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Kinder und Jugendliche im Web 2.0 - Befunde, Chancen und Risiken | Jugend und Medien | bpb.de

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Kinder und Jugendliche im Web 2.0 - Befunde, Chancen und Risiken

Uwe Hasebrink Claudia Lampert Claudia Lampert Uwe Hasebrink /

/ 16 Minuten zu lesen

Das social web gewinnt im Alltag von Kindern und Jugendlichen zunehmend an Bedeutung. Es eröffnet vielfältige neue kommunikative Erfahrungs- und Handlungsräume, birgt aber auch verschiedene Risiken.

Einleitung

Nachkriegsgeneration", "Baby-Boomer", "Generation Golf" - es gibt zahlreiche Schlagworte, mit denen versucht wird, einzelne Generationen zu charakterisieren. In der Folge einer zunehmenden Mediatisierung verweisen diese Schlagworte in der jüngeren Zeit oft auf die Medienentwicklung: Schon früh gab es die "Fernsehgeneration", später die "Windows-Generation", die "Net Generation" oder jüngst die "digital natives". Diese Bezeichnungen verweisen darauf, dass große Teile einer Generation von einem bestimmten Medienphänomen betroffen sind und sich darin von vorangegangenen Generationen unterscheiden. Über dieses allgemeine Betroffen-Sein hinaus sagen solche Etiketten allerdings nichts über den Stellenwert des Phänomens in der jeweiligen Lebenswelt aus, geschweige denn darüber, wie sich die Angehörigen dieser Generation dem Medium gegenüber verhalten, wofür sie es nutzen und mit welchen Folgen diese Nutzung mitunter verbunden ist.

Das derzeit im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Medienphänomen, das als charakterisierendes Merkmal der heutigen Heranwachsenden angesehen wird, ist das sogenannte social web, dem insbesondere soziale Netzwerkplattformen wie "SchülerVZ" oder "Facebook" sowie Videoplattformen wie "YouTube" zuzurechnen sind. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über Befunde zum Umgang Jugendlicher mit dem Internet im Allgemeinen und dem social web im Besonderen sowie zu den damit verbundenen Chancen und Risiken.

Da der jungen Generation im Hinblick auf die Entwicklung der Mediennutzung gern ein Pionierstatus zugeschrieben wird, befassen sich zahlreiche Studien mit dem Medienumgang dieser Altersgruppe. Ein Überblick wird allerdings erschwert durch eine doppelte Dynamik: Zum einen verändert sich der Medienumgang in Kindheit und Jugend sehr rasch; innerhalb weniger Monate ergeben sich zum Teil gravierende Verschiebungen in den Vorlieben und Nutzungsweisen, weshalb das genaue Alter der Jugendlichen in den verschiedenen Studien zu beachten ist. Zum anderen sind die raschen Veränderungen auf der Ebene der Übertragungswege, der technischen Endgeräte und der angebotenen Medien- und Kommunikationsdienste zu berücksichtigen, die dazu führen, dass innerhalb weniger Monate Angebote in den Medienrepertoires von Jugendlichen eine entscheidende Rolle bekommen, die zuvor völlig unbekannt waren. Dienste, die dem social web zugerechnet werden, spielen erst seit Mitte der 2000er Jahre eine Rolle. Der heute im öffentlichen Diskurs omnipräsente Dienst "Twitter" etwa wurde erst im Jahr 2006 entwickelt.

Im Vordergrund des folgenden Überblicks stehen einige aktuelle Studien, die sich in ihren besonderen Aussagemöglichkeiten und den jeweils untersuchten Altersgruppen gegenseitig ergänzen. Bezug genommen wird vor allem auf die aktuellen Befunde der jüngsten "JIM-Studie" (zu 12- bis 19-Jährigen in Deutschland) und der europaweiten Studie "EU Kids Online II" (zu 9- bis 16-Jährigen); daneben werden Ergebnisse des Projekts "Heranwachsen mit dem Social Web" (zu 12- bis 24-Jährigen) vorgestellt, das das Hans-Bredow-Institut und die Universität Salzburg im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW bearbeitet haben.

