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Immigrationsfragen: Sprungbrett rechtspopulistischer Parteien

Timo Lochocki

/ 15 Minuten zu lesen

Konflikte über Zuwanderung sind der Schlüssel zum Verständnis der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien. Ein europaweiter Vergleich der Politisierung von Immigrationsfragen erklärt die Schwäche von Rechtspopulisten in Deutschland.

Einleitung

Die relative Bedeutungslosigkeit rechtspopulistischer Parteien auf Bundesebene darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihnen über die vergangenen Jahre gelungen ist, in beinahe alle westeuropäischen Parlamente einzuziehen. In Norwegen, Österreich und der Schweiz erreichten sie teilweise sogar über 20 Prozent der Wählerstimmen und sind als politischer Akteur nicht mehr wegzudenken. Ihre relative Bedeutungslosigkeit in der Bundesrepublik wird meist mit Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit begründet: Eine größere Zurückhaltung in den Debatten über die "nationale Identität" verhindere, Wählerpotenzial am "rechten Rand" zu mobilisieren. Diese Erklärung lässt jedoch zentrale Entwicklungen im westeuropäischen Ausland außer Acht: Der entscheidende politische Konflikt, der die Chancen rechtspopulistischer Parteien für den ersten Einzug in die Parlamente definiert, wird im 21. Jahrhundert primär über Zuwanderungsfragen bestimmt. Und Diskussionen über gesellschaftspolitische Herausforderungen, denen sich Einwanderungsgesellschaften gegenübersehen, werden auch in Deutschland aufgrund des demografischen Wandels und des damit einhergehenden Fachkräftemangels künftig einen großen Raum einnehmen.

Die Besonderheit der Einwanderungsdebatten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte in Deutschland besteht darin, dass jene relativ schnell in einen parteiweiten - eher konservativen - Konsens mündeten und auch aus diesem Grund in keinem Bundestagswahlkampf akzentuiert wurden. Anders hingegen in unseren europäischen Nachbarländern: Konflikte über die Handhabung von Integrations- oder Zuwanderungsfragen begünstigten den Durchbruch rechtspopulistischer Parteien.

Gegenbewegungen zu pluralen Gesellschaften

Der Terminus "rechtspopulistische Partei" ist bei Ländervergleichen mit Vorsicht zu verwenden. Es herrschen unterschiedliche Definitionen derjenigen Parteien, die von "Rechtspopulisten" über "Radikale Rechte" bis hin zu "Rechtsextremisten" reichen. So fasst etwa der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg in einem gesamteuropäischen Überblick autokratisch-faschistische, rassistisch-ethnozentrische, populistisch-autoritäre und religiös-fundamentalistische Parteien unter dem Oberbegriff der "Radikalen Rechten" zusammen.

Im Folgenden wird die Bezeichnung "rechtspopulistische Partei" benutzt, da sich die "etablierten" rechtspopulistischen Parteien nicht per se als antidemokratisch verstehen - im Gegenteil: Sie begründen ihre Thesen oft mit vermeintlich antidemokratischen Einstellungen muslimischer Einwanderer. Dabei wird Islamfeindlichkeit als demokratische Räson instrumentalisiert, um diese im öffentlichen Raum zu legitimieren (wie etwa im Falle des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ihre Wählerschaft in der Mehrheit nicht zwangsläufig am extremen rechten Rand zu verorten oder per se rassistisch ist. Charakteristisch ist vielmehr, dass sie über alle Maßen skeptisch gegenüber Immigration eingestellt ist. Dieser Definition folgend können im Hinblick auf Deutschland die "Republikaner" (REP), die Schill-Partei in Hamburg oder die diversen Pro-Bewegungen (ProKöln, ProBerlin, ProNRW) als Rechtspopulisten klassifiziert werden.

