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Prozesse fördern, nicht nur Produkte fordern: Demokratie und Menschenrechte in der deutschen Außenpolitik

Julia Leininger Markus Böckenförde Julia Leininger Markus Böckenförde /

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Menschenrechte und Demokratie sind grundlegende Parameter der deutschen Außenpolitik. Doch stehen sie in einem Spannungsverhältnis mit anderen politischen Zielen wie etwa im Hinblick auf außenwirtschaftliche Beziehungen mit undemokratischen Regimen.

Einleitung

Die Frage, wie Demokratie und Menschenrechte wirksam durch deutsche Außenpolitik gefördert werden können, hat seit 2011 mit den Rebellionen im arabischen Raum an Aktualität und Brisanz gewonnen. Doch eine Grundorientierung, die Anerkennung universeller Rechte und der Wille, mit gutem Beispiel voranzugehen, reichen hierfür nicht aus. Die vielfältigen Rollen, die Deutschland in der Welt spielt - als Exportnation gegenüber Handelspartnern oder als Geberland gegenüber Entwicklungsländern -, stehen nicht immer im Einklang mit der Forderung nach Menschenrechten und Demokratie. Während die Durchsetzung der Menschenrechts- und Demokratieförderungspolitik gegenüber wirtschaftlich starken oder ressourcenreichen Staaten schwierig ist oder erst gar nicht mit Nachdruck angegangen wird, nimmt sie in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in der Regel eine wichtige Stellung ein. Doch auch hier sind keine Erfolge garantiert. Diese stellen sich nur ein, wenn die deutsche Außenpolitik eine angemessene Kombination zwischen politischem Druck und begleitenden Maßnahmen findet.

Menschenrechte und Demokratie sind grundlegende Parameter deutscher Außenpolitik. Diese Ausrichtung ist fest im deutschen Grundgesetz (GG) verankert und ergibt sich aus internationalen Verpflichtungen wie dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte. So bekennen sich Bundesregierungen unterschiedlicher parteipolitischer Prägung seit den Anfängen der Bonner Republik kontinuierlich zu dieser außenpolitischen Zielsetzung. Trotz dieses gemeinsamen Grundverständnisses unterscheiden sich die Ausgestaltung von konkreten Zielen, der jeweilige konzeptionelle Zugang und teilweise auch die Instrumente zur Umsetzung deutscher Menschenrechts- und Demokratieförderungspolitik je nach Regierung.

Die aktuelle schwarz-gelbe Bundesregierung verschreibt sich in ihrem Koalitionsvertrag einer werteorientierten und interessengeleiteten Außenpolitik. Mit der Betonung auf Werte, die auf der "Idee des Westens" fußen, hebt sie sich im Koalitionsvertrag ab. Zwar haben sich Vorgängerregierungen unter Beteiligung der CDU auf die Wertegemeinschaft in den transatlantischen Beziehungen und der EU bezogen, doch nicht mit dem Akzent, dass der Westen geschlossen "gemeinsame Werte zu bewahren" habe. Inhalt und Reichweite dieser Werte werden nicht weiter spezifiziert. Aus einer historischen Perspektive und im Kontext des Gesamtdokumentes liegt jedoch nahe, dass der Koalitionsvertrag auf Menschenrechte der drei Generationen und ein liberales Demokratieverständnis westlicher Prägung abhebt.

Stellenwert der Menschenrechte

Ausgangspunkt deutscher Menschenrechtspolitik ist der Auftrag des GG in Artikel 1 Absatz 2, in dem sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt. Konkretisierend verweist die Regierung auf die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten und in einer Reihe von internationalen und regionalen Verträgen rechtsverbindlich ausformulierten Rechte. In der Zusammenarbeit mit anderen Staaten, vor allem in Entwicklungskooperationen, wird auf die Verträge abgestellt, die sowohl Deutschland wie das Partnerland ratifiziert und damit als rechtsverbindlich anerkannt haben. Entsprechend der außenpolitischen Tradition Deutschlands bekennt sich auch die aktuelle Bundesregierung "zur Universalität der Menschenrechte, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Herrschaft des Rechts in den internationalen Beziehungen" und betrachtet "Menschenrechtspolitik als zentrale Konstante deutscher Außen- und Sicherheitspolitik". An diesem Bekenntnis möchte sie ihr Handeln messen lassen: Die Glaubwürdigkeit Deutschlands stehe in direktem Zusammenhang mit dem konsequenten Eintreten für die Menschenrechte in der Außen- und Entwicklungspolitik.