Medienumgebungen Jugendlicher

Die Medienumgebungen Jugendlicher haben sich in nur wenigen Jahren gravierend geändert. Der aktuellen "JIM-Studie" zufolge gibt es in den Haushalten aller befragten 12- bis 19-Jährigen mindestens ein Handy sowie einen Computer. 98 Prozent der Haushalte sind mit Internetzugang ausgestattet. So gut wie alle Jugendlichen (97%) verfügen über ein eigenes Handy, 79 Prozent über einen eigenen Computer oder Laptop. Bereits gut die Hälfte (52%) kann einen Internetzugang im eigenen Zimmer nutzen. Neben der Verlagerung der Mediennutzung ins eigene Zimmer - 58 Prozent der Jugendlichen haben dort auch einen eigenen Fernseher - ist auch eine verstärkte Mobilisierung der Mediennutzung zu beobachten, die sich in der Omnipräsenz des Handys, bei mittlerweile 14 Prozent der Jugendlichen auch in der Nutzung von Smartphones äußert, mit denen sie zu jeder Zeit und an jedem Ort das Internet nutzen können.

Das Internet ist in der Lebenswelt vieler Heranwachsender inzwischen von zentralem Stellenwert. Das Einstiegsalter der Nutzung sinkt dabei beständig ab. Laut "EU Kids Online" beginnen deutsche Kinder durchschnittlich mit knapp neun Jahren, das Internet zu nutzen; dies entspricht in etwa dem europäischen Durchschnitt, in Schweden liegt das durchschnittliche Eintrittsalter bei sieben Jahren.

Der "JIM-Studie" zufolge sind von den 12- bis 19-Jährigen in Deutschland bereits 91 Prozent täglich bzw. mehrmals pro Woche online. Im Durchschnitt beträgt die Dauer der Internetnutzung in dieser Altersgruppe 138 Minuten pro Tag - eine Viertelstunde mehr als die Dauer der Fernsehnutzung mit 123 Minuten. "EU Kids Online" dokumentiert für die Altersgruppe der 9- bis 16-Jährigen, dass die Häufigkeit und Dauer der Internetnutzung im europäischen Vergleich in Deutschland leicht unterdurchschnittlich ist.

Angesichts der Vielfalt der möglichen Anwendungen, die im Internet genutzt werden können, sind Angaben, die sich auf die Internetnutzung im Allgemeinen beziehen, kaum mehr aussagekräftig. In seiner kurzen Geschichte hat das Internet bereits einen markanten Wandel hinter sich: Standen zunächst vor allem informierende Funktionen im Vordergrund, sind mittlerweile unterhaltende und vor allem kommunikative Funktionen in den Vordergrund getreten. 2010 entfielen laut "JIM-Studie" 46 Prozent der Internetnutzung der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland auf Kommunikation, 23 Prozent auf Unterhaltung (Musik, Videos, Bilder), 17 Prozent auf Spiele und 14 Prozent auf Information. Mit zunehmendem Alter differenziert sich das Spektrum der Onlinenutzung aus. Während bei den Jüngeren noch die Informationssuche (für schulbezogene Themen oder Hobbys) und Spiele im Vordergrund stehen, gewinnen mit steigendem Alter insbesondere die kommunikativen Möglichkeiten des Internets - und insbesondere die Nutzung von social networking sites - an Bedeutung. 2010 waren bei einem Drittel der 12- bis 19-Jährigen "SchülerVZ" und bei weiteren 19 Prozent "Facebook" die meistgenutzten Netzwerkplattformen.

Bemerkenswert war dabei der sehr rasche Aufstieg von "Facebook" in den Jahren 2009 und 2010, nachdem diese Plattform noch im Jahr 2008 so gut wie keine Rolle gespielt hatte. Die beträchtliche Präsenz von "Facebook" kommt auch in "EU Kids Online" zum Ausdruck: In den 25 berücksichtigten europäischen Ländern bezeichnen 57 Prozent der 9- bis 16-Jährigen, die soziale Netzwerkplattformen nutzen, "Facebook" als ihr meistgenutztes Angebot. Nur in wenigen Staaten, darunter Deutschland mit "SchülerVZ", haben sich nationale Plattformen etabliert, die bei der Nutzung im Vordergrund stehen. In den meisten Ländern aber dominiert das US-amerikanische Netzwerk, so in Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien und Tschechien, wo jeweils mehr als 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen "Facebook" als meistgenutzte Plattform angeben.

Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass aktiv-produzierende Nutzungsformen des Internets deutlich seltener vorkommen als passiv-rezipierende: So wird zwar oft in der "Wikipedia" gelesen, aber selten geschrieben; auf Musik- und Videoplattformen werden Musikstücke und Videos häufig rezipiert, aber nur selten hochgeladen. Im Hinblick auf die Geschlechter ist bemerkenswert, dass es kaum nennenswerte Unterschiede in der Onlinenutzung gibt; lediglich Spiele und Internettelefonie werden stärker von Jungen genutzt.

Dass für Jugendliche das Internet vor allem durch social-web-Angebote geprägt ist, kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass auf die Frage nach den Lieblingsseiten im Internet überwiegend Angebote genannt werden, die diesem Bereich zugeordnet werden können. 2008 waren "Youtube", "SchülerVZ" und "StudiVZ" unter 12- bis 24-Jährigen die meistgenannten Lieblingsseiten (neben "Google"). In einer neueren Erhebung von 2010, in der 6- bis 16-Jährige nach ihrer Lieblingsseite gefragt wurden, zeigte sich, dass im Grundschulalter Spieleplattformen, die Seiten der Fernsehsender KiKa und Super RTL sowie bereits "YouTube" im Vordergrund stehen. Bei älteren Kindern gewinnen dann wie in der erstgenannten Erhebung die sozialen Netzwerkplattformen an Bedeutung.

Veränderungen von Nutzerrollen durch das social web

Woraus ergibt sich die große Bedeutung, welche die Angebote des social web offensichtlich in sehr kurzer Zeit bei Jugendlichen gewonnen haben? Die erweiterten technischen Möglichkeiten eröffnen den Nutzern verschiedene Formen der aktiven Beteiligung, Selbstdarstellung und Vernetzung. Damit ist eine grundlegende Veränderung der Rolle der Nutzer verbunden, die nun auch zu Produzenten von Inhalten werden, was sich unter anderem in Begriffsschöpfungen wie "Produser" oder "Pro-sumenten" widerspiegelt.

Mitglieder dieser und nachwachsender Generationen wurden von Marc Prensky bereits 2001 als digital natives bezeichnet, um herauszustellen, dass die Kinder in digitale Medienumgebungen hinein- bzw. in ihnen aufwachsen. Charakteristisch für die digital natives sei, dass es für sie selbstverständlich ist, sehr schnell an Informationen zu kommen, dass sie viele (mediale) Aktivitäten parallel ausüben (multitasking), dass sie sich bildliche Informationen und Hypertexte aneignen und dass sie sich mit anderen vernetzen. Auch wenn das Generationenkonzept von Prensky als zu schlicht und zu wenig empirisch fundiert kritisiert werden kann, eignet es sich, um zu verdeutlichen, dass sich die Mediennutzung der Kinder heute von der der Erwachsenen - der digital immigrants - deutlich unterscheidet.

Für Prensky stellt sich damit auch die Frage, wie die digital immigrants, die selbst damit beschäftigt sind, sich diese neuen Kompetenzen anzueignen, die digital natives auf die Herausforderungen und potenziellen Risiken einer mediatisierten Gesellschaft vorbereiten sollen. Ergänzend ließe sich die Frage anschließen, über welche Kompetenzen die digital natives eigentlich verfügen und welche sie benötigen, um einerseits die onlinebezogenen Möglichkeiten nutzen und andererseits mit potenziellen Risiken angemessen umgehen zu können.

