Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Integration von Ausländern und ethnischen Minderheiten | Litauen | bpb.de

Litauen Hintergrund Migrationsgeschichte Einwanderer Flucht und Asyl Integration Irreguläre Migration Entwicklung Literatur

Integration von Ausländern und ethnischen Minderheiten

Benjamin Brake

/ 4 Minuten zu lesen

Litauen betrachtet sich als multiethnischer Staat; litauische Staatsbürger können sich zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen bekennen. Im Zensus wird sowohl nach Staatsangehörigkeit als auch nach ethnischer Zugehörigkeit gefragt.

Dem Zensus 2001 zufolge stellen die Litauer mit 83,5% die ethnische Mehrheit. Polen sind mit einem Anteil von 6,7% an der Gesamtbevölkerung die größte der Minderheitengruppen, gefolgt von Russen (6,3%), Weißrussen (1,2%), und Ukrainern (0,7%). Juden, Deutsche, Tataren, Letten und Roma, Armenier und 'Sonstige' machten zusammen 0,7% der Bevölkerung aus. Insgesamt 0,9% der Bevölkerung machte keine Angaben zur Ethnizität. Litauer haben ein insgesamt positives Verhältnis zu ihren nationalen Minderheiten, auch wenn Diskriminierung nicht auszuschließen ist. Maßnahmen zur Integration sind gleichermaßen an ausländische Staatsbürger und ethnische Minderheiten gerichtet.

Mit einem Anteil von rund 83,5% ethnischer Litauer ist Litauen das baltische Land, in dem die ethnisch baltische Bevölkerung am deutlichsten in der Mehrheit ist. Zum Vergleich verzeichnet Estland einen Anteil von 68% ethnischer Esten, Lettland 59% ethnischer Letten. In beiden Ländern sind die Anteile ethnischer Russen deutlich höher. Eine Besonderheit bilden die ostlitauischen Gebiete, in denen die Litauer nur rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, gefolgt von den dort autochthonen Polen, die ein Drittel der Bevölkerung stellen. In einigen Gebieten nahe der polnischen Grenze sind ethnische Polen deutlich in der Mehrheit. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Gruppe der Russen zwar auf einige Gebiete in Litauen, stellt aber nirgendwo die Mehrheit.

Anders als in den baltischen Nachbarländern wird die russische Minderheit von der Bevölkerung nicht als Bedrohung wahrgenommen. Dies hat zum einen damit zu tun, dass zu Zeiten der Sowjetherrschaft vergleichsweise wenig Russen und andere Slawen nach Litauen umgesiedelt wurden. So machten am Vorabend der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Russen, Weißrussen und Ukrainer lediglich 12,3% der Bevölkerung aus, wohingegen deren Anteile auf lettischem (42,3%) und estnischem Gebiet (35,2%) deutlich höher lagen. Zum anderen waren Russen in Litauen besser integriert als es in Lettland und Estland der Fall war. Dem Zensus von 1989 zufolge beherrschten 37,8% der ethnischen Russen in Litauen die Landessprache, was ebenfalls deutlich über den Anteilen in Estland (15,2%) und Lettland (22,4%) lag. Dennoch bewirkt die gute kulturelle Infrastruktur der im Land verbliebenen ethnischen Russen mit ihren russischsprachigen Zeitungen und einem breiten kulturellen Angebot sowie Literatur in ihrer Muttersprache, dass das Erlernen der litauischen Sprache für viele keine Priorität darstellt.

Hinsichtlich der russischen und polnischen Minderheiten in Litauen hat die Regierung 2002 neue Regelungen für den Schulunterricht erlassen. Hier wurde erstmals verankert, dass die Sprache der Minderheit auch Unterrichtssprache sein darf und dass Kinder nationaler Minderheiten die Schule in ihrer Sprache abschließen dürfen, so lange die litauische Sprache parallel unterrichtet wird. Von den 2058 Schulen in Litauen sind 56 russischsprachig und weitere 49 haben russischsprachige Klassen eingerichtet. Demnach werden 5,9% der insgesamt 567.453 Schüler in russischer Sprache unterrichtet. In Litauisch werden hingegen 83% der Schüler unterrichtet. Andere Unterrichtssprachen sind Polnisch und Ukrainisch. Numerisch eher kleinen ethnischen Minderheiten, wie Armeniern, Weiß-russen und Esten, die zudem nicht lokal konzentriert sind, wird die Möglichkeit von Sonntagsschulen geboten, um ihre Kultur, Sprache und Identität zu festigen.