Ziele und Aufgabe deutscher Menschenrechtspolitik werden seit 2005 in Aktionsplänen festgehalten. An der zeitlichen Unabhängigkeit dieser Pläne von Legislaturperioden wird deutlich, dass Menschenrechten ein hoher Stellenwert zukommt, der unabhängig ist von parteipolitischen Eigenheiten. Hieraus leiten sich auch entwicklungspolitische Aufgaben ab. Das Instrumentarium zur Unterstützung der Achtung, des Schutzes und der Gewährung von Menschenrechten reicht von Forderungen durch politische Dialoge oder Konditionalität bis zu Fördermaßnahmen wie capacity building oder institutionelle Unterstützung. Jedoch verspricht die gegenwärtige Regierung auch Innovationen. So hat sie einen "Menschenrechts-TÜV" angekündigt. Hier müssen die EZ-Durchführungsorganisationen (insbesondere die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) im Vorfeld aller Vorhaben bilateraler Projekte eine Prüfung menschenrechtlicher Risiken und Wirkungen vornehmen, darüber berichten und sie im Dialog mit der Regierung und relevanten Bevölkerungsteilen des Partnerlandes diskutieren. Überlegt wird weiterhin, einen Beschwerdemechanismus einzuführen, an den sich Menschen und Gruppen in den Partnerländern wenden können, wenn sie durch EZ-Maßnahmen ihre Menschenrechte verletzt sehen. Trotz Fortschritten sind Menschenrechte kein Schlüsselsektor der Entwicklungszusammenarbeit.

Stellenwert der Demokratie

Die Demokratie ist im Gegensatz zu Menschenrechten nicht in internationalen Verträgen kodifiziert. Ob es ein Recht auf Demokratie geben soll, bleibt in der internationalen Debatte streitig. Denn die Herrschaftsform einer Gesellschaft trifft den Kern staatlicher Souveränität. Eingriffe von Seiten Dritter in diesen staatlichen Hoheitsbereich sind nur dann legal, wenn vorherige Absprachen zwischen den Regierungen erfolgt sind. Verbrechen gegen die Menschlichkeit machen internationale Interventionen zwar erforderlich, jedoch dürfen diese aus völkerrechtlicher Perspektive nicht ohne die Zustimmung des betroffenen Landes auf die Veränderung des politischen Regimes, sondern nur auf den Schutz der Bevölkerung abzielen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb Demokratieförderung international erst seit dem Ende des Kalten Kriegs einen Aufschwung erfahren hat. Deutschland bedient sich dementsprechend vor allem friedlicher Mittel zur Demokratieförderung. Dieses Bestreben ist im außenpolitischen Selbstverständnis Deutschlands und in der Zugehörigkeit zur EU verankert, in die nur demokratisch verfasste Staaten aufgenommen werden. Jedoch ist die Bundesregierung - gleich anderer Gebernationen - zurückhaltend mit der Verwendung des Demokratiebegriffs. Zwar bestimmt die Demokratie laut Koalitionsvertrag das Handeln Deutschlands in der Welt, doch soll jedem Staat selbst überlassen bleiben, wie er sein demokratisches Regime ausgestaltet.