Faszination social networking sites

Social networking sites scheinen die Kommunikationsbedürfnisse Jugendlicher im besonderen Maße zu bedienen, weshalb es sich lohnt, der Frage nachzugehen, was diese Netzwerkplattformen auszeichnet und was Heranwachsende daran fasziniert. Die Angebote erinnern an klassische Freundschaftsbücher, in denen man sich anhand vorgegebener Kriterien auf einigen Seiten präsentieren konnte. In ähnlicher Weise legen die Nutzer auf Netzwerkplattformen ein Profil an, in dem sie Angaben zu sich selbst, ihren Vorlieben, Interessen und anderem mehr machen. Im Gegensatz zum klassischen Freundschaftsbuch ermöglichen es die interaktiven Dienste des Internets darüber hinaus, Kontakt zu anderen Mitgliedern der Netzwerkplattform aufzunehmen und diese in Form von "Kontakten" oder "Freunden" explizit zu machen. Auf diese Weise entsteht die Abbildung eines sozialen Netzwerks, innerhalb dessen beispielsweise Texte, Fotos und Videos ausgetauscht oder auch Spiele gespielt werden können.

Ende 2008 hatten die 12- bis 24-jährigen Nutzer von Netzwerkplattformen durchschnittlich 131 bestätigte Kontakte auf derjenigen Netzwerkplattform, die sie am häufigsten nutzen. Hinsichtlich der Zusammensetzung der persönlichen Netzwerke zeigt sich, dass der Großteil der im Internet expliziten sozialen Beziehungen eher entfernte Bekannte umfasst, zu denen aber auch außerhalb des Internets eine Beziehung besteht bzw. die man auch schon einmal offline getroffen hat. Lediglich 15 Prozent gaben an, die meisten ihrer Kontakte seien auch tatsächlich enge Freunde.

Unter den verschiedenen Funktionen, die Netzwerkplattformen bieten, werden insbesondere die kommunikativen Möglichkeiten bevorzugt genutzt (s. Tabelle 1 der PDF-Version). Zwei Drittel der Nutzer schreiben zumindest einmal pro Woche plattforminterne Nachrichten an andere Mitglieder, und 54 Prozent hinterlassen auf den Pinnwänden anderer eine Nachricht. Die gezielte Suche nach Personen oder Informationen, die Aktualisierung des eigenen Profils oder das Hochladen von Bildern scheinen im Vergleich dazu weniger bedeutsam zu sein. Unter den Personen mit gymnasialem Hintergrund sind die Nutzungshäufigkeiten der meisten Funktionen etwas niedriger, sieht man von der Ausnahme des Schreibens auf Profil-Pinnwände ab. Besonders auffällige geschlechts- oder bildungsspezifische Unterschiede zeichnen sich nicht ab; die Haupt- und Realschüler stöbern stärker auf den Seiten Anderer, wobei der Anteil der Hauptschüler, die Einträge auf den aufgesuchten Seiten hinterlassen, geringer ausfällt.

Mit der starken Fokussierung auf Kommunikation ist auch verbunden, dass der Großteil der Nutzer besonderen Wert auf eine authentische Selbstdarstellung legt. 65 Prozent wollen sich ihren Bekannten und Freunden so zeigen, wie sie wirklich sind, und nur drei Prozent geben an, auch andere Profile erstellt zu haben, in denen sie sich gänzlich anders darstellen bzw. inszenieren. Je nach gewählter Selbstpräsentationsstrategie, angebotsbezogenen Einstellungsoptionen, den vorherrschenden sozialen Regeln und Normen innerhalb eines Angebots sowie der eigenen Risikoabwägung werden persönliche Informationen unterschiedlich großzügig oder sparsam preisgegeben, wobei die Nutzer häufig der Meinung sind, jeweils nur ein sehr oberflächliches Bild von sich zu zeigen.