Rechtspopulistische Parteien in Westeuropa eint ihre Betonung eines überhöhten Nationalismus und der Sicherung von "Recht und Ordnung" sowie populistische Rhetorik und Angriffe in erster Linie gegen etablierte Parteien und Politiker. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Homogenität und entsprechend die Zurückweisung gesellschaftlicher Pluralisierung. Mit anderen Worten: Rechtspopulistische Parteien können als institutionalisierte Bewegungen gegen die Moderation der gestiegenen Komplexität und Diversität moderner Gesellschaften durch etablierte Parteien verstanden werden. Bis dato konnten Rechtspopulisten in fast alle westeuropäischen Parlamente einziehen - allein in Irland, Spanien und Deutschland ist ihnen dies bislang nicht gelungen (vgl. Tabelle in der PDF-Version).

Einfluss auf die politische Kultur

Faktoren, die den Parlamentseinzug rechtspopulistischer Parteien auf nationaler Ebene, und solche, die eine Verstetigung von Wahlerfolgen ermöglichen, unterscheiden sich stark. Mit dem Parlamentseinzug und dem Status einer Fraktion im Nationalparlament ergeben sich neue Einflussmöglichkeiten auf nationale Diskurse. Denn nach dem Parlamentseinzug ermöglichen der einfachere Zugang zu Massenmedien und die Möglichkeiten zur systematischen Konsolidierung und Professionalisierung ihrer internen Organisationsstrukturen eine Verstetigung ihrer Wahlerfolge.

Diese Faktoren (mediale Präsenz und solide Organisationsstrukturen) sind allerdings für den Einzug ins Parlament zunächst zweitrangig. Es muss folglich auch zwischen originären rechtspopulistischen Parteien und solchen, die aus der Transformation einer bereits etablierten Partei stammen, unterschieden werden: So gingen beispielsweise die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) aus wirtschaftsliberalen Parteien hervor. (Nicht von ungefähr sucht rechtspopulistische Rhetorik daher die Nähe zu liberalen Argumenten, um sie im öffentlichen Raum zu legitimieren: Sie betont allzu gerne, dass sich die Thesen nicht gegen Immigranten per se richten, sondern gegen die vermeintlich überbordende sozialstaatliche Umverteilung, die Zuwanderer über Gebühr begünstige, und die vermeintliche Bedrohung liberaler Errungenschaften westlicher Demokratien durch die muslimische Religion vieler Einwanderer. ) Da SVP und FPÖ aus Parteien hervorgingen, deren Fraktionen bereits in Nationalparlamenten vertreten waren, hatten sie von Beginn an breiten Zugang zu Massenmedien und eine gewachsene Organisationsstruktur. Beides trug dazu bei, die Wahlerfolge zu verstetigen. Ihre Entstehung ist daher nur begrenzt mit der originärer Rechtspopulisten vergleichbar.

Die Medienpräsenz rechtspopulistischer Parteien ergibt sich unter anderem auch dadurch, dass sich etablierte Parteien darum bemühen, die Themen des neuen Wettbewerbers im Werben um Wählerstimmen aufzugreifen. Vor diesem Hintergrund hat der Umgang etablierter Parteien mit Rechtspopulisten einen großen direkten wie auch indirekten Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse: Dadurch kann beispielsweise die Liberalisierung von Staatsbürgergesetzen durch die Präsenz rechtspopulistischer Parteien in Nationalparlamenten erschwert werden, wie etwa die restriktive Gesetzgebung in Dänemark, Italien und Österreich auch auf starke rechtspopulistische Parteien zurückgeführt wird.

Eine weitere Folge der Etablierung von rechtspopulistischen Parteien im Parteienspektrum ist die Politisierung vermeintlicher kultureller Konfliktlinien im nationalen Diskurs. Ihr Parlamentseinzug wird daher als erster Schritt in Richtung einer pfadabhängigen Veränderung der gesamten politischen Kultur interpretiert. Eine Analyse der politischen Debatten in Frankreich oder den Alpenrepubliken nährt die These, dass nach einer Verstetigung der Wahlerfolge von Rechtspopulisten der gesamte politische Diskurs mit weitaus nationalistischeren und ausländerfeindlicheren Tönen geführt wird.