Ziele und Aufgaben deutscher Demokratieförderungspolitik ergeben sich aus Konzepten und Strategiepapieren der Bundesregierung. Demokratie wird hier vor allem als Mittel zum Zweck verstanden - insbesondere als Voraussetzung menschlicher Entwicklung und zur Gewährung von Menschenrechten. Teilweise versteckt sich Demokratisierungshilfe auch hinter Maßnahmen zur Unterstützung von guter Regierungsführung in einem Entwicklungsland. Unverkennbar handelt es sich um Kernaufgaben von Demokratieförderung, wenn demokratisch legitimierte Institutionen (wie Parlamente, Wahlen) und politische Teilhabe gestärkt werden sollen. Menschenrechtsförderung ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Die derzeitige Regierung hat aus international bekannten und eigenen Erfahrungen gelernt und fokussiert nicht überwiegend staatliche Institutionen, sondern zielt auf das Zusammenspiel zwischen politischer Partizipation durch die Bevölkerung und starken Institutionen ab. Mit dieser Politik nähert sie sich einem holistischen Ansatz, der die Dynamiken zwischen Staat und Gesellschaft anerkennt. Zudem zeichnet sich die Politik der aktuellen Regierung durch einen stärkeren Fokus auf politische Konditionalitäten aus. Beispielsweise wird die Vergabe allgemeiner Budgethilfe an die Erfüllung von Menschenrechtsstandards oder demokratischer Verfahren gekoppelt - dies ist nicht neu, wird von der aktuellen Regierung aber besonders betont.

Die Umsetzung demokratiefördernder und menschenrechtsunterstützender Maßnahmen liegt überwiegend im entwicklungspolitischen Bereich. Staatliche Akteure sind daher vor allem das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und in Form von Kleinprojekten in einer Größenordnung von derzeit etwa 25 Millionen Euro das Auswärtige Amt (AA). Wichtige deutsche Demokratieförderer sind die sechs politischen Stiftungen, die den im Bundestag vertretenen Parteien nahestehen. Sie unterliegen - anders als die Durchführungsorganisationen GIZ und KfW - nicht den politischen Vorgaben durch das Ministerium. Dieser Spielraum ermöglicht beispielsweise die Etablierung von nachhaltigen Netzwerken mit prodemokratischen, oppositionellen Reformkräften in anderen Staaten, die der bilateralen staatlichen EZ aufgrund ihrer Ausrichtung auf Regierungen nicht zugänglich sind.

Zusammenfassend haben Menschenrechte und Demokratie bislang einen hohen Stellenwert in der Außenpolitik des vereinten Deutschlands eingenommen. Eine stärkere Werteorientierung, die Betonung politischer Konditionalitäten und die Weiterentwicklung des Förderinstrumentariums bilden die Grundlage für die selbstbewusste Formulierung von politischen Forderungen im Bereich der Menschenrechte und Demokratie gegenüber anderen Regierungen. Jedoch reichen Forderungen alleine nicht aus, um eine nachhaltig wirksame Förderung zu erreichen. Wenn die Kombination von Druck und Unterstützung gelingen soll, ist es geraten, den folgenden vier zentralen Herausforderungen Beachtung zu schenken.

Interessen versus Werte:

Der hohe außenpolitische Stellenwert von Werten verliert in der Regel an Gewicht, wenn Menschenrechte und Demokratie auf vitale, widerstreitende Interessen Deutschlands stoßen. An dieser Stelle entsteht ein natürliches Spannungsfeld mit anderen politischen Zielsetzungen. Im innen- und außenpolitischen Binnenverhältnis reibt sich beispielsweise die restriktive Flüchtlingspolitik Deutschlands mit der menschenrechtsfordernden Haltung gegenüber anderen Staaten. Auch außenwirtschaftliche Beziehungen mit undemokratischen Regimen wie Angola oder Saudi-Arabien erzeugen Zielkonflikte. Mit diesen Spannungsfeldern geht die deutsche Regierung offen um. So heißt es, dass integere Standpunkte vertreten und glaubwürdig argumentiert werden soll, wenn Zielkonflikte auftreten. Während dieser Standpunkt eine Entscheidung für Worte oder Interessen offenlässt, fordern entwicklungspolitische Akteure eindeutig eine werteorientierte Außenpolitik: "Wo Menschenrechte verletzt werden, lösen wir Zielkonflikte, indem wir Werte über Interessen stellen. Wir sagen: In Grenzfällen hat es einen Preis, zu Werten zu stehen. Unternehmer müssen auch nein sagen können. Dass wir Menschenrechte nie zur Verhandlungsmasse machen, entspricht unserem Grundgesetz und liegt in unserem Interesse."