68 Prozent geben an, darauf zu achten, dass im Internet keine Informationen über sie zu finden sind, die ihnen schaden könnten, und mehr als die Hälfte (55%) gibt an, zumindest bestimmte Informationen nur den bestätigten Freunden bzw. Kontakten zugänglich zu machen (s. Tabelle 2 der PDF-Version). Die Jungen scheinen diesbezüglich etwas freizügiger mit ihren personenbezogenen Informationen umzugehen, während ein Großteil der Mädchen ihre Informationen nur Freunden bzw. Kontakten zugänglich macht. Hinsichtlich des Bildungshintergrundes ist lediglich bemerkenswert, dass die Hauptschüler persönliche Informationen innerhalb eines engeren Kreises veröffentlichen und auch weniger fake-Profile haben als die Nutzer mit etwas höherem Bildungshintergrund.

Die Befunde geben einige Anhaltspunkte im Hinblick auf die Frage, was Heranwachsende an den sozialen Netzwerken fasziniert. Die Möglichkeiten der (authentischen) Selbstdarstellung, des Beziehungsaufbaus bzw. der Beziehungspflege korrespondieren mit grundlegenden Entwicklungsaufgaben, mit denen sich die Heranwachsenden insbesondere im Rahmen ihrer Identitätsentwicklung auseinandersetzen (Wer bin ich und in welcher Beziehung stehe ich zu meinen Bekannten und Freunden?). Das heißt, die Anwendungen des social web und insbesondere die Netzwerkplattformen stellen medial vermittelte Kommunikations- und Interaktionsräume zur Verfügung, in denen Nutzer sich mit Entwicklungsaufgaben auseinandersetzen bzw. "Identitätsarbeit" leisten können. Die Erweiterung des Kommunikations- und Erfahrungsraumes ist allerdings auch immer mit dem potenziellen Risiko verbunden, ungewollt auf problematische Inhalte zu stoßen oder unangenehme zwischenmenschliche Erfahrungen zu machen.

Typologie onlinebezogener Risiken

Im Rahmen des Verbundprojekts "EU Kids Online" wurde der Versuch unternommen, mögliche Onlinerisiken genauer zu spezifizieren (s. Tabelle 3 der PDF-Version). Hierzu wurde eine Klassifikation entwickelt, in der verschiedene Risikobereiche - unabhängig von ihrer Verbreitung - systematisch erfasst wurden. In diese Klassifikation fließen zwei Dimensionen ein: zum einen verschiedene problematische Inhaltsbereiche (Gewalt, Sexualität, kommerzielle Ziele, Werte), die auch aus anderen Medien bekannt sind, mit denen Heranwachsende während der Onlinenutzung in Berührung kommen können (content); zum anderen zwei Risikobereiche, die sich aus der Rolle als "Beteiligte" an Interaktionsprozessen ergeben. Indem problematische Einträge auf Pinnwänden veröffentlicht oder gewalthaltige oder sexuelle Texte oder Bilder zugeschickt werden können, besteht für Nutzer das Risiko, zum Opfer von Nutzungsweisen Anderer zu werden (contact). Sie können jedoch auch selbst zum Akteur bzw. Täter werden und problematische Inhalte verbreiten, sei es an einzelne Personen oder an eine breitere community gerichtet (conduct). Aus der Kombination der verschiedenen Dimensionen ergeben sich insgesamt zwölf Risikobereiche, denen sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der Forschung unterschiedliche Beachtung geschenkt wird.

Daneben gibt es noch weitere Risikobereiche, die sich entweder durch die Dauer der Nutzung ergeben (exzessive Mediennutzung, Online-Sucht) oder durch die langfristigen, häufig unterschätzten Wirkungen der Online-Kommunikation, die insbesondere mit der Bereitstellung persönlicher Daten im Netz einhergehen (können). Bezüglich dieser Risiken besteht sowohl auf Seiten der Heranwachsenden, als auch auf Seiten der Eltern ein vergleichsweise geringes Bewusstsein.

"EU Kids Online" zufolge haben schon acht Prozent der 6- bis 16-jährigen deutschen Kinder unangenehme Erfahrungen im Internet gemacht (im europäischen Durchschnitt liegt der Anteil bei zwölf Prozent). 13 Prozent der Kinder in Deutschland haben in den vergangenen zwölf Monaten Bilder mit sexuellem oder pornografischen Inhalten gesehen, darunter fünf Prozent, die diese Bilder online gesehen haben - der Kontakt mit solchen Inhalten kommt also bisher überwiegend über andere Medien, insbesondere das Fernsehen zustande. 19 Prozent der 9- bis 16-jährigen Internetnutzer haben bereits Online-Nachrichten mit sexuellem Inhalt gesehen oder zugeschickt bekommen (sexting). Vier Prozent der Kinder gaben an, innerhalb des vergangenen Jahres gemeine oder verletzende Nachrichten online erhalten zu haben (cyberbullying).