Immigration als Mobilisierungsthema

Während schon in den 1980er und 1990er Jahren die Debatten über die "nationale Identität" den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa mitbestimmten, waren in den vergangenen Jahren Immigrationsthemen ihre entscheidende Mobilisierungsgrundlage. Die vielerorts herrschende Immigrationsskepsis scheint den Erfolg von Rechtspopulisten besonders dann zu begünstigen, wenn Immigration im Zusammenhang mit bedeutenden Gesellschaftsproblemen (wie Bildung, Arbeit und Soziales) diskutiert wird. Das Bedürfnis nach einem Aufhalten beziehungsweise Zurücknehmen sozialer Veränderungen und der Wiederherstellung gesellschaftlicher Homogenität wird hier auf eine simple Thematik herunter gebrochen: Zuwanderung wird als vermeintlich greifbares Symbol für zunehmende Diversität und Pluralisierung (von Lebensstilen, Arbeitswelten etc.) instrumentalisiert. Migranten werden ergo als "Sündenböcke" für soziale Probleme dargestellt, die in keinem Zusammenhang mit Migration stehen. Dieser Logik folgend wirkt die Anti-Immigrations-Rhetorik rechtspopulistischer Parteien wie die "Lösung" mehrerer gesellschaftlicher Herausforderungen "auf einen Streich".

Bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen, die den Parlamentseinzug rechtspopulistischer Parteien begünstigen, muss daher entsprechend ein besonderes Augenmerk auf "immigrationsverwandte" Faktoren (wie etwa Größe und Zusammensetzung von Einwanderungspopulationen und Topoi politischer Immigrationsdiskurse) gelegt werden. Die Forschungsliteratur unterscheidet hinsichtlich der Rahmenbedingungen zwischen solchen, die sich mit Wählerpräferenzen, und solchen, die sich mit Strukturen des politischen Wettbewerbs beschäftigen.

Wählerpräferenzen

Bereits 1994 argumentierte der Politikwissenschaftler Hans-Georg Betz, dass Wählerinnen und Wähler rechtspopulistischer Parteien als "Verlierer der Moderne" zu betrachten seien: Aufgrund des individuellen ökonomischen Drucks empfänden sie Sympathien, wenn die Handhabung des sozialen Ausgleichs angeprangert wird. Dieses Argument wurde inzwischen mehrfach entkräftet, da sich das Wählerklientel rechtspopulistischer Parteien auf alle Einkommensschichten erstreckt - Wählerinnen und Wähler aus der Mittelschicht sind gar überrepräsentiert. Auch die volkswirtschaftliche Gesamtsituation hat wenig Einfluss auf die Erfolgsaussichten von Rechtspopulisten. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass beispielsweise Rechtspopulisten in den Niederlanden und in Skandinavien gerade in Zeiten höchster ökonomischer Prosperität und starker sozialer Absicherung beachtliche Wahlerfolge einfuhren. Daher kann festgehalten werden, dass strukturelle und soziale Probleme - wie etwa in Deutschland in den vergangenen beiden Jahrzehnten oder aufgrund der aktuellen Finanzkrisen - nicht zwangsläufig zu Durchbrüchen von Rechtspopulisten führen müssen.

Es scheint gar, dass Rechtspopulisten besonders dann schwach sind, wenn soziale Fragen (wie Arbeitsmarktthemen oder wohlfahrtsstaatliche Reformen) ohne den Verweis auf kulturelle Anknüpfungspunkte wie Zuwanderungsthematiken diskutiert werden. Zwei Gründe könnten diesen Umstand erklären: Zum einen sehen untere Einkommensschichten in solch einer Situation ihre Interessen primär durch Parteien des linken Spektrums gewahrt; zum anderen fokussiert sich die vermeintliche "Problemlösungskompetenz", die Wählerinnen und Wähler unabhängig von ihrer eigenen finanziellen Situation Rechtspopulisten zusprechen, vor allem auf kulturelle Fragen.