Dennoch gibt die deutsche Außenwirtschaftspolitik regelmäßig Anlass zur Kritik. Beispielsweise gilt unabhängig von der Couleur einer Regierungskoalition der Vorwurf, die deutsche Politik stelle wirtschaftliche Interessen über die offene und bestimmte Kritik an Menschenrechtsverletzungen in China. Auch beim Besuch der Bundeskanzlerin in Peking im Februar 2012 standen wirtschaftliche Themen an oberster Stelle auf der Agenda. Zwar wurde Besorgnis über die allgemeine Menschenrechtssituation in China angesprochen, aber das Einreiseverbot regimekritischer Teilnehmer der deutschen Delegation und die Vorgabe von Gesprächen mit bestimmten Journalisten blieben von deutscher Seite unkommentiert. Hier wird die Werteorientierung zugunsten der Absicherung wirtschaftlicher Interessen relativiert.

Demokratie und Menschenrechte lassen sich dort wirksam fördern, wo sie auf Resonanz stoßen. Autokratien, die aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts oder ihres Ressourcenreichtums (wie China, Saudi-Arabien oder jüngst Angola und Kasachstan) wichtige Handels- und Wirtschaftspartner Deutschlands sind, bieten kurzfristig geringe Chancen für eine erfolgreiche Demokratie- und Menschenrechtsförderung. Zielkonflikte werden hier vorerst bestehen bleiben und nur durch eine offene Abstimmung zwischen Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie Unternehmen und in Zusammenarbeit mit relevanten Reformkräften in anderen Staaten langfristig eingehegt werden können. Gegenüber den Staaten, die in den auswärtigen Beziehungen als Partner deutscher EZ gelten, tritt die Bundesregierung stärker für Werte ein, agiert aber nie interessensfrei. So liegt bereits der Auswahl von Partnerländern und Handlungsstrategien deutscher Entwicklungspolitik die Bewertung des Demokratie- und Menschenrechtsniveaus des jeweiligen Entwicklungslandes zugrunde. Aus vorhergehenden Erfahrungen lernend gehen deutsche Akteure davon aus, dass Demokratie und Menschenrechte vor allem dann wirksam gefördert werden können, wenn bereits Anknüpfungspunkte (wie demokratische Verfassung, Bereitschaft zum Menschenrechtsschutz) im Partnerland bestehen. Außerdem wird in der Entwicklungsforschung angenommen, dass die Hebelwirkung von Geberländern umso höher ist, je außenabhängiger ein Entwicklungsland ist. Dies mag als ideale Ausgangsbasis erscheinen, um Menschenrechte und Demokratie zu fordern und zu fördern. Doch stellt die Förderung von Normen und Werten trotzdem eine Herausforderung dar.

Wertewandel braucht Zeit:

Ausgangspunkt für die weitere Analyse der deutschen Förderung von Werten im Ausland ist zunächst die Auffassung, dass der gegenwärtige Standard an Menschenrechten in Westeuropa das Resultat eines langwierigen soziokulturellen Wertewandels ist. Dieser Wertewandel vollzog sich in wesentlichen Bereichen weitgehend im Gleichklang mit der Entwicklung, Anwendung und Auslegung des formellen Rechts. In Deutschland gelang es erst 1969 einen Großteil der Vorschriften aus dem Strafgesetzbuch (StGB) zu streichen oder zu entschärfen, die keine Rechtsgutverletzungen, sondern "unmoralische" Taten unter Strafe stellten (wie "Unzucht zwischen Männern"). Es dauerte bis 1994 und bedurfte der Pflicht zur Rechtsangleichung von Ost- und Weststrafrecht bis die strafrechtliche Diskriminierung homosexueller Männer gänzlich aufgehoben wurde. Dass dies noch nicht das Ende der Diskriminierung auf Grundlage sexueller Orientierung in Deutschland war, ist weithin bekannt. Nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch bei der Justiz lässt sich der Wertwandel über die Zeit verfolgen: 1957 begründete das Bundesverfassungsgericht, dass sowohl die Bestrafung von "Unzucht unter Männern" als auch die gleichzeitig bestehende Straflosigkeit der Unzucht unter Frauen mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Aus der gegenwärtigen Perspektive dürfte dieses Urteil bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung Erstaunen oder gar Entsetzen hervorrufen. Gleichwohl haben sich die einschlägigen Grundrechte seither nicht in relevanter Weise geändert. Bis heute hat der abschließend formulierte Artikel 3 Absatz 3 GG die sexuelle Orientierung in den Kanon der Diskriminierungsgebote nicht mit aufgenommen. Und dennoch ist anzunehmen, dass das Gesetz von damals heute für verfassungswidrig erklärt werden würde. Der soziokulturelle Wertewandel wäre also auch in der Judikative angekommen.