Der aktuellen "JIM-Studie" zufolge hatten schon mehr Jugendliche negative Erfahrungen im Internet: So gaben jeweils 15 Prozent der befragten 12- bis 19-Jährigen an, dass schon einmal peinliche oder beleidigende Bilder oder Videos oder falsche oder beleidigende Informationen über sie im Internet verbreitet worden seien.

In der Studie "Heranwachsen mit dem Social Web" gaben sogar 28 Prozent der 12- bis 24-Jährigen an, dass sie im Internet schon einmal belästigt worden seien. Der Anteil ist unter weiblichen Befragten sowie unter Personen mit Hauptschulhintergrund etwas höher. 13 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben schon einmal erlebt, dass andere Personen problematische Informationen über sie selbst ins Internet gestellt haben; hier ist der Anteil unter den männlichen Befragten sowie unter denen mit Hauptschulhintergrund etwas höher.

Einige Studien gehen über die Frage nach den Erfahrungen mit bestimmten Risikobereichen hinaus und untersuchen, wie die Erfahrungen von den Befragten empfunden wurden. So zeigt etwa "EU Kids Online", dass zwar vergleichsweise wenige Jugendliche eigene Erfahrungen mit cyberbullying gemacht haben, diese Vorfälle aber von einem Großteil der Betroffenen als sehr verletzend empfunden wurden.

Die Wahrscheinlichkeit für Kinder und Jugendliche, mit den genannten Risiken konfrontiert zu werden, steht in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Onlinenutzung: Je mehr und je intensiver die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeiten des Internets nutzen, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit verschiedenen Risiken in Berührung kommen. So sind etwa deutsche Kinder und Jugendliche im europäischen Vergleich Onlinerisiken seltener ausgesetzt; dies ist aber zum Teil Resultat der Tatsache, dass sie das Internet bisher vergleichsweise weniger häufig und weniger vielfältig nutzen und damit auch die darin steckenden Chancen weniger ausschöpfen. Dieser plausible Zusammenhang ist für Überlegungen über Möglichkeiten der Förderung eines sicheren Umgangs mit dem Internet relevant, da die Begrenzung von Risiken eben nicht losgelöst von den damit möglicherweise verloren gehenden Chancen betrieben werden sollte.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse verschiedener Studien zeigen, dass das Internet ein bedeutsamer Bestandteil der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ist. In den vergangenen Jahren haben insbesondere die Anwendungen des social web an Bedeutung für die Auseinandersetzung mit sich selbst, den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen sowie die Informationssuche an Bedeutung gewonnen. Positiv betrachtet, eröffnen die Möglichkeiten des social web kommunikative Erfahrungs- und Handlungsräume, in denen sich Heranwachsende mit zentralen Entwicklungsaufgaben auseinandersetzen. Dabei bleibt es jedoch nicht aus, dass sie auch unangenehme Erfahrungen machen, sei es, dass sie auf problematische Inhalte stoßen oder ihr Onlineverhalten negative und unerwünschte Wirkungen mit sich bringt, weil sie zum Beispiel die Reichweite und die Öffentlichkeit, die Nachhaltigkeit oder die (Eigen-)Dynamik des Internets unterschätzt haben.

Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten: Mit Blick auf die Anbieter von social-web-Angeboten ist anzuregen, die Anwendungen derart zu gestalten, dass insbesondere für unerfahrene Einsteiger die Reichweite und die Konsequenzen ihres Onlinehandelns (z.B. Preisgabe von persönlichen Informationen, Einstellen von Bildern) transparent bzw. absehbar bleiben. Die zitierten Studien verweisen darauf, dass rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen keine besonderen privacy-Einstellungen vornimmt. Entsprechend ist zu fordern, dass die Voreinstellungen so eingerichtet sind, dass maximale Privatsphäre der Ausgangspunkt ist und die Nutzer entscheiden können, ob sie ihre Inhalte für die Öffentlichkeit freigeben wollen.

