Popularität der Apokalypse: Zur Nuklearangst seit 1945
Physiker-Dramen und Hiroshima-Gedenken
Die Jahre bis nach der Kubakrise (1962) sind für die Kulturgeschichte der Atomangst ein fruchtbares Jahrzehnt. Für die zweite Hälfte der 1950er Jahre sind Dutzende von literarischen, lyrischen und auch philosophischen Thematisierungen des nuklearen Tods überliefert. Die Palette reicht von Wolfgang Weyrauchs preisgekröntem Hörspiel "Die japanischen Fischer" (1955) bis zu den Dichtungen von Marie-Luise Kaschnitz, Stefan Hermlin und Anna Seghers.[18] Populäre Bestseller wie die des "Atom-Journalisten" Robert Jungk beschworen am Beispiel J. Robert Oppenheimers den faustischen Pakt. Physikerdramen kamen groß in Mode und elaborierten den Zwiespalt von Technik und Ethik.[19]Populärwissenschaftliche Arbeiten fanden einen breiten Markt. Vielleicht, weil im deutschen Fall historische Ängste und Erinnerungen durch die Gefahr des Atomkriegs angesprochen wurden, spielte sich die Auseinandersetzung mit dem Atomtod in weniger fiktionalen Genres ab (im augenscheinlichen Kontrast zu Japan, das mit Deutschland die Luftkriegserfahrung teilte). In den "Angstsemantiken" (Holger Nehring) der Friedensbewegung wurde auf "reale" Fiktionen zurückgegriffen, die in der Presse in Wort und Bild leicht zugänglich waren, drohten doch in NATO-Manövern mit immer höheren Einsätzen an Nuklearwaffen Millionen deutscher Opfer.[20] Hier wurde die Fiktion von der imaginierten Realität zum Teil überholt.
Mit der "Kampf dem Atomtod"-Kampagne wurzelte sich nun auch "Hiroshima" als zentraler Referenzpunkt der deutschen Nuklearangst ein. "Nie wieder Hiroshima" war das wichtigste Schlagwort der deutschen Friedensbewegung, es entstand eine umfangreiche Hiroshima-Lyrik,[21] der ostdeutsche Maler Werner Tübke schuf einen Furcht einflößenden Zyklus "Hiroshima I-III", und der ebenfalls in der DDR tätige Armin Münch zeichnete "Little Man" und "Fat Boy", die Hiroshima- und Nagasaki-Bomben.[22] Dabei wurde Hiroshima bewusst auch mit den deutschen Erfahrungen des Luftkriegs gleichgesetzt, zugleich aber auch die völlige Andersartigkeit der langfristigen Wirkungen der Radioaktivität thematisiert. "Radioaktiv" wurde zum Angstbegriff.