Die These von den "Protestwählern" ist ebenfalls umstritten: Zwar zeigen Studien Indizien für einen Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit über die Art und Weise der Moderation zentraler Gesellschaftsprobleme durch etablierte Parteien und der Stimmabgabe für rechtspopulistische Parteien. Doch andere Analysen relativieren diesen Zusammenhang: Wählerinnen und Wähler rechtspopulistischer Parteien verstehen (von wenigen Ausnahmen abgesehen) ihre Stimme für Rechtspopulisten vor allem als Ausdruck ihrer Unzufriedenheit mit der Handhabung von Immigrations- und Integrationsfragen durch etablierte Parteien.

Auch lässt sich keine Kausalität zwischen der Anzahl muslimischer Einwanderer - die oftmals als zentrale "Integrationsherausforderung" bezeichnet werden - und antimuslimischen Einstellungen europäischer Wählerschaften erkennen. So können hohe Zuwandererzahlen zwar die subjektive Bedrohungsempfindung erhöhen, durch die Möglichkeit des vermehrten Austausches wird jedoch zugleich der Anstieg multikultureller Toleranz begünstigt. Kurzum: Allein der proportionale Gesellschaftsanteil von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Ausländern (Menschen ohne die Staatsbürgerschaft des betreffenden Landes) ist noch keine hinreichende Erklärung für den Wahlerfolg von rechtspopulistischen Parteien.

Verhalten etablierter Parteien ist entscheidend

Aufschlussreich ist daher auch der Blick auf die Struktur des politischen Wettbewerbs: Es sind zahlreiche Beispiele von schwach organisierten rechtspopulistischen Parteien zu beobachten, die in nationale Parlamente einziehen. Eine solide Organisationsstruktur ist daher entscheidend, um die Verstetigung ihrer Wahlerfolge zu gewährleisten.

Im Prozess der Verstetigung spielen Medien eine wichtige Rolle: Sie können politische Themen, welche die etablierten Parteien vernachlässigen, auf die öffentliche Agenda setzen. Doch bevor allerdings Rechtspopulisten mit diesen Themen auf "Stimmenfang" gehen können, müssen diese durch etablierte Parteien aufgegriffen und "legitimiert" werden. Dies war auch bei den Themen und Positionen der Fall, mit denen Rechtspopulisten in den vergangenen Jahrzehnten mobilisierten, etwa Debatten über die "nationale Identität" oder Immigrations- und Integrationsfragen: Bevor sie mit diesen Themen bei den Wählerinnen und Wählern "punkten" konnten, wurden sie von etablierten Parteien "hoffähig" gemacht.

Im Umkehrschluss heißt das, dass selbst wenn Themen durch Medien gesetzt werden, etablierte Parteien aufgrund ihrer herausragenden Position im politischen Willensbildungsprozess immer noch in der Lage sind, die Interpretation und Gewichtung jener Themen im politischen Diskurs zu steuern: "Politische Akteure können nicht verhindern, dass sich bestimmte strukturelle Streitfragen im politischen Diskurs etablieren. Wie sie sich im politischen Diskurs manifestieren hingegen schon. Hieraus folgt, dass das Verhalten etablierter Parteien definiert, inwieweit sich jene Konflikte polarisieren; sie beeinflussen folglich mit, inwiefern es für radikale rechte Parteien Möglichkeiten gibt, sich im Parteiensystem festzusetzen."

Die Erklärung für den Parlamentseinzug und die Etablierung rechtspopulistischer Parteien im Parteienspektrum scheint also zu einem großen Teil im Zusammenspiel der etablierten Parteien zu liegen: Als sich in den 1980er Jahren Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien in Europa über Fragen der "nationalen Identität" oder der Zuwanderung stritten, wurde die "nationale Frage" zum Stichwort des politischen Diskurses. Erst beziehungsweise spätestens als etablierte Parteien andere Thematiken in den Vordergrund rückten, konnten rechtspopulistische Parteien den vernachlässigten Diskurs zur Mobilisierung für eigene Zwecke nutzen.