Veränderungen auf der Anbieterseite sind selbstverständlich nicht hinreichend. Kinder und Jugendliche benötigen Unterstützung und Orientierungshilfen, um sie in die Lage zu versetzen, die Chancen, die ihnen das Internet und das social web bieten, zu nutzen und die Risiken möglichst gering zu halten. Angesprochen sind in diesem Zusammenhang einerseits die Eltern, die insbesondere den jüngeren Kindern den Zugang ins Netz erst ermöglichen. Oft zeigen diese sich jedoch von den an sie gestellten Anforderungen bezüglich der Medienerziehung überfordert. Insofern stellt sich die Aufgabe der Medienkompetenzförderung allgemein, aber mit Fokus auf das social web auch für die Schule, um insbesondere die Kinder zu unterstützen, die zu Hause keine Hilfe erwarten können.

Die Herausforderung wird künftig noch mehr darin bestehen, neben klassischen Fähigkeiten, die im Allgemeinen unter dem Begriff "Medienkompetenz" subsumiert werden, den Blick verstärkt auf die sozialen Kompetenzen zu richten, da diese im Kontext des social web an Bedeutung gewinnen. Diese können sich wiederum nur im Dialog entwickeln. Erfolg versprechend sind vor allem solche Ansätze, die den Heranwachsenden, aber auch Eltern und Pädagogen einerseits Wissen über die Angebote vermitteln, andererseits aber auch die Möglichkeit bieten, eigene Erfahrungen und Sichtweisen zu diskutieren und zu reflektieren.

Unter anderem vom "GoodPlay Project" an der Harvard University wurde hierzu 2009 ein "Cross-Generational Dialogue on the Ethics of Digital Life" erprobt, in dem Eltern, Lehrer und Schüler drei Wochen lang online über zentrale Themen der Online-Kommunikation wie Identität im Netz, Privatheit, Glaubwürdigkeit und Partizipation diskutierten. Diese Form des Dialogs kann Heranwachsende darin unterstützen, die Art von sozialen Kompetenzen und Verantwortung zu erwerben, die sie als digital citizen benötigen: "Achieving an age of ethical digital citizenship will not happen through adults prescribing behavior, nor through self-navigation and negotiation by teens, but rather only through an intentional meeting in mind."

Sinnvoll erscheinen auch peer-to-peer-Ansätze, bei denen Jugendliche selbst als Rollenvorbilder oder Ansprechpartner fungieren. Exemplarisch für ein Online-Angebot von Jugendlichen für Jugendliche sei die Online-Plattform Externer Link: No Titel genannt, die einerseits ein Forum und Beratungsangebote bereitstellt und darüber hinaus auch die Möglichkeit bietet, auf problematische Angebote hinzuweisen, die dann von den Anbietern überprüft werden. Ungeachtet dieser Projektbeispiele kann Medienkompetenzförderung jedoch letztendlich nur dann erfolgreich und nachhaltig sein, wenn alle relevanten Akteure, also Eltern, Lehrer, Anbieter und Nutzer einbezogen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.), JIM-Studie 2010. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger, Stuttgart 2010 (online: www.mpfs.de); Sonia Livingstone et al., Risks and safety on the Internet. The perspective of European children, Initial findings from the EU Kids Online survey of 9-16 years olds and their parents, London 2010 (online: www.eukidsonline.net); Jan-Hinrik Schmidt/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.), Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Berlin 2009 (Befragungszeitraum: Oktober/November 2008).

  2. Vgl. Uwe Hasebrink/Wiebke Rohde, Die Social Web-Nutzung Jugendlicher und junger Erwachsener: Nutzungsmuster, Vorlieben und Einstellungen, in: J.-H. Schmidt/I. Paus-Hasebrink/U. Hasebrink (Anm. 1), S. 83-119.