Mag dieser Fall Geschichte sein, das Fortleben "unmoralischer" Straftatbestände beschäftigt Deutschland auch noch in der Gegenwart: Nach Artikel 173 Absatz 2 Satz 2 StGB ist der Beischlaf unter erwachsenen Geschwistern strafbar. Dessen Verfassungsmäßigkeit wurde noch 2008 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Das abweichende Sondervotum entblättert in bestechender Weise das Fehlen eines anerkannten Strafzwecks für diese Norm. Dies verdeutlicht, dass auch unser gegenwärtiges in Recht gefasstes Wertesystem noch Raum zur Entwicklung hat. Leserinnen und Leser, die sich dabei ertappen, diesen Fall als etwas grundsätzlich anderes zu sehen, spiegeln den Umstand, dass auch wir noch nicht aus wertebezogener Perspektive allen menschenrechtsrelevanten Standards Rechnung tragen wollen.

Die obigen Absätze sollen verdeutlichen, dass universelle Menschenrechte zumeist so formuliert oder ausgelegt werden, dass sie mit dem Wertesystem einer Gesellschaft auf "Tuchfühlung" bleiben. Sie mögen dem gesellschaftlichen Wertewandel ein Stück vorausgehen, ihn unterstützen oder beschleunigen, sie bleiben aber immer im Bezug zum Wertesystem. Nur so lässt sich die soziale Akzeptanz der Menschenrechte gewährleisten. Fehlt dieser Bezug, drohen Menschenrechte als exogene Produkte verstanden und nicht substanziell und nachhaltig umgesetzt zu werden. Von einer außen- und entwicklungspolitischen Perspektive betrachtet, bedeutet dies, dass Prozesse soziokulturellen Wandels nicht abgekürzt werden können. Oft werden Menschenrechte niedergeschrieben, um äußeren Erwartungen von Geberländern zu entsprechen und Bedingungen für den Transfer von Hilfs- und Entwicklungsgeldern zu gewährleisten. Eine wirksame und nachhaltige Umsetzung ist aber selten möglich, wenn darin gesellschaftlich legitimierte Werte nicht gespiegelt sind.

Universelle versus kontextabhängige Werte:

Erkennen wir anhand deutscher Erfahrungen die prozesshafte Entwicklung von Menschenrechtsstandards als notwendig an, bleibt die Frage nach dem Umgang mit dieser Erfahrung in der Außen- und Entwicklungspolitik. Prozesse fördern und Produkte fordern - wie schwierig und ambivalent diese Wahl ist, zeigt beispielsweise der Umgang mit dem Gesetzesentwurf zur Verschärfung der Strafbarkeit der Homosexualität in Uganda.