Ein ähnliches Muster zeigte sich in den vergangenen Jahren in Immigrationsfragen: Die Chancen von Rechtspopulisten auf einen Parlamentseinzug stiegen signifikant, sobald sich etablierte Parteien in Zuwanderungsfragen über einen längeren Zeitraum konfrontativ zueinander positionierten. Dies hatte zur Folge, dass Migrationsfragen als ungelöste gesellschaftliche Herausforderung auf der nationalen Agenda stehen bleiben und damit einen Nährboden für rechtspopulistische Thesen bereiten konnten. Mit anderen Worten: Rechtspopulisten profitierten vom Parteienstreit um Zuwanderungsfragen; ein langwieriger Parteienstreit oder eine Vernachlässigung des Themas erhöhten den öffentlichen Zuspruch für Rechtspopulisten. Entsprechend lässt sich für den gegenteiligen Fall sagen: Eine "Abstimmung" beziehungsweise ein zuwanderungspolitischer Konsens zwischen den etablierten Parteien verringerte die Erfolgsaussichten rechtspopulistischer Parteien. Eine politische Konsequenz hieraus sollte sein, das Immigrationsthema durch einen kommunizierten parteiweiten Konsens - und nicht durch das Ignorieren des Themas - zeitnah als Konfliktthema von der politischen Tagesordnung zu nehmen.

Die Einzugschancen von Rechtspopulisten können also durch einen kommunizierten Konsens unter etablierten Parteien verringert werden. Aus drei Gründen verringern sich diese umso mehr, je "konservativer" der zuwanderungspolitische Konsens ist: (1) Es werden rechtskonservative Stimmen "eingefangen", (2) das Thema wird von der politischen Agenda genommen, und (3) es erleichtert vor allem Mitte-Rechts-Parteien, geschlossen mit Mitte-Links-Parteien gegen rechtspopulistische Rhetorik vorgehen und sie so delegitimieren zu können. Inwiefern durch einen solchen Konsens zuwanderungspolitischen Herausforderungen tatsächlich begegnet werden kann, sei zunächst dahingestellt.

Diese Mechanismen lassen sich am Beispiel des Durchbruchs der rechtspopulistischen "Liste Pim Fortuyn" in den Niederlanden illustrieren: Zu Beginn der 1990er Jahre mahnte die rechtsliberale Partei VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) eine härtere Gangart in Immigrations- und Asylfragen an. Da die damalige Große Koalition - deren Teil die VVD ab 1994 war - allerdings auf liberale Immigrationsrichtlinien bestand, blieb das Thema beständig auf der nationalen Agenda. In den Wahlkämpfen 1994 und 1998 konnten sich die etablierten Parteien noch auf einen gemeinsamen Nenner in Integrationsfragen verständigen und porträtierten die Niederlande unisono als multikulturelles Land. Sie delegitimierten somit die Standpunkte der damals aktiven ausländerfeindlichen Partei von Hans Janmaat. Im Wahlkampf 2002 äußerte sich auch Fortuyn antimuslimisch und zweifelte stark an der niederländischen Einwanderungspolitik - wenngleich weniger rabiat als Janmaat in den Jahren zuvor. Im Unterschied zu vorangegangenen Wahlkämpfen scherten nun allerdings einige konservative Politiker aus dem vorherigen Konsens aus und äußerten ebenfalls Zweifel an der niederländischen Integrationspolitik. Fortuyns antimuslimische und immigrationsskeptische Rhetorik wurde somit durch Vertreterinnen und Vertreter etablierter Parteien legitimiert. Die rechtspopulistische "Liste Pim Fortuyn" erreichte in der Folge bei den Parlamentswahlen 2002 aus dem Stand 17 Prozent der Wählerstimmen.