  3. Vgl. ebd.; JIM-Studie 2010 (Anm. 1).

  4. Vgl. U. Hasebrink/W. Rohde (Anm. 2).

  5. Vgl. Silke Schneider/Stefan Warth, Kinder und Jugendliche im Internet, in: Media Perspektiven, (2010) 10, S. 471-482.

  6. Vgl. Axel Bruns, Blogs, Wikipedia, Second Life, and Beyond. From Production to Produsage, New York 2008; Petra Grimm/Stefanie Rhein, Slapping, Bullying, Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen, Berlin 2007.

  7. Vgl. Marc Prensky, Digital Natives, Digital Immigrants, Part II: Do They Really Think Differently?, in: On the Horizon, 9 (2001) 6; John Palfrey/Urs Gasser, Generation Internet. Die Digital Natives, München 2008.

  8. Vgl. Rolf Schulmeister, Gibt es eine "Net Generation"?, Hamburg 2008.

  9. Vgl. U. Hasebrink/W. Rohde (Anm. 2); Klaus Neumann-Braun/Ulla P. Autenrieth (Hrsg.), Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web, Baden-Baden 2011. Der JIM-Studie 2010 zufolge haben die 12- bis 19-Jährigen durchschnittlich 159 Freunde. Auch hierbei handelt es sich überwiegend um Personen, welche die Jugendlichen persönlich kennen.

  10. Vgl. U. Hasebrink/W. Rohde (Anm. 2).

  11. Vgl. Ulrike Wagner/Niels Brüggen/Christa Gebel, Persönliche Informationen in aller Öffentlichkeit? Jugendliche und ihr Perspektive auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte in Sozialen Netzwerken, München 2010 (online: www.jff.de).

  12. Vgl. ebd.; Ingrid Paus-Hasebrink/Jan-Hinrik Schmidt/Uwe Hasebrink, Zur Erforschung der Rolle des Social Web im Alltag von Heranwachsenden, in: J.H. Schmidt (Anm. 1), S. 13-40.

  13. Vgl. Uwe Hasebrink et al., Comparing children's online opportunities and risks across Europe: cross-national comparisons for EU Kids Online, London 2009. Siehe hierzu auch Ulrike Behrens/Lucie Höhler, Mobile Risiken - Jugendschutzrelevante Aspekte von Handys und Spielekonsolen, in: medien + erziehung, (2007) 3, S. 20-26, die in ähnlicher Weise die Risikobereiche content, contact und commerce unterscheiden.

  14. Eine Bestandsaufnahme der in Europa verfügbaren Studien (im Zeitraum von 2000 bis 2006) zeigte, dass zu den Themen "Gewalt" und "Sexualität" die größte Anzahl an Studien vorliegt, während bezüglich der anderen Risikobereiche noch großer Forschungsbedarf besteht.

  15. Vgl. S. Livingstone et al. (Anm. 1).

  16. Hierzu zählen nach Dieter Baacke die Teildimensionen Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Vgl. Dieter Baacke, Medienkompetenz als Netzwerk. Reichweite und Fokussierung eines Begriffs, der Konjunktur hat, in: Medien praktisch, (1996) 2, S. 4-10.

  17. Vgl. U. Wagner/N. Brüggen/C. Gebel (Anm. 11).

  18. Rafi Santo et al., Meeting of Minds: Cross-Generational Dialogue on the Ethics of Digital Life, October 2009, S. 18, online: http://dmlcentral.net/sites/all/files/
    resource_files/meetingofminds.pdf (16.12.2010).

  19. Das seit September 2009 bestehende Angebot wird von vier Landesmedienanstalten gefördert.

Dr. phil., geb. 1958; Professor für empirische Kommunikationswissenschaft und Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg, Warburgstraße 8-10, 20354 Hamburg. E-Mail Link: u.hasebrink@hans-bredow-institut.de

Dr. phil., geb. 1972; wissenschaftliche Referentin am Hans-Bredow-Institut (s.o.). E-Mail Link: c.lampert@hans-bredow-institut.de