Der Menschenrechtsbegriff in der deutschen Entwicklungspolitik konkretisiert sich auf die von Deutschland und seinen Partnerländern ratifizierten Menschenrechtsabkommen. Die Inpflichtnahme der Partnerländer verlangt mithin zunächst den Verstoß gegen ein Menschenrechtsabkommen. Sowohl Uganda als auch Deutschland haben den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert. Die Anwendung der Todesstrafe ist darin nicht generell untersagt, das insoweit einschlägige Fakultativprotokoll wurde von Uganda nicht ratifiziert. Artikel 6 des Pakts postuliert jedoch, dass die Todesstrafe allenfalls gegen schwerste Verbrechen verhängt werden darf. Auch wenn "schwerste Verbrechen" ein interpretationsoffener Begriff ist, werden qualifizierte Akte der Homosexualität nicht darunter fallen. Wäre in Uganda also der ursprüngliche Gesetzesentwurf in Kraft getreten und umgesetzt worden, hätte Uganda Menschenrechte verletzt. Bei gravierenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen sieht das Menschenrechtskonzept des BMZ die Konditionierung von Entwicklungsgeldern vor. Für den Fall der Verabschiedung dieses Gesetzes hatte Deutschland gegenüber der Regierung die Streichung von EZ-Mitteln angedroht.

Der in Uganda im Februar 2012 erneut eingereichte und weithin identische Gesetzesentwurf hat als Strafmaß die Todesstrafe nicht mehr aufgeführt. Ändert sich dadurch die Grundlage für menschen- und entwicklungspolitische Maßnahmen? Unbestritten ist zunächst, dass die sexuelle Orientierung in keinem Menschenrechtsvertrag der Vereinten Nationen (VN) explizit in den Katalog der Diskriminierungsverbote aufgenommen wurde. In verschiedenen Abkommen ist dieser Katalog aber nicht abschließend formuliert. Stellungnahmen und Empfehlungen verschiedener Institutionen und Gremien wie die VN-Menschenrechtskommission postulieren, die sexuelle Orientierung in den Katalog mit hineinzulesen. Unter den Staaten wird dies heftig debattiert, und einer formalen Vertragsergänzung würde gegenwärtig wohl kaum eine Mehrheit der Vertragsstaaten zustimmen. Im Jahr 2008 brachten Frankreich und die Niederlande in der VN-Generalversammlung den Entwurf einer Erklärung ein (für eine Resolution war keine erforderliche Mehrheit erwartet worden), der die sexuelle Orientierung als Teil des Diskriminierungsverbotes anerkannte. Als unmittelbare Reaktion darauf wurde eine Gegenerklärung ausgearbeitet. Erstgenannte wird gegenwärtig von 85 Staaten unterstützt, die zweite von 57 Ländern. Dies zeigt, dass ein Diskriminierungsverbot in Bezug auf sexuelle Orientierung noch kein universeller Wert ist. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund das Ziel einer nachhaltigen Menschenrechtsförderung in Uganda im Bezug auf den erneuten Gesetzesentwurf am besten erreichen?

Menschenrechte versus Demokratie:

Es besteht kein zwingender Automatismus zwischen der Entwicklung demokratischer Verfahren und der Existenz liberaler Werte. Nicht nur der ugandische Fall, sondern auch die Wahlen in Palästina von 2006 oder der Gesetzesentwurf für ein neues Zivilrecht in Mali von 2009 zeigen, dass demokratische Prozesse ergebnisoffen sind. Sie befördern Werte, die zwar Teile der Bevölkerung repräsentieren, aber nicht den Normen eines Großteils der OECD-Gesellschaften entsprechen. In Palästina kam die radikale Hamas-Bewegung mit einer eindeutigen Stimmenmehrheit an die Macht und in Mali sollten traditionelle Praktiken wie die Wiederverheiratung einer verwitweten Frau mit dem nächsten Verwandten ihres Ehemanns legalisiert werden. In Uganda repräsentiert die Gesetzesinitiative homophobe Teile der Gesellschaft. Was können außenpolitische Akteure tun, wenn die von ihnen geförderten demokratischen Prozesse illiberale und menschenrechtsfeindliche Werte auf die politische Tagesordnung bringen? Die einfache Antwort lautet: Menschenrechtsverletzungen anmahnen und demokratische Prozesse respektieren.

