen ist sie bis über beide Ohren verschuldet. In einer in der Nähe gelegenen kleinen Bude in der Rue de la Comédie kann sie anschreiben lassen, wenn sie Reis, Bohnen, Öl und Gemüse für das Mittagessen einkauft. "Aber für zehn Tage bezahle ich zehn Prozent Zinsen."
Jetzt sitzt Doudline Casimir in einem Hinterhofkarree an der Komödienstraße und schaut mit einem unendlich traurigen Blick auf die Mauerreste ihres vier mal sechs Meter großen Hauses, schaut auf Regen durchweichte, angeschimmelte Matratzen, zerrissene und verschmutzte Kleidung, zerbrochenes Geschirr. Ein einfacher CD-Player ist zu Kabel- und Plastikmasse zusammengequetscht. "Es war kaum noch etwas brauchbar."