Fachkräftebedarf und Zuwanderung: Geschichte und Perspektiven
Der demografische Wandel und ein steigender Fachkräftebedarf sind Herausforderungen. Folgerungen aus 130 Jahren Migrationsgeschichte geben Aufschluss über die Chancen einer langfristig angelegten, ressortübergreifenden Politik.Einleitung
Fachkräfte werden knapp", "Gesucht: Ingenieure aus Krisenstaaten", "Rettung aus Südeuropa": Diese aktuellen Schlagzeilen aus deutschen Tageszeitungen verdeutlichen den Handlungsdruck und die Brisanz der Diskussion über die Zuwanderung von Arbeitskräften, um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen.[1] Gegenwärtig wird der Ruf laut, junge Fachkräfte aus europäischen Staaten mit einer hohen Arbeitslosenquote wie Spanien und Portugal zum Arbeiten in Deutschland anzuwerben.[2] Aktuelle Studien prognostizieren, dass es bis spätestens 2015 im Zuge der demografischen Entwicklung Deutschlands und des wirtschaftlichen Wandels hin zu wissens- und forschungsintensiven Industrien und Dienstleistungen zu einem erhöhten Bedarf an Fachkräften und Hochqualifizierten in vielen Branchen und Regionen Deutschlands kommen wird.[3] Die Bundesagentur für Arbeit (BA) rechnet von 2010 bis 2025 mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials um 6,5 Millionen Menschen (siehe Abbildung 1 der PDF-Version).[4]Die gegenwärtigen Fachkräfteengpässe im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), aber auch in der Pflege und der frühkindlichen Bildung deuten an, welche zentrale Herausforderung für das politisch-ökonomische Gesamtsystem in den kommenden Jahrzehnten bevorsteht. Der Bestand der ökonomischen Stützpfeiler des deutschen Modells scheint gefährdet. Zu diesen zählen eine ausgeprägte Exportorientierung, hohe Produktivität und internationale Wettbewerbsfähigkeit.[5] Sie sind in einem hohen Maße abhängig von einer leistungsfähigen Spitzentechnologie in Kombination mit einer ausreichenden Anzahl gut ausgebildeter Fachkräfte in den Betrieben und Unternehmen. Neben bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zur Ausschöpfung inländischer Potenziale und Deckung des aktuellen und künftigen Fachkräftebedarfs sind daher vermehrt Strategien zur Steuerung der Zuwanderung sowie eine Einbettung der zuwanderungspolitischen Initiativen in eine langfristig angelegte, politikfeldübergreifende Fachkräftestrategie notwendig.
Die Debatte um den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland ist allerdings keineswegs neu. Sie wird in Deutschland seit etwa 130 Jahren geführt. Die Anwerbeabkommen, geschlossen zwischen 1955 (mit Italien) und 1968 (mit dem damaligen Jugoslawien), stellen dabei einen Meilenstein innerhalb der Zuwanderungspolitik dar. Um diese zentralen Ereignisse der deutschen Migrationsgeschichte einzuordnen und langfristige Entwicklungen, politisch-historische Handlungslogiken sowie weiterhin wirkende Traditionen zu bestimmen, kann ein Blick auf die Kernphänomene in der Geschichte der deutschen Ausländerpolitik helfen. Im Folgenden geht es um diese Fragen: Vor welchem Hintergrund wurden in Deutschland ausländische Arbeitskräfte angeworben? Welche sozioökonomischen Faktoren, institutionelle Arrangements und Akteurskonstellationen prägten zentrale migrationspolitische Entscheidungen? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die aktuelle Debatte um Fachkräftebedarf und Zuwanderung in Deutschland ziehen?