Einwanderungsdebatten in Deutschland

Auch in Deutschland steigen auf Bundesebene die Zustimmungswerte zu einer rechtspopulistischen Anti-Immigrationspartei. Die jüngsten Wahlerfolge rechtspopulistischer und rechter Parteien spielten sich allerdings ausschließlich auf Länderebene ab: Hierzu zählen die Erfolge der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern (2006 und 2011), in Sachsen (2004 und 2009) sowie der Einzug der Schill-Partei (beziehungsweise deren Ableger "Bürger in Wut") in die Bürgerschaften Hamburgs (2001) und Bremens (2007). Die begrenzten Erfolge der Rechtspopulisten in den Hansestädten gehen zurück auf interne Organisationsprobleme und den Mangel an bundesweiten Mobilisierungsthemen. Der lokal begrenzte Erfolg der NPD wird aufgrund ihrer ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus und damit einem Mangel an bundesweiter Akzeptanz erklärt.

Nach einer scharfen bundesweiten Auseinandersetzung über die steigende Anzahl von Asylanträgen in den 1970er Jahren firmierte die Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler im Jahr 1982 unter dem Slogan der "geistig-moralischen Wende" und eröffnete eine Debatte über die "nationale Identität" Nachkriegsdeutschlands. Den "Republikanern" (REP) wurde so ein bundesweites Mobilisierungsthema beschert, welches sie spätestens mit der "moderateren" Positionierung der Regierungsparteien in Asylfragen ab Ende der 1980er Jahre aufgreifen konnten. Entsprechend erreichten sie bei der Europawahl 1989 bundesweit 7,1 Prozent.

Sie konnten diese Erfolge bei der Bundestagswahl 1990 allerdings nicht wiederholen, da die Wiedervereinigung den Bundestagswahlkampf dominierte und die christlich-konservativen Parteien sich hierbei als "Wahrerinnen der nationalen Interessen" porträtieren konnten. Allerdings führte der bundesweite Streit in den frühen 1990er Jahren zwischen den beiden damaligen Volksparteien - den Unionsparteien und den Sozialdemokraten - über die Handhabung der "Asylfrage" zu beachtlichen Wahlerfolgen der REP bei verschiedenen Landtagswahlen.

Das anschließende Versinken der REP in der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit wird durch drei Faktoren erklärt: interne Organisationsprobleme, die geringe Beachtung durch bedeutende Massenmedien und das Gesetz über ein schärferes Asylrecht im Jahr 1992 (der sogenannte Asylkompromiss), der als "konservativer Konsens" in oben skizzierter Art und Weise bezeichnet werden kann. Entsprechend spielten Zuwanderungsfragen im Bundestagswahlkampf 1994 keine dominante Rolle mehr. Infolgedessen verfehlten die REP mit 1,9 Prozent der Wählerstimmen die Fünfprozenthürde.

Der Entwurf eines neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes, der nach der Bundestagswahl 1998 eingebracht wurde, stieß auf große Ablehnung der christlich-konservativen Parteien. Erst nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss wurde es 2000 mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verabschiedet. Die parallel zum Gesetzgebungsprozess ausgelöste "Leitkulturdebatte" schlug zu dem Zeitpunkt zwar hohe Wellen, wurde aber vor der Bundestagswahl 2002 durch die Parteiführungen entschärft, so dass Zuwanderungsfragen im Wahlkampf 2002 fast keine Rolle spielten. Auch die Debatte über ein neues Zuwanderungsgesetz ließ unterschiedliche Parteipositionen zutage treten. Sie wurde aber vor der Bundestagswahl 2005 durch die Verabschiedung eines Gesetzes, das abermals im Vermittlungsausschuss unter Mitwirkung aller Parteien zu Stande kam, entschärft.

Zuwanderungsfragen wurden somit bis dato in keinem Bundestagswahlkampf der Berliner Republik schwerpunktmäßig thematisiert - das zentrale Mobilisierungsthema für Rechtspopulisten entfiel.