Nach absoluten Zahlen sind die Roma mit 3.000 Mitgliedern zwar eine der kleineren Gruppen der ethnischen Minderheiten, allerdings ist ihre Integration mit am schwierigsten, was u.a. daran liegt, dass sie häufig nicht der litauischen Sprache mächtig sind. Dies zieht andere Probleme, wie eine hohe Zahl von Schulabbrechern (ein Fünftel der Roma-Kinder bricht die Schule vor dem ersten Abschluss ab), Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Probleme der Wohnsituation nach sich. Darüber hinaus sind Roma im Speziellen und ethnische Minderheiten generell noch immer Opfer von Diskriminierung. So berichtet die International Helsinki Federation of Human Rights von Diskriminierung durch die Polizei, Behörden und durch Lehrer in der Schule. Das vorherrschende Bild der Roma in der litauischen Öffentlichkeit ist – verstärkt durch die Medien – eher negativ. 2001 verabschiedete die Regierung ein auf die Minderheit der Roma zugeschnittenes Integrationsprogramm, welches noch im selben Jahr die Errichtung eines Roma Public Centre in Vilnius nach sich zog und in den folgenden Jahren insbesondere im Bildungssektor Prioritäten setzte. So wurden Schulbücher für Roma verlegt und 2002 erstmals Vorschulunterricht speziell für Kinder der Roma angeboten.

Gemessen an interethnischen Beziehungen persönlicher Art (z.B. zu Freunden, Bekannten, Verwandten) ist die Integration der Minderheiten als eher fortgeschritten zu betrachten, wohingegen gerade auf dem Arbeitsmarkt und hier insbesondere in kleineren Unternehmen eher monoethnische Strukturen zu beobachten sind.

Im Vergleich zu Litauern ist unter den ethnischen Minderheiten eine erhöhte Arbeitslosigkeit zu beobachten (2002: 18,5% zu 12,8%). Nach einem Bericht des Ministeriums für Soziale Sicherung sind gerade ethnische Polen und ethnische Russen deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als die litauische Vergleichsgruppe. Dies wird u.a. auf fehlende sprachliche Kompetenzen zurückgeführt.

Ein Blick auf das Bildungsniveau zeigt deutliche Unterschiede zwischen den ethnischen Minderheiten. So ist es die jüdische Minderheit, die, gefolgt von Armeniern, Ukrainern und Russen, über das insgesamt höchste Bildungsniveau verfügt. Polen und Roma stellen die geringste Zahl an Höherqualifizierten (Hochschulabschluss). Da allerdings spätestens mit dem Eintritt in die Universität Litauisch beherrscht werden muss, tendieren immer mehr ethnische Minderheiten zum Besuch von Schulen, in denen in litauischer Sprache unterrichtet wird.

Obwohl Minderheiten rund 17% der Bevölkerung ausmachen, waren sie im Jahr 2000 im nationalen Parlament (Seimas) mit einem Anteil von 10% vertreten. Auch in den höheren Verwaltungsebenen und auf Regierungsebene sind Minderheiten eher selten anzutreffen. Was die politische Vertretung angeht, sind die AWPL (Polish Election Action of Lithunia) sowie die Russian Union of Lithuania zu nennen, die gemeinsam über sieben der 51 Sitze im Stadtrat von Vilnius verfügen. Weitere 14 Abgeordnete werden von der Gruppierung "Für Vilnius" gestellt, welche sich u.a. als Vertretung der litauischen Polen versteht. Allerdings ist momentan keine der drei Gruppierungen im Seimas vertreten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das Statistische Amt Litauens verwendet die Begriffe 'Nationalität' und 'Ethnizität' synonym. In Anlehnung an die United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) und Eurostat wird der Begriff "Mitglied einer nationalen (ethnischen) Minderheit" wie folgt definiert: Mitglied einer ethnischen Minderheit ist, wer sich freiwillig zu dieser Gruppe bekennt, und wer anstrebt, die Kultur dieser Gruppe (nämlich die Sprache, Bräuche, Sitten und nationale bzw. ethnische Identität) zu bewahren.

Weitere Inhalte