Im Falle der Todesstrafe für Delikte von Homosexuellen können sich Geber auf universelle Menschenrechte beziehen und deren Einhaltung energisch einfordern. Dies ist im ugandischen Fall gegenüber der Regierung des Landes mit Nachdruck geschehen. Die internationalen und nationalen Proteste haben aber nicht verhindern können, dass das Thema in der neuen Legislaturperiode abermals auf der parlamentarischen Agenda steht. Dies spricht dafür, dass die Intervention von Geberländern über die Exekutive eine relevante parlamentarische und gesellschaftliche Debatte unterbunden hat. Dadurch wurde die Rolle des ohnehin starken ugandischen Präsidenten weiter gestärkt und hat seine Einmischung in die Arbeit des Parlamentes unterstützt. Damit haben Geber den demokratischen Prozess unterminiert, dessen Förderung sie sich zugleich selbst aufgegeben haben.

Wie an der Geschichte Deutschlands bereits deutlich wurde, braucht es Zeit, wenn Menschenrechte aus sich heraus in einer Gesellschaft wachsen sollen. Im Hinblick auf die neue ugandische Gesetzesinitiative ohne Todesstrafe darf der Zeitfaktor nicht außer Acht gelassen werden. Geber sind zwar ihrer eigenen Bevölkerung Rechenschaft schuldig, wie sie die ihnen anvertrauten Steuergelder ausgeben, doch darf dies weder auf Kosten soziokultureller Entwicklung in der ugandischen Gesellschaft gehen, noch die Rechenschaftspflicht der ugandischen Regierung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung beschädigen. Dies kann umgangen werden, indem der Fokus stärker auf die Dynamik politischer Prozesse und nicht primär auf die vermeintlichen Ergebnisse gelegt wird.

Die Debatte über Rechte Homosexueller in der ugandischen Gesellschaft kann nur in derselben ausgetragen werden. Die demokratisch verfasste Ordnung Ugandas bietet einen Raum für öffentliche und parlamentarische Debatten zu diesem Thema. Indem die demokratischen Institutionen mit Leben ausgefüllt und von der Bevölkerung in Anspruch genommen werden, können sich demokratische Prozesse, Verhaltensweisen und Einstellungen festigen. Erst wenn die Regierung wider der Meinungs- und Versammlungsfreiheit eine öffentliche Diskussion zu unterbinden sucht - wie dies in Uganda im Februar 2012 gegenüber einer Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten gegen das Gesetzesvorhaben geschehen ist -, können Geber hier durch abgestimmte Verurteilungen der Situation glaubwürdig eingreifen. Jedoch in demokratischem Rahmen ablaufende Debatten durch einen einseitigen Dialog mit der Regierung zu ersticken, stärkt langfristig weder Demokratie noch die Menschenrechte - und untergräbt damit die eigene außenpolitische Zielsetzung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Rede des Bundesaußenministers Guido Westerwelle anlässlich der Vorstellung des Konzepts der Bundesregierung "Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen" am 8.2.2012 in Berlin, online: www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2012/120208-BM_Gestaltungsmaechtekonzept.html (17.2.2012).

  2. Vgl. Gunther Hellmann/Reinhard Wolf/Siegmar Schmidt (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden 2007, S. 19.

  3. Koalitionsvertrag der CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, S. 118, online: www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf (9.2.2012).

  4. Ebd.

  5. Die erste Generation von Menschenrechten umfasst Freiheits- und Schutzrechte, die zweite Gleichheits- und Sozialrechte und die dritte Entwicklungsrechte (wie Recht auf wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung).

  6. Vgl. Auswärtiges Amt (AA) (Hrsg.), Die Menschenrechtspolitik Deutschlands, Berlin 2011, S. 8; Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) (Hrsg.), Menschenrechte in der Entwicklungspolitik, Bonn 2011, S. 5.

  7. Koalitionsvertrag (Anm. 3), S. 113.

  8. Vgl. ebd., S. 127.

  9. Der gegenwärtige Aktionsplan (2010-2012) benennt 17 inhaltliche Prioritäten, beispielsweise gegen die Todesstrafe einzutreten oder Medien- und Meinungsfreiheit zu sichern. Vgl. AA (Hrsg.), 9. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik, Berlin 2010, S. 232-245.

  10. Vgl. BMZ (Anm. 6), S. 15 und S. 21.

  11. Vgl. Thomas Weiss, Humanitarian Intervention, Cambridge, UK 2012.

  12. Vgl. BMZ (Hrsg.), Die Förderung konstruktiver Staat-Gesellschaftsbeziehungen, Bonn 2010.

  13. Vgl. ders. (Hrsg.), Förderung von Good Governance in der deutschen Entwicklungspolitik, Bonn 2009.

  14. Vgl. Sonja Grimm/Julia Leininger, Conflicting Objectives in Democracy Promotion, in: Democratization (i.E.).

  15. Vgl. AA (Anm. 6), S. 16.

  16. BMZ (Hrsg.), Chancen schaffen, Zukunft entwickeln, Bonn 2011, S. 9.

  17. Vgl. Florian Pfeil, Bleibt alles anders?, in: Hanns W. Maull/Sebastian Harnisch/Constantin Grund (Hrsg.), Deutschland im Abseits?, Baden-Baden 2003, S. 177-192.

  18. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 4.2.2012, online: www.sueddeutsche.de/politik/kanzlerin-merkel-in-china-reise-an-die-grenzen-der-macht-1.1275438 (8.2.2012).

  19. Vgl. Brigitte Hamm/Christian Scherper/Maike Schölmerich, Menschenrechtsschutz und Außenwirtschaftsförderung, INEF-Policy Brief, Nr. 8, 2011.

  20. Vgl. BMZ (Anm. 12), S. 7.

  21. Vgl. Lindsay Whitfield/Alistair Fraser, Aid and Sovereignty, in: Lindsay Whitfield (ed.), The Politics of Aid, Oxford 2009, S. 1-26.

  22. Vgl. Markus Böckenförde, Menschenrechte schützen: Prozesse fördern statt Produkte fordern, DIE, Die aktuelle Kolumne vom 29.11.2010.

  23. Vgl. BVerfGE 6, 389.

  24. Vgl. 2 BvR 392/07.

  25. In Uganda ist Homosexualität strafbewehrt, mit einer Höchststrafe von bis zu 14 Jahren Haft. Für viele Menschen in afrikanischen Gesellschaften gilt Homosexualität als "unmoralisch"; so steht in 38 von 54 afrikanischen Staaten Homosexualität unter Strafe. Ein 2009 vorgelegter Gesetzesentwurf, der eine Verschärfung der Strafen vorsah, löste kontroverse Debatten aus. Zwar wurde Todesstrafe im neu vorgelegten Gesetzesentwurf (2012) als Höchststrafmaß fallengelassen, mehrere Verschärfungen gegenüber den bestehenden Straftatbeständen bleiben aber erhalten.

  26. Vgl. BMZ (Anm. 6), S. 9.

  27. In diesem Zusammenhang ist nicht unbedeutend zu erwähnen, dass die jeweiligen Gesetzesentwürfe von einer einzelnen Person im Parlament eingebracht wurden, der über sehr enge Kontakte zu US-amerikanischen Evangelikalen verfügt. Es mag mehr als Zufall gewesen sein, dass kurz vor Einreichung des ersten Gesetzesentwurfes drei als homophob bekannte Missionare aus den USA Seminare mit homophoben Inhalten im Kampala abhielten. Vgl. The New York Times vom 3.1.2010.

  28. Politische Forderungen müssen mit anderen Geberländern abgestimmt und durchgesetzt werden, damit sie wirksam sein können. Vgl. Jörg Faust, Politische Konditionalität, Entwicklungshilfe und Demokratie, DIE Analysen und Stellungnahmen, Nr. 2, 2012.

Dr. phil., geb. 1976; Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Tulpenfeld 6, 53113 Bonn. E-Mail Link: julia.leininger@die-gdi.de

Dr. jur., geb. 1970; Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Käte Hamburger Kollegs "Politische Kulturen der Weltgesellschaft: Chancen globaler Kooperation im 21. Jahrhundert", Schifferstraße 196, 47059 Duisburg. E-Mail Link: mboecken@googlemail.com