Alle im selben Boot

Immigrationsfragen gehören zu den wichtigsten Mobilisierungsthemen rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Die Chancen auf ihren Parlamentseinzug hängen kaum von demografischen oder ökonomischen Faktoren ab. Ländervergleiche belegen hingegen die große Rolle, welche die moderaten und etablierten Parteien einnehmen: Sollten jene das Immigrationsthema auf die politische Agenda setzen und dieses nicht zeitnah durch einen möglichst parteiübergreifenden Konsens entschärfen, begünstigt dies die Verbreitung rechtspopulistischer Thesen auf Bundesebene. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen Immigrationsthematiken bislang kaum - und vor allem nur sehr begrenzt in Bundestagswahlkämpfen - politisiert wurden, da sich etablierte Parteien stets relativ rasch in einem eher konservativen Konsens verständigten. Dies ist einer der entscheidenden Gründe für die Schwäche rechtspopulistischer Parteien auf Bundesebene.

Das Potenzial zu neuen Immigrationsdebatten wird in Deutschland in den nächsten Jahren rapide steigen. Sollten etablierte Parteien dieses Thema aufgreifen und der bundespolitische Konsens aufbrechen oder eine als zu liberal wahrgenommene Übereinkunft konservative Wähler zurücklassen, würde dies Rechtspopulisten ein bundesweites Mobilisierungsthema liefern.

Der mögliche Einzug einer rechtspopulistischen Partei in den Bundestag würde nicht nur die christlich-konservativen und liberalen Parteien schwächen - da jene ihre Wählerinnen und Wähler größtenteils im sogenannten bürgerlichen Lager finden. Der Einzug einer rechtspopulistischen Partei in den Bundestag würde höchstwahrscheinlich in der gesamten politischen Kultur Deutschlands weitaus nationalistischere und ausländerfeindlichere Thesen zutage treten lassen. Dies kann insbesondere angesichts der guten Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn und des in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten Vertrauens gegenüber dem wiedervereinten Deutschland, des hohen Bedarfs an qualifizierter Zuwanderung und der großen Integrationserfolge der vergangenen Jahrzehnte nicht im Interesse der Wählerinnen und Wähler (auch nicht der konservativen) liegen.

Das "Spielen" mit der Immigrationsskepsis vieler Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise ein langwieriger Konflikt über Immigrationsfragen kann folglich allen etablierten politischen Kräften und vor allem der gesamten Berliner Republik mittel- und langfristig nur schaden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Piero Ignazi, Extreme Right Parties in Western Europe, Oxford 2006.

  2. Vgl. Michael Minkenberg, The Radical Right in Europe, Gütersloh 2008. Vgl. zur Problematik des Extremismus-Begriffs: Gero Neugebauer, Zur Strukturierung der politischen Realität in einer modernen Gesellschaft, in: APuZ, (2010) 44, S. 3-9.

  3. Vgl. Johannes Bergh, Protest Voting in Austria, Denmark and Norway, in: Scandinavian Political Studies in Comparative International Development, 27 (2007) 4, S. 367-389.

  4. Vgl. Jens Rydgren, Immigration sceptics, xenophobes or racists?, in: European Journal of Political Research, 47 (2008), S. 737-765.

  5. Bis auf das Ausscheiden der Rechtspopulisten "Neue Demokratie" aus dem schwedischen Reichstag im Jahr 1994 gibt es keinen Fall in Westeuropa, in dem der Parlamentseinzug nicht zu einer Verfestigung im politischen Spektrum führte. Vgl. Sonia Alonso/Sara Claro da Fonseca, Immigration, left and right, in: Party Politics, 17 (2011), S. 1-20.

  6. Vgl. Antonis Ellinas, The Media and the Far Right in Western Europe, New York 2010.

  7. Vgl. Tjitske Akkerman/Anniken Hagelund, "Women and children first!", in: Patterns of Prejudice, 41 (2007) 2, S. 197-214.

  8. Vgl. Simon Bornschier, Why a right-wing populist party emerged in France but not in Germany, in: European Political Science Review, (2011).

  9. Vgl. Jens Rydgren, Meso-level Reasons for Racism and Xenophobia, in: European Journal of Social Theory, 6 (2003) 1, S. 45-68; Bonnie Meguid, Competition Between Unequals, in: American Political Science Review, 99 (2005) 3, S. 347-359.

  10. Vgl. Marc Howard, The Impact of the Far Right on Citizenship Policy in Europe, in: Journal of Ethnic and Migration Studies, 36 (2010) 5, S. 735-751.

  11. Vgl. Simon Bornschier, The New Cultural Divide and the Two-Dimensional Political Space in Western Europe, in: West European Politics, 33 (2010) 3, S. 419-444.

  12. Vgl. Elisabeth Ivarsflaten, What Unites Right-Wing Populists in Western Europe?, in: Comparative Political Studies, 41 (2008), S. 3-23.

  13. Vgl. J. Rydgren (Anm. 4).

  14. Vgl. Hans-Georg Betz, Radical Right Wing Populism in Western Europe, New York 1994.

  15. Vgl. Kai Arzheimer, Contextual Factors and the Extreme Right Vote in Western Europe, in: American Journal of Political Science, 53 (2009) 2, S. 259-275.

  16. Vgl. Elisabeth Ivarsflaten, The vulnerable populist right parties, in: European Journal of Political Research, 44 (2005), S. 465-492.

  17. Vgl. Marcel Lubbers/Mérove Gijsberts/Peer Scheepers, Extreme right-wing voting in Western Europe, in: European Journal of Political Research, 41 (2002), S. 345-378.

  18. Vgl. Kai Arzheimer, Protest, Neo-Liberalism or Anti-Immigrant Sentiment, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 2 (2009), S. 173-197.

  19. Vgl. Zan Strabac/Ola Listhaug, Anti-Muslim prejudice in Europe, in: Social Science Research, 37 (2008) 1, S. 268-288.

  20. Vgl. Elmar Schlueter/Peer Scheepers, The relationship between outgroup size and anti-outgroup attitudes, in: Social Science Research, 39 (2010) 2, S. 285-295.

  21. Vgl. Pippa Norris, Radical Right, New York 2005.

  22. Vgl. David Art, Inside the Radical Right, Cambridge, UK 2011.

  23. Vgl. Cas Mudde, Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge, UK 2007.

  24. Vgl. Wouter van der Brug/Meindert Fennema/Jean Tillie, Why Some Anti-Immigrant Parties Fail and Others Succeed, in: Comparative Political Studies, 38 (2005) 5, S. 537-573.

  25. S. Bornschier (Anm. 8), S. 22.

  26. Vgl. A. Ellinas (Anm. 6).

  27. Vgl. Ruud Koopmans/Jasper Muis, The rise of right-wing populist Pim Fortuyn in the Netherlands, in: European Journal of Political Research, 48 (2009), S. 642-664.

  28. Vgl. Martin Dolezal, Germany, in: Hanspeter Kriesi et al. (eds.), West European Politics in the Age of Globalization, Cambridge, UK 2008.

  29. Vgl. Frank Decker/Florian Hartleb, Populism on Difficult Terrain, in: German Politics, 16 (2007) 4, S. 434-454.

  30. Vgl. A. Ellinas (Anm. 6); S. Bornschier (Anm. 8); M. Dolezal (Anm. 28); F. Decker/F. Hartleb (Anm. 29).

  31. Vgl. Hartwig Pautz, The politics of identity in Germany, in: Race & Class, 46 (2005) 4, S. 39-52.

MA, geb. 1985; Promovend an der Berlin Graduate School of Social Sciences (BGSS), Luisenstraße 56, 10117 Berlin. E-Mail Link: lochocki@hu-